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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

Nein, das war unmöglich: ein Marigny durfte sich nicht so weit vor einem Villerot
demütigen, daß er ihn bat, das Haus wieder aufzusuchen, aus dem man ihn aus¬
gewiesen hatte. Um diesen Preis war auch das letzte Lächeln einer sterbenden
Tochter zu teuer erkauft.

Und von dem, was Marguerites Herzen am nächsten stand, ging der Marquis
gleichsam mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen zu dem über, was die
Quintessenz seines eignen Daseins ausmachte. Solange er sich der Hoffnung hin¬
gegeben hatte, daß die Kunst des Arztes das Leben der Tochter erhalten konnte,
War es für ihn Gewisscnssnche gewesen, darüber zu wachen, daß die Anordnungen
des Doktors auf das genaueste befolgt wurden, mochte auch die Hungerkur, mit
der der alte Geheimderat nach seiner Gewohnheit dem Leiden beizukommen gedachte,
keineswegs uach dem persönlichen Geschmack des Marquis sein. Aber jetzt, da ja
doch alles verloren war, brauchte man sich an die Gebote des Arztes nicht mehr
zu binden. Ob Marguerite ein paar Stunden früher oder später starb -- was
lag daran? Eine Marigny sollte wenigstens nicht mit leerem Magen die Wan¬
derung ins Jenseits antreten, dafür wollte er, der Vater, doch sorgen.

Und als sich die Kranke jetzt bewegte und langsam die Augen aufschlug, er¬
griff er ihre Hand und fragte mit zitternder Stimme: Wie wäre es, Marguerite,
wenn wir wieder einmal zusammen dinierten?

Ganz wie Sie wünschen, mein Vater, antwortete das Mädchen, mir ist bet¬
nahe, als ob ich ein klein wenig Appetit verspürte.

Da sank Marigny, genau wie eine halbe Stunde vorher Madame Haßlacher,
Vor dem Bette auf die Kniee, schluchzte und preßte die Stirn in die Kissen und
machte endlich seinem Schmerz und seiner Wonne in dem Ausrufe Luft: Junge
Tauben ^ I", xiinossss liodan!

Wir wissen, daß der Marquis zu kochen verstand. Wenn er sich aber hente
selbst übertraf, so kam das daher, daß er zum erstenmal zu allen übrigen Zutaten
ein Gewürz nahm, mit dessen Hilfe sich auch weniger gute Dinge als junge Tauben
w Leckerbissen verwandeln lassen: die Liebe. Und was mit Liebe gerupft und ge¬
sengt, gefüllt und gebraten worden war, wurde nun auch mit Liebe aufgetragen.
Mit eignen Händen rückte der alte Herr den kleinen Toilettentisch an das Bett
der Kranken, mit eignen Händen breitete er eine Serviette als Tafeltuch darüber,
und mit eignen Händen holte er Teller und Bestecke und endlich die silberne
Platte mit den Tauben und die Kristallschale mit dem Apfelmus, zu dem die Wittib
ihre letzten Borsdorfer hatte hergeben müssen.

Und dann zerlegte er die Tierchen mit einer Sachkenntnis, als habe er in
seinen jüngern Jahren nichts weiter getan, als unter der Aufsicht der Herren von
Buffon und Daubenton Vögel zergliedert. Marguerite sah ihm bei dieser Arbeit
A", lächelnd unter halbgesenkten Wimpern, und so matt sie war, dennoch sest ent¬
schlossen, Liebe mit Liebe zu vergelten und dem Gerichte soviel Ehre anzutun, als
^ ihre schwachen Kräfte erlauben würden. Und als sie sich während des Essens
enunal in die Kissen zurücklegte, um sich vou der ungewohnten Anstrengung zu er¬
holen, bemerkte sie, obwohl ihre Augen geschlossen waren, daß der Vater ihr heim¬
lich auch noch die fein zerschnittnen Brnststückchen von seiner Taube auf den Teller
Praktizierte, aber sie stellte sich, als Hütte sie nichts davon wahrgenommen, und
peiste wacker drauf los, bis die Müdigkeit sie überwältigte, und die Gabel ans
ihrer Hand glitt.

Damit war das Mahl beendet -- das Abschiedsmahl, wie Marigny glaubte,
mit dem sich Vater und Tochter für die Trennung auf ewig vorbereitet hatten.
Er blieb noch eine Weile sitzen; erst als er die Überzeugung gewonnen hatte, daß
Marguerite wirklich schlummerte -- wohl hinüberschlummerte in jenes Land, wo
man der leiblichen Speise nicht mehr bedarf --, erhob er sich, räumte das Tisch¬
gerät zusammen und ging leise aber sichern Schrittes zu Madame Haßlacher hin¬
unter, um mit der Gelassenheit eines Mannes, der getan hat, was er zu tun ver-


Der Marquis von Marigny

Nein, das war unmöglich: ein Marigny durfte sich nicht so weit vor einem Villerot
demütigen, daß er ihn bat, das Haus wieder aufzusuchen, aus dem man ihn aus¬
gewiesen hatte. Um diesen Preis war auch das letzte Lächeln einer sterbenden
Tochter zu teuer erkauft.

Und von dem, was Marguerites Herzen am nächsten stand, ging der Marquis
gleichsam mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen zu dem über, was die
Quintessenz seines eignen Daseins ausmachte. Solange er sich der Hoffnung hin¬
gegeben hatte, daß die Kunst des Arztes das Leben der Tochter erhalten konnte,
War es für ihn Gewisscnssnche gewesen, darüber zu wachen, daß die Anordnungen
des Doktors auf das genaueste befolgt wurden, mochte auch die Hungerkur, mit
der der alte Geheimderat nach seiner Gewohnheit dem Leiden beizukommen gedachte,
keineswegs uach dem persönlichen Geschmack des Marquis sein. Aber jetzt, da ja
doch alles verloren war, brauchte man sich an die Gebote des Arztes nicht mehr
zu binden. Ob Marguerite ein paar Stunden früher oder später starb — was
lag daran? Eine Marigny sollte wenigstens nicht mit leerem Magen die Wan¬
derung ins Jenseits antreten, dafür wollte er, der Vater, doch sorgen.

Und als sich die Kranke jetzt bewegte und langsam die Augen aufschlug, er¬
griff er ihre Hand und fragte mit zitternder Stimme: Wie wäre es, Marguerite,
wenn wir wieder einmal zusammen dinierten?

Ganz wie Sie wünschen, mein Vater, antwortete das Mädchen, mir ist bet¬
nahe, als ob ich ein klein wenig Appetit verspürte.

Da sank Marigny, genau wie eine halbe Stunde vorher Madame Haßlacher,
Vor dem Bette auf die Kniee, schluchzte und preßte die Stirn in die Kissen und
machte endlich seinem Schmerz und seiner Wonne in dem Ausrufe Luft: Junge
Tauben ^ I», xiinossss liodan!

Wir wissen, daß der Marquis zu kochen verstand. Wenn er sich aber hente
selbst übertraf, so kam das daher, daß er zum erstenmal zu allen übrigen Zutaten
ein Gewürz nahm, mit dessen Hilfe sich auch weniger gute Dinge als junge Tauben
w Leckerbissen verwandeln lassen: die Liebe. Und was mit Liebe gerupft und ge¬
sengt, gefüllt und gebraten worden war, wurde nun auch mit Liebe aufgetragen.
Mit eignen Händen rückte der alte Herr den kleinen Toilettentisch an das Bett
der Kranken, mit eignen Händen breitete er eine Serviette als Tafeltuch darüber,
und mit eignen Händen holte er Teller und Bestecke und endlich die silberne
Platte mit den Tauben und die Kristallschale mit dem Apfelmus, zu dem die Wittib
ihre letzten Borsdorfer hatte hergeben müssen.

Und dann zerlegte er die Tierchen mit einer Sachkenntnis, als habe er in
seinen jüngern Jahren nichts weiter getan, als unter der Aufsicht der Herren von
Buffon und Daubenton Vögel zergliedert. Marguerite sah ihm bei dieser Arbeit
A", lächelnd unter halbgesenkten Wimpern, und so matt sie war, dennoch sest ent¬
schlossen, Liebe mit Liebe zu vergelten und dem Gerichte soviel Ehre anzutun, als
^ ihre schwachen Kräfte erlauben würden. Und als sie sich während des Essens
enunal in die Kissen zurücklegte, um sich vou der ungewohnten Anstrengung zu er¬
holen, bemerkte sie, obwohl ihre Augen geschlossen waren, daß der Vater ihr heim¬
lich auch noch die fein zerschnittnen Brnststückchen von seiner Taube auf den Teller
Praktizierte, aber sie stellte sich, als Hütte sie nichts davon wahrgenommen, und
peiste wacker drauf los, bis die Müdigkeit sie überwältigte, und die Gabel ans
ihrer Hand glitt.

Damit war das Mahl beendet — das Abschiedsmahl, wie Marigny glaubte,
mit dem sich Vater und Tochter für die Trennung auf ewig vorbereitet hatten.
Er blieb noch eine Weile sitzen; erst als er die Überzeugung gewonnen hatte, daß
Marguerite wirklich schlummerte — wohl hinüberschlummerte in jenes Land, wo
man der leiblichen Speise nicht mehr bedarf —, erhob er sich, räumte das Tisch¬
gerät zusammen und ging leise aber sichern Schrittes zu Madame Haßlacher hin¬
unter, um mit der Gelassenheit eines Mannes, der getan hat, was er zu tun ver-


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[0683] Der Marquis von Marigny Nein, das war unmöglich: ein Marigny durfte sich nicht so weit vor einem Villerot demütigen, daß er ihn bat, das Haus wieder aufzusuchen, aus dem man ihn aus¬ gewiesen hatte. Um diesen Preis war auch das letzte Lächeln einer sterbenden Tochter zu teuer erkauft. Und von dem, was Marguerites Herzen am nächsten stand, ging der Marquis gleichsam mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen zu dem über, was die Quintessenz seines eignen Daseins ausmachte. Solange er sich der Hoffnung hin¬ gegeben hatte, daß die Kunst des Arztes das Leben der Tochter erhalten konnte, War es für ihn Gewisscnssnche gewesen, darüber zu wachen, daß die Anordnungen des Doktors auf das genaueste befolgt wurden, mochte auch die Hungerkur, mit der der alte Geheimderat nach seiner Gewohnheit dem Leiden beizukommen gedachte, keineswegs uach dem persönlichen Geschmack des Marquis sein. Aber jetzt, da ja doch alles verloren war, brauchte man sich an die Gebote des Arztes nicht mehr zu binden. Ob Marguerite ein paar Stunden früher oder später starb — was lag daran? Eine Marigny sollte wenigstens nicht mit leerem Magen die Wan¬ derung ins Jenseits antreten, dafür wollte er, der Vater, doch sorgen. Und als sich die Kranke jetzt bewegte und langsam die Augen aufschlug, er¬ griff er ihre Hand und fragte mit zitternder Stimme: Wie wäre es, Marguerite, wenn wir wieder einmal zusammen dinierten? Ganz wie Sie wünschen, mein Vater, antwortete das Mädchen, mir ist bet¬ nahe, als ob ich ein klein wenig Appetit verspürte. Da sank Marigny, genau wie eine halbe Stunde vorher Madame Haßlacher, Vor dem Bette auf die Kniee, schluchzte und preßte die Stirn in die Kissen und machte endlich seinem Schmerz und seiner Wonne in dem Ausrufe Luft: Junge Tauben ^ I», xiinossss liodan! Wir wissen, daß der Marquis zu kochen verstand. Wenn er sich aber hente selbst übertraf, so kam das daher, daß er zum erstenmal zu allen übrigen Zutaten ein Gewürz nahm, mit dessen Hilfe sich auch weniger gute Dinge als junge Tauben w Leckerbissen verwandeln lassen: die Liebe. Und was mit Liebe gerupft und ge¬ sengt, gefüllt und gebraten worden war, wurde nun auch mit Liebe aufgetragen. Mit eignen Händen rückte der alte Herr den kleinen Toilettentisch an das Bett der Kranken, mit eignen Händen breitete er eine Serviette als Tafeltuch darüber, und mit eignen Händen holte er Teller und Bestecke und endlich die silberne Platte mit den Tauben und die Kristallschale mit dem Apfelmus, zu dem die Wittib ihre letzten Borsdorfer hatte hergeben müssen. Und dann zerlegte er die Tierchen mit einer Sachkenntnis, als habe er in seinen jüngern Jahren nichts weiter getan, als unter der Aufsicht der Herren von Buffon und Daubenton Vögel zergliedert. Marguerite sah ihm bei dieser Arbeit A", lächelnd unter halbgesenkten Wimpern, und so matt sie war, dennoch sest ent¬ schlossen, Liebe mit Liebe zu vergelten und dem Gerichte soviel Ehre anzutun, als ^ ihre schwachen Kräfte erlauben würden. Und als sie sich während des Essens enunal in die Kissen zurücklegte, um sich vou der ungewohnten Anstrengung zu er¬ holen, bemerkte sie, obwohl ihre Augen geschlossen waren, daß der Vater ihr heim¬ lich auch noch die fein zerschnittnen Brnststückchen von seiner Taube auf den Teller Praktizierte, aber sie stellte sich, als Hütte sie nichts davon wahrgenommen, und peiste wacker drauf los, bis die Müdigkeit sie überwältigte, und die Gabel ans ihrer Hand glitt. Damit war das Mahl beendet — das Abschiedsmahl, wie Marigny glaubte, mit dem sich Vater und Tochter für die Trennung auf ewig vorbereitet hatten. Er blieb noch eine Weile sitzen; erst als er die Überzeugung gewonnen hatte, daß Marguerite wirklich schlummerte — wohl hinüberschlummerte in jenes Land, wo man der leiblichen Speise nicht mehr bedarf —, erhob er sich, räumte das Tisch¬ gerät zusammen und ging leise aber sichern Schrittes zu Madame Haßlacher hin¬ unter, um mit der Gelassenheit eines Mannes, der getan hat, was er zu tun ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/683>, abgerufen am 27.07.2024.