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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten
Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Gin Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen
von Gustav Wustmann
Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage
Mit einem ausführlichen alphabetischen Register -- Bogen, gebunden 2'/z Mark
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig

Katholisch und Römisch

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M-louston Stewart Chamberlain tritt im Vorwort der vierten Auf¬
lage seiner "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" mit
einer weitern Erörterung für deu in seinem Werke ausgeführten
Satz ein, daß zwischen "Katholisch" und "Römisch" zu uuter-
I scheiden sei, daß diese Unterscheidung in den Gemütern vieler
Millionen Katholiken tatsächlich -- wenn auch vielfach unbewußt -- vorhanden
und geradezu grundlegend sei für alles Verständnis der Vergangenheit und
der Gegenwart, besonders aber für jede Anbahnung einer des Zieles bewußten
Beeinflussung der Zukunft, Rom allerdings und seine Parteigänger legten
großen Wert darauf, das klare Bewußtsein dieser Unterscheidung nicht auf¬
kommen zu lassen, zumal gegenwärtig, wo das rein politische "Römische" in
angeblicher Wahrung der rein religiösen Interessen des "Katholischen" die
ganze zivilisierte Welt aufrühre und in allen Ländern und Stünden Be-
unruhigung verbreite. Noch im Jahre 1870 habe die Mehrzahl der deutscheu
Bischöfe "katholisch" gestimmt gegen das römische Programm und sich erst
unter dem Druck eiuer moralischen Folter unterworfen. Aber es sei noch nicht
gelungen, das Heer der Weltpriester in demselben Maße wie die Bischöfe zu
unterwerfen und zu blind gehorsamen Agenten der Generalgewalt umzumodeln.
Als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks aber wende Rom jetzt die Über¬
flutung der Welt mit Orden an. Dadurch werde die nationale Weltgeistlich¬
keit nach und nach ausgeschaltet, und so würden allerdings mit der Zeit
"Katholisch" und "Römisch" identische Begriffe. Denn jedes Ordensmitglied
sei ein Soldat Roms, sein Vaterland sei ausschließlich die Kirche; jede Ordens¬
niederlassung sei eine gegen den Staat aufgerichtete politische Agentur, und so
erlebten wir heute nicht nur einen Kampf Roms gegen den Protestantismus,
soudern die geradlinige Fortsetzung des Kampfes Roms gegen den Katholizismus,
der sofort begonnen habe, als die Jesuiten die Macht ergriffen hätten.

Chamberlain hat, wie er versichert, jede Gelegenheit benutzt, mit Katholiken
über diese Dinge zu reden, und wie es scheint, auch manchmal mit alten
Pfarrern gemütlich bei der Flasche Wein verkehrt. Aber auf diese Art konnte
er deu Katholizismus doch nur vou außen her kennen lernen - die ""bedingte lind


Grenzboten II. 1903 W


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M-louston Stewart Chamberlain tritt im Vorwort der vierten Auf¬
lage seiner „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" mit
einer weitern Erörterung für deu in seinem Werke ausgeführten
Satz ein, daß zwischen „Katholisch" und „Römisch" zu uuter-
I scheiden sei, daß diese Unterscheidung in den Gemütern vieler
Millionen Katholiken tatsächlich — wenn auch vielfach unbewußt — vorhanden
und geradezu grundlegend sei für alles Verständnis der Vergangenheit und
der Gegenwart, besonders aber für jede Anbahnung einer des Zieles bewußten
Beeinflussung der Zukunft, Rom allerdings und seine Parteigänger legten
großen Wert darauf, das klare Bewußtsein dieser Unterscheidung nicht auf¬
kommen zu lassen, zumal gegenwärtig, wo das rein politische „Römische" in
angeblicher Wahrung der rein religiösen Interessen des „Katholischen" die
ganze zivilisierte Welt aufrühre und in allen Ländern und Stünden Be-
unruhigung verbreite. Noch im Jahre 1870 habe die Mehrzahl der deutscheu
Bischöfe „katholisch" gestimmt gegen das römische Programm und sich erst
unter dem Druck eiuer moralischen Folter unterworfen. Aber es sei noch nicht
gelungen, das Heer der Weltpriester in demselben Maße wie die Bischöfe zu
unterwerfen und zu blind gehorsamen Agenten der Generalgewalt umzumodeln.
Als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks aber wende Rom jetzt die Über¬
flutung der Welt mit Orden an. Dadurch werde die nationale Weltgeistlich¬
keit nach und nach ausgeschaltet, und so würden allerdings mit der Zeit
„Katholisch" und „Römisch" identische Begriffe. Denn jedes Ordensmitglied
sei ein Soldat Roms, sein Vaterland sei ausschließlich die Kirche; jede Ordens¬
niederlassung sei eine gegen den Staat aufgerichtete politische Agentur, und so
erlebten wir heute nicht nur einen Kampf Roms gegen den Protestantismus,
soudern die geradlinige Fortsetzung des Kampfes Roms gegen den Katholizismus,
der sofort begonnen habe, als die Jesuiten die Macht ergriffen hätten.

Chamberlain hat, wie er versichert, jede Gelegenheit benutzt, mit Katholiken
über diese Dinge zu reden, und wie es scheint, auch manchmal mit alten
Pfarrern gemütlich bei der Flasche Wein verkehrt. Aber auf diese Art konnte
er deu Katholizismus doch nur vou außen her kennen lernen - die »»bedingte lind


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[0249] [Abbildung] Allerhand Sprachdummheiten Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen Gin Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen von Gustav Wustmann Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage Mit einem ausführlichen alphabetischen Register — Bogen, gebunden 2'/z Mark Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig Katholisch und Römisch L/l^Ä M-louston Stewart Chamberlain tritt im Vorwort der vierten Auf¬ lage seiner „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" mit einer weitern Erörterung für deu in seinem Werke ausgeführten Satz ein, daß zwischen „Katholisch" und „Römisch" zu uuter- I scheiden sei, daß diese Unterscheidung in den Gemütern vieler Millionen Katholiken tatsächlich — wenn auch vielfach unbewußt — vorhanden und geradezu grundlegend sei für alles Verständnis der Vergangenheit und der Gegenwart, besonders aber für jede Anbahnung einer des Zieles bewußten Beeinflussung der Zukunft, Rom allerdings und seine Parteigänger legten großen Wert darauf, das klare Bewußtsein dieser Unterscheidung nicht auf¬ kommen zu lassen, zumal gegenwärtig, wo das rein politische „Römische" in angeblicher Wahrung der rein religiösen Interessen des „Katholischen" die ganze zivilisierte Welt aufrühre und in allen Ländern und Stünden Be- unruhigung verbreite. Noch im Jahre 1870 habe die Mehrzahl der deutscheu Bischöfe „katholisch" gestimmt gegen das römische Programm und sich erst unter dem Druck eiuer moralischen Folter unterworfen. Aber es sei noch nicht gelungen, das Heer der Weltpriester in demselben Maße wie die Bischöfe zu unterwerfen und zu blind gehorsamen Agenten der Generalgewalt umzumodeln. Als Mittel zur Erreichung dieses Zwecks aber wende Rom jetzt die Über¬ flutung der Welt mit Orden an. Dadurch werde die nationale Weltgeistlich¬ keit nach und nach ausgeschaltet, und so würden allerdings mit der Zeit „Katholisch" und „Römisch" identische Begriffe. Denn jedes Ordensmitglied sei ein Soldat Roms, sein Vaterland sei ausschließlich die Kirche; jede Ordens¬ niederlassung sei eine gegen den Staat aufgerichtete politische Agentur, und so erlebten wir heute nicht nur einen Kampf Roms gegen den Protestantismus, soudern die geradlinige Fortsetzung des Kampfes Roms gegen den Katholizismus, der sofort begonnen habe, als die Jesuiten die Macht ergriffen hätten. Chamberlain hat, wie er versichert, jede Gelegenheit benutzt, mit Katholiken über diese Dinge zu reden, und wie es scheint, auch manchmal mit alten Pfarrern gemütlich bei der Flasche Wein verkehrt. Aber auf diese Art konnte er deu Katholizismus doch nur vou außen her kennen lernen - die »»bedingte lind Grenzboten II. 1903 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/249>, abgerufen am 24.08.2024.