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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Im Lci^arotl

Selten bin ich so frisch und froh, so fromm und freudig aufgewacht als an
dem Morgen nach meiner Verwundung, Man hatte mich in ein reines Bett im
Oberstock des kleinen Schulhauses gelegt, die Wunde war fest verbunden, schmerzte
nicht, und Fieber hatte sich noch nicht eingestellt. Das Gefühl, so hart am Tode
vorbeigegangen zu sein und nach menschlichem Ermessen das Leben zu behalten,
erfüllte mein Herz mit Dank und mit frohen Gedanken an meine Lieben, ich hoffte,
daß sie eine Karte über diese Nffäre uoch vor der amtlichen Verlustliste erhalte"
würden. Eine Tasse heißer Milch, die man mir reichte, erfüllte mich mit einem
Wohlbehagen, wie ich es nie gefühlt zu haben glaubte. Die Mediziner sagen, das
sei die Folge eines starken Blutverlustes, und es war in der Tat etwas von wohl¬
tuender Schwäche darin, der der Schlaf jede Minute willkommen ist. Ich dämmerte
so dahin, als der Wagen gemeldet wurde, brachte es trotz einiger Benommenheit
dahin, mich ohne Hilfe anzuziehn und den Weg die Treppe hinabznsinden.

Unten hielten ans der dunkeln Straße einige von den französischen Leiterwagen,
die mir von Wagcnpatronilleu her in guter Erinnerung waren; wir Jnfanteristen,
die in der Regel ans den Scitenleitern Platz zu nehmen hatten, hieben die vor¬
ragenden Teile der Sprossen ab, und daran mögen Wagen, die in unsrer Venntzuug
gewesen waren, noch nach Jahren zu erkennen gewesen sein. Ich hatte mich
noch nicht ans das Stroh eines von diesen Fuhrwerken gebettet, als der Haupt-
mann herantrat, seinen Burschen mit einer riesigen Stalllaterne zur Seite, und
mir mit den Worten: "Leben Sie wohl, Gefreiter, und pflegen Sie Ihre Wunde
gut, daß Sie bald wieder zu uns kommen können; Sie haben sich gestern sehr gut
benommen!" die Hand reichte. Der Unteroffizier der Dragoncreskvrte komman¬
dierte: "Marsch!" die Wagenreihe setzte sich in Bewegung und fuhr rasselnd ans
dem Dorf. Es waren meist leere Wagen, die Proviant holen gingen, und einige Wagen
mit Kranken und Verwundeten. Der Stolz auf die Worte des Hauptmanns durch¬
rieselte mich wie ein stärkender Trunk. Ich faltete unwillkürlich die Hände und ge¬
lobte mir, ein guter Soldat zu bleiben und des Hauptmanns gute Meinung zu recht¬
fertigen. Im Hintergründe meldete sich freilich much etwas wie ein unbestimmtes
Bewußtsein, zu den vom Glück Begünstigten zu gehören, und die Hoffnung, künftighin
ebenso wie gestern heil wieder aufzutauchen. Ruch der dunkeln Dämmerung der
Todesuähe welch Heller Morgen, der mir heute aufging. Es wurde mir so leicht,
als träte ich eine Reise in ein schönes Land an. Zweifellos, sagte ich mir, macht
dieser Tag einen Einschnitt in deinem Soldatenleben; es war zuletzt manchmal ein¬
förmig geworden, es kann später nnr besser werden, größere Ereignisse stehn uns
bevor. Ich dachte nicht an das Lazarett vor mir, sondern an den Dienst, wenn
ich geheilt sein würde, an den Frühling, der da kommen würde, an Siege, an
Frieden. Über allem das Gefühl, "ledig aller Pflicht" in die Welt hineinzufahren!
Ich gab mich gerade wie ein Wandrer, der nichts andres will, mit weiten Sinnen
der Welt hin, bereit, mich jeder Einzelheit zu freuen.

Vom Himmel, der nicht mehr schwarz, vielleicht dunkelgrau, vielleicht mehr
dunkelblau war, blinkten uoch vereinzelte Sterne, Nachzügler der Armee von Tau¬
senden, die schon hinuntergesunken waren. Sind es neugierig Zurückgebliebne, die
die Sonne grüßen wollen? Sie werden warten müssen, denn noch ist der östliche
Horizont so dunkel wie der westliche. Vielleicht ist dieser feuchte Hauch, der mir
nun übers Gesicht streicht, der erste weit vorauseilende Bote, das letzte Auszittern
des Frendenstrudels, den weit, weit im Osten die ersten Sonnenstrahlen im Luft¬
meer aufrühren. Ju den Lärchen am Wegrand werden nnn die äußersten schwanken
Zweige lebendig, rauschen wie im Traum in derselben Luftwelle, die much berührt
hat. Diese klare, frische Luft fühlte ich an den Haaren, mit denen sie spielte, um
der Stirn, die sie umfächelte, fast schneidend beim Einatmen in Mund und Nase,
und es war mir, als spüle sie aufrüttelnd und erleichternd den Körper entlang-
Es lag so viel Verheißung in diesem Morgen. Was wird die hehre Sonne alles
mit sich heraufführen?


Im Lci^arotl

Selten bin ich so frisch und froh, so fromm und freudig aufgewacht als an
dem Morgen nach meiner Verwundung, Man hatte mich in ein reines Bett im
Oberstock des kleinen Schulhauses gelegt, die Wunde war fest verbunden, schmerzte
nicht, und Fieber hatte sich noch nicht eingestellt. Das Gefühl, so hart am Tode
vorbeigegangen zu sein und nach menschlichem Ermessen das Leben zu behalten,
erfüllte mein Herz mit Dank und mit frohen Gedanken an meine Lieben, ich hoffte,
daß sie eine Karte über diese Nffäre uoch vor der amtlichen Verlustliste erhalte»
würden. Eine Tasse heißer Milch, die man mir reichte, erfüllte mich mit einem
Wohlbehagen, wie ich es nie gefühlt zu haben glaubte. Die Mediziner sagen, das
sei die Folge eines starken Blutverlustes, und es war in der Tat etwas von wohl¬
tuender Schwäche darin, der der Schlaf jede Minute willkommen ist. Ich dämmerte
so dahin, als der Wagen gemeldet wurde, brachte es trotz einiger Benommenheit
dahin, mich ohne Hilfe anzuziehn und den Weg die Treppe hinabznsinden.

Unten hielten ans der dunkeln Straße einige von den französischen Leiterwagen,
die mir von Wagcnpatronilleu her in guter Erinnerung waren; wir Jnfanteristen,
die in der Regel ans den Scitenleitern Platz zu nehmen hatten, hieben die vor¬
ragenden Teile der Sprossen ab, und daran mögen Wagen, die in unsrer Venntzuug
gewesen waren, noch nach Jahren zu erkennen gewesen sein. Ich hatte mich
noch nicht ans das Stroh eines von diesen Fuhrwerken gebettet, als der Haupt-
mann herantrat, seinen Burschen mit einer riesigen Stalllaterne zur Seite, und
mir mit den Worten: „Leben Sie wohl, Gefreiter, und pflegen Sie Ihre Wunde
gut, daß Sie bald wieder zu uns kommen können; Sie haben sich gestern sehr gut
benommen!" die Hand reichte. Der Unteroffizier der Dragoncreskvrte komman¬
dierte: „Marsch!" die Wagenreihe setzte sich in Bewegung und fuhr rasselnd ans
dem Dorf. Es waren meist leere Wagen, die Proviant holen gingen, und einige Wagen
mit Kranken und Verwundeten. Der Stolz auf die Worte des Hauptmanns durch¬
rieselte mich wie ein stärkender Trunk. Ich faltete unwillkürlich die Hände und ge¬
lobte mir, ein guter Soldat zu bleiben und des Hauptmanns gute Meinung zu recht¬
fertigen. Im Hintergründe meldete sich freilich much etwas wie ein unbestimmtes
Bewußtsein, zu den vom Glück Begünstigten zu gehören, und die Hoffnung, künftighin
ebenso wie gestern heil wieder aufzutauchen. Ruch der dunkeln Dämmerung der
Todesuähe welch Heller Morgen, der mir heute aufging. Es wurde mir so leicht,
als träte ich eine Reise in ein schönes Land an. Zweifellos, sagte ich mir, macht
dieser Tag einen Einschnitt in deinem Soldatenleben; es war zuletzt manchmal ein¬
förmig geworden, es kann später nnr besser werden, größere Ereignisse stehn uns
bevor. Ich dachte nicht an das Lazarett vor mir, sondern an den Dienst, wenn
ich geheilt sein würde, an den Frühling, der da kommen würde, an Siege, an
Frieden. Über allem das Gefühl, „ledig aller Pflicht" in die Welt hineinzufahren!
Ich gab mich gerade wie ein Wandrer, der nichts andres will, mit weiten Sinnen
der Welt hin, bereit, mich jeder Einzelheit zu freuen.

Vom Himmel, der nicht mehr schwarz, vielleicht dunkelgrau, vielleicht mehr
dunkelblau war, blinkten uoch vereinzelte Sterne, Nachzügler der Armee von Tau¬
senden, die schon hinuntergesunken waren. Sind es neugierig Zurückgebliebne, die
die Sonne grüßen wollen? Sie werden warten müssen, denn noch ist der östliche
Horizont so dunkel wie der westliche. Vielleicht ist dieser feuchte Hauch, der mir
nun übers Gesicht streicht, der erste weit vorauseilende Bote, das letzte Auszittern
des Frendenstrudels, den weit, weit im Osten die ersten Sonnenstrahlen im Luft¬
meer aufrühren. Ju den Lärchen am Wegrand werden nnn die äußersten schwanken
Zweige lebendig, rauschen wie im Traum in derselben Luftwelle, die much berührt
hat. Diese klare, frische Luft fühlte ich an den Haaren, mit denen sie spielte, um
der Stirn, die sie umfächelte, fast schneidend beim Einatmen in Mund und Nase,
und es war mir, als spüle sie aufrüttelnd und erleichternd den Körper entlang-
Es lag so viel Verheißung in diesem Morgen. Was wird die hehre Sonne alles
mit sich heraufführen?


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[0162] Im Lci^arotl Selten bin ich so frisch und froh, so fromm und freudig aufgewacht als an dem Morgen nach meiner Verwundung, Man hatte mich in ein reines Bett im Oberstock des kleinen Schulhauses gelegt, die Wunde war fest verbunden, schmerzte nicht, und Fieber hatte sich noch nicht eingestellt. Das Gefühl, so hart am Tode vorbeigegangen zu sein und nach menschlichem Ermessen das Leben zu behalten, erfüllte mein Herz mit Dank und mit frohen Gedanken an meine Lieben, ich hoffte, daß sie eine Karte über diese Nffäre uoch vor der amtlichen Verlustliste erhalte» würden. Eine Tasse heißer Milch, die man mir reichte, erfüllte mich mit einem Wohlbehagen, wie ich es nie gefühlt zu haben glaubte. Die Mediziner sagen, das sei die Folge eines starken Blutverlustes, und es war in der Tat etwas von wohl¬ tuender Schwäche darin, der der Schlaf jede Minute willkommen ist. Ich dämmerte so dahin, als der Wagen gemeldet wurde, brachte es trotz einiger Benommenheit dahin, mich ohne Hilfe anzuziehn und den Weg die Treppe hinabznsinden. Unten hielten ans der dunkeln Straße einige von den französischen Leiterwagen, die mir von Wagcnpatronilleu her in guter Erinnerung waren; wir Jnfanteristen, die in der Regel ans den Scitenleitern Platz zu nehmen hatten, hieben die vor¬ ragenden Teile der Sprossen ab, und daran mögen Wagen, die in unsrer Venntzuug gewesen waren, noch nach Jahren zu erkennen gewesen sein. Ich hatte mich noch nicht ans das Stroh eines von diesen Fuhrwerken gebettet, als der Haupt- mann herantrat, seinen Burschen mit einer riesigen Stalllaterne zur Seite, und mir mit den Worten: „Leben Sie wohl, Gefreiter, und pflegen Sie Ihre Wunde gut, daß Sie bald wieder zu uns kommen können; Sie haben sich gestern sehr gut benommen!" die Hand reichte. Der Unteroffizier der Dragoncreskvrte komman¬ dierte: „Marsch!" die Wagenreihe setzte sich in Bewegung und fuhr rasselnd ans dem Dorf. Es waren meist leere Wagen, die Proviant holen gingen, und einige Wagen mit Kranken und Verwundeten. Der Stolz auf die Worte des Hauptmanns durch¬ rieselte mich wie ein stärkender Trunk. Ich faltete unwillkürlich die Hände und ge¬ lobte mir, ein guter Soldat zu bleiben und des Hauptmanns gute Meinung zu recht¬ fertigen. Im Hintergründe meldete sich freilich much etwas wie ein unbestimmtes Bewußtsein, zu den vom Glück Begünstigten zu gehören, und die Hoffnung, künftighin ebenso wie gestern heil wieder aufzutauchen. Ruch der dunkeln Dämmerung der Todesuähe welch Heller Morgen, der mir heute aufging. Es wurde mir so leicht, als träte ich eine Reise in ein schönes Land an. Zweifellos, sagte ich mir, macht dieser Tag einen Einschnitt in deinem Soldatenleben; es war zuletzt manchmal ein¬ förmig geworden, es kann später nnr besser werden, größere Ereignisse stehn uns bevor. Ich dachte nicht an das Lazarett vor mir, sondern an den Dienst, wenn ich geheilt sein würde, an den Frühling, der da kommen würde, an Siege, an Frieden. Über allem das Gefühl, „ledig aller Pflicht" in die Welt hineinzufahren! Ich gab mich gerade wie ein Wandrer, der nichts andres will, mit weiten Sinnen der Welt hin, bereit, mich jeder Einzelheit zu freuen. Vom Himmel, der nicht mehr schwarz, vielleicht dunkelgrau, vielleicht mehr dunkelblau war, blinkten uoch vereinzelte Sterne, Nachzügler der Armee von Tau¬ senden, die schon hinuntergesunken waren. Sind es neugierig Zurückgebliebne, die die Sonne grüßen wollen? Sie werden warten müssen, denn noch ist der östliche Horizont so dunkel wie der westliche. Vielleicht ist dieser feuchte Hauch, der mir nun übers Gesicht streicht, der erste weit vorauseilende Bote, das letzte Auszittern des Frendenstrudels, den weit, weit im Osten die ersten Sonnenstrahlen im Luft¬ meer aufrühren. Ju den Lärchen am Wegrand werden nnn die äußersten schwanken Zweige lebendig, rauschen wie im Traum in derselben Luftwelle, die much berührt hat. Diese klare, frische Luft fühlte ich an den Haaren, mit denen sie spielte, um der Stirn, die sie umfächelte, fast schneidend beim Einatmen in Mund und Nase, und es war mir, als spüle sie aufrüttelnd und erleichternd den Körper entlang- Es lag so viel Verheißung in diesem Morgen. Was wird die hehre Sonne alles mit sich heraufführen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/162>, abgerufen am 22.07.2024.