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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

denn ich wäre fast umgerannt worden, wahrend ein von zarten Hände getragner
Schirm mir das Gesicht förmlich abwusch.

Euer Wohlgeboren, was kann er tun? Die Menschen sind toll, antwortete
der Mann.

Folge mir, befahl ich, nahm den untern Teil des Mantels mit der linken
Hand fest zusammen und drang von neuem gegen die Menschen an. Die Mühe
war nicht gering. Ich arbeitete mich neben dem Trottoir hin. Durch lautes An¬
rufen machte ich die mir entgegenströmenden Jungen und Kerle beizeiten auf¬
merksam, mußte bald hierhin bald dorthin ausweichen, sah mein Gesicht mehrmals
unmittelbar vor dem Kopfe eines Pferdes, konnte mich nicht enthalten, einem
Strolche, der dicht vor mir mit der Hand in die Paletvttasche eines alten Herrn
fuhr, einen Faustschlag in das Genick zu versetzen, daß er stolpernd in die Kniee
sank, fühlte endlich nicht mehr die Bretter der Brücke nnter mir und hatte das
Schilderhäuschen des Brückenendes zur Seite. Daneben stand der Schutzmann
und genoß die durch das Häuschen gegen den Anprall der Menge gewährte
Sicherheit.

Warum erlaubst du so vielen, zugleich über die Brücke zu fahren und zu jagen?

Erbarmen Sie sich, Euer Wohlgeboren, klagte er, man hat mich gestoßen und
umgeworfen. Ich bin fast unter die Pferde gekommen.

Und wenn die Brücke einbricht? Man sagt, es könne leicht geschehn.

Gott ist gnädig, Euer Wohlgeboren. Ich stehe darum neben dem Häuschen.
Ans die Brücke selbst wage ich mich nicht.

Ich ging mit beiden Schutzleuten bis an das Ende der vom Geländer ein¬
gefaßten Einfahrt vor, wo die Straße sich erweiterte, rief dein Kutscher des mir
dort zuerst begegnenden Wagens zu, er solle anhalten, packte, als er -nicht gleich
gehorchte, das Pferd an der Leine und am Zaum und lenkte es zur Seite, wo
es nicht weiter konnte. Das folgende Gefährt wurde auf meinen ermunternden
Zuruf von den Schntzlenten ebenso an den Straßenrand gegenüber gedrängt. Den
dritten Kutscher nahm ich wieder persönlich in Empfang. Der vierte, der sah,
wie sein Vormnnn angehalten wurde, gehorchte dem Befehl und bog selbst ab.
Die Schutzleute faßten Mut, als sie merkten, daß die Sache doch nicht unmöglich
sei. Ein großer Teil der Fußgänger blieb stehn oder verlangsamte den Schritt
und sah zu, wie wir die Wagen zum Halten zwangen. Der Zweck war auf diese
Weise schnell erreicht. Die Brücke begann sich zu leeren, während sich in der
Straße eine Doppelreihe wartender Equipagen und Wagen bildete. Die Schutz¬
leute rückten weiter vorwärts, je länger die Reihe wurde, und ich bewachte den
Anfang der Reihe und erlaubte jedem Wagen nur dann zu fahren, wenn der
Voranfahrcnde die Mitte der Brücke erreicht hatte. Freilich blieb meine drohende
Ermahnung, die Brücke im Schritt zu passieren, ohne Erfolg. Die Leute fuhren
langsam, solange sie noch in meiner Nähe waren, und jagten dann um so toller;
aber das konnte ich eben nicht ändern. Einige Herren in den Wagen wollten sich
meiner Anordnung nicht fügen und außer der Reihe über die Brücke. Es waren
meist solche, die in weiblicher Begleitung zum Feuer fuhren und nicht begreifen
konnten, wie jemand verlangen dürfe, daß auch für das zarte Geschlecht bei all¬
gemein nötigen Ordnungsmaßregeln keine Ausnahme gemacht werden sollte. Als
ich fest blieb, drohten sie, gegen mich zu klagen. Viele, denen das Warten zu
lauge wahrte, entließen ihre Kutscher und gingen zu Fuße weiter.

Plötzlich fuhr in raschem Trabe ein breiter, mit zwei stattlichen Pferden be¬
spannter Schlitten durch die Gasse, die zwischen den beiden Reihen der Wartenden
entstanden war. Ich sah, daß die Kutscher und mehrere Herren die Mützen
zogen. Gleich darauf entdeckte ich im Schlitten eine rvtverbrämte Kopfbedeckung
und einen Mantel mit roten Brustklappen. Das konnte nur der Chef der Provinz
sein. Ich schloß die Hacken und hob die Hand an die Mütze. Auf eiuen Zuruf
des Rotverbrämten zügelte der bärtige Kutscher die Pferde.


Feuer!

denn ich wäre fast umgerannt worden, wahrend ein von zarten Hände getragner
Schirm mir das Gesicht förmlich abwusch.

Euer Wohlgeboren, was kann er tun? Die Menschen sind toll, antwortete
der Mann.

Folge mir, befahl ich, nahm den untern Teil des Mantels mit der linken
Hand fest zusammen und drang von neuem gegen die Menschen an. Die Mühe
war nicht gering. Ich arbeitete mich neben dem Trottoir hin. Durch lautes An¬
rufen machte ich die mir entgegenströmenden Jungen und Kerle beizeiten auf¬
merksam, mußte bald hierhin bald dorthin ausweichen, sah mein Gesicht mehrmals
unmittelbar vor dem Kopfe eines Pferdes, konnte mich nicht enthalten, einem
Strolche, der dicht vor mir mit der Hand in die Paletvttasche eines alten Herrn
fuhr, einen Faustschlag in das Genick zu versetzen, daß er stolpernd in die Kniee
sank, fühlte endlich nicht mehr die Bretter der Brücke nnter mir und hatte das
Schilderhäuschen des Brückenendes zur Seite. Daneben stand der Schutzmann
und genoß die durch das Häuschen gegen den Anprall der Menge gewährte
Sicherheit.

Warum erlaubst du so vielen, zugleich über die Brücke zu fahren und zu jagen?

Erbarmen Sie sich, Euer Wohlgeboren, klagte er, man hat mich gestoßen und
umgeworfen. Ich bin fast unter die Pferde gekommen.

Und wenn die Brücke einbricht? Man sagt, es könne leicht geschehn.

Gott ist gnädig, Euer Wohlgeboren. Ich stehe darum neben dem Häuschen.
Ans die Brücke selbst wage ich mich nicht.

Ich ging mit beiden Schutzleuten bis an das Ende der vom Geländer ein¬
gefaßten Einfahrt vor, wo die Straße sich erweiterte, rief dein Kutscher des mir
dort zuerst begegnenden Wagens zu, er solle anhalten, packte, als er -nicht gleich
gehorchte, das Pferd an der Leine und am Zaum und lenkte es zur Seite, wo
es nicht weiter konnte. Das folgende Gefährt wurde auf meinen ermunternden
Zuruf von den Schntzlenten ebenso an den Straßenrand gegenüber gedrängt. Den
dritten Kutscher nahm ich wieder persönlich in Empfang. Der vierte, der sah,
wie sein Vormnnn angehalten wurde, gehorchte dem Befehl und bog selbst ab.
Die Schutzleute faßten Mut, als sie merkten, daß die Sache doch nicht unmöglich
sei. Ein großer Teil der Fußgänger blieb stehn oder verlangsamte den Schritt
und sah zu, wie wir die Wagen zum Halten zwangen. Der Zweck war auf diese
Weise schnell erreicht. Die Brücke begann sich zu leeren, während sich in der
Straße eine Doppelreihe wartender Equipagen und Wagen bildete. Die Schutz¬
leute rückten weiter vorwärts, je länger die Reihe wurde, und ich bewachte den
Anfang der Reihe und erlaubte jedem Wagen nur dann zu fahren, wenn der
Voranfahrcnde die Mitte der Brücke erreicht hatte. Freilich blieb meine drohende
Ermahnung, die Brücke im Schritt zu passieren, ohne Erfolg. Die Leute fuhren
langsam, solange sie noch in meiner Nähe waren, und jagten dann um so toller;
aber das konnte ich eben nicht ändern. Einige Herren in den Wagen wollten sich
meiner Anordnung nicht fügen und außer der Reihe über die Brücke. Es waren
meist solche, die in weiblicher Begleitung zum Feuer fuhren und nicht begreifen
konnten, wie jemand verlangen dürfe, daß auch für das zarte Geschlecht bei all¬
gemein nötigen Ordnungsmaßregeln keine Ausnahme gemacht werden sollte. Als
ich fest blieb, drohten sie, gegen mich zu klagen. Viele, denen das Warten zu
lauge wahrte, entließen ihre Kutscher und gingen zu Fuße weiter.

Plötzlich fuhr in raschem Trabe ein breiter, mit zwei stattlichen Pferden be¬
spannter Schlitten durch die Gasse, die zwischen den beiden Reihen der Wartenden
entstanden war. Ich sah, daß die Kutscher und mehrere Herren die Mützen
zogen. Gleich darauf entdeckte ich im Schlitten eine rvtverbrämte Kopfbedeckung
und einen Mantel mit roten Brustklappen. Das konnte nur der Chef der Provinz
sein. Ich schloß die Hacken und hob die Hand an die Mütze. Auf eiuen Zuruf
des Rotverbrämten zügelte der bärtige Kutscher die Pferde.


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[0680] Feuer! denn ich wäre fast umgerannt worden, wahrend ein von zarten Hände getragner Schirm mir das Gesicht förmlich abwusch. Euer Wohlgeboren, was kann er tun? Die Menschen sind toll, antwortete der Mann. Folge mir, befahl ich, nahm den untern Teil des Mantels mit der linken Hand fest zusammen und drang von neuem gegen die Menschen an. Die Mühe war nicht gering. Ich arbeitete mich neben dem Trottoir hin. Durch lautes An¬ rufen machte ich die mir entgegenströmenden Jungen und Kerle beizeiten auf¬ merksam, mußte bald hierhin bald dorthin ausweichen, sah mein Gesicht mehrmals unmittelbar vor dem Kopfe eines Pferdes, konnte mich nicht enthalten, einem Strolche, der dicht vor mir mit der Hand in die Paletvttasche eines alten Herrn fuhr, einen Faustschlag in das Genick zu versetzen, daß er stolpernd in die Kniee sank, fühlte endlich nicht mehr die Bretter der Brücke nnter mir und hatte das Schilderhäuschen des Brückenendes zur Seite. Daneben stand der Schutzmann und genoß die durch das Häuschen gegen den Anprall der Menge gewährte Sicherheit. Warum erlaubst du so vielen, zugleich über die Brücke zu fahren und zu jagen? Erbarmen Sie sich, Euer Wohlgeboren, klagte er, man hat mich gestoßen und umgeworfen. Ich bin fast unter die Pferde gekommen. Und wenn die Brücke einbricht? Man sagt, es könne leicht geschehn. Gott ist gnädig, Euer Wohlgeboren. Ich stehe darum neben dem Häuschen. Ans die Brücke selbst wage ich mich nicht. Ich ging mit beiden Schutzleuten bis an das Ende der vom Geländer ein¬ gefaßten Einfahrt vor, wo die Straße sich erweiterte, rief dein Kutscher des mir dort zuerst begegnenden Wagens zu, er solle anhalten, packte, als er -nicht gleich gehorchte, das Pferd an der Leine und am Zaum und lenkte es zur Seite, wo es nicht weiter konnte. Das folgende Gefährt wurde auf meinen ermunternden Zuruf von den Schntzlenten ebenso an den Straßenrand gegenüber gedrängt. Den dritten Kutscher nahm ich wieder persönlich in Empfang. Der vierte, der sah, wie sein Vormnnn angehalten wurde, gehorchte dem Befehl und bog selbst ab. Die Schutzleute faßten Mut, als sie merkten, daß die Sache doch nicht unmöglich sei. Ein großer Teil der Fußgänger blieb stehn oder verlangsamte den Schritt und sah zu, wie wir die Wagen zum Halten zwangen. Der Zweck war auf diese Weise schnell erreicht. Die Brücke begann sich zu leeren, während sich in der Straße eine Doppelreihe wartender Equipagen und Wagen bildete. Die Schutz¬ leute rückten weiter vorwärts, je länger die Reihe wurde, und ich bewachte den Anfang der Reihe und erlaubte jedem Wagen nur dann zu fahren, wenn der Voranfahrcnde die Mitte der Brücke erreicht hatte. Freilich blieb meine drohende Ermahnung, die Brücke im Schritt zu passieren, ohne Erfolg. Die Leute fuhren langsam, solange sie noch in meiner Nähe waren, und jagten dann um so toller; aber das konnte ich eben nicht ändern. Einige Herren in den Wagen wollten sich meiner Anordnung nicht fügen und außer der Reihe über die Brücke. Es waren meist solche, die in weiblicher Begleitung zum Feuer fuhren und nicht begreifen konnten, wie jemand verlangen dürfe, daß auch für das zarte Geschlecht bei all¬ gemein nötigen Ordnungsmaßregeln keine Ausnahme gemacht werden sollte. Als ich fest blieb, drohten sie, gegen mich zu klagen. Viele, denen das Warten zu lauge wahrte, entließen ihre Kutscher und gingen zu Fuße weiter. Plötzlich fuhr in raschem Trabe ein breiter, mit zwei stattlichen Pferden be¬ spannter Schlitten durch die Gasse, die zwischen den beiden Reihen der Wartenden entstanden war. Ich sah, daß die Kutscher und mehrere Herren die Mützen zogen. Gleich darauf entdeckte ich im Schlitten eine rvtverbrämte Kopfbedeckung und einen Mantel mit roten Brustklappen. Das konnte nur der Chef der Provinz sein. Ich schloß die Hacken und hob die Hand an die Mütze. Auf eiuen Zuruf des Rotverbrämten zügelte der bärtige Kutscher die Pferde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/680>, abgerufen am 24.11.2024.