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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Zugendzeit

ungefähr acht Jahre alt, da kam im Winter die Ballcnstedter Schauspieler¬
gesellschaft nach Quedlinburg. Ihr Regisseur hieß Vollbrccht und wohnte meinem
väterlichen Hause schräg gegenüber. Er hatte einen netten Sohn in meinem Alter.
Dieser Wilhelm Vollbrecht schlängelte sich bei unsern Spielen auf der Straße um
uns heran und erzählte uns, daß an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei herr¬
liche Stücke gegeben würden: "Rochus Pumpernickel" und "Der Glöckner von
Notre Dame." In diesen Stücken würden auch Kiuder auftrete", und wenn wir
mitspielen wollten, so sollten wir den zweiten Akt der Zauberflöte umsonst sehen
dürfen. Niemand werde uns erkennen, denn wir würden geschminkt. Es war eine
große Versuchung, und ich erlag ihr. Ich schwankte einen Augenblick, denn ich
wußte, daß mein Vater das Komödiespielen mißbilligen würde. Aber die Ge¬
legenheit, das ordentliche Theater kennen zu lernen, war zu günstig. Von der
bevorstehenden Aufführung der Zauberflöte sprach die ganze Stadt, und besonders
lockte mich die Aussicht, geschminkt zu werden. Das mußte etwas ganz Besondres
sein, da ich gehört hatte, alle ordentlichen Schauspieler würden geschminkt. Ich
ging also Abends mit Wilhelm Vollbrecht und ein paar andern Jungen ins
Schauspielhaus, wurde hinter die Szene geführt, und der Vater Vollbrecht fuhr
mir mit einem roten Pinsel ein paarmal über das Gesicht und sagte, ich sei sehr
schön geschminkt. Meine ohnehin roten Backen mögen ja auch Wohl dadurch "och
röter geworden sein. So liefen wir denn unter Wilhelm Vollbrechts Führung auf
der Bühne wirklich als richtige Straßenjungen hinter dem auf einem Esel reitenden
Rochus Pumpernickel her. Mir war gar nicht wohl dabei zumut, und beim
Fortgchn ans dem Theater hörte ich zu meinem Schreck, daß eine Dame aus dem
Publikum ihre Nachbarin fragte: "Haben Sie den kleinen Bosse gesehen? Er war
unvernünftig geschminkt und lief wirklich hinter dem Esel her." Gleichwohl ging
die Sache gnädig vorüber. Im "Glöckner von Notre Dame" aber wagte ich, so¬
viel ich mich entsinne, nicht mitzuspielen. Als meine Eltern von meinem ersten
Debüt erfuhren, war es zu einer Strafe schon zu spät. Ich kam mit nachdrück¬
lichen Vermahnungen und dem Versprechen davon, es nicht wieder tun zu wolle".
Aber den zweiten Akt der Zauberflöte habe ich damals wirklich zu sehe" bekomme".
Freilich fand ich mich ziemlich enttäuscht.

Schlimmer erging es mir bei einer milder" Schaustellung. Eines Tags erschien
in den Straßen der Stadt ein Bärenführer mit zwei Bären, einem Kamel und
einigen Affen. Er durchzog mit seiner Karawane die Straßen, machte an geeig¬
neten Stellen Halt, ließ die Bären nach seiner Querpfeife tanzen und die Affen
allerhand possierliche Kunststücke machen. Die Melodie des schrillen, einförmigen
Bärentanzes mit Trommelbegleitnng wußte ich zum Schrecken der Hausgenosse"
nur allzugut nachzuspielen. Ich habe damit viel Unfug getrieben und in Ab¬
wesenheit meines Vaters das ganze Haus damit zur Verzweiflung gebracht. Als
der Bärenführer unserm Hanse gegenüber vor der Langen Brücke Halt machte und
seine Vorstellung gab, stand ich natürlich mit der gesamten Straßenjugend der
Nachbarschaft bewundernd dabei. Plötzlich forderte er uns Jungen freundlich auf.
das Kamel zu besteigen. Dieses ließ sich auf die Kniee nieder, und ohne alles
Besinnen ließ ich mich hinaufsehen. Hinter mir saßen allmählich wohl sechs ebenso
leuchtsinnige Jungen auf dem Rücken des Schiffes der Wüste. Kaum hatte sich das
Kamel zu unsrer Genugtuung wieder erhoben, sodaß wir hoch von oben auf die
gaffende Menge herabschauten, da erschien einer der dressierten Affen und' kletterte
mit der nicht mißzuversteheudeu Gebärde, daß er emsig "ach etwas suche, über
unsre bloßen Köpfe. Selbstverständlich unter dem Gelächter des dabei stehende"
yvchzuverehrenden Publikums. Auch mir erschien der Vorgang sehr spaßhaft, aber
gar nicht schlimm. Wir kamen heil und unversehrt wieder herunter und waren
Ms unsern Kamelritt nicht wenig stolz. Vergnügt und ahnungslos ging ich hin-
uver nach nnserm Hause. Von dort aber hatten meine Eltern mit Unbehagen aus
ven Fenstern zugesehen, wie sich ihr mmützer Junge auf dem Kamel vor aller


Aus der Zugendzeit

ungefähr acht Jahre alt, da kam im Winter die Ballcnstedter Schauspieler¬
gesellschaft nach Quedlinburg. Ihr Regisseur hieß Vollbrccht und wohnte meinem
väterlichen Hause schräg gegenüber. Er hatte einen netten Sohn in meinem Alter.
Dieser Wilhelm Vollbrecht schlängelte sich bei unsern Spielen auf der Straße um
uns heran und erzählte uns, daß an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei herr¬
liche Stücke gegeben würden: „Rochus Pumpernickel" und „Der Glöckner von
Notre Dame." In diesen Stücken würden auch Kiuder auftrete», und wenn wir
mitspielen wollten, so sollten wir den zweiten Akt der Zauberflöte umsonst sehen
dürfen. Niemand werde uns erkennen, denn wir würden geschminkt. Es war eine
große Versuchung, und ich erlag ihr. Ich schwankte einen Augenblick, denn ich
wußte, daß mein Vater das Komödiespielen mißbilligen würde. Aber die Ge¬
legenheit, das ordentliche Theater kennen zu lernen, war zu günstig. Von der
bevorstehenden Aufführung der Zauberflöte sprach die ganze Stadt, und besonders
lockte mich die Aussicht, geschminkt zu werden. Das mußte etwas ganz Besondres
sein, da ich gehört hatte, alle ordentlichen Schauspieler würden geschminkt. Ich
ging also Abends mit Wilhelm Vollbrecht und ein paar andern Jungen ins
Schauspielhaus, wurde hinter die Szene geführt, und der Vater Vollbrecht fuhr
mir mit einem roten Pinsel ein paarmal über das Gesicht und sagte, ich sei sehr
schön geschminkt. Meine ohnehin roten Backen mögen ja auch Wohl dadurch »och
röter geworden sein. So liefen wir denn unter Wilhelm Vollbrechts Führung auf
der Bühne wirklich als richtige Straßenjungen hinter dem auf einem Esel reitenden
Rochus Pumpernickel her. Mir war gar nicht wohl dabei zumut, und beim
Fortgchn ans dem Theater hörte ich zu meinem Schreck, daß eine Dame aus dem
Publikum ihre Nachbarin fragte: „Haben Sie den kleinen Bosse gesehen? Er war
unvernünftig geschminkt und lief wirklich hinter dem Esel her." Gleichwohl ging
die Sache gnädig vorüber. Im „Glöckner von Notre Dame" aber wagte ich, so¬
viel ich mich entsinne, nicht mitzuspielen. Als meine Eltern von meinem ersten
Debüt erfuhren, war es zu einer Strafe schon zu spät. Ich kam mit nachdrück¬
lichen Vermahnungen und dem Versprechen davon, es nicht wieder tun zu wolle».
Aber den zweiten Akt der Zauberflöte habe ich damals wirklich zu sehe» bekomme».
Freilich fand ich mich ziemlich enttäuscht.

Schlimmer erging es mir bei einer milder» Schaustellung. Eines Tags erschien
in den Straßen der Stadt ein Bärenführer mit zwei Bären, einem Kamel und
einigen Affen. Er durchzog mit seiner Karawane die Straßen, machte an geeig¬
neten Stellen Halt, ließ die Bären nach seiner Querpfeife tanzen und die Affen
allerhand possierliche Kunststücke machen. Die Melodie des schrillen, einförmigen
Bärentanzes mit Trommelbegleitnng wußte ich zum Schrecken der Hausgenosse»
nur allzugut nachzuspielen. Ich habe damit viel Unfug getrieben und in Ab¬
wesenheit meines Vaters das ganze Haus damit zur Verzweiflung gebracht. Als
der Bärenführer unserm Hanse gegenüber vor der Langen Brücke Halt machte und
seine Vorstellung gab, stand ich natürlich mit der gesamten Straßenjugend der
Nachbarschaft bewundernd dabei. Plötzlich forderte er uns Jungen freundlich auf.
das Kamel zu besteigen. Dieses ließ sich auf die Kniee nieder, und ohne alles
Besinnen ließ ich mich hinaufsehen. Hinter mir saßen allmählich wohl sechs ebenso
leuchtsinnige Jungen auf dem Rücken des Schiffes der Wüste. Kaum hatte sich das
Kamel zu unsrer Genugtuung wieder erhoben, sodaß wir hoch von oben auf die
gaffende Menge herabschauten, da erschien einer der dressierten Affen und' kletterte
mit der nicht mißzuversteheudeu Gebärde, daß er emsig »ach etwas suche, über
unsre bloßen Köpfe. Selbstverständlich unter dem Gelächter des dabei stehende»
yvchzuverehrenden Publikums. Auch mir erschien der Vorgang sehr spaßhaft, aber
gar nicht schlimm. Wir kamen heil und unversehrt wieder herunter und waren
Ms unsern Kamelritt nicht wenig stolz. Vergnügt und ahnungslos ging ich hin-
uver nach nnserm Hause. Von dort aber hatten meine Eltern mit Unbehagen aus
ven Fenstern zugesehen, wie sich ihr mmützer Junge auf dem Kamel vor aller


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[0435] Aus der Zugendzeit ungefähr acht Jahre alt, da kam im Winter die Ballcnstedter Schauspieler¬ gesellschaft nach Quedlinburg. Ihr Regisseur hieß Vollbrccht und wohnte meinem väterlichen Hause schräg gegenüber. Er hatte einen netten Sohn in meinem Alter. Dieser Wilhelm Vollbrecht schlängelte sich bei unsern Spielen auf der Straße um uns heran und erzählte uns, daß an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei herr¬ liche Stücke gegeben würden: „Rochus Pumpernickel" und „Der Glöckner von Notre Dame." In diesen Stücken würden auch Kiuder auftrete», und wenn wir mitspielen wollten, so sollten wir den zweiten Akt der Zauberflöte umsonst sehen dürfen. Niemand werde uns erkennen, denn wir würden geschminkt. Es war eine große Versuchung, und ich erlag ihr. Ich schwankte einen Augenblick, denn ich wußte, daß mein Vater das Komödiespielen mißbilligen würde. Aber die Ge¬ legenheit, das ordentliche Theater kennen zu lernen, war zu günstig. Von der bevorstehenden Aufführung der Zauberflöte sprach die ganze Stadt, und besonders lockte mich die Aussicht, geschminkt zu werden. Das mußte etwas ganz Besondres sein, da ich gehört hatte, alle ordentlichen Schauspieler würden geschminkt. Ich ging also Abends mit Wilhelm Vollbrecht und ein paar andern Jungen ins Schauspielhaus, wurde hinter die Szene geführt, und der Vater Vollbrecht fuhr mir mit einem roten Pinsel ein paarmal über das Gesicht und sagte, ich sei sehr schön geschminkt. Meine ohnehin roten Backen mögen ja auch Wohl dadurch »och röter geworden sein. So liefen wir denn unter Wilhelm Vollbrechts Führung auf der Bühne wirklich als richtige Straßenjungen hinter dem auf einem Esel reitenden Rochus Pumpernickel her. Mir war gar nicht wohl dabei zumut, und beim Fortgchn ans dem Theater hörte ich zu meinem Schreck, daß eine Dame aus dem Publikum ihre Nachbarin fragte: „Haben Sie den kleinen Bosse gesehen? Er war unvernünftig geschminkt und lief wirklich hinter dem Esel her." Gleichwohl ging die Sache gnädig vorüber. Im „Glöckner von Notre Dame" aber wagte ich, so¬ viel ich mich entsinne, nicht mitzuspielen. Als meine Eltern von meinem ersten Debüt erfuhren, war es zu einer Strafe schon zu spät. Ich kam mit nachdrück¬ lichen Vermahnungen und dem Versprechen davon, es nicht wieder tun zu wolle». Aber den zweiten Akt der Zauberflöte habe ich damals wirklich zu sehe» bekomme». Freilich fand ich mich ziemlich enttäuscht. Schlimmer erging es mir bei einer milder» Schaustellung. Eines Tags erschien in den Straßen der Stadt ein Bärenführer mit zwei Bären, einem Kamel und einigen Affen. Er durchzog mit seiner Karawane die Straßen, machte an geeig¬ neten Stellen Halt, ließ die Bären nach seiner Querpfeife tanzen und die Affen allerhand possierliche Kunststücke machen. Die Melodie des schrillen, einförmigen Bärentanzes mit Trommelbegleitnng wußte ich zum Schrecken der Hausgenosse» nur allzugut nachzuspielen. Ich habe damit viel Unfug getrieben und in Ab¬ wesenheit meines Vaters das ganze Haus damit zur Verzweiflung gebracht. Als der Bärenführer unserm Hanse gegenüber vor der Langen Brücke Halt machte und seine Vorstellung gab, stand ich natürlich mit der gesamten Straßenjugend der Nachbarschaft bewundernd dabei. Plötzlich forderte er uns Jungen freundlich auf. das Kamel zu besteigen. Dieses ließ sich auf die Kniee nieder, und ohne alles Besinnen ließ ich mich hinaufsehen. Hinter mir saßen allmählich wohl sechs ebenso leuchtsinnige Jungen auf dem Rücken des Schiffes der Wüste. Kaum hatte sich das Kamel zu unsrer Genugtuung wieder erhoben, sodaß wir hoch von oben auf die gaffende Menge herabschauten, da erschien einer der dressierten Affen und' kletterte mit der nicht mißzuversteheudeu Gebärde, daß er emsig »ach etwas suche, über unsre bloßen Köpfe. Selbstverständlich unter dem Gelächter des dabei stehende» yvchzuverehrenden Publikums. Auch mir erschien der Vorgang sehr spaßhaft, aber gar nicht schlimm. Wir kamen heil und unversehrt wieder herunter und waren Ms unsern Kamelritt nicht wenig stolz. Vergnügt und ahnungslos ging ich hin- uver nach nnserm Hause. Von dort aber hatten meine Eltern mit Unbehagen aus ven Fenstern zugesehen, wie sich ihr mmützer Junge auf dem Kamel vor aller

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/435>, abgerufen am 26.11.2024.