hinterlassen, daß man doch eigentlich auch zu den Siegern gehöre; soeben erst hatte Hohenwart verschwinden müssen, außerdem war man im Besitz des großen Politischen Arkanums, der liberalen Verfassung, die nun nach der großen euro¬ päischen Wendung erst recht die Völker glücklich machen werde. Aber das wollte gar nicht kommen, und die Entmutigung ergriff zuerst die Führer. Wie sie dazu kamen, zunächst Galizien vollkommen an die Polen auszuliefern, dann das eigne Ministerium zu stürzen und sich schließlich in ohnmächtiger Oppo¬ sition in immer mehr Gruppen zu zerspalten, ist schon in frühern Artikeln be¬ sprochen worden. Bemerkenswert ist nur, daß bei alleu diesen nachteiligen Operationen die Deutschböhmen die Leitung hatten, oder ihre Wünsche und Ziele maßgebend waren. Auch fast alle reuommistischen Oppositionsvorstöße unter dem Ministerium Taaffe und dessen Nachfolgern, bei denen die politische Niederlage mit Sicherheit vorauszusehen war, auch die Obstruktion unter Badeni, gingen von Deutschböhmen aus; heute steht die Zweiteilung Böhmens wieder im Vordergründe der deutschen Forderungen, aber in umgekehrter Front wie auf dem Kremsierer Reichstage. Es sei hier bemerkt, daß diese Zweiteilung an sich gar nicht zu verwerfen ist, daß sie in irgend einer Gestalt doch einmal verwirklicht werden muß, wenn sich in den österreichischen Regierungen, die überhaupt regieren sollen und wollen, eine gewisse Stetigkeit und damit die Erkenntnis gebildet hat, daß in Österreich eine Verwaltnngsreform, aber weder der Zentralismus noch der Föderalismus, die bitterste und größte Notwendigkeit ist. Die veraltete Ländereinteilung ist in unsern Tagen eine mittelalterliche Ungeheuerlichkeit, die in allen modernen Staaten längst einer gleichmäßigen Einteilung in Bezirke Platz gemacht hat, sogar Ungarn hat seit langer Zeit seine Komitate. Also die Teilung Böhmens in irgend einer Gestalt, mit natür¬ licher Berücksichtigung der Nationalitäten, wird kommen, bedenklich ist darum nicht, daß diese Forderung vou den Deutschen aufgeworfen wurde, Wohl aber sind es die Umstünde, unter denen sie entstand.
Wer die gesamte Entwicklung des Dcutschösterrcichertums, die in den letzten vierzig Jahren fast ausschließlich unter der maßgebenden Führung der Deutsch¬ böhmen vor sich ging, mit aufmerksamen Blicken verfolgt, wird fast nur Ver¬ luste des Deutschtums feststellen, zum Teil sogar mit der bewußten Absicht -- wie bei der Preisgebung Galiziens --, sich ein politisch bequemeres Leben zu verschaffen. Dasselbe Bequemlichkeitsmotiv ist auch für die Zweiteilung Böhmens maßgebend. Die übrigen Deutschöstcrreicher würde" ja wohl auch damit zu¬ frieden sein, wenn dadurch endlich einmal eine Beruhigung in den ewigen deutschböhmischen Querelen erzielt werden könnte, aber sie verhehlen sich nicht, daß ein so einseitiger Vorgang eine beunruhigende Wirkuug auf andre Kron¬ länder ausüben und dadurch eine zukünftige verwaltungstechnische Teilung der gesamten Monarchie von vornherein ungünstig und einseitig beeinflussen werde. In den deutschen Alpenländern weiß man sehr wohl, daß das Eindringen des Tschechentums in den deutschen Teil Böhmens vorwiegend nicht auf politischen, sondern auf ökonomischen Ursachen, auf der Zuwcmdrung der billigern tschechischen Arbeitskräfte beruht. Dagegen würde durch die Errichtung zweier getrennter nationaler Verwaltungsgebicte in Böhmen den deutscheu Alpenländern ein auto-
Böhmen
hinterlassen, daß man doch eigentlich auch zu den Siegern gehöre; soeben erst hatte Hohenwart verschwinden müssen, außerdem war man im Besitz des großen Politischen Arkanums, der liberalen Verfassung, die nun nach der großen euro¬ päischen Wendung erst recht die Völker glücklich machen werde. Aber das wollte gar nicht kommen, und die Entmutigung ergriff zuerst die Führer. Wie sie dazu kamen, zunächst Galizien vollkommen an die Polen auszuliefern, dann das eigne Ministerium zu stürzen und sich schließlich in ohnmächtiger Oppo¬ sition in immer mehr Gruppen zu zerspalten, ist schon in frühern Artikeln be¬ sprochen worden. Bemerkenswert ist nur, daß bei alleu diesen nachteiligen Operationen die Deutschböhmen die Leitung hatten, oder ihre Wünsche und Ziele maßgebend waren. Auch fast alle reuommistischen Oppositionsvorstöße unter dem Ministerium Taaffe und dessen Nachfolgern, bei denen die politische Niederlage mit Sicherheit vorauszusehen war, auch die Obstruktion unter Badeni, gingen von Deutschböhmen aus; heute steht die Zweiteilung Böhmens wieder im Vordergründe der deutschen Forderungen, aber in umgekehrter Front wie auf dem Kremsierer Reichstage. Es sei hier bemerkt, daß diese Zweiteilung an sich gar nicht zu verwerfen ist, daß sie in irgend einer Gestalt doch einmal verwirklicht werden muß, wenn sich in den österreichischen Regierungen, die überhaupt regieren sollen und wollen, eine gewisse Stetigkeit und damit die Erkenntnis gebildet hat, daß in Österreich eine Verwaltnngsreform, aber weder der Zentralismus noch der Föderalismus, die bitterste und größte Notwendigkeit ist. Die veraltete Ländereinteilung ist in unsern Tagen eine mittelalterliche Ungeheuerlichkeit, die in allen modernen Staaten längst einer gleichmäßigen Einteilung in Bezirke Platz gemacht hat, sogar Ungarn hat seit langer Zeit seine Komitate. Also die Teilung Böhmens in irgend einer Gestalt, mit natür¬ licher Berücksichtigung der Nationalitäten, wird kommen, bedenklich ist darum nicht, daß diese Forderung vou den Deutschen aufgeworfen wurde, Wohl aber sind es die Umstünde, unter denen sie entstand.
Wer die gesamte Entwicklung des Dcutschösterrcichertums, die in den letzten vierzig Jahren fast ausschließlich unter der maßgebenden Führung der Deutsch¬ böhmen vor sich ging, mit aufmerksamen Blicken verfolgt, wird fast nur Ver¬ luste des Deutschtums feststellen, zum Teil sogar mit der bewußten Absicht — wie bei der Preisgebung Galiziens —, sich ein politisch bequemeres Leben zu verschaffen. Dasselbe Bequemlichkeitsmotiv ist auch für die Zweiteilung Böhmens maßgebend. Die übrigen Deutschöstcrreicher würde» ja wohl auch damit zu¬ frieden sein, wenn dadurch endlich einmal eine Beruhigung in den ewigen deutschböhmischen Querelen erzielt werden könnte, aber sie verhehlen sich nicht, daß ein so einseitiger Vorgang eine beunruhigende Wirkuug auf andre Kron¬ länder ausüben und dadurch eine zukünftige verwaltungstechnische Teilung der gesamten Monarchie von vornherein ungünstig und einseitig beeinflussen werde. In den deutschen Alpenländern weiß man sehr wohl, daß das Eindringen des Tschechentums in den deutschen Teil Böhmens vorwiegend nicht auf politischen, sondern auf ökonomischen Ursachen, auf der Zuwcmdrung der billigern tschechischen Arbeitskräfte beruht. Dagegen würde durch die Errichtung zweier getrennter nationaler Verwaltungsgebicte in Böhmen den deutscheu Alpenländern ein auto-
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[0355]
Böhmen
hinterlassen, daß man doch eigentlich auch zu den Siegern gehöre; soeben erst
hatte Hohenwart verschwinden müssen, außerdem war man im Besitz des großen
Politischen Arkanums, der liberalen Verfassung, die nun nach der großen euro¬
päischen Wendung erst recht die Völker glücklich machen werde. Aber das wollte
gar nicht kommen, und die Entmutigung ergriff zuerst die Führer. Wie sie
dazu kamen, zunächst Galizien vollkommen an die Polen auszuliefern, dann
das eigne Ministerium zu stürzen und sich schließlich in ohnmächtiger Oppo¬
sition in immer mehr Gruppen zu zerspalten, ist schon in frühern Artikeln be¬
sprochen worden. Bemerkenswert ist nur, daß bei alleu diesen nachteiligen
Operationen die Deutschböhmen die Leitung hatten, oder ihre Wünsche und
Ziele maßgebend waren. Auch fast alle reuommistischen Oppositionsvorstöße
unter dem Ministerium Taaffe und dessen Nachfolgern, bei denen die politische
Niederlage mit Sicherheit vorauszusehen war, auch die Obstruktion unter Badeni,
gingen von Deutschböhmen aus; heute steht die Zweiteilung Böhmens wieder
im Vordergründe der deutschen Forderungen, aber in umgekehrter Front wie
auf dem Kremsierer Reichstage. Es sei hier bemerkt, daß diese Zweiteilung
an sich gar nicht zu verwerfen ist, daß sie in irgend einer Gestalt doch einmal
verwirklicht werden muß, wenn sich in den österreichischen Regierungen, die
überhaupt regieren sollen und wollen, eine gewisse Stetigkeit und damit die
Erkenntnis gebildet hat, daß in Österreich eine Verwaltnngsreform, aber weder
der Zentralismus noch der Föderalismus, die bitterste und größte Notwendigkeit
ist. Die veraltete Ländereinteilung ist in unsern Tagen eine mittelalterliche
Ungeheuerlichkeit, die in allen modernen Staaten längst einer gleichmäßigen
Einteilung in Bezirke Platz gemacht hat, sogar Ungarn hat seit langer Zeit
seine Komitate. Also die Teilung Böhmens in irgend einer Gestalt, mit natür¬
licher Berücksichtigung der Nationalitäten, wird kommen, bedenklich ist darum
nicht, daß diese Forderung vou den Deutschen aufgeworfen wurde, Wohl aber
sind es die Umstünde, unter denen sie entstand.
Wer die gesamte Entwicklung des Dcutschösterrcichertums, die in den letzten
vierzig Jahren fast ausschließlich unter der maßgebenden Führung der Deutsch¬
böhmen vor sich ging, mit aufmerksamen Blicken verfolgt, wird fast nur Ver¬
luste des Deutschtums feststellen, zum Teil sogar mit der bewußten Absicht
— wie bei der Preisgebung Galiziens —, sich ein politisch bequemeres Leben zu
verschaffen. Dasselbe Bequemlichkeitsmotiv ist auch für die Zweiteilung Böhmens
maßgebend. Die übrigen Deutschöstcrreicher würde» ja wohl auch damit zu¬
frieden sein, wenn dadurch endlich einmal eine Beruhigung in den ewigen
deutschböhmischen Querelen erzielt werden könnte, aber sie verhehlen sich nicht,
daß ein so einseitiger Vorgang eine beunruhigende Wirkuug auf andre Kron¬
länder ausüben und dadurch eine zukünftige verwaltungstechnische Teilung der
gesamten Monarchie von vornherein ungünstig und einseitig beeinflussen werde.
In den deutschen Alpenländern weiß man sehr wohl, daß das Eindringen des
Tschechentums in den deutschen Teil Böhmens vorwiegend nicht auf politischen,
sondern auf ökonomischen Ursachen, auf der Zuwcmdrung der billigern tschechischen
Arbeitskräfte beruht. Dagegen würde durch die Errichtung zweier getrennter
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/355>, abgerufen am 25.11.2024.
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