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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Wie oft habe ich den berühmten Gewaltmarsch von Ligny nach Quatrebras, die
Ankunft des Blücherschen Korps bei Bellealliance, den Angriff der französischen
Garden und die schließliche Flucht Napoleons von Augenzeugen in höchst lebendiger
Darstellung schildern hören! Man kann sich vorstellen, mit welchem Vergnügen
und welcher Begeisterung wir Jungen diesen Erzählungen atemlos lauschten.

Mein Vater war für die zur Zeit seiner Geschnftsüberunhme einfachen ge¬
werblichen Verhältnisse ein praktischer und ruhiger Geschäftsmann. Was ihm aber
abging, war die kaufmännische Schulung. Er hat diesen Mangel in spätern Jahren
oft bitter beklagt. Er war ungemein wisscnsdurstig und las viel, sodaß er als
gebildeter Mann gelten konnte und galt. Auch schrieb er gewandt nud gern. Aber
seine geschäftliche Buchführung war, obwohl er die Geschäftsvorlommnisse sorgfältig
in seiue gewissenhaft geführten Bücher eintrug, nicht übersichtlich genug, und seine
wiederholten Versuche, dies zu bessern, hatten auf die Dauer keinen Erfolg. Das
Betriebskapital, der Umsah und die Einnahmen aus seinem Grundvermögen,
namentlich die Pachter und die Zinsen, waren nicht immer streug gesondert. Das er¬
schwerte natürlich einen sichern Überblick über seine geschäftliche Lage. Solange die
Konjunkturen günstig blieben, trug das wenig aus. In spätern Jahren aber mußte
er doch allmählich wahrnehmen, daß das Geschäft zurückging und sein Vermögen
sich verminderte. Seine gesamte Geschäftslage mit Klarheit und Sicherheit zu kalku¬
lieren, gelang ihm nur unvollständig. Das bedrückte ihn, und in der Mitte der
fünfziger Jahre entschloß er sich, das Geschäft zu verpachte" und als Rentner zu
leben. Bei seiner einfachen Lebenshaltung reichte sein väterliches Erbe dazu ans.
Solange er aber sein Geschäft betrieb, war er unermüdlich fleißig und rührig. Er
war ein Frühaufsteher und tat seine Pflicht ohne jede Rücksicht auf persönliches
Behagen. Gegen uns Kinder war er gütig und liebreich, in seinen Anforderungen
aber streng. Unarten ließ er nicht durchgehn, und Zärtlichkeiten waren in unserm
Hause nicht Mode.

Die einfache, schlichte Art meines Vaters, sein sicherer Takt, seine Selb¬
ständigkeit und Selbstzucht, seine ernste Pflichttreue, seine durch und durch gesunde,
bürgerlich einfache Lebenshaltung, seine jederzeit hilfsbereite Menschenfreundlichkeit ver¬
schafften ihm "icht nur bei uns Kindern und in unserm Hause, sondern in weiten
Kreisen großes Vertrauen, Ansehen und Respekt. Er war wiederholt Stadtverord¬
neter, und für viele Leute war er in aller Stille Vertrauensmann und autori¬
tativer Ratgeber. Er war durchaus bescheiden und für sich anspruchslos, aber
niemals furchtsam, nie unsicher in seinem Auftreten, dabei durch und durch wahr¬
haftig und Höhergestellten gegenüber ganz unbefangen und von einem edeln Freimut.
Er hielt auf Anstand und gute Sitte auch in äußern Dingen. Bei aller Sicherheit
seines Auftretens ist er mir immer als ein wahrhaft vornehmer Mann erschienen.
Meine spätern Lebensführnngen haben mich vielfach mit den höhern Gesellschafts¬
schichten in Verbindung gebracht. Dabei ist es mir oft zum Bewußtsein gekommen,
welche guten, sichern, gesellschaftlichen Formen mein Vater ans seiner innerlich vor¬
nehmen Gesinnung gewonnen hatte. Er hatte die wahre, rein menschliche Herzens¬
bildung, und diese deckt sich mit echter Vornehmheit. Ohne diese Bildung des
Herzens siud alle vornehmen Allüren doch nur Tünche und Scheinwesen. Wo
über diese Herzensbildung die tiefste Triebfeder des persönlichen Handelns und
Auftretens ist, da sind anch gute äußere Formen nud Manieren ihr natürlicher
Ausfluß. Nur da, wo es so steht, vollenden diese das wohltuende Bild einer har¬
monischen, geschlossenen Persönlichkeit.

Mein Vater hatte nach der Trennung von meiner Mutter eine schou in reifern
Jnhreu stehende Tochter seiner jüngern Schwester, der schon erwähnten Tante
Uhlemann, zur Führung der Wirtschaft in sein Haus genommen. Er selbst war
durch den lebhaften geschäftlichen Verkehr stark in Anspruch genommen und konnte
sich um uus Kiuder tagsüber nicht viel kümmern. Unsrer Cousine Hannchen Uhle¬
mann fiel somit bis zu einem gewissen Grade auch die Pflege und Erziehung der


Grenzboten III 1903 2S
Aus der Jugendzeit

Wie oft habe ich den berühmten Gewaltmarsch von Ligny nach Quatrebras, die
Ankunft des Blücherschen Korps bei Bellealliance, den Angriff der französischen
Garden und die schließliche Flucht Napoleons von Augenzeugen in höchst lebendiger
Darstellung schildern hören! Man kann sich vorstellen, mit welchem Vergnügen
und welcher Begeisterung wir Jungen diesen Erzählungen atemlos lauschten.

Mein Vater war für die zur Zeit seiner Geschnftsüberunhme einfachen ge¬
werblichen Verhältnisse ein praktischer und ruhiger Geschäftsmann. Was ihm aber
abging, war die kaufmännische Schulung. Er hat diesen Mangel in spätern Jahren
oft bitter beklagt. Er war ungemein wisscnsdurstig und las viel, sodaß er als
gebildeter Mann gelten konnte und galt. Auch schrieb er gewandt nud gern. Aber
seine geschäftliche Buchführung war, obwohl er die Geschäftsvorlommnisse sorgfältig
in seiue gewissenhaft geführten Bücher eintrug, nicht übersichtlich genug, und seine
wiederholten Versuche, dies zu bessern, hatten auf die Dauer keinen Erfolg. Das
Betriebskapital, der Umsah und die Einnahmen aus seinem Grundvermögen,
namentlich die Pachter und die Zinsen, waren nicht immer streug gesondert. Das er¬
schwerte natürlich einen sichern Überblick über seine geschäftliche Lage. Solange die
Konjunkturen günstig blieben, trug das wenig aus. In spätern Jahren aber mußte
er doch allmählich wahrnehmen, daß das Geschäft zurückging und sein Vermögen
sich verminderte. Seine gesamte Geschäftslage mit Klarheit und Sicherheit zu kalku¬
lieren, gelang ihm nur unvollständig. Das bedrückte ihn, und in der Mitte der
fünfziger Jahre entschloß er sich, das Geschäft zu verpachte» und als Rentner zu
leben. Bei seiner einfachen Lebenshaltung reichte sein väterliches Erbe dazu ans.
Solange er aber sein Geschäft betrieb, war er unermüdlich fleißig und rührig. Er
war ein Frühaufsteher und tat seine Pflicht ohne jede Rücksicht auf persönliches
Behagen. Gegen uns Kinder war er gütig und liebreich, in seinen Anforderungen
aber streng. Unarten ließ er nicht durchgehn, und Zärtlichkeiten waren in unserm
Hause nicht Mode.

Die einfache, schlichte Art meines Vaters, sein sicherer Takt, seine Selb¬
ständigkeit und Selbstzucht, seine ernste Pflichttreue, seine durch und durch gesunde,
bürgerlich einfache Lebenshaltung, seine jederzeit hilfsbereite Menschenfreundlichkeit ver¬
schafften ihm »icht nur bei uns Kindern und in unserm Hause, sondern in weiten
Kreisen großes Vertrauen, Ansehen und Respekt. Er war wiederholt Stadtverord¬
neter, und für viele Leute war er in aller Stille Vertrauensmann und autori¬
tativer Ratgeber. Er war durchaus bescheiden und für sich anspruchslos, aber
niemals furchtsam, nie unsicher in seinem Auftreten, dabei durch und durch wahr¬
haftig und Höhergestellten gegenüber ganz unbefangen und von einem edeln Freimut.
Er hielt auf Anstand und gute Sitte auch in äußern Dingen. Bei aller Sicherheit
seines Auftretens ist er mir immer als ein wahrhaft vornehmer Mann erschienen.
Meine spätern Lebensführnngen haben mich vielfach mit den höhern Gesellschafts¬
schichten in Verbindung gebracht. Dabei ist es mir oft zum Bewußtsein gekommen,
welche guten, sichern, gesellschaftlichen Formen mein Vater ans seiner innerlich vor¬
nehmen Gesinnung gewonnen hatte. Er hatte die wahre, rein menschliche Herzens¬
bildung, und diese deckt sich mit echter Vornehmheit. Ohne diese Bildung des
Herzens siud alle vornehmen Allüren doch nur Tünche und Scheinwesen. Wo
über diese Herzensbildung die tiefste Triebfeder des persönlichen Handelns und
Auftretens ist, da sind anch gute äußere Formen nud Manieren ihr natürlicher
Ausfluß. Nur da, wo es so steht, vollenden diese das wohltuende Bild einer har¬
monischen, geschlossenen Persönlichkeit.

Mein Vater hatte nach der Trennung von meiner Mutter eine schou in reifern
Jnhreu stehende Tochter seiner jüngern Schwester, der schon erwähnten Tante
Uhlemann, zur Führung der Wirtschaft in sein Haus genommen. Er selbst war
durch den lebhaften geschäftlichen Verkehr stark in Anspruch genommen und konnte
sich um uus Kiuder tagsüber nicht viel kümmern. Unsrer Cousine Hannchen Uhle¬
mann fiel somit bis zu einem gewissen Grade auch die Pflege und Erziehung der


Grenzboten III 1903 2S
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[0177] Aus der Jugendzeit Wie oft habe ich den berühmten Gewaltmarsch von Ligny nach Quatrebras, die Ankunft des Blücherschen Korps bei Bellealliance, den Angriff der französischen Garden und die schließliche Flucht Napoleons von Augenzeugen in höchst lebendiger Darstellung schildern hören! Man kann sich vorstellen, mit welchem Vergnügen und welcher Begeisterung wir Jungen diesen Erzählungen atemlos lauschten. Mein Vater war für die zur Zeit seiner Geschnftsüberunhme einfachen ge¬ werblichen Verhältnisse ein praktischer und ruhiger Geschäftsmann. Was ihm aber abging, war die kaufmännische Schulung. Er hat diesen Mangel in spätern Jahren oft bitter beklagt. Er war ungemein wisscnsdurstig und las viel, sodaß er als gebildeter Mann gelten konnte und galt. Auch schrieb er gewandt nud gern. Aber seine geschäftliche Buchführung war, obwohl er die Geschäftsvorlommnisse sorgfältig in seiue gewissenhaft geführten Bücher eintrug, nicht übersichtlich genug, und seine wiederholten Versuche, dies zu bessern, hatten auf die Dauer keinen Erfolg. Das Betriebskapital, der Umsah und die Einnahmen aus seinem Grundvermögen, namentlich die Pachter und die Zinsen, waren nicht immer streug gesondert. Das er¬ schwerte natürlich einen sichern Überblick über seine geschäftliche Lage. Solange die Konjunkturen günstig blieben, trug das wenig aus. In spätern Jahren aber mußte er doch allmählich wahrnehmen, daß das Geschäft zurückging und sein Vermögen sich verminderte. Seine gesamte Geschäftslage mit Klarheit und Sicherheit zu kalku¬ lieren, gelang ihm nur unvollständig. Das bedrückte ihn, und in der Mitte der fünfziger Jahre entschloß er sich, das Geschäft zu verpachte» und als Rentner zu leben. Bei seiner einfachen Lebenshaltung reichte sein väterliches Erbe dazu ans. Solange er aber sein Geschäft betrieb, war er unermüdlich fleißig und rührig. Er war ein Frühaufsteher und tat seine Pflicht ohne jede Rücksicht auf persönliches Behagen. Gegen uns Kinder war er gütig und liebreich, in seinen Anforderungen aber streng. Unarten ließ er nicht durchgehn, und Zärtlichkeiten waren in unserm Hause nicht Mode. Die einfache, schlichte Art meines Vaters, sein sicherer Takt, seine Selb¬ ständigkeit und Selbstzucht, seine ernste Pflichttreue, seine durch und durch gesunde, bürgerlich einfache Lebenshaltung, seine jederzeit hilfsbereite Menschenfreundlichkeit ver¬ schafften ihm »icht nur bei uns Kindern und in unserm Hause, sondern in weiten Kreisen großes Vertrauen, Ansehen und Respekt. Er war wiederholt Stadtverord¬ neter, und für viele Leute war er in aller Stille Vertrauensmann und autori¬ tativer Ratgeber. Er war durchaus bescheiden und für sich anspruchslos, aber niemals furchtsam, nie unsicher in seinem Auftreten, dabei durch und durch wahr¬ haftig und Höhergestellten gegenüber ganz unbefangen und von einem edeln Freimut. Er hielt auf Anstand und gute Sitte auch in äußern Dingen. Bei aller Sicherheit seines Auftretens ist er mir immer als ein wahrhaft vornehmer Mann erschienen. Meine spätern Lebensführnngen haben mich vielfach mit den höhern Gesellschafts¬ schichten in Verbindung gebracht. Dabei ist es mir oft zum Bewußtsein gekommen, welche guten, sichern, gesellschaftlichen Formen mein Vater ans seiner innerlich vor¬ nehmen Gesinnung gewonnen hatte. Er hatte die wahre, rein menschliche Herzens¬ bildung, und diese deckt sich mit echter Vornehmheit. Ohne diese Bildung des Herzens siud alle vornehmen Allüren doch nur Tünche und Scheinwesen. Wo über diese Herzensbildung die tiefste Triebfeder des persönlichen Handelns und Auftretens ist, da sind anch gute äußere Formen nud Manieren ihr natürlicher Ausfluß. Nur da, wo es so steht, vollenden diese das wohltuende Bild einer har¬ monischen, geschlossenen Persönlichkeit. Mein Vater hatte nach der Trennung von meiner Mutter eine schou in reifern Jnhreu stehende Tochter seiner jüngern Schwester, der schon erwähnten Tante Uhlemann, zur Führung der Wirtschaft in sein Haus genommen. Er selbst war durch den lebhaften geschäftlichen Verkehr stark in Anspruch genommen und konnte sich um uus Kiuder tagsüber nicht viel kümmern. Unsrer Cousine Hannchen Uhle¬ mann fiel somit bis zu einem gewissen Grade auch die Pflege und Erziehung der Grenzboten III 1903 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/177>, abgerufen am 09.11.2024.