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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Medici bis zum Tode Loreuzcis des Prächtigen (^92)

die Schüler, die Eltern und die Lehrer aufatmen. Mit dem Katechismus¬
unterricht in der Schule fördern wir nicht die Frömmigkeit, sondern wir
ruinieren sie. Nur seine Entfernung, nur die Vertiefung und die Erweiterung
des geschichtlichen und des biblischen Stoffs kann unsern Unterricht wieder zu
einem seinem wirklichen Zwecke dienstbaren Mittel machen.




Die Medici bis zum Tode Lorenzos des prächtigen (^O2)
(Schluß)

PMD/M
lÄ"war nicht ausgemacht, daß Lorenzo die Stellung des Vaters
!ohne weiteres zufiel, aber es lag im Interesse eines Kreises
! tonangebender Männer, der sogenannten ersten Bürger von
Florenz, deren geistiges Haupt Tommaso Soderini war, die be¬
stehende Oligarchie nicht ungewissen Veränderungen auszusetzen.
Sie erklärten jedoch bezeichnenderweise ihn und zugleich seinen jüngern Bruder
Giuliano zu "Ersten im Staate." Lorenzo war trotz seiner Jugend durch
Gesandtschaften und Aufenthalte an den Höfen zu Staatsgeschäften geschickt
gemacht, als Politiker und Diplomat seinem Großvater Cosimo nicht gleich,
aber an allgemeiner Bildung und glänzenden persönlichen Eigenschaften ihm
weit überlegen. Cosimo war ernst, mehr schweigsam als gesprächig, aller¬
dings Herr des Worts, wo es sein mußte, nud bei Gelegenheit sogar scharf
und witzig. Aber Lorenzo war ein vollendeter Redner und hinreißend in der
Unterhaltung, denn er beherrschte alle Gegenstände der Politik, Literatur und
Kunst. Seine Stimme war rauh und stockschnupfig, nud er hatte eine unan¬
sehnliche Gestalt; die Medici waren alle nicht schön, und das vlivenfarbnc
Gesicht Cosimos siel sogar den Italienern auf, aber Lorenzo war geradezu
häßlich. Das vergaß man, wenn er angefangen hatte zu sprechen; dann
fesselte alle die bezaubernde Macht seines lebendigen Wesens, eine Gabe der
Überredung, der sich keiner entziehn konnte. Was Cosimo nur nebenher hatte
treiben können, das pflegte und förderte Lorenzo als sorgsam crzogner Kenner:
den lateinischen Unterricht an seiner 1473 gestifteten Universität Pisa, den
griechischen an einer in Florenz eingerichteten Schule, die Erweiterung der
Laurenziana durch Handschriften, die Poliziano und der Grieche Laskaris im
Ausland aufkauften, und durch Druckwerke, die min in Florenz hergestellt
werden mußten. Er war auch Dichter in allen Gattungen und Tonarten, die
die italienische Poesie umfaßt, in dem höhern Stil Petrarcas ein geschickter
und feiner Nachahmer, in der Behandlung volkstümlicher Stoffe ein glücklicher
Erwecker längst verschollener Weisen, die er im Freundeskreise und bei Volks¬
festen auf offner Straße selbst vorzutragen liebte. Seine Karnevalssänge und
geistlichen Volkslieder haben ihn noch lange überlebt. Aber dem Manne, der
mit dem Reichtum seines Geistes sich und seine Florentiner so köstlich zu
unterhalten verstand, gebrach es an einer für den Herrscher wichtigen Gabe,
ihm fehlte die Lust zu dem Geschäftsmäßigen, und alles Rechnen und Ver-


Die Medici bis zum Tode Loreuzcis des Prächtigen (^92)

die Schüler, die Eltern und die Lehrer aufatmen. Mit dem Katechismus¬
unterricht in der Schule fördern wir nicht die Frömmigkeit, sondern wir
ruinieren sie. Nur seine Entfernung, nur die Vertiefung und die Erweiterung
des geschichtlichen und des biblischen Stoffs kann unsern Unterricht wieder zu
einem seinem wirklichen Zwecke dienstbaren Mittel machen.




Die Medici bis zum Tode Lorenzos des prächtigen (^O2)
(Schluß)

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lÄ"war nicht ausgemacht, daß Lorenzo die Stellung des Vaters
!ohne weiteres zufiel, aber es lag im Interesse eines Kreises
! tonangebender Männer, der sogenannten ersten Bürger von
Florenz, deren geistiges Haupt Tommaso Soderini war, die be¬
stehende Oligarchie nicht ungewissen Veränderungen auszusetzen.
Sie erklärten jedoch bezeichnenderweise ihn und zugleich seinen jüngern Bruder
Giuliano zu „Ersten im Staate." Lorenzo war trotz seiner Jugend durch
Gesandtschaften und Aufenthalte an den Höfen zu Staatsgeschäften geschickt
gemacht, als Politiker und Diplomat seinem Großvater Cosimo nicht gleich,
aber an allgemeiner Bildung und glänzenden persönlichen Eigenschaften ihm
weit überlegen. Cosimo war ernst, mehr schweigsam als gesprächig, aller¬
dings Herr des Worts, wo es sein mußte, nud bei Gelegenheit sogar scharf
und witzig. Aber Lorenzo war ein vollendeter Redner und hinreißend in der
Unterhaltung, denn er beherrschte alle Gegenstände der Politik, Literatur und
Kunst. Seine Stimme war rauh und stockschnupfig, nud er hatte eine unan¬
sehnliche Gestalt; die Medici waren alle nicht schön, und das vlivenfarbnc
Gesicht Cosimos siel sogar den Italienern auf, aber Lorenzo war geradezu
häßlich. Das vergaß man, wenn er angefangen hatte zu sprechen; dann
fesselte alle die bezaubernde Macht seines lebendigen Wesens, eine Gabe der
Überredung, der sich keiner entziehn konnte. Was Cosimo nur nebenher hatte
treiben können, das pflegte und förderte Lorenzo als sorgsam crzogner Kenner:
den lateinischen Unterricht an seiner 1473 gestifteten Universität Pisa, den
griechischen an einer in Florenz eingerichteten Schule, die Erweiterung der
Laurenziana durch Handschriften, die Poliziano und der Grieche Laskaris im
Ausland aufkauften, und durch Druckwerke, die min in Florenz hergestellt
werden mußten. Er war auch Dichter in allen Gattungen und Tonarten, die
die italienische Poesie umfaßt, in dem höhern Stil Petrarcas ein geschickter
und feiner Nachahmer, in der Behandlung volkstümlicher Stoffe ein glücklicher
Erwecker längst verschollener Weisen, die er im Freundeskreise und bei Volks¬
festen auf offner Straße selbst vorzutragen liebte. Seine Karnevalssänge und
geistlichen Volkslieder haben ihn noch lange überlebt. Aber dem Manne, der
mit dem Reichtum seines Geistes sich und seine Florentiner so köstlich zu
unterhalten verstand, gebrach es an einer für den Herrscher wichtigen Gabe,
ihm fehlte die Lust zu dem Geschäftsmäßigen, und alles Rechnen und Ver-


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[0666] Die Medici bis zum Tode Loreuzcis des Prächtigen (^92) die Schüler, die Eltern und die Lehrer aufatmen. Mit dem Katechismus¬ unterricht in der Schule fördern wir nicht die Frömmigkeit, sondern wir ruinieren sie. Nur seine Entfernung, nur die Vertiefung und die Erweiterung des geschichtlichen und des biblischen Stoffs kann unsern Unterricht wieder zu einem seinem wirklichen Zwecke dienstbaren Mittel machen. Die Medici bis zum Tode Lorenzos des prächtigen (^O2) (Schluß) PMD/M lÄ"war nicht ausgemacht, daß Lorenzo die Stellung des Vaters !ohne weiteres zufiel, aber es lag im Interesse eines Kreises ! tonangebender Männer, der sogenannten ersten Bürger von Florenz, deren geistiges Haupt Tommaso Soderini war, die be¬ stehende Oligarchie nicht ungewissen Veränderungen auszusetzen. Sie erklärten jedoch bezeichnenderweise ihn und zugleich seinen jüngern Bruder Giuliano zu „Ersten im Staate." Lorenzo war trotz seiner Jugend durch Gesandtschaften und Aufenthalte an den Höfen zu Staatsgeschäften geschickt gemacht, als Politiker und Diplomat seinem Großvater Cosimo nicht gleich, aber an allgemeiner Bildung und glänzenden persönlichen Eigenschaften ihm weit überlegen. Cosimo war ernst, mehr schweigsam als gesprächig, aller¬ dings Herr des Worts, wo es sein mußte, nud bei Gelegenheit sogar scharf und witzig. Aber Lorenzo war ein vollendeter Redner und hinreißend in der Unterhaltung, denn er beherrschte alle Gegenstände der Politik, Literatur und Kunst. Seine Stimme war rauh und stockschnupfig, nud er hatte eine unan¬ sehnliche Gestalt; die Medici waren alle nicht schön, und das vlivenfarbnc Gesicht Cosimos siel sogar den Italienern auf, aber Lorenzo war geradezu häßlich. Das vergaß man, wenn er angefangen hatte zu sprechen; dann fesselte alle die bezaubernde Macht seines lebendigen Wesens, eine Gabe der Überredung, der sich keiner entziehn konnte. Was Cosimo nur nebenher hatte treiben können, das pflegte und förderte Lorenzo als sorgsam crzogner Kenner: den lateinischen Unterricht an seiner 1473 gestifteten Universität Pisa, den griechischen an einer in Florenz eingerichteten Schule, die Erweiterung der Laurenziana durch Handschriften, die Poliziano und der Grieche Laskaris im Ausland aufkauften, und durch Druckwerke, die min in Florenz hergestellt werden mußten. Er war auch Dichter in allen Gattungen und Tonarten, die die italienische Poesie umfaßt, in dem höhern Stil Petrarcas ein geschickter und feiner Nachahmer, in der Behandlung volkstümlicher Stoffe ein glücklicher Erwecker längst verschollener Weisen, die er im Freundeskreise und bei Volks¬ festen auf offner Straße selbst vorzutragen liebte. Seine Karnevalssänge und geistlichen Volkslieder haben ihn noch lange überlebt. Aber dem Manne, der mit dem Reichtum seines Geistes sich und seine Florentiner so köstlich zu unterhalten verstand, gebrach es an einer für den Herrscher wichtigen Gabe, ihm fehlte die Lust zu dem Geschäftsmäßigen, und alles Rechnen und Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/666>, abgerufen am 02.10.2024.