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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Im Lazarett

dem Gcorgcutor stehend -- mit angesehen. Auch er spürte also das Bedürfnis
mich Deckung. Als er sah, daß alles gut verlaufen war, führte er seine
Truppen unmittelbar vom Schloßplatz weg aus der Stadt heraus, die um
wieder den Resten des siebenten Korps zur Verteidigung überlassen blieb.
Die Ehre des französischen Namens war gerettet.

Kügelgcns Vater aber rieb sich die Hände: "Gottlob -- sagte er --, nun
sind die Affen fort, und hoffentlich für immer." Er irrte, der brave Mann,
die Franzosen kehrten noch einmal zurück, Dresdens Leideustage im Jahre 1813
sollten erst beginnen. Aber die frohe patriotische Hoffnung, die ans seinen
Worten spricht, hat ihn doch nicht getrogen. Die Kanonenschläge, die die
Sprengung der Brücke einleiteten, kündigten das Frührot des anbrechenden Be-
freinngstages an, der über nnserm Batcrlaude aufging.




Im Lazarett
^

er Krieg ist für den Soldaten die Zeit des schroffsten Wechsels aller
Lebensbedingungen. Er besingt diesen Zustand, ohne ihn viel zu
bedenken, selbst fast heben Tag, wenn er in den Morgen hinein¬
marschiert: Gestern noch aus flohen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.

Doch nicht Tod und Leben allein verschlingen sich eng im bunten Reigen der
Kriegstage. Andrer Boden, andrer Himmel, andre Aufgaben, andre Menschen,
andre Städte und Dörfer, vor allem auch andre Quartiere, und nicht zuletzt: andres
Städtchen, andres Mädchen!

Der Soldat gewöhnt sich, diese Unterschiede gleichmütig hinzunehmen, der
Wechsel der Tage muß ihm die Schule sein, in der er derart abgehärtet wird, daß
mich der Rückzug ihn nicht entmutigt, der plötzlich notwendig wird, wenn ein ununter¬
brochen siegreicher Vormarsch ins Stocken gercir. Auch dafür hat er sein Lied, das
zwar meist ohne besondern Grund angestimmt, sicherlich aber mit dem wahrsten
Gefühl in Zeiten der Enttäuschung, der Entbehrung gesungen wurde:


ES kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dein wechselnden Mond usw.,

in dessen langen Versreihcn micht die Wechselfälle im Schicksal des großen Napoleon
in naiver Weise besungen werden. Auf diese schwerste Probe, die des Rückzugs
nach ^ Verlornen Gefechts ist jn der deutsche Soldat gerade 1870/71 uur in einzelnen
Fallen gestellt worden, und es gereicht ihm die Ruhe und Ordnung seiner Gewalt¬
märsche'nach Conlmiers oder von Dijon nach der Lisaine fast noch mehr zum Ruhm
"is manche gewonnene Schlacht. Aber was fast jeder Einzelne an Wechseln des
Erlebens und der Stimmung durchzumachen hatte, überstieg in nicht wenig Fallen
weit die Grenze dessen, was man im gewöhnlichen Gang der Dinge noch für er-
twgbar hält. Man trägt es doch und'erkennt vielleicht später, daß gerade in dem
Übergang von Wohlgefiihl zu schwerster Sorge der Hammer des Schicksals meder-
s"use, der aus dem Eisen des erst werdenden den Stahl des vollendeten Charakters
schmiedet.


Im Lazarett

dem Gcorgcutor stehend — mit angesehen. Auch er spürte also das Bedürfnis
mich Deckung. Als er sah, daß alles gut verlaufen war, führte er seine
Truppen unmittelbar vom Schloßplatz weg aus der Stadt heraus, die um
wieder den Resten des siebenten Korps zur Verteidigung überlassen blieb.
Die Ehre des französischen Namens war gerettet.

Kügelgcns Vater aber rieb sich die Hände: „Gottlob — sagte er —, nun
sind die Affen fort, und hoffentlich für immer." Er irrte, der brave Mann,
die Franzosen kehrten noch einmal zurück, Dresdens Leideustage im Jahre 1813
sollten erst beginnen. Aber die frohe patriotische Hoffnung, die ans seinen
Worten spricht, hat ihn doch nicht getrogen. Die Kanonenschläge, die die
Sprengung der Brücke einleiteten, kündigten das Frührot des anbrechenden Be-
freinngstages an, der über nnserm Batcrlaude aufging.




Im Lazarett
^

er Krieg ist für den Soldaten die Zeit des schroffsten Wechsels aller
Lebensbedingungen. Er besingt diesen Zustand, ohne ihn viel zu
bedenken, selbst fast heben Tag, wenn er in den Morgen hinein¬
marschiert: Gestern noch aus flohen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.

Doch nicht Tod und Leben allein verschlingen sich eng im bunten Reigen der
Kriegstage. Andrer Boden, andrer Himmel, andre Aufgaben, andre Menschen,
andre Städte und Dörfer, vor allem auch andre Quartiere, und nicht zuletzt: andres
Städtchen, andres Mädchen!

Der Soldat gewöhnt sich, diese Unterschiede gleichmütig hinzunehmen, der
Wechsel der Tage muß ihm die Schule sein, in der er derart abgehärtet wird, daß
mich der Rückzug ihn nicht entmutigt, der plötzlich notwendig wird, wenn ein ununter¬
brochen siegreicher Vormarsch ins Stocken gercir. Auch dafür hat er sein Lied, das
zwar meist ohne besondern Grund angestimmt, sicherlich aber mit dem wahrsten
Gefühl in Zeiten der Enttäuschung, der Entbehrung gesungen wurde:


ES kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dein wechselnden Mond usw.,

in dessen langen Versreihcn micht die Wechselfälle im Schicksal des großen Napoleon
in naiver Weise besungen werden. Auf diese schwerste Probe, die des Rückzugs
nach ^ Verlornen Gefechts ist jn der deutsche Soldat gerade 1870/71 uur in einzelnen
Fallen gestellt worden, und es gereicht ihm die Ruhe und Ordnung seiner Gewalt¬
märsche'nach Conlmiers oder von Dijon nach der Lisaine fast noch mehr zum Ruhm
"is manche gewonnene Schlacht. Aber was fast jeder Einzelne an Wechseln des
Erlebens und der Stimmung durchzumachen hatte, überstieg in nicht wenig Fallen
weit die Grenze dessen, was man im gewöhnlichen Gang der Dinge noch für er-
twgbar hält. Man trägt es doch und'erkennt vielleicht später, daß gerade in dem
Übergang von Wohlgefiihl zu schwerster Sorge der Hammer des Schicksals meder-
s"use, der aus dem Eisen des erst werdenden den Stahl des vollendeten Charakters
schmiedet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/161>, abgerufen am 23.07.2024.