Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.vom Hohenstaufen zum Hohenzollern Es sind treuherzige, kernige Menschen, die dein Fußwandrer freundlich ent¬ Die Volkstracht verschwindet leider auch hier, wie Wohl meist in Deutsch¬ Daneben herrscht aber eine große Anhänglichkeit an das Altgewohnte und vom Hohenstaufen zum Hohenzollern Es sind treuherzige, kernige Menschen, die dein Fußwandrer freundlich ent¬ Die Volkstracht verschwindet leider auch hier, wie Wohl meist in Deutsch¬ Daneben herrscht aber eine große Anhänglichkeit an das Altgewohnte und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240482"/> <fw type="header" place="top"> vom Hohenstaufen zum Hohenzollern</fw><lb/> <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513"> Es sind treuherzige, kernige Menschen, die dein Fußwandrer freundlich ent¬<lb/> gegenkommen und z. B, auch als Begleiter zu einem längern Wege gern<lb/> bereit sind, wenn man um Auskunft fragt. Eine kleine Schwierigkeit, die sich<lb/> der Landbevölkerung gegenüber anfangs ergibt, der stark ausgesprvchne Dialekt,<lb/> ist schnell überwunden; der norddeutsche wird dort überall verstanden, aber<lb/> er wird sich auch selbst bald an die dortige Ausdrucksweise gewöhnen Das<lb/> Eigentümliche des Dialekts liegt in dein breit betonten „fest" statt se, der häufigen<lb/> Endsilbe „le" und der Aussprache der Doppellaute, besonders des „el," was viel¬<lb/> fach wie ol oder va klingt. Für die frische Ursprünglichkeit der Einwohner<lb/> bezeichnend sind manche Redewendungen, besonders solche, die sich an die<lb/> Naturbeobachtung anschließen, sowie daß man manche Sprichwörter noch im<lb/> Volksmnnde findet, die man sonst nnr in Büchern liest, z. B,: Mir ist so<lb/> wohl, als wie dem Spatz im Hanfsamen. Für einen unverhofften Glücksfall<lb/> braucht man wohl überall das derbe Wort: Ein gefnndues Fressen, was man<lb/> mich hier hört; daneben wird der Ausdruck gebraucht: A g'nahes Wichte, in<lb/> dem Sinne, daß man eine beabsichtigte Arbeit schon getan oder gegen Er¬<lb/> warten leicht beendet findet. Sehr drastisch war auch die Antwort eines Bauern<lb/> auf die Frage, wie es denn im Winter auf der Alb sei, nämlich: So kalt,<lb/> daß einem 's Vater unser im Maul g'friert. Anmutend klingt der Gruß:<lb/> Grüß Gott! der einem überall, besonders von der Jugend zugerufen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_515"> Die Volkstracht verschwindet leider auch hier, wie Wohl meist in Deutsch¬<lb/> land, mehr und mehr; doch sieht man sie noch an einzelnen Stellen, so z. B.<lb/> zwischen Nentlingen und Tübingen, wo sie den hohen schlanken Mädchen-<lb/> gestalten sehr gut steht. Man kann überhaupt die Beobachtung machen, daß<lb/> es ein schöner Menschenschlag ist, der diese schwäbischen Gaue bewohnt; und<lb/> zwar ist es eine Eigentümlichkeit, daß der weibliche Teil meist hochgewnchseu<lb/> ist, die Müuner dagegen mehr von gedrungner Gestalt sind, während z. B.<lb/> in dem angrenzenden Schwarzwald das Verhältnis umgekehrt ist. Wenn man<lb/> mit den Männern ins Gespräch kommt, muß es einem auffallen, wie richtige<lb/> und vernünftige Ansichten über öffentliche Angelegenheiten, besonders auch in<lb/> nationalen Fragen, man meist zu hören bekommt; es mag einerseits eine Folge<lb/> der Volksschule sein, deren Leistungen sich anch in der sehr geringen Zahl der<lb/> Analphabeten zeigen, andrerseits zeugt es doch auch von eignem Nachdenken.<lb/> Das Bild verschiebt sich allerdings ein wenig, wenn dabei mehrere zugegen<lb/> sind. Da muß man die Erfahrung machen, die man ja in allen demokratische»<lb/> Ländern macht, daß der Einzelne vor allem Wert darauf legt, mit dem, was<lb/> als allgemeine Meinung gilt, nicht in Widerspruch zu stehn. Denn demo¬<lb/> kratisch, aber meist im guten Sinne des Wortes, ist man dort offenbar fast<lb/> durchweg; und der Geist, der sich gerade in diesen Gegenden im Bauernkriege<lb/> so stark geltend machte, ist auch jetzt noch dort rege, mag man ihn Opposition<lb/> und Neigung zur Kritik oder Freiheitsdrang und Nackensteifheit nennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_516" next="#ID_517"> Daneben herrscht aber eine große Anhänglichkeit an das Altgewohnte und<lb/> Altbewährte, und das gibt dem demokratischen Geiste ein gewisses Gegengewicht.<lb/> Wenn dies von, allen Bewohnern der Alb, die zweifellos ein einheitlicher<lb/> Volksstamm sind, gleichmüßig gilt, so zeigen sich daneben in den einzelnen<lb/> Landstrichen doch sehr starke Verschiedenheiten. Zunächst machen sich diese</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
vom Hohenstaufen zum Hohenzollern
Es sind treuherzige, kernige Menschen, die dein Fußwandrer freundlich ent¬
gegenkommen und z. B, auch als Begleiter zu einem längern Wege gern
bereit sind, wenn man um Auskunft fragt. Eine kleine Schwierigkeit, die sich
der Landbevölkerung gegenüber anfangs ergibt, der stark ausgesprvchne Dialekt,
ist schnell überwunden; der norddeutsche wird dort überall verstanden, aber
er wird sich auch selbst bald an die dortige Ausdrucksweise gewöhnen Das
Eigentümliche des Dialekts liegt in dein breit betonten „fest" statt se, der häufigen
Endsilbe „le" und der Aussprache der Doppellaute, besonders des „el," was viel¬
fach wie ol oder va klingt. Für die frische Ursprünglichkeit der Einwohner
bezeichnend sind manche Redewendungen, besonders solche, die sich an die
Naturbeobachtung anschließen, sowie daß man manche Sprichwörter noch im
Volksmnnde findet, die man sonst nnr in Büchern liest, z. B,: Mir ist so
wohl, als wie dem Spatz im Hanfsamen. Für einen unverhofften Glücksfall
braucht man wohl überall das derbe Wort: Ein gefnndues Fressen, was man
mich hier hört; daneben wird der Ausdruck gebraucht: A g'nahes Wichte, in
dem Sinne, daß man eine beabsichtigte Arbeit schon getan oder gegen Er¬
warten leicht beendet findet. Sehr drastisch war auch die Antwort eines Bauern
auf die Frage, wie es denn im Winter auf der Alb sei, nämlich: So kalt,
daß einem 's Vater unser im Maul g'friert. Anmutend klingt der Gruß:
Grüß Gott! der einem überall, besonders von der Jugend zugerufen wird.
Die Volkstracht verschwindet leider auch hier, wie Wohl meist in Deutsch¬
land, mehr und mehr; doch sieht man sie noch an einzelnen Stellen, so z. B.
zwischen Nentlingen und Tübingen, wo sie den hohen schlanken Mädchen-
gestalten sehr gut steht. Man kann überhaupt die Beobachtung machen, daß
es ein schöner Menschenschlag ist, der diese schwäbischen Gaue bewohnt; und
zwar ist es eine Eigentümlichkeit, daß der weibliche Teil meist hochgewnchseu
ist, die Müuner dagegen mehr von gedrungner Gestalt sind, während z. B.
in dem angrenzenden Schwarzwald das Verhältnis umgekehrt ist. Wenn man
mit den Männern ins Gespräch kommt, muß es einem auffallen, wie richtige
und vernünftige Ansichten über öffentliche Angelegenheiten, besonders auch in
nationalen Fragen, man meist zu hören bekommt; es mag einerseits eine Folge
der Volksschule sein, deren Leistungen sich anch in der sehr geringen Zahl der
Analphabeten zeigen, andrerseits zeugt es doch auch von eignem Nachdenken.
Das Bild verschiebt sich allerdings ein wenig, wenn dabei mehrere zugegen
sind. Da muß man die Erfahrung machen, die man ja in allen demokratische»
Ländern macht, daß der Einzelne vor allem Wert darauf legt, mit dem, was
als allgemeine Meinung gilt, nicht in Widerspruch zu stehn. Denn demo¬
kratisch, aber meist im guten Sinne des Wortes, ist man dort offenbar fast
durchweg; und der Geist, der sich gerade in diesen Gegenden im Bauernkriege
so stark geltend machte, ist auch jetzt noch dort rege, mag man ihn Opposition
und Neigung zur Kritik oder Freiheitsdrang und Nackensteifheit nennen.
Daneben herrscht aber eine große Anhänglichkeit an das Altgewohnte und
Altbewährte, und das gibt dem demokratischen Geiste ein gewisses Gegengewicht.
Wenn dies von, allen Bewohnern der Alb, die zweifellos ein einheitlicher
Volksstamm sind, gleichmüßig gilt, so zeigen sich daneben in den einzelnen
Landstrichen doch sehr starke Verschiedenheiten. Zunächst machen sich diese
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