Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Feuer! Wenn ich Sie bitte, Wassili! Er stand widerwillig auf, kramte eine Weile im Nebenzimmer und kam mit Ja, sie war die Hauptperson auf dem Bilde. Sie war als Bacchantin dar¬ Burin betrachtete mich ernst und prüfend, während ich mich in das Bild ver¬ Die Satyrn sind Porträts der Offiziere, die ich in den ersten Tagen sah, Auch Guido besuchte sie damals? Nein. Ich hörte nur oder hatte vielmehr vordem gehört, daß er ebenfalls Sagen Sie mir, Wassili, wurden Sie bei dein Entwerfen des Bildes von Nun ja, sagte er gedehnt, wie ja jedes Bild aus einer Idee entstehn muß. Nein, ich meine, ist in dem Bild Ihr Urteil über Marja Jwnnowna aus¬ Er riß am Schurrbarte. Wer A gesagt hat, soll vor dem B nicht zurückschrecken. Ich will Ihnen die Es war dasselbe Bild, dieselbe Gruppierung der Personen, derselbe Ausdruck Wassili! rief ich entsetzt, ist das Ihr Urteil über die Ssawinski! N--ein, sagte er bedächtig. Das Bild ist entstanden, als sie mit der Mutter Von Burin war also auch kein Trost und keine Aufklärung zu holen. Ich Feuer! Wenn ich Sie bitte, Wassili! Er stand widerwillig auf, kramte eine Weile im Nebenzimmer und kam mit Ja, sie war die Hauptperson auf dem Bilde. Sie war als Bacchantin dar¬ Burin betrachtete mich ernst und prüfend, während ich mich in das Bild ver¬ Die Satyrn sind Porträts der Offiziere, die ich in den ersten Tagen sah, Auch Guido besuchte sie damals? Nein. Ich hörte nur oder hatte vielmehr vordem gehört, daß er ebenfalls Sagen Sie mir, Wassili, wurden Sie bei dein Entwerfen des Bildes von Nun ja, sagte er gedehnt, wie ja jedes Bild aus einer Idee entstehn muß. Nein, ich meine, ist in dem Bild Ihr Urteil über Marja Jwnnowna aus¬ Er riß am Schurrbarte. Wer A gesagt hat, soll vor dem B nicht zurückschrecken. Ich will Ihnen die Es war dasselbe Bild, dieselbe Gruppierung der Personen, derselbe Ausdruck Wassili! rief ich entsetzt, ist das Ihr Urteil über die Ssawinski! N—ein, sagte er bedächtig. Das Bild ist entstanden, als sie mit der Mutter Von Burin war also auch kein Trost und keine Aufklärung zu holen. Ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240492"/> <fw type="header" place="top"> Feuer!</fw><lb/> <p xml:id="ID_569"> Wenn ich Sie bitte, Wassili!</p><lb/> <p xml:id="ID_570"> Er stand widerwillig auf, kramte eine Weile im Nebenzimmer und kam mit<lb/> einem großen Velinbogen zurück, den er schweigend vor mich ans den Tisch legte.</p><lb/> <p xml:id="ID_571"> Ja, sie war die Hauptperson auf dem Bilde. Sie war als Bacchantin dar¬<lb/> gestellt, halbnackt, trunken, wollüstig. Sie tanzte. Sie sah sinnverwirrend schön<lb/> aus. Um sie herum hüpften und sprangen in den ungeschicktesten Stellungen ebenso<lb/> trnnknc Satyrn, in deren Gesichtern und Augen sich die gröbste Sinnlichkeit kund¬<lb/> gab. Ich konnte eine» Ausruf nicht unterdrücken und lachte laut auf, deun der<lb/> hagere, steifbeinige Faun, der seitab im Gebüsch einen Sprung versuchte und init<lb/> den tierisch lüsternen Angen das tanzende Weib zu verschlingen schien, war ein ge¬<lb/> lungnes Konterfei meines Kollegen Guido.</p><lb/> <p xml:id="ID_572"> Burin betrachtete mich ernst und prüfend, während ich mich in das Bild ver¬<lb/> tiefte, wobei mein Blick sich nur auf Sekunden von der Hauptfigur entfernte. Was<lb/> waren die Abbildungen klassischer Schönheiten, die ich bis dahin gesehen hatte, was<lb/> war die Venus der Medici gegen dieses vollendete, in den kleinsten Einzelheiten<lb/> vollkommne Weib!</p><lb/> <p xml:id="ID_573"> Die Satyrn sind Porträts der Offiziere, die ich in den ersten Tagen sah,<lb/> nachdem die Ssawinskis bei der Schtschepiu eingezogen waren, erklärte Wassili.<lb/> Gleich darauf wurde die Brigade versetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_574"> Auch Guido besuchte sie damals?</p><lb/> <p xml:id="ID_575"> Nein. Ich hörte nur oder hatte vielmehr vordem gehört, daß er ebenfalls<lb/> uuter den Verehrern gewesen sei, und brachte ihn zur Vervollständigung an.</p><lb/> <p xml:id="ID_576"> Sagen Sie mir, Wassili, wurden Sie bei dein Entwerfen des Bildes von<lb/> einer Idee geleitet?</p><lb/> <p xml:id="ID_577"> Nun ja, sagte er gedehnt, wie ja jedes Bild aus einer Idee entstehn muß.<lb/> Die Gestalten, die Gesichter, sie paßten so zu dem mythischen Thema. Der Hang<lb/> des Militärs zu überlauter Fröhlichkeit, zu Tanz und Gesang und . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_578"> Nein, ich meine, ist in dem Bild Ihr Urteil über Marja Jwnnowna aus¬<lb/> gedrückt?</p><lb/> <p xml:id="ID_579"> Er riß am Schurrbarte.</p><lb/> <p xml:id="ID_580"> Wer A gesagt hat, soll vor dem B nicht zurückschrecken. Ich will Ihnen die<lb/> Szene in andrer Auffassung vorführen, ohne den Mantel klassischer Beschönigung.<lb/> Er holte einen zweiten Bogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_581"> Es war dasselbe Bild, dieselbe Gruppierung der Personen, derselbe Ausdruck<lb/> in den Gesichtern, aber — es war eine Hundegesellschaft. Die schlanke, unge¬<lb/> wöhnlich schöne Hündin von gemischter Rasse, halb Ulmer Dogge, halb kraus¬<lb/> haariger Wasserhund, in der Mitte, die stattlichen gestreiften Doggen umher, der<lb/> lahmbeinige, magre Fleischerhund, der aus dem Busche hervvrlngte — es waren<lb/> alles überaus gelungne Zeichnungen von der Ähnlichkeit in den Gesichtern bis zu<lb/> dem wollüstigen, selbstgefälligen Zuge in den Augen der Hauptfigur, der bestialischer<lb/> Wut in denen der Doggen und der teuflischen Mißgunst in denen des Köders im<lb/> Busche. Es war eine als Hnndegrnppe unnachahmlich wahrheitgetreue, als Allegorie<lb/> unaussprechlich entwürdigende Szene.</p><lb/> <p xml:id="ID_582"> Wassili! rief ich entsetzt, ist das Ihr Urteil über die Ssawinski!</p><lb/> <p xml:id="ID_583"> N—ein, sagte er bedächtig. 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Feuer!
Wenn ich Sie bitte, Wassili!
Er stand widerwillig auf, kramte eine Weile im Nebenzimmer und kam mit
einem großen Velinbogen zurück, den er schweigend vor mich ans den Tisch legte.
Ja, sie war die Hauptperson auf dem Bilde. Sie war als Bacchantin dar¬
gestellt, halbnackt, trunken, wollüstig. Sie tanzte. Sie sah sinnverwirrend schön
aus. Um sie herum hüpften und sprangen in den ungeschicktesten Stellungen ebenso
trnnknc Satyrn, in deren Gesichtern und Augen sich die gröbste Sinnlichkeit kund¬
gab. Ich konnte eine» Ausruf nicht unterdrücken und lachte laut auf, deun der
hagere, steifbeinige Faun, der seitab im Gebüsch einen Sprung versuchte und init
den tierisch lüsternen Angen das tanzende Weib zu verschlingen schien, war ein ge¬
lungnes Konterfei meines Kollegen Guido.
Burin betrachtete mich ernst und prüfend, während ich mich in das Bild ver¬
tiefte, wobei mein Blick sich nur auf Sekunden von der Hauptfigur entfernte. Was
waren die Abbildungen klassischer Schönheiten, die ich bis dahin gesehen hatte, was
war die Venus der Medici gegen dieses vollendete, in den kleinsten Einzelheiten
vollkommne Weib!
Die Satyrn sind Porträts der Offiziere, die ich in den ersten Tagen sah,
nachdem die Ssawinskis bei der Schtschepiu eingezogen waren, erklärte Wassili.
Gleich darauf wurde die Brigade versetzt.
Auch Guido besuchte sie damals?
Nein. Ich hörte nur oder hatte vielmehr vordem gehört, daß er ebenfalls
uuter den Verehrern gewesen sei, und brachte ihn zur Vervollständigung an.
Sagen Sie mir, Wassili, wurden Sie bei dein Entwerfen des Bildes von
einer Idee geleitet?
Nun ja, sagte er gedehnt, wie ja jedes Bild aus einer Idee entstehn muß.
Die Gestalten, die Gesichter, sie paßten so zu dem mythischen Thema. Der Hang
des Militärs zu überlauter Fröhlichkeit, zu Tanz und Gesang und . . .
Nein, ich meine, ist in dem Bild Ihr Urteil über Marja Jwnnowna aus¬
gedrückt?
Er riß am Schurrbarte.
Wer A gesagt hat, soll vor dem B nicht zurückschrecken. Ich will Ihnen die
Szene in andrer Auffassung vorführen, ohne den Mantel klassischer Beschönigung.
Er holte einen zweiten Bogen.
Es war dasselbe Bild, dieselbe Gruppierung der Personen, derselbe Ausdruck
in den Gesichtern, aber — es war eine Hundegesellschaft. Die schlanke, unge¬
wöhnlich schöne Hündin von gemischter Rasse, halb Ulmer Dogge, halb kraus¬
haariger Wasserhund, in der Mitte, die stattlichen gestreiften Doggen umher, der
lahmbeinige, magre Fleischerhund, der aus dem Busche hervvrlngte — es waren
alles überaus gelungne Zeichnungen von der Ähnlichkeit in den Gesichtern bis zu
dem wollüstigen, selbstgefälligen Zuge in den Augen der Hauptfigur, der bestialischer
Wut in denen der Doggen und der teuflischen Mißgunst in denen des Köders im
Busche. Es war eine als Hnndegrnppe unnachahmlich wahrheitgetreue, als Allegorie
unaussprechlich entwürdigende Szene.
Wassili! rief ich entsetzt, ist das Ihr Urteil über die Ssawinski!
N—ein, sagte er bedächtig. Das Bild ist entstanden, als sie mit der Mutter
eben eingezogen war, und ich mich mehrere Tage über das beständige Vvrüber-
laufcn der Offiziere an meinen Fenstern ärgerte, da ich durch ihr lantes Lachen
oder vielmehr Wiehern und Schreien gestört wurde. Als das Militär weg war,
habe ich nichts als Gutes bemerkt, genauer beobachtet und die Bacchantin als Ver¬
besserung und Milderung gezeichnet.
Von Burin war also auch kein Trost und keine Aufklärung zu holen. Ich
quälte mich noch einige Tage und konnte mich endlich nicht mehr überwinden. Ich
ging in der Abenddämmerung zu den Ssawinskis. Der Entschluß bewirkte, daß
ich mich erleichtert fühlte. Ich machte mir unterwegs sogar Vorwürfe, daß ich so
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