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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Liebe und dem größten Respekt, und meine Zweifel über die Berechtigung der von
ihm vertretnen politischen Ansichten taten dieser Liebe und diesem Respekt auch
keinen Abbruch. Aber zuweilen empfand ich diese Zweifel doch als einen dunkeln
Punkt, über den ich mir recht törichte Gedanken machte.

Mein Vater war seit dem Jahre 1819 verheiratet mit Dorothea gebornen
Sachse aus dem nahen anhaltischen Städtchen Gernrode. Dieser Ehe waren vier
Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne entsprossen. Ich war das dritte Kind und
zwei Jahre älter als mein Bruder Gustav. Er ist später nach Brasilien aus¬
gewandert und dort während des Krieges gegen Paraguay in einem Lazarett ge¬
storben.

Während die Ehe meiner Eltern anfänglich sehr glücklich gewesen war, trat
im Jahre 1835 ein tiefer Riß zwischen ihnen ein. So tief, daß er zur Trennung
der Ehe führte. Meine Mutter zog uach Gernrode, wo ihre Eltern bei einer mit
dem Bürgernieister Sobbe verheirateten jüngern Tochter lebten. Ich erinnere mich
aus jener Zeit nur, daß wir Kinder trotz der Scheidung öfter für längere Zeit
bei der Mutter in Gernrode sein durften. Dort habe ich die Masern überstanden
und die ersten Stiefel bekommen, auf die ich stolz war. Ebenso entsinne ich mich
daß meine Mutter, eine schöne, stattliche Frau, einmal in Quedlinburg war
und mich zu einem Besuche bei Bekannten aus dem väterlichen Hause abholte. Sie
starb, als ich noch nicht vier Jahre alt war, plötzlich an den Folgen eines Nerven¬
fiebers. Diese Krankheit hatte sie sich durch ein heftiges Erschrecken über Diebe,
die Nachts bei ihr einbrechen wollten, zugezogen. Einen tiefen Eindruck hat aber
ihr Tod bei mir uicht hinterlassen. Ich werde davon kaum etwas gewußt und
begriffen haben. Wie ich später erfuhr, ist mein Vater vor ihrem Tode zu ihr
hinaus nach Gernrode geritten, und es hat auch noch eine volle Versöhnung auf
dem Sterbebette stattgefunden. Unser jüngster Bruder wurde in Gernrode erzogen,
tat aber nicht gut und ist später auf meine und meiner Tante Sobbe Kosten nach
Amerika ausgewandert. Dort lebte in Pennsylvanien ein Bruder meiner Mutter,
der hier als das villane, torridls der Familie gegolten hatte. Er sollte drüben
Quäker und seitdem ein ordentlicher Mann geworden sein. Mein jüngster Bruder
aber ist in Amerika vollständig verschollen und später hier gerichtlich für tot er¬
klärt worden.

Die Katastrophe der Ehescheidung hatte meinen Vater bis in das innerste
Mark seines Lebens erschüttert. Noch in späten, Jahren sprach er davon, wenn
auch selten und immer nur kurz und andeutungsweise, mit tiefer seelischer Erregung
als von der furchtbarsten Zeit seines Lebens. Begreiflicherweise hat dieses Ereignis
auch über meine Kindheit manchen düstern Schatten geworfen.

Mein Vater hatte keine wissenschaftliche Bildung empfangen. Er hatte die
Volksschule und dann bis zu seiner Konfirmation das Gymnasium besucht, war aber
nicht über die Tertin hinausgekommen. Dann hatte ihn sein Vater in das Geschäft
genommen und thu schon früh mit selbständigen, geschäftlichen Aufträgen betraut.
Deren resolute und glückliche Erledigung erwähnte er gern und nicht ohne Genug¬
tuung. Als er zur westfälischen Zeit Soldat werden sollte, wurde für ihn ein
Stellvertreter gekauft. Dieser wurde zur Armee nach Spanien geschickt und ist
dort vor Barcelona gefallen. Als es sich später im Jahre 1813 um die Ab-
schüttlung der französischen Fremdherrschaft handelte, trat mein Vater als Frei¬
williger bei den Thaddenschen Jägern ein, equipierte sich selbst und wurde auch
in dem benachbarten Blankenburg ausexerziert. Er ist aber -- ich weiß nicht aus
welchen Gründen -- nicht mit ausgerückt und hat darum an den Befreiungskriegen
aktiv nicht teilgenommen. Das hinderte aber nicht, daß an den Sonntagsuachmittageu,
wenn seine Freunde und Altersgenossen ihn besuchten, die Einzelheiten der von
diesen mitgemachten Gefechte und erlittnen Strapazen bei uns sehr eingehend er¬
örtert wurden. Einer von ihnen hatte bei Ligny im Vorbeimarschieren Blücher
unter seinem Pferde liegen und Nostiz mit blankem Säbel über ihn wachen sehen.


Aus der Jugendzeit

Liebe und dem größten Respekt, und meine Zweifel über die Berechtigung der von
ihm vertretnen politischen Ansichten taten dieser Liebe und diesem Respekt auch
keinen Abbruch. Aber zuweilen empfand ich diese Zweifel doch als einen dunkeln
Punkt, über den ich mir recht törichte Gedanken machte.

Mein Vater war seit dem Jahre 1819 verheiratet mit Dorothea gebornen
Sachse aus dem nahen anhaltischen Städtchen Gernrode. Dieser Ehe waren vier
Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne entsprossen. Ich war das dritte Kind und
zwei Jahre älter als mein Bruder Gustav. Er ist später nach Brasilien aus¬
gewandert und dort während des Krieges gegen Paraguay in einem Lazarett ge¬
storben.

Während die Ehe meiner Eltern anfänglich sehr glücklich gewesen war, trat
im Jahre 1835 ein tiefer Riß zwischen ihnen ein. So tief, daß er zur Trennung
der Ehe führte. Meine Mutter zog uach Gernrode, wo ihre Eltern bei einer mit
dem Bürgernieister Sobbe verheirateten jüngern Tochter lebten. Ich erinnere mich
aus jener Zeit nur, daß wir Kinder trotz der Scheidung öfter für längere Zeit
bei der Mutter in Gernrode sein durften. Dort habe ich die Masern überstanden
und die ersten Stiefel bekommen, auf die ich stolz war. Ebenso entsinne ich mich
daß meine Mutter, eine schöne, stattliche Frau, einmal in Quedlinburg war
und mich zu einem Besuche bei Bekannten aus dem väterlichen Hause abholte. Sie
starb, als ich noch nicht vier Jahre alt war, plötzlich an den Folgen eines Nerven¬
fiebers. Diese Krankheit hatte sie sich durch ein heftiges Erschrecken über Diebe,
die Nachts bei ihr einbrechen wollten, zugezogen. Einen tiefen Eindruck hat aber
ihr Tod bei mir uicht hinterlassen. Ich werde davon kaum etwas gewußt und
begriffen haben. Wie ich später erfuhr, ist mein Vater vor ihrem Tode zu ihr
hinaus nach Gernrode geritten, und es hat auch noch eine volle Versöhnung auf
dem Sterbebette stattgefunden. Unser jüngster Bruder wurde in Gernrode erzogen,
tat aber nicht gut und ist später auf meine und meiner Tante Sobbe Kosten nach
Amerika ausgewandert. Dort lebte in Pennsylvanien ein Bruder meiner Mutter,
der hier als das villane, torridls der Familie gegolten hatte. Er sollte drüben
Quäker und seitdem ein ordentlicher Mann geworden sein. Mein jüngster Bruder
aber ist in Amerika vollständig verschollen und später hier gerichtlich für tot er¬
klärt worden.

Die Katastrophe der Ehescheidung hatte meinen Vater bis in das innerste
Mark seines Lebens erschüttert. Noch in späten, Jahren sprach er davon, wenn
auch selten und immer nur kurz und andeutungsweise, mit tiefer seelischer Erregung
als von der furchtbarsten Zeit seines Lebens. Begreiflicherweise hat dieses Ereignis
auch über meine Kindheit manchen düstern Schatten geworfen.

Mein Vater hatte keine wissenschaftliche Bildung empfangen. Er hatte die
Volksschule und dann bis zu seiner Konfirmation das Gymnasium besucht, war aber
nicht über die Tertin hinausgekommen. Dann hatte ihn sein Vater in das Geschäft
genommen und thu schon früh mit selbständigen, geschäftlichen Aufträgen betraut.
Deren resolute und glückliche Erledigung erwähnte er gern und nicht ohne Genug¬
tuung. Als er zur westfälischen Zeit Soldat werden sollte, wurde für ihn ein
Stellvertreter gekauft. Dieser wurde zur Armee nach Spanien geschickt und ist
dort vor Barcelona gefallen. Als es sich später im Jahre 1813 um die Ab-
schüttlung der französischen Fremdherrschaft handelte, trat mein Vater als Frei¬
williger bei den Thaddenschen Jägern ein, equipierte sich selbst und wurde auch
in dem benachbarten Blankenburg ausexerziert. Er ist aber — ich weiß nicht aus
welchen Gründen — nicht mit ausgerückt und hat darum an den Befreiungskriegen
aktiv nicht teilgenommen. Das hinderte aber nicht, daß an den Sonntagsuachmittageu,
wenn seine Freunde und Altersgenossen ihn besuchten, die Einzelheiten der von
diesen mitgemachten Gefechte und erlittnen Strapazen bei uns sehr eingehend er¬
örtert wurden. Einer von ihnen hatte bei Ligny im Vorbeimarschieren Blücher
unter seinem Pferde liegen und Nostiz mit blankem Säbel über ihn wachen sehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/176>, abgerufen am 01.09.2024.