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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Literaturen der Hebräer und der Babylonier
Ein Beitrag zu ihrer kulturgeschichtlichen Würdigung*)
<Ld. König i vonn

le vergangnen Jahrhunderte entbehrten der direkten Nachrichten
über die Kultur der Babylonier keineswegs ganz. Berossos, ein
Babylonier und Priester des Gottes Bel, hat um 280 v. Chr.
"drei Bücher chaldüischer Geschichte" geschrieben, und von diesem
Werke sind uns wenigstens Bruchstücke erhalten. Diese waren
freilich nur geeignet, eine brennende Sehnsucht nach dem Besitz der Original¬
quellen zu wecken, die jenem Mitgliede des chaldäischen Priesterstandes nach
dem Zeugnis des Altertums noch zugänglich gewesen waren. Jahrhunderte¬
lang sollte der Durst nach diesem Quellwasser ungestillt bleiben. Da wurde
endlich um das Jahr 1800 der erste Ziegelstein mit keilartigen Schriftzügen --
nicht gefunden -- das war gewiß schon längst geschehn --, aber beachtet,
und indem die von Grotefend (1802) sicher begründete Entzifferung der alt¬
persischen Keilinschriften auf die babylonisch-assyrischen Keilschriftdenkmäler über¬
tragen wurde, konnte endlich zur Herausgabe einer deutschen Übersetzung der
wesentlichsten Teile der zuletzt erwähnten Literatur geschritten werden (1889
bis 1900 ff.). So öffnete sich eine neue Lichtquelle für die Geschichte Vorder¬
asiens, deren Darstellung bis dahin zu einem guten Teile vom althebräischen
Schrifttum beherrscht worden war.

Es war freilich nicht das erstemal, daß eine andre Literatur dem hebräischen
Schrifttum entgegentrat und zur Vergleichung mit ihm aufforderte. Das Alte
und das Neue Testament sind ja einstmals in griechischer Gestalt der helle¬
nischen und römischen Literatur an die Seite getreten und haben durch die
Felsenfestigkeit und Erhabenheit der in ihnen verkündigten religiösen Über¬
zeugung, durch die himmlische Glut der in ihnen flammenden Gottes- und
Bruderliebe und durch die emporreißende Gewalt der in ihnen eröffneten Hoff¬
nung auch der altklassischeu Literatur den Rang abgelaufen. Dann wagte es
Mohammed, der Bibel die 114 Suren seines Qor'an entgegenzustellen, aber
dem geistdurchströmten Vorbilde konnte es nicht schwer fallen, das von Sinn¬
lichkeit triefende Nachbild in den Schatten zu stellen. Dem brennenden
Forschungseifer Anquetils du Perron war es vorbehalten, in den Jahren
1771 bis 1774 die erste Übersetzung des Zendavesta, des Religionsbuchs der
Perser, zu veröffentlichen. Als dann 1799 in Ägypten bei einem Schanzen¬
bau vom Jngenieurleutnant Bouchard ein mit ägyptischen und griechischen



*) Gedankengang eines Aortrags, der am 1. Februar in Gegenwart Ihrer Königliche"
Hoheit der Frau Großherzogin von Oldenburg gehalten worden ist.


Die Literaturen der Hebräer und der Babylonier
Ein Beitrag zu ihrer kulturgeschichtlichen Würdigung*)
<Ld. König i vonn

le vergangnen Jahrhunderte entbehrten der direkten Nachrichten
über die Kultur der Babylonier keineswegs ganz. Berossos, ein
Babylonier und Priester des Gottes Bel, hat um 280 v. Chr.
„drei Bücher chaldüischer Geschichte" geschrieben, und von diesem
Werke sind uns wenigstens Bruchstücke erhalten. Diese waren
freilich nur geeignet, eine brennende Sehnsucht nach dem Besitz der Original¬
quellen zu wecken, die jenem Mitgliede des chaldäischen Priesterstandes nach
dem Zeugnis des Altertums noch zugänglich gewesen waren. Jahrhunderte¬
lang sollte der Durst nach diesem Quellwasser ungestillt bleiben. Da wurde
endlich um das Jahr 1800 der erste Ziegelstein mit keilartigen Schriftzügen —
nicht gefunden — das war gewiß schon längst geschehn —, aber beachtet,
und indem die von Grotefend (1802) sicher begründete Entzifferung der alt¬
persischen Keilinschriften auf die babylonisch-assyrischen Keilschriftdenkmäler über¬
tragen wurde, konnte endlich zur Herausgabe einer deutschen Übersetzung der
wesentlichsten Teile der zuletzt erwähnten Literatur geschritten werden (1889
bis 1900 ff.). So öffnete sich eine neue Lichtquelle für die Geschichte Vorder¬
asiens, deren Darstellung bis dahin zu einem guten Teile vom althebräischen
Schrifttum beherrscht worden war.

Es war freilich nicht das erstemal, daß eine andre Literatur dem hebräischen
Schrifttum entgegentrat und zur Vergleichung mit ihm aufforderte. Das Alte
und das Neue Testament sind ja einstmals in griechischer Gestalt der helle¬
nischen und römischen Literatur an die Seite getreten und haben durch die
Felsenfestigkeit und Erhabenheit der in ihnen verkündigten religiösen Über¬
zeugung, durch die himmlische Glut der in ihnen flammenden Gottes- und
Bruderliebe und durch die emporreißende Gewalt der in ihnen eröffneten Hoff¬
nung auch der altklassischeu Literatur den Rang abgelaufen. Dann wagte es
Mohammed, der Bibel die 114 Suren seines Qor'an entgegenzustellen, aber
dem geistdurchströmten Vorbilde konnte es nicht schwer fallen, das von Sinn¬
lichkeit triefende Nachbild in den Schatten zu stellen. Dem brennenden
Forschungseifer Anquetils du Perron war es vorbehalten, in den Jahren
1771 bis 1774 die erste Übersetzung des Zendavesta, des Religionsbuchs der
Perser, zu veröffentlichen. Als dann 1799 in Ägypten bei einem Schanzen¬
bau vom Jngenieurleutnant Bouchard ein mit ägyptischen und griechischen



*) Gedankengang eines Aortrags, der am 1. Februar in Gegenwart Ihrer Königliche»
Hoheit der Frau Großherzogin von Oldenburg gehalten worden ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/796>, abgerufen am 01.09.2024.