Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose gange Verfallen soll, muß die Wohnungfrage ernstlich angegriffen, muß die Der wahre gesellschaftliche Staat freilich sollte noch weiter gehn. Durch Wir vergeben uus nichts, wenn wir aus dem Rechte unsrer barbarischen Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose le letzte Zeit hat uns interessante Veröffentlichungen von Koch " So scheint sich die Tuberkulosenfrage fast zu einem Duell der beiden be¬ Grenzboten II 1903 77
Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose gange Verfallen soll, muß die Wohnungfrage ernstlich angegriffen, muß die Der wahre gesellschaftliche Staat freilich sollte noch weiter gehn. Durch Wir vergeben uus nichts, wenn wir aus dem Rechte unsrer barbarischen Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose le letzte Zeit hat uns interessante Veröffentlichungen von Koch „ So scheint sich die Tuberkulosenfrage fast zu einem Duell der beiden be¬ Grenzboten II 1903 77
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240979"/> <fw type="header" place="top"> Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose</fw><lb/> <p xml:id="ID_2839" prev="#ID_2838"> gange Verfallen soll, muß die Wohnungfrage ernstlich angegriffen, muß die<lb/> Stadt entlastet und das Land neu besiedelt werden. Noch herrscht in England<lb/> der Individualismus, der, wenn irgendwo, hier Großes geleistet hat. Aber<lb/> langsam bricht auch hier die Überzeugung durch, daß gesellschaftliche Fragen<lb/> von der ganzen Gesellschaft, vom Staate gelöst werden müssen. Die Abstellung<lb/> gesellschaftlicher Schäden ist das beste Mittel gegen eine Zunahme der Arbeit<lb/> des Strafrichters.</p><lb/> <p xml:id="ID_2840"> Der wahre gesellschaftliche Staat freilich sollte noch weiter gehn. Durch<lb/> besetze regelt der Staat die Rechtsverhältnisse seiner Angehörigen, durch<lb/> Gerichtshöfe entscheidet er über strittige Rechtsfrage», durch die Unterhaltung<lb/> einer Polizei erkennt er seine Verpflichtung an, Leben und Eigentum zu schützen.<lb/> Wenn aber der Staat bei einer Verletzung von Leib oder Habe die Selbsthilfe<lb/> verbietet und sich das ausschließliche Recht der Bestrafung vorbehält, so folgt<lb/> daraus auch eine Verpflichtung des Staates, den Schaden, den er nicht hat<lb/> verhüten können, zu ersetzen, soweit es möglich ist. Ist die Forderung über¬<lb/> trieben? Warum soll nicht der Staat für die Hiuterbliebneu eines Ermor¬<lb/> deten ebenso sorgen, wie für die eines bei der Bedienung einer Maschine Ver¬<lb/> unglückten?</p><lb/> <p xml:id="ID_2841"> Wir vergeben uus nichts, wenn wir aus dem Rechte unsrer barbarischen<lb/> Vorfahren das Wergeld, unsern Verhältnissen angepaßt, wieder aufnehmen,<lb/> wir würden damit nur eine Pflicht des wahren gesellschaftlichen Staates<lb/> erfüllen, worin alle für einen einstehn. Für England mag der Gedanke noch<lb/> utopisch erscheinen. In Deutschland sollte nicht nur seine ernsthafte Erörterung<lb/> keinen Schwierigkeiten begegnen, sondern sollte anch seine Ausführung mög¬<lb/> lich sein,</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen<lb/> die Tuberkulose</head><lb/> <p xml:id="ID_2842"> le letzte Zeit hat uns interessante Veröffentlichungen von Koch<lb/> und vou Behring über die Tuberkulose gebracht. Koch hatte schon<lb/> auf dem internationalen Kongreß in London seine Anschauungen<lb/> über das Verhältnis der Niudertubertülose zur menschlichen Tuber-<lb/> ^ kulose bekannt gemacht. Behring hat bei dem Empfang des<lb/> ^vbelpreises in Stockholm den Kampf gegen Koch aufgenommen. Diese den<lb/> ^ugeweihten längst bekannte stille Gegnerschaft zwischen Lehrer und Schüler<lb/> 'se zum offnen .Kriege geworden. Koch hat im November 1901 neue Vor¬<lb/> schlüge zur Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose gemacht — alte Gedanken<lb/> ^u neuer Form —, und auch Behring hat in einem umfangreichen Buche<lb/> Wne Anschauungen eingehend dargelegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2843" next="#ID_2844"> „ So scheint sich die Tuberkulosenfrage fast zu einem Duell der beiden be¬<lb/> rühmtesten deutschen Ärzte zuzuspitzen, und man könnte glauben, die übrige<lb/> Etliche Welt sehe als tatenloses Zuschauerpublikum diesem Kampfe zu. Denn</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1903 77</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen die Tuberkulose
gange Verfallen soll, muß die Wohnungfrage ernstlich angegriffen, muß die
Stadt entlastet und das Land neu besiedelt werden. Noch herrscht in England
der Individualismus, der, wenn irgendwo, hier Großes geleistet hat. Aber
langsam bricht auch hier die Überzeugung durch, daß gesellschaftliche Fragen
von der ganzen Gesellschaft, vom Staate gelöst werden müssen. Die Abstellung
gesellschaftlicher Schäden ist das beste Mittel gegen eine Zunahme der Arbeit
des Strafrichters.
Der wahre gesellschaftliche Staat freilich sollte noch weiter gehn. Durch
besetze regelt der Staat die Rechtsverhältnisse seiner Angehörigen, durch
Gerichtshöfe entscheidet er über strittige Rechtsfrage», durch die Unterhaltung
einer Polizei erkennt er seine Verpflichtung an, Leben und Eigentum zu schützen.
Wenn aber der Staat bei einer Verletzung von Leib oder Habe die Selbsthilfe
verbietet und sich das ausschließliche Recht der Bestrafung vorbehält, so folgt
daraus auch eine Verpflichtung des Staates, den Schaden, den er nicht hat
verhüten können, zu ersetzen, soweit es möglich ist. Ist die Forderung über¬
trieben? Warum soll nicht der Staat für die Hiuterbliebneu eines Ermor¬
deten ebenso sorgen, wie für die eines bei der Bedienung einer Maschine Ver¬
unglückten?
Wir vergeben uus nichts, wenn wir aus dem Rechte unsrer barbarischen
Vorfahren das Wergeld, unsern Verhältnissen angepaßt, wieder aufnehmen,
wir würden damit nur eine Pflicht des wahren gesellschaftlichen Staates
erfüllen, worin alle für einen einstehn. Für England mag der Gedanke noch
utopisch erscheinen. In Deutschland sollte nicht nur seine ernsthafte Erörterung
keinen Schwierigkeiten begegnen, sondern sollte anch seine Ausführung mög¬
lich sein,
Ein neuer wertvoller Bundesgenosse im Kampfe gegen
die Tuberkulose
le letzte Zeit hat uns interessante Veröffentlichungen von Koch
und vou Behring über die Tuberkulose gebracht. Koch hatte schon
auf dem internationalen Kongreß in London seine Anschauungen
über das Verhältnis der Niudertubertülose zur menschlichen Tuber-
^ kulose bekannt gemacht. Behring hat bei dem Empfang des
^vbelpreises in Stockholm den Kampf gegen Koch aufgenommen. Diese den
^ugeweihten längst bekannte stille Gegnerschaft zwischen Lehrer und Schüler
'se zum offnen .Kriege geworden. Koch hat im November 1901 neue Vor¬
schlüge zur Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose gemacht — alte Gedanken
^u neuer Form —, und auch Behring hat in einem umfangreichen Buche
Wne Anschauungen eingehend dargelegt.
„ So scheint sich die Tuberkulosenfrage fast zu einem Duell der beiden be¬
rühmtesten deutschen Ärzte zuzuspitzen, und man könnte glauben, die übrige
Etliche Welt sehe als tatenloses Zuschauerpublikum diesem Kampfe zu. Denn
Grenzboten II 1903 77
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