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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Grenzen des amerikamschen Aufschwungs

betrachtet, den glänzenden Fortschritt bewundert, der diesen Landen in wenig
Jahrzehnten das zu gewinnen erlaubte, wozu wir Jahrhunderte gebraucht
haben, niemals vergessen, daß die Neue Welt auf den Schultern der Alten
steht. In Europa ist das Lehrgeld gezahlt worden für Kenntnisse und Er¬
fahrungen, die sie jetzt drüben auf weiterer Fläche, in größerer Freiheit an¬
wenden. Kerntruppen gut geschulter Landleute haben wir durch das ganze
neunzehnte Jahrhundert mich Nordamerika ziehn lassen und haben uns da¬
durch drüben die Konkurrenz großgezogen, die deu Zurückgebliebnen das Leben
verbitterte und zum immer wieder erneuten Anlaß wurde zur Auswanderung
in die Länder, wo das Land so billig und die Erträge so hoch schienen.

Ein einziges Jahrhundert hat genügt, die amerikanische Landwirtschaft zu
dem zu machen, was sie jetzt ist: zur gefährlichsten Rivalin für den Landbau
der ganzen übrigen Welt. Vor dem Unabhängigkeitskriege gegen das englische
Mutterland dominierte die Baumwollzucht des Südens weitaus vor dem Acker¬
bau des Nordens. Erst mit der Erschließung des mittlern Westens begann
die große Periode für Kvrnerbau und Viehzucht, der Siegeszug des Jankee-
farmers, der, während er im eignen Lande nach Westen vordrang, in Europa
seinen Produkten einen Markt nach dem andern unterwarf.

Es kamen hier zwei Umstünde zusammen, wie sie so günstig nie wieder
aufeinander getroffen sind: der rechte Mensch und das rechte Land. Die Ein¬
wanderung der tüchtigsten, arbeitsfrohesten, abgehärtetsten Männer aus den ge¬
sündesten und reinsten Volksstümmen der alten Kultur, und in der Neuen Welt
ein jungfräulicher Boden, der Jahrtausende auf den scharfen Pflug und die
säende Hand gewartet hatte. Braut und Bräutigam, die einander gefunden
hatten.

Man kam: das Glück, die Liebe, die Dankbarkeit versteh", die der Bauer
des alten Europas empfunden haben muß, als er in der Neuen Welt ein
zweites, größeres und freieres Vaterland fand. Besitz eines Stückes Land,
einer "Heimstätte," die Möglichkeit, sich durch seiner Hände Werk das Leben
zu verdienen, das war ja von jeher der Traum des Jndogermnnen, die Feuer-
funke, der er nachgezogen ist durch die Steppen Asiens über die Gebirge und
die Ströme Europas, über die Nordsee und schließlich über den Ozean. Hier
endlich fand der Deutsche, der Nordländer von Skandinaviens, Dänemarks,
Finnlands Küste, der Schweizer, der Schotte, was ihnen im engen Enropa
so oft verkümmert worden war, in Hülle und Fülle. Hier war er nicht mehr
der verachtete Bauer oder Tagelöhner, hier schien er genau das wert zu sein,
was er leisten konnte. Die Gesetzgebung drückte ihn nicht, sondern suchte ihn
zu begünstigen; denn er war in diesem neuen Lande ein wichtiger Pionier
der Kultur. In seinen starken Händen ruhte die Erschließung der Boden¬
schätze. Von seinem Fleiße hing die Ernährung einer rapid wachsenden Be¬
völkerung ub. Er zog die Herden groß und schuf die Ernten, mit denen
man das Gold des Auslandes an sich zog. Die Eisenbahngesellschaften kamen
ihm entgegen, denn nur zu gut wußte der Unternehmer, daß der Landmann
sein bester Kunde sein würde. Es entstand eine gegenseitige Befruchtung; der
Schienenstrang wurde dorthin gelegt, wo der Ansiedler sich niedergelassen hatte,


Die Grenzen des amerikamschen Aufschwungs

betrachtet, den glänzenden Fortschritt bewundert, der diesen Landen in wenig
Jahrzehnten das zu gewinnen erlaubte, wozu wir Jahrhunderte gebraucht
haben, niemals vergessen, daß die Neue Welt auf den Schultern der Alten
steht. In Europa ist das Lehrgeld gezahlt worden für Kenntnisse und Er¬
fahrungen, die sie jetzt drüben auf weiterer Fläche, in größerer Freiheit an¬
wenden. Kerntruppen gut geschulter Landleute haben wir durch das ganze
neunzehnte Jahrhundert mich Nordamerika ziehn lassen und haben uns da¬
durch drüben die Konkurrenz großgezogen, die deu Zurückgebliebnen das Leben
verbitterte und zum immer wieder erneuten Anlaß wurde zur Auswanderung
in die Länder, wo das Land so billig und die Erträge so hoch schienen.

Ein einziges Jahrhundert hat genügt, die amerikanische Landwirtschaft zu
dem zu machen, was sie jetzt ist: zur gefährlichsten Rivalin für den Landbau
der ganzen übrigen Welt. Vor dem Unabhängigkeitskriege gegen das englische
Mutterland dominierte die Baumwollzucht des Südens weitaus vor dem Acker¬
bau des Nordens. Erst mit der Erschließung des mittlern Westens begann
die große Periode für Kvrnerbau und Viehzucht, der Siegeszug des Jankee-
farmers, der, während er im eignen Lande nach Westen vordrang, in Europa
seinen Produkten einen Markt nach dem andern unterwarf.

Es kamen hier zwei Umstünde zusammen, wie sie so günstig nie wieder
aufeinander getroffen sind: der rechte Mensch und das rechte Land. Die Ein¬
wanderung der tüchtigsten, arbeitsfrohesten, abgehärtetsten Männer aus den ge¬
sündesten und reinsten Volksstümmen der alten Kultur, und in der Neuen Welt
ein jungfräulicher Boden, der Jahrtausende auf den scharfen Pflug und die
säende Hand gewartet hatte. Braut und Bräutigam, die einander gefunden
hatten.

Man kam: das Glück, die Liebe, die Dankbarkeit versteh«, die der Bauer
des alten Europas empfunden haben muß, als er in der Neuen Welt ein
zweites, größeres und freieres Vaterland fand. Besitz eines Stückes Land,
einer „Heimstätte," die Möglichkeit, sich durch seiner Hände Werk das Leben
zu verdienen, das war ja von jeher der Traum des Jndogermnnen, die Feuer-
funke, der er nachgezogen ist durch die Steppen Asiens über die Gebirge und
die Ströme Europas, über die Nordsee und schließlich über den Ozean. Hier
endlich fand der Deutsche, der Nordländer von Skandinaviens, Dänemarks,
Finnlands Küste, der Schweizer, der Schotte, was ihnen im engen Enropa
so oft verkümmert worden war, in Hülle und Fülle. Hier war er nicht mehr
der verachtete Bauer oder Tagelöhner, hier schien er genau das wert zu sein,
was er leisten konnte. Die Gesetzgebung drückte ihn nicht, sondern suchte ihn
zu begünstigen; denn er war in diesem neuen Lande ein wichtiger Pionier
der Kultur. In seinen starken Händen ruhte die Erschließung der Boden¬
schätze. Von seinem Fleiße hing die Ernährung einer rapid wachsenden Be¬
völkerung ub. Er zog die Herden groß und schuf die Ernten, mit denen
man das Gold des Auslandes an sich zog. Die Eisenbahngesellschaften kamen
ihm entgegen, denn nur zu gut wußte der Unternehmer, daß der Landmann
sein bester Kunde sein würde. Es entstand eine gegenseitige Befruchtung; der
Schienenstrang wurde dorthin gelegt, wo der Ansiedler sich niedergelassen hatte,


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[0718] Die Grenzen des amerikamschen Aufschwungs betrachtet, den glänzenden Fortschritt bewundert, der diesen Landen in wenig Jahrzehnten das zu gewinnen erlaubte, wozu wir Jahrhunderte gebraucht haben, niemals vergessen, daß die Neue Welt auf den Schultern der Alten steht. In Europa ist das Lehrgeld gezahlt worden für Kenntnisse und Er¬ fahrungen, die sie jetzt drüben auf weiterer Fläche, in größerer Freiheit an¬ wenden. Kerntruppen gut geschulter Landleute haben wir durch das ganze neunzehnte Jahrhundert mich Nordamerika ziehn lassen und haben uns da¬ durch drüben die Konkurrenz großgezogen, die deu Zurückgebliebnen das Leben verbitterte und zum immer wieder erneuten Anlaß wurde zur Auswanderung in die Länder, wo das Land so billig und die Erträge so hoch schienen. Ein einziges Jahrhundert hat genügt, die amerikanische Landwirtschaft zu dem zu machen, was sie jetzt ist: zur gefährlichsten Rivalin für den Landbau der ganzen übrigen Welt. Vor dem Unabhängigkeitskriege gegen das englische Mutterland dominierte die Baumwollzucht des Südens weitaus vor dem Acker¬ bau des Nordens. Erst mit der Erschließung des mittlern Westens begann die große Periode für Kvrnerbau und Viehzucht, der Siegeszug des Jankee- farmers, der, während er im eignen Lande nach Westen vordrang, in Europa seinen Produkten einen Markt nach dem andern unterwarf. Es kamen hier zwei Umstünde zusammen, wie sie so günstig nie wieder aufeinander getroffen sind: der rechte Mensch und das rechte Land. Die Ein¬ wanderung der tüchtigsten, arbeitsfrohesten, abgehärtetsten Männer aus den ge¬ sündesten und reinsten Volksstümmen der alten Kultur, und in der Neuen Welt ein jungfräulicher Boden, der Jahrtausende auf den scharfen Pflug und die säende Hand gewartet hatte. Braut und Bräutigam, die einander gefunden hatten. Man kam: das Glück, die Liebe, die Dankbarkeit versteh«, die der Bauer des alten Europas empfunden haben muß, als er in der Neuen Welt ein zweites, größeres und freieres Vaterland fand. Besitz eines Stückes Land, einer „Heimstätte," die Möglichkeit, sich durch seiner Hände Werk das Leben zu verdienen, das war ja von jeher der Traum des Jndogermnnen, die Feuer- funke, der er nachgezogen ist durch die Steppen Asiens über die Gebirge und die Ströme Europas, über die Nordsee und schließlich über den Ozean. Hier endlich fand der Deutsche, der Nordländer von Skandinaviens, Dänemarks, Finnlands Küste, der Schweizer, der Schotte, was ihnen im engen Enropa so oft verkümmert worden war, in Hülle und Fülle. Hier war er nicht mehr der verachtete Bauer oder Tagelöhner, hier schien er genau das wert zu sein, was er leisten konnte. Die Gesetzgebung drückte ihn nicht, sondern suchte ihn zu begünstigen; denn er war in diesem neuen Lande ein wichtiger Pionier der Kultur. In seinen starken Händen ruhte die Erschließung der Boden¬ schätze. Von seinem Fleiße hing die Ernährung einer rapid wachsenden Be¬ völkerung ub. Er zog die Herden groß und schuf die Ernten, mit denen man das Gold des Auslandes an sich zog. Die Eisenbahngesellschaften kamen ihm entgegen, denn nur zu gut wußte der Unternehmer, daß der Landmann sein bester Kunde sein würde. Es entstand eine gegenseitige Befruchtung; der Schienenstrang wurde dorthin gelegt, wo der Ansiedler sich niedergelassen hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/718>, abgerufen am 27.11.2024.