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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die englische Strafrechtspflege

Pacific für die Handelsschiffe von unschätzbarem Werte. Ganz besonders
wünschenswert erschien den Amerikanern aber der Pearl-River-Hafen auf Oahu
uicht weit von Honolulu, der nach Entfernung einiger Korallen und Felsriffe
zu einem mächtigen Kriegshafen, der ganze Geschwader aufzunehmen vermag,
umgewandelt werden kann. Von diesem maritimen Stützpunkt aus wird die
mächtige Republik Beherrscherin des ganzen Stillen Ozeans werden. Mit der
Annektierung Hawaiis haben die Vereinigten Staaten jedoch die bisher fest-
gehaltnen Prinzipien der Monroedoktrin verlassen und den ersten Schritt auf
der Bahn der kolonialen Expansion unternommen.

Die eigentlichen Besitzer Hawaiis, die Kanälen, die vor vierundsiebzig
Jahren die ersten ausländischen Ansiedler freundlich aufnahmen, ihnen während
dieser ganzen Zeit unübertroffne Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit zu teil
werden ließen, sich ihnen förmlich aufopferten, wurden seit der Vertreibung ihrer
Königin auf dem politischen Gebiet einfach desavouiert. Die Eingebornen, meist
von amerikanischen Missionaren um ihren Grund und Boden gebracht, sterben
vornehmlich infolge der Einschleppung von Spirituosen und furchtbaren Krank¬
heiten durch die Fremden aus. Als Cook im Jahre 1778 die Sandwichinseln
besuchte, soll man auf ihnen nicht weniger als 400000 Einwohner gezählt haben,
bis zum Jahre 1890 sind sie auf 34436 gesunken. Das ist der Segen der
sogenannten europäischen Zivilisation, hier von Amerikanern hervorgerufen!

Im Hinblick auf die vielen Heimsuchungen, die die Ausländer den liebens¬
würdigen harmlosen Braunen ins Land brachten, sollte man ebenso wie bei
andern Naturvölkern auch bei den Kanälen einen tiefgehenden Haß gegen alle
Fremdlinge, zumal die Bleichgesichter vermuten. Dem ist jedoch nicht so!
Der Kanäle kennt keinen Haß. Heiter und liebenswürdig ist er auch heute
noch gegen jedermann; nnr hin und wieder erfaßt ihn tiefe Trauer, wenn er,
der rechtmäßige Eigentümer des Paradieses des Stillen Ozeans, wie man Hawaii
häufig nennt, immer mehr an Grundbesitz verliert, wenn er den Blick auf
den leerstehenden Thron seiner Väter wirft, die Abnahme seiner politischen
Rechte empfindet, das unaufhaltsame Absterben seiner braunen Brüder und
Schwestern wahrnimmt. Denn wie lange wird es noch währen, bis der traute
Heimatsruf: "Alohave" verstummt, bis sich die Lippen des letzten Sonnen¬
kindes für immer schließen?




Die englische ^trafrechtspflege
v Hugo Barrels on

gesühnt sei.echt und Gerechtigkeit sind zwei verschiedne Dinge, aber sie werden
leider nur zu oft miteinander verwechselt. Wenn der Scharf¬
richter an einem Mörder seines Amtes gewaltet hat, dann kann
man gar erbaulich in den Zeitungen lesen, daß der Gerechtigkeit
Genüge geschehen und das Verbrechen durch den Tod des Schuldigen
Das ist wohl Recht nach dem alttestamentlichen Satze: Auge
um Auge, Zahn um Zahn und Blut für Blut! aber die Gerechtigkeit hat


Die englische Strafrechtspflege

Pacific für die Handelsschiffe von unschätzbarem Werte. Ganz besonders
wünschenswert erschien den Amerikanern aber der Pearl-River-Hafen auf Oahu
uicht weit von Honolulu, der nach Entfernung einiger Korallen und Felsriffe
zu einem mächtigen Kriegshafen, der ganze Geschwader aufzunehmen vermag,
umgewandelt werden kann. Von diesem maritimen Stützpunkt aus wird die
mächtige Republik Beherrscherin des ganzen Stillen Ozeans werden. Mit der
Annektierung Hawaiis haben die Vereinigten Staaten jedoch die bisher fest-
gehaltnen Prinzipien der Monroedoktrin verlassen und den ersten Schritt auf
der Bahn der kolonialen Expansion unternommen.

Die eigentlichen Besitzer Hawaiis, die Kanälen, die vor vierundsiebzig
Jahren die ersten ausländischen Ansiedler freundlich aufnahmen, ihnen während
dieser ganzen Zeit unübertroffne Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit zu teil
werden ließen, sich ihnen förmlich aufopferten, wurden seit der Vertreibung ihrer
Königin auf dem politischen Gebiet einfach desavouiert. Die Eingebornen, meist
von amerikanischen Missionaren um ihren Grund und Boden gebracht, sterben
vornehmlich infolge der Einschleppung von Spirituosen und furchtbaren Krank¬
heiten durch die Fremden aus. Als Cook im Jahre 1778 die Sandwichinseln
besuchte, soll man auf ihnen nicht weniger als 400000 Einwohner gezählt haben,
bis zum Jahre 1890 sind sie auf 34436 gesunken. Das ist der Segen der
sogenannten europäischen Zivilisation, hier von Amerikanern hervorgerufen!

Im Hinblick auf die vielen Heimsuchungen, die die Ausländer den liebens¬
würdigen harmlosen Braunen ins Land brachten, sollte man ebenso wie bei
andern Naturvölkern auch bei den Kanälen einen tiefgehenden Haß gegen alle
Fremdlinge, zumal die Bleichgesichter vermuten. Dem ist jedoch nicht so!
Der Kanäle kennt keinen Haß. Heiter und liebenswürdig ist er auch heute
noch gegen jedermann; nnr hin und wieder erfaßt ihn tiefe Trauer, wenn er,
der rechtmäßige Eigentümer des Paradieses des Stillen Ozeans, wie man Hawaii
häufig nennt, immer mehr an Grundbesitz verliert, wenn er den Blick auf
den leerstehenden Thron seiner Väter wirft, die Abnahme seiner politischen
Rechte empfindet, das unaufhaltsame Absterben seiner braunen Brüder und
Schwestern wahrnimmt. Denn wie lange wird es noch währen, bis der traute
Heimatsruf: „Alohave" verstummt, bis sich die Lippen des letzten Sonnen¬
kindes für immer schließen?




Die englische ^trafrechtspflege
v Hugo Barrels on

gesühnt sei.echt und Gerechtigkeit sind zwei verschiedne Dinge, aber sie werden
leider nur zu oft miteinander verwechselt. Wenn der Scharf¬
richter an einem Mörder seines Amtes gewaltet hat, dann kann
man gar erbaulich in den Zeitungen lesen, daß der Gerechtigkeit
Genüge geschehen und das Verbrechen durch den Tod des Schuldigen
Das ist wohl Recht nach dem alttestamentlichen Satze: Auge
um Auge, Zahn um Zahn und Blut für Blut! aber die Gerechtigkeit hat


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[0514] Die englische Strafrechtspflege Pacific für die Handelsschiffe von unschätzbarem Werte. Ganz besonders wünschenswert erschien den Amerikanern aber der Pearl-River-Hafen auf Oahu uicht weit von Honolulu, der nach Entfernung einiger Korallen und Felsriffe zu einem mächtigen Kriegshafen, der ganze Geschwader aufzunehmen vermag, umgewandelt werden kann. Von diesem maritimen Stützpunkt aus wird die mächtige Republik Beherrscherin des ganzen Stillen Ozeans werden. Mit der Annektierung Hawaiis haben die Vereinigten Staaten jedoch die bisher fest- gehaltnen Prinzipien der Monroedoktrin verlassen und den ersten Schritt auf der Bahn der kolonialen Expansion unternommen. Die eigentlichen Besitzer Hawaiis, die Kanälen, die vor vierundsiebzig Jahren die ersten ausländischen Ansiedler freundlich aufnahmen, ihnen während dieser ganzen Zeit unübertroffne Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit zu teil werden ließen, sich ihnen förmlich aufopferten, wurden seit der Vertreibung ihrer Königin auf dem politischen Gebiet einfach desavouiert. Die Eingebornen, meist von amerikanischen Missionaren um ihren Grund und Boden gebracht, sterben vornehmlich infolge der Einschleppung von Spirituosen und furchtbaren Krank¬ heiten durch die Fremden aus. Als Cook im Jahre 1778 die Sandwichinseln besuchte, soll man auf ihnen nicht weniger als 400000 Einwohner gezählt haben, bis zum Jahre 1890 sind sie auf 34436 gesunken. Das ist der Segen der sogenannten europäischen Zivilisation, hier von Amerikanern hervorgerufen! Im Hinblick auf die vielen Heimsuchungen, die die Ausländer den liebens¬ würdigen harmlosen Braunen ins Land brachten, sollte man ebenso wie bei andern Naturvölkern auch bei den Kanälen einen tiefgehenden Haß gegen alle Fremdlinge, zumal die Bleichgesichter vermuten. Dem ist jedoch nicht so! Der Kanäle kennt keinen Haß. Heiter und liebenswürdig ist er auch heute noch gegen jedermann; nnr hin und wieder erfaßt ihn tiefe Trauer, wenn er, der rechtmäßige Eigentümer des Paradieses des Stillen Ozeans, wie man Hawaii häufig nennt, immer mehr an Grundbesitz verliert, wenn er den Blick auf den leerstehenden Thron seiner Väter wirft, die Abnahme seiner politischen Rechte empfindet, das unaufhaltsame Absterben seiner braunen Brüder und Schwestern wahrnimmt. Denn wie lange wird es noch währen, bis der traute Heimatsruf: „Alohave" verstummt, bis sich die Lippen des letzten Sonnen¬ kindes für immer schließen? Die englische ^trafrechtspflege v Hugo Barrels on gesühnt sei.echt und Gerechtigkeit sind zwei verschiedne Dinge, aber sie werden leider nur zu oft miteinander verwechselt. Wenn der Scharf¬ richter an einem Mörder seines Amtes gewaltet hat, dann kann man gar erbaulich in den Zeitungen lesen, daß der Gerechtigkeit Genüge geschehen und das Verbrechen durch den Tod des Schuldigen Das ist wohl Recht nach dem alttestamentlichen Satze: Auge um Auge, Zahn um Zahn und Blut für Blut! aber die Gerechtigkeit hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/514>, abgerufen am 24.08.2024.