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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Er war streng in seinen Grundsätzen, mild in seinem Urteil über andre, sehr
schlicht und einfach in seiner Lebensweise, von kirchlicher, aber der Zeit entsprechend
rationalistischer Gesinnung. Diese gewann erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens
eine positivere Gestalt. Er ging gern und fleißig zur Kirche. Der Predigt folgte
er mit Aufmerksamkeit, und er wußte ihren wesentlichen Inhalt mit sicherer Ge¬
läufigkeit wiederzugeben. Er respektierte die Obrigkeit und die ihm zunächst stehende
Autorität, den Landrat, den Burgermeister, die Geistlichen und namentlich die Lehrer
seiner Kinder. Politisch war er seiner innersten Neigung nach liberal. Nicht immer
konsequent in liberalen Anschauungen, aber doch immer geneigt, einem gesunden
Fortschritt zu huldigen, neue Ideen, die er als gut erkannte, zu acceptieren. Vor
dem Alten und Hergebrachten hatte er, nnr weil es das Herkömmliche war,
wenig, und wie ich glauben möchte, zuweilen wohl etwas zu wenig Respekt. Gleich¬
wohl schützten ihn die ungemeine Solidität seiner Persönlichkeit und sein gesunder
Menschenverstand vor Neuerungssucht und unpraktischen Experimenten. Er war gar
nicht philiströs und konnte sich bei heiterer Laune auch Wohl einmal über die klein¬
liche Philister" höher stehender Personen in seiner harmlosen Weise belustigen. Er
war ein Mann der guten Sitte und der bürgerlichen Ordnung, aber von dem
spezifisch preußische" Sinn, wie er sich namentlich seit dem Jahre 1848 -- ost
vielleicht etwas gar zu anspruchsvoll und aufdringlich -- geltend -machte, hielt er
nicht viel. Über unsre preußischen Könige, von Friedrich dem Großen bis zu
Friedrich Wilhelm dem Vierten, konnte er recht hart und nicht immer gerecht
urteilen. Das lag wesentlich an den Verhältnissen, unter denen er aufgewachsen
war. Uns Jungen wurde in der Schule die preußische Geschichte, wenn auch
ziemlich dürftig, doch immerhin so gelehrt, daß wir stolz darauf waren, Preußen
zu sein. Mit Staunen und nicht ohne eine gewisse Betrübnis merkte ich schon
früh, daß mein Vater und auch einzelne Leute seines Umgcmgskreises dieser unsrer
naiven preußischen Begeisterung oft recht kühl gegenüberstanden. Den alten Fritz
ließ man als Feldherrn und als Kriegshelden allenfalls gelten. Archenholtzens Ge¬
schichte des siebenjährigen Krieges war in meines Vaters Besitz und wurde auch
fleißig gelesen. Aber über die Regierung Friedrichs, über seine Zolleinrichtungen,
seine Münzpolitik, seine mit dem Alter gewachsene tyrannische Strenge und seine
Hofverhältnisse hörte man desto härtere und oft ganz ablehnende Urteile. Friedrich
Wilhelm dem Dritten ließ man für seiue Person ein gewisses Maß von Gerechtig¬
keit widerfahren, aber warm oder gar begeistert sprach man nicht von ihm. Erst
als nach seinem Tode sein "letzter Wille" bekannt wurde, schlug diese kühle
Stimmung uni, und mein Vater kaufte ein damals viel verbreitetes Kunstblatt, auf
dem dieser "letzte Wille" mit goldnen Lettern abgedruckt war. ließ es einrahmen
und hängte es in unsre Wohnstube. Das hinderte aber nicht, daß man die staat¬
lichen Einrichtungen oft sehr herb beurteilte. Für die Armee, oder wie man sich
damals ausdrückte, das Militär hatte man wenig Sympathien, obwohl die Bürger
mit ihrer Garnison, zwei Schwadronen des siebenten Kürassierregiments, jetzt
Seydlitz-Kürassiere, und namentlich auch mit deu Offizieren ans gutem, zum Teil
sogar freundschaftlichem Fuße standen. An Krieg glaubte man überhaupt nicht
Mehr. Das ganze Militärwesen galt darum den alten Bürgern, die nicht Soldat
gewesen waren, als ein ziemlich überflüssiges, kostspieliges Spielwerk. Mein Vater
war ein entschiedner Gegner der Mahl- und Schlachtsteuer, der sogenannten Accise.
Er schwärmte und in gewissem Sinne agitierte er auch für direkte Steuern. Auch
die Maischraumstener für die Branntweinbrennerei mit ihren in der Tat sehr
lästige" Deklarationen und Kontrollen war ihm ein Dorn im Auge. Über alle
diese Dinge habe ich als Kind in meinem Elternhause oft disputieren hören, und
nicht immer war ich überzeugt, daß die kritischen und unzufriednen Stimmen Recht
hätten. Am wenigsten Verständnis hatte ich für die kühle, zuweilen eisige Haltung,
die mein Vater unsrer vielleicht unklare", aber begreifliche" preußischen patrio¬
tischen Begeisterung entgegensetzte. Ich hing an meinem Vater mit der innigsten


Aus der Jugendzeit

Er war streng in seinen Grundsätzen, mild in seinem Urteil über andre, sehr
schlicht und einfach in seiner Lebensweise, von kirchlicher, aber der Zeit entsprechend
rationalistischer Gesinnung. Diese gewann erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens
eine positivere Gestalt. Er ging gern und fleißig zur Kirche. Der Predigt folgte
er mit Aufmerksamkeit, und er wußte ihren wesentlichen Inhalt mit sicherer Ge¬
läufigkeit wiederzugeben. Er respektierte die Obrigkeit und die ihm zunächst stehende
Autorität, den Landrat, den Burgermeister, die Geistlichen und namentlich die Lehrer
seiner Kinder. Politisch war er seiner innersten Neigung nach liberal. Nicht immer
konsequent in liberalen Anschauungen, aber doch immer geneigt, einem gesunden
Fortschritt zu huldigen, neue Ideen, die er als gut erkannte, zu acceptieren. Vor
dem Alten und Hergebrachten hatte er, nnr weil es das Herkömmliche war,
wenig, und wie ich glauben möchte, zuweilen wohl etwas zu wenig Respekt. Gleich¬
wohl schützten ihn die ungemeine Solidität seiner Persönlichkeit und sein gesunder
Menschenverstand vor Neuerungssucht und unpraktischen Experimenten. Er war gar
nicht philiströs und konnte sich bei heiterer Laune auch Wohl einmal über die klein¬
liche Philister« höher stehender Personen in seiner harmlosen Weise belustigen. Er
war ein Mann der guten Sitte und der bürgerlichen Ordnung, aber von dem
spezifisch preußische» Sinn, wie er sich namentlich seit dem Jahre 1848 — ost
vielleicht etwas gar zu anspruchsvoll und aufdringlich — geltend -machte, hielt er
nicht viel. Über unsre preußischen Könige, von Friedrich dem Großen bis zu
Friedrich Wilhelm dem Vierten, konnte er recht hart und nicht immer gerecht
urteilen. Das lag wesentlich an den Verhältnissen, unter denen er aufgewachsen
war. Uns Jungen wurde in der Schule die preußische Geschichte, wenn auch
ziemlich dürftig, doch immerhin so gelehrt, daß wir stolz darauf waren, Preußen
zu sein. Mit Staunen und nicht ohne eine gewisse Betrübnis merkte ich schon
früh, daß mein Vater und auch einzelne Leute seines Umgcmgskreises dieser unsrer
naiven preußischen Begeisterung oft recht kühl gegenüberstanden. Den alten Fritz
ließ man als Feldherrn und als Kriegshelden allenfalls gelten. Archenholtzens Ge¬
schichte des siebenjährigen Krieges war in meines Vaters Besitz und wurde auch
fleißig gelesen. Aber über die Regierung Friedrichs, über seine Zolleinrichtungen,
seine Münzpolitik, seine mit dem Alter gewachsene tyrannische Strenge und seine
Hofverhältnisse hörte man desto härtere und oft ganz ablehnende Urteile. Friedrich
Wilhelm dem Dritten ließ man für seiue Person ein gewisses Maß von Gerechtig¬
keit widerfahren, aber warm oder gar begeistert sprach man nicht von ihm. Erst
als nach seinem Tode sein „letzter Wille" bekannt wurde, schlug diese kühle
Stimmung uni, und mein Vater kaufte ein damals viel verbreitetes Kunstblatt, auf
dem dieser „letzte Wille" mit goldnen Lettern abgedruckt war. ließ es einrahmen
und hängte es in unsre Wohnstube. Das hinderte aber nicht, daß man die staat¬
lichen Einrichtungen oft sehr herb beurteilte. Für die Armee, oder wie man sich
damals ausdrückte, das Militär hatte man wenig Sympathien, obwohl die Bürger
mit ihrer Garnison, zwei Schwadronen des siebenten Kürassierregiments, jetzt
Seydlitz-Kürassiere, und namentlich auch mit deu Offizieren ans gutem, zum Teil
sogar freundschaftlichem Fuße standen. An Krieg glaubte man überhaupt nicht
Mehr. Das ganze Militärwesen galt darum den alten Bürgern, die nicht Soldat
gewesen waren, als ein ziemlich überflüssiges, kostspieliges Spielwerk. Mein Vater
war ein entschiedner Gegner der Mahl- und Schlachtsteuer, der sogenannten Accise.
Er schwärmte und in gewissem Sinne agitierte er auch für direkte Steuern. Auch
die Maischraumstener für die Branntweinbrennerei mit ihren in der Tat sehr
lästige» Deklarationen und Kontrollen war ihm ein Dorn im Auge. Über alle
diese Dinge habe ich als Kind in meinem Elternhause oft disputieren hören, und
nicht immer war ich überzeugt, daß die kritischen und unzufriednen Stimmen Recht
hätten. Am wenigsten Verständnis hatte ich für die kühle, zuweilen eisige Haltung,
die mein Vater unsrer vielleicht unklare«, aber begreifliche» preußischen patrio¬
tischen Begeisterung entgegensetzte. Ich hing an meinem Vater mit der innigsten


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[0175] Aus der Jugendzeit Er war streng in seinen Grundsätzen, mild in seinem Urteil über andre, sehr schlicht und einfach in seiner Lebensweise, von kirchlicher, aber der Zeit entsprechend rationalistischer Gesinnung. Diese gewann erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens eine positivere Gestalt. Er ging gern und fleißig zur Kirche. Der Predigt folgte er mit Aufmerksamkeit, und er wußte ihren wesentlichen Inhalt mit sicherer Ge¬ läufigkeit wiederzugeben. Er respektierte die Obrigkeit und die ihm zunächst stehende Autorität, den Landrat, den Burgermeister, die Geistlichen und namentlich die Lehrer seiner Kinder. Politisch war er seiner innersten Neigung nach liberal. Nicht immer konsequent in liberalen Anschauungen, aber doch immer geneigt, einem gesunden Fortschritt zu huldigen, neue Ideen, die er als gut erkannte, zu acceptieren. Vor dem Alten und Hergebrachten hatte er, nnr weil es das Herkömmliche war, wenig, und wie ich glauben möchte, zuweilen wohl etwas zu wenig Respekt. Gleich¬ wohl schützten ihn die ungemeine Solidität seiner Persönlichkeit und sein gesunder Menschenverstand vor Neuerungssucht und unpraktischen Experimenten. Er war gar nicht philiströs und konnte sich bei heiterer Laune auch Wohl einmal über die klein¬ liche Philister« höher stehender Personen in seiner harmlosen Weise belustigen. Er war ein Mann der guten Sitte und der bürgerlichen Ordnung, aber von dem spezifisch preußische» Sinn, wie er sich namentlich seit dem Jahre 1848 — ost vielleicht etwas gar zu anspruchsvoll und aufdringlich — geltend -machte, hielt er nicht viel. Über unsre preußischen Könige, von Friedrich dem Großen bis zu Friedrich Wilhelm dem Vierten, konnte er recht hart und nicht immer gerecht urteilen. Das lag wesentlich an den Verhältnissen, unter denen er aufgewachsen war. Uns Jungen wurde in der Schule die preußische Geschichte, wenn auch ziemlich dürftig, doch immerhin so gelehrt, daß wir stolz darauf waren, Preußen zu sein. Mit Staunen und nicht ohne eine gewisse Betrübnis merkte ich schon früh, daß mein Vater und auch einzelne Leute seines Umgcmgskreises dieser unsrer naiven preußischen Begeisterung oft recht kühl gegenüberstanden. Den alten Fritz ließ man als Feldherrn und als Kriegshelden allenfalls gelten. Archenholtzens Ge¬ schichte des siebenjährigen Krieges war in meines Vaters Besitz und wurde auch fleißig gelesen. Aber über die Regierung Friedrichs, über seine Zolleinrichtungen, seine Münzpolitik, seine mit dem Alter gewachsene tyrannische Strenge und seine Hofverhältnisse hörte man desto härtere und oft ganz ablehnende Urteile. Friedrich Wilhelm dem Dritten ließ man für seiue Person ein gewisses Maß von Gerechtig¬ keit widerfahren, aber warm oder gar begeistert sprach man nicht von ihm. Erst als nach seinem Tode sein „letzter Wille" bekannt wurde, schlug diese kühle Stimmung uni, und mein Vater kaufte ein damals viel verbreitetes Kunstblatt, auf dem dieser „letzte Wille" mit goldnen Lettern abgedruckt war. ließ es einrahmen und hängte es in unsre Wohnstube. Das hinderte aber nicht, daß man die staat¬ lichen Einrichtungen oft sehr herb beurteilte. Für die Armee, oder wie man sich damals ausdrückte, das Militär hatte man wenig Sympathien, obwohl die Bürger mit ihrer Garnison, zwei Schwadronen des siebenten Kürassierregiments, jetzt Seydlitz-Kürassiere, und namentlich auch mit deu Offizieren ans gutem, zum Teil sogar freundschaftlichem Fuße standen. An Krieg glaubte man überhaupt nicht Mehr. Das ganze Militärwesen galt darum den alten Bürgern, die nicht Soldat gewesen waren, als ein ziemlich überflüssiges, kostspieliges Spielwerk. Mein Vater war ein entschiedner Gegner der Mahl- und Schlachtsteuer, der sogenannten Accise. Er schwärmte und in gewissem Sinne agitierte er auch für direkte Steuern. Auch die Maischraumstener für die Branntweinbrennerei mit ihren in der Tat sehr lästige» Deklarationen und Kontrollen war ihm ein Dorn im Auge. Über alle diese Dinge habe ich als Kind in meinem Elternhause oft disputieren hören, und nicht immer war ich überzeugt, daß die kritischen und unzufriednen Stimmen Recht hätten. Am wenigsten Verständnis hatte ich für die kühle, zuweilen eisige Haltung, die mein Vater unsrer vielleicht unklare«, aber begreifliche» preußischen patrio¬ tischen Begeisterung entgegensetzte. Ich hing an meinem Vater mit der innigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/175>, abgerufen am 01.09.2024.