Gewohnheit der ältern Zeit, aber anfangs dachte niemand an eine Täuschung, und obgleich die Lieder viel leidenschaftliche Feindschaft gegen die Deutschen zeigen, wurden sie doch von den gutmütigen Deutschen als ein köstlicher wissen¬ schaftlicher Fund bewundert, übersetzt und gedruckt. Die Tschechen wollten sich die älteste Schrifturkunde ihrer Literatur auch dann nicht nehmen lassen, als nam¬ hafte deutsche Gelehrte, zuerst FeifM, dann Büdinger, Schembera, Wattenbach, Knieschek, Lippert. sowie der Slowene Copitar, später auch die Tschechen Gebauer, Masarzyk, Gott die Unechtheit bewiesen hatten.
Im Jahre 1858 wurde der damalige Redakteur des "Tagesboten aus Böhmen," Dr. Kuh, der in seinem Blatte mehrere Artikel eines Prager Ge¬ lehrten gegen die Echtheit der Handschrift veröffentlicht hatte, in einer Ehren¬ beleidigungsklage des damaligen Bibliothekars des tschechischen Nationalmuseums, Wenzel Hanka, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die ihm jedoch durch einen Guatemale erlassen wurde, und noch dreißig Jahre später beschloß der akademische Senat der tschechischen Universität in Prag, daß der außerordentliche Professor der tschechischen philosophischen Fakultät, Kral, drei Jahre lang dem Minister nicht als ordentlicher Professor vorgeschlagen werden dürfe, weil er wie Professor Masarzyk die Echtheit der Köuiginhofer Handschrift bestreite. Das Ministerium hob aber den Beschluß mit der Begründung auf, der akademische Senat sei zu solchen Beschlüssen nicht berechtigt. Die jüngern tschechischen Gelehrten haben sich allerdings der Erkenntnis von der Unechtheit der Handschrift nicht verschließen können, und in den letzten Jahren hat der tschechische Philologe I. Mandal nachgewiesen, daß die epischen und die lyrischen Lieder der Königinhvfer Handschrift mit einer einzigen Ausnahme ziemlich wörtlich mit Liedern zweier russischer Volksliedersammlungen übereinstimmen, die Hanka nach eigner Aufzeichnung 1813 von einem russischen Soldaten gekauft hat, und daß ferner die meisten der bisher unaufgeklärten "alttschechischen" Ausdrücke der Handschrift dieser russischen Liederbücher entnommen sind. Der schon genannte Professor L. Dolnnsky hat endlich auch direkt erwiesen, daß Hanka nicht etwa einer Täuschung zum Opfer gefallen ist, sondern die Handschrift selbst an¬ gefertigt hat. Dolansly hat in den farbigen, zur Ausfüllung einer Zeile dienenden ornamentalen Buchstaben der Handschrift, in denen man bisher nur Zierstücke sah, ein ganz gewöhnliches Versteckrätsel entdeckt. Er bemerkte nämlich, daß immer ein aufrechter Buchstabe mit einem umgestürzten abwechselte. Als er nun die verkehrten Buchstaben aufrichtete, konnte er das Rätsel einfach lösen, indem er las: V. 11^1" thon. Die Königinhofer Handschrift ist end- giltig abgetan.
(Schluß folgt)
Böhmen
Gewohnheit der ältern Zeit, aber anfangs dachte niemand an eine Täuschung, und obgleich die Lieder viel leidenschaftliche Feindschaft gegen die Deutschen zeigen, wurden sie doch von den gutmütigen Deutschen als ein köstlicher wissen¬ schaftlicher Fund bewundert, übersetzt und gedruckt. Die Tschechen wollten sich die älteste Schrifturkunde ihrer Literatur auch dann nicht nehmen lassen, als nam¬ hafte deutsche Gelehrte, zuerst FeifM, dann Büdinger, Schembera, Wattenbach, Knieschek, Lippert. sowie der Slowene Copitar, später auch die Tschechen Gebauer, Masarzyk, Gott die Unechtheit bewiesen hatten.
Im Jahre 1858 wurde der damalige Redakteur des „Tagesboten aus Böhmen," Dr. Kuh, der in seinem Blatte mehrere Artikel eines Prager Ge¬ lehrten gegen die Echtheit der Handschrift veröffentlicht hatte, in einer Ehren¬ beleidigungsklage des damaligen Bibliothekars des tschechischen Nationalmuseums, Wenzel Hanka, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die ihm jedoch durch einen Guatemale erlassen wurde, und noch dreißig Jahre später beschloß der akademische Senat der tschechischen Universität in Prag, daß der außerordentliche Professor der tschechischen philosophischen Fakultät, Kral, drei Jahre lang dem Minister nicht als ordentlicher Professor vorgeschlagen werden dürfe, weil er wie Professor Masarzyk die Echtheit der Köuiginhofer Handschrift bestreite. Das Ministerium hob aber den Beschluß mit der Begründung auf, der akademische Senat sei zu solchen Beschlüssen nicht berechtigt. Die jüngern tschechischen Gelehrten haben sich allerdings der Erkenntnis von der Unechtheit der Handschrift nicht verschließen können, und in den letzten Jahren hat der tschechische Philologe I. Mandal nachgewiesen, daß die epischen und die lyrischen Lieder der Königinhvfer Handschrift mit einer einzigen Ausnahme ziemlich wörtlich mit Liedern zweier russischer Volksliedersammlungen übereinstimmen, die Hanka nach eigner Aufzeichnung 1813 von einem russischen Soldaten gekauft hat, und daß ferner die meisten der bisher unaufgeklärten „alttschechischen" Ausdrücke der Handschrift dieser russischen Liederbücher entnommen sind. Der schon genannte Professor L. Dolnnsky hat endlich auch direkt erwiesen, daß Hanka nicht etwa einer Täuschung zum Opfer gefallen ist, sondern die Handschrift selbst an¬ gefertigt hat. Dolansly hat in den farbigen, zur Ausfüllung einer Zeile dienenden ornamentalen Buchstaben der Handschrift, in denen man bisher nur Zierstücke sah, ein ganz gewöhnliches Versteckrätsel entdeckt. Er bemerkte nämlich, daß immer ein aufrechter Buchstabe mit einem umgestürzten abwechselte. Als er nun die verkehrten Buchstaben aufrichtete, konnte er das Rätsel einfach lösen, indem er las: V. 11^1» thon. Die Königinhofer Handschrift ist end- giltig abgetan.
(Schluß folgt)
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Böhmen
Gewohnheit der ältern Zeit, aber anfangs dachte niemand an eine Täuschung,
und obgleich die Lieder viel leidenschaftliche Feindschaft gegen die Deutschen
zeigen, wurden sie doch von den gutmütigen Deutschen als ein köstlicher wissen¬
schaftlicher Fund bewundert, übersetzt und gedruckt. Die Tschechen wollten sich die
älteste Schrifturkunde ihrer Literatur auch dann nicht nehmen lassen, als nam¬
hafte deutsche Gelehrte, zuerst FeifM, dann Büdinger, Schembera, Wattenbach,
Knieschek, Lippert. sowie der Slowene Copitar, später auch die Tschechen Gebauer,
Masarzyk, Gott die Unechtheit bewiesen hatten.
Im Jahre 1858 wurde der damalige Redakteur des „Tagesboten aus
Böhmen," Dr. Kuh, der in seinem Blatte mehrere Artikel eines Prager Ge¬
lehrten gegen die Echtheit der Handschrift veröffentlicht hatte, in einer Ehren¬
beleidigungsklage des damaligen Bibliothekars des tschechischen Nationalmuseums,
Wenzel Hanka, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die ihm
jedoch durch einen Guatemale erlassen wurde, und noch dreißig Jahre später
beschloß der akademische Senat der tschechischen Universität in Prag, daß der
außerordentliche Professor der tschechischen philosophischen Fakultät, Kral, drei
Jahre lang dem Minister nicht als ordentlicher Professor vorgeschlagen werden
dürfe, weil er wie Professor Masarzyk die Echtheit der Köuiginhofer Handschrift
bestreite. Das Ministerium hob aber den Beschluß mit der Begründung auf,
der akademische Senat sei zu solchen Beschlüssen nicht berechtigt. Die jüngern
tschechischen Gelehrten haben sich allerdings der Erkenntnis von der Unechtheit der
Handschrift nicht verschließen können, und in den letzten Jahren hat der tschechische
Philologe I. Mandal nachgewiesen, daß die epischen und die lyrischen Lieder der
Königinhvfer Handschrift mit einer einzigen Ausnahme ziemlich wörtlich mit
Liedern zweier russischer Volksliedersammlungen übereinstimmen, die Hanka nach
eigner Aufzeichnung 1813 von einem russischen Soldaten gekauft hat, und
daß ferner die meisten der bisher unaufgeklärten „alttschechischen" Ausdrücke der
Handschrift dieser russischen Liederbücher entnommen sind. Der schon genannte
Professor L. Dolnnsky hat endlich auch direkt erwiesen, daß Hanka nicht etwa
einer Täuschung zum Opfer gefallen ist, sondern die Handschrift selbst an¬
gefertigt hat. Dolansly hat in den farbigen, zur Ausfüllung einer Zeile
dienenden ornamentalen Buchstaben der Handschrift, in denen man bisher nur
Zierstücke sah, ein ganz gewöhnliches Versteckrätsel entdeckt. Er bemerkte
nämlich, daß immer ein aufrechter Buchstabe mit einem umgestürzten abwechselte.
Als er nun die verkehrten Buchstaben aufrichtete, konnte er das Rätsel einfach
lösen, indem er las: V. 11^1» thon. Die Königinhofer Handschrift ist end-
giltig abgetan.
(Schluß folgt)
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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