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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

Auch in den Droschkenschlitten saßen Neugierige, größtenteils jüngere Herren, die
entweder die Kutscher antrieben, rascher zu fahren, oder sich um die Schnelligkeit
nicht kümmerten und wohlgefällig die Fußgänger zu beiden Seiten musterten, mit
bekannten Herren Grüße wechselten oder bor bekannten Damen die Mühen zogen.
Dabei unterhielt sich, schwatzte und lachte dieser Menschenstrom in der besten Laune
von der Welt und gcbttrdete sich ganz so, als ob das Ziel nicht eine Jammerstätte,
sondern ein lustiges Volksfest wäre. Ich muß gestehn, ich bewunderte die Ungeniert¬
heit, mit der sich die Leute benahmen. Niemand nahm Rücksicht auf die Umgebung
und kümmerte sich im geringsten darum, ob er jemand stieß oder trat. Der Preis
der Rücksichtslosigkeit gebührte hierbei zweifellos dem weiblichen Geschlecht, dem
sogenannten zarten, das dem Polizeibeamten meist die Überzeugung beizubringen
pflegt, daß die Begriffe von Zartheit sehr dehnbar sind. Es fielen vereinzelte
Schneeflocken, weshalb die meisten der dahiudrängenden Damen aufgespannte Regen¬
schirme in den Händen trugen. Sie achteten nicht darauf, ob sie den Schirm gegen
den Wind hielten oder abgewandt, ob sie ihre Mützchen, Kragen und Boas gegen
die übrigens ziemlich unschädlichen Schneeflöckchen schützten oder nicht -- sie hatten
die Schirme aufgespannt, und das war ihnen genug. Sie nahmen sich nicht die
Mühe, den Schirm so hoch zu heben, daß die Stabspitzen den neben ihnen gehenden
nicht die Mützen von den Köpfen rissen oder die Augen in Gefahr brachten.
Wozu! Sie waren das zarte Geschlecht und verlangten, daß mau ihnen rücksichtsvoll
Raum gebe. Im Gedränge ist solches Ramngeben aber nicht immer möglich, und
wo es vorkam, daß eine Dame mit ihrem Schirm jemand so ernstlich traf, daß
sie selbst einen unangenehmen Ruck in der Hand spürte, blickte sie böse seitwärts
und beklagte sich bei dem sie begleitenden Herrn über die Unart und Roheit des
Geschädigten. War der begleitende Herr noch sehr jung oder über das Maß hin¬
gerissen von der Liebenswürdigkeit der Klagenden, so warf er wohl auch einen
entrüsteten Blick auf den, der es gewagt hatte, den Zorn der Schönen dadurch
hervorzurufen, daß er sich zu hart stoßen ließ, und spendete ihr dann Trost durch
die Bemerkung, daß das Volk leider immer rücksichtsloser werde.

Ich hatte Jemeljan Afanasjewitsch zum Feuer folgen wollen. Es brannte ja
in unserm Stadtteile, und ich konnte mich möglicherweise dort nützlich machen. Das
beispiellose Gedränge erweckte aber einen andern Gedanken in mir. Die hölzerne
Brücke war verhältnismäßig schmal und sehr alt. An jedem Ende stand ein Polizei-
Posten, der darauf zu sehen hatte, daß die Fahrenden nur im Schritt passierten.
Der Aufseher hatte davon gesprochen, daß über kurz oder lang der Einsturz der
Brücke zu erwarten sei, und daß der Brandmeister mehr als einmal geäußert habe,
ihm graue es jedesmal, wenn er ans seinem schweren Spritzenwagen über sie hin¬
jage. Der Brandmeister ließ darum den Zug nicht in geschlossener Ordnung aus
dem Depot aufbrechen, wenn es jenseits des Flusses brannte, sondern jede folgende
Spritze durfte sich erst etwa eine Minute nach der vorhergehenden in Bewegung
setzen. Jetzt aber stampften Hunderte von Menschen zugleich über die Bretter, und
dazwischen und mitten darin trabten und galoppierten die Pferde der Fuhrwerke,
ohne daß jemand sich um die Schnelligkeit ihrer Fahrt gekümmert hätte.

Ob hier ein großes Unglück hereinbrechen konnte, das zu beurteilen war ich
nicht imstande; aber ich beschloß es abzuwenden, falls es drohte. Ich brach mir
Bahn durch den mich umflutenden Menschenstrom. Ich kann es nicht leugnen, ich
ließ mich dabei wenig dadurch beirren, daß einige Glieder des zarten Geschlechts
vielleicht eine sehr schlechte Meinung von meiner weltmännischen Erziehung mit¬
nahmen. Ich erreichte den Schutzmann, der das andre Ende der Brücke zu hüten
hatte. Er stand teilnahmlos neben dem ersten Pfosten des Geländers und schien
froh zu sein, daß er an diesem Platze gegen den Andrang des Publikums ziemlich
geschützt war.

Warum läßt der da drüben so viele Menschen auf die Brücke und die Kutscher
im Galopp fahren? fragte ich, und ich mußte mich neben den Schutzmann retten,


Feuer!

Auch in den Droschkenschlitten saßen Neugierige, größtenteils jüngere Herren, die
entweder die Kutscher antrieben, rascher zu fahren, oder sich um die Schnelligkeit
nicht kümmerten und wohlgefällig die Fußgänger zu beiden Seiten musterten, mit
bekannten Herren Grüße wechselten oder bor bekannten Damen die Mühen zogen.
Dabei unterhielt sich, schwatzte und lachte dieser Menschenstrom in der besten Laune
von der Welt und gcbttrdete sich ganz so, als ob das Ziel nicht eine Jammerstätte,
sondern ein lustiges Volksfest wäre. Ich muß gestehn, ich bewunderte die Ungeniert¬
heit, mit der sich die Leute benahmen. Niemand nahm Rücksicht auf die Umgebung
und kümmerte sich im geringsten darum, ob er jemand stieß oder trat. Der Preis
der Rücksichtslosigkeit gebührte hierbei zweifellos dem weiblichen Geschlecht, dem
sogenannten zarten, das dem Polizeibeamten meist die Überzeugung beizubringen
pflegt, daß die Begriffe von Zartheit sehr dehnbar sind. Es fielen vereinzelte
Schneeflocken, weshalb die meisten der dahiudrängenden Damen aufgespannte Regen¬
schirme in den Händen trugen. Sie achteten nicht darauf, ob sie den Schirm gegen
den Wind hielten oder abgewandt, ob sie ihre Mützchen, Kragen und Boas gegen
die übrigens ziemlich unschädlichen Schneeflöckchen schützten oder nicht — sie hatten
die Schirme aufgespannt, und das war ihnen genug. Sie nahmen sich nicht die
Mühe, den Schirm so hoch zu heben, daß die Stabspitzen den neben ihnen gehenden
nicht die Mützen von den Köpfen rissen oder die Augen in Gefahr brachten.
Wozu! Sie waren das zarte Geschlecht und verlangten, daß mau ihnen rücksichtsvoll
Raum gebe. Im Gedränge ist solches Ramngeben aber nicht immer möglich, und
wo es vorkam, daß eine Dame mit ihrem Schirm jemand so ernstlich traf, daß
sie selbst einen unangenehmen Ruck in der Hand spürte, blickte sie böse seitwärts
und beklagte sich bei dem sie begleitenden Herrn über die Unart und Roheit des
Geschädigten. War der begleitende Herr noch sehr jung oder über das Maß hin¬
gerissen von der Liebenswürdigkeit der Klagenden, so warf er wohl auch einen
entrüsteten Blick auf den, der es gewagt hatte, den Zorn der Schönen dadurch
hervorzurufen, daß er sich zu hart stoßen ließ, und spendete ihr dann Trost durch
die Bemerkung, daß das Volk leider immer rücksichtsloser werde.

Ich hatte Jemeljan Afanasjewitsch zum Feuer folgen wollen. Es brannte ja
in unserm Stadtteile, und ich konnte mich möglicherweise dort nützlich machen. Das
beispiellose Gedränge erweckte aber einen andern Gedanken in mir. Die hölzerne
Brücke war verhältnismäßig schmal und sehr alt. An jedem Ende stand ein Polizei-
Posten, der darauf zu sehen hatte, daß die Fahrenden nur im Schritt passierten.
Der Aufseher hatte davon gesprochen, daß über kurz oder lang der Einsturz der
Brücke zu erwarten sei, und daß der Brandmeister mehr als einmal geäußert habe,
ihm graue es jedesmal, wenn er ans seinem schweren Spritzenwagen über sie hin¬
jage. Der Brandmeister ließ darum den Zug nicht in geschlossener Ordnung aus
dem Depot aufbrechen, wenn es jenseits des Flusses brannte, sondern jede folgende
Spritze durfte sich erst etwa eine Minute nach der vorhergehenden in Bewegung
setzen. Jetzt aber stampften Hunderte von Menschen zugleich über die Bretter, und
dazwischen und mitten darin trabten und galoppierten die Pferde der Fuhrwerke,
ohne daß jemand sich um die Schnelligkeit ihrer Fahrt gekümmert hätte.

Ob hier ein großes Unglück hereinbrechen konnte, das zu beurteilen war ich
nicht imstande; aber ich beschloß es abzuwenden, falls es drohte. Ich brach mir
Bahn durch den mich umflutenden Menschenstrom. Ich kann es nicht leugnen, ich
ließ mich dabei wenig dadurch beirren, daß einige Glieder des zarten Geschlechts
vielleicht eine sehr schlechte Meinung von meiner weltmännischen Erziehung mit¬
nahmen. Ich erreichte den Schutzmann, der das andre Ende der Brücke zu hüten
hatte. Er stand teilnahmlos neben dem ersten Pfosten des Geländers und schien
froh zu sein, daß er an diesem Platze gegen den Andrang des Publikums ziemlich
geschützt war.

Warum läßt der da drüben so viele Menschen auf die Brücke und die Kutscher
im Galopp fahren? fragte ich, und ich mußte mich neben den Schutzmann retten,


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[0679] Feuer! Auch in den Droschkenschlitten saßen Neugierige, größtenteils jüngere Herren, die entweder die Kutscher antrieben, rascher zu fahren, oder sich um die Schnelligkeit nicht kümmerten und wohlgefällig die Fußgänger zu beiden Seiten musterten, mit bekannten Herren Grüße wechselten oder bor bekannten Damen die Mühen zogen. Dabei unterhielt sich, schwatzte und lachte dieser Menschenstrom in der besten Laune von der Welt und gcbttrdete sich ganz so, als ob das Ziel nicht eine Jammerstätte, sondern ein lustiges Volksfest wäre. Ich muß gestehn, ich bewunderte die Ungeniert¬ heit, mit der sich die Leute benahmen. Niemand nahm Rücksicht auf die Umgebung und kümmerte sich im geringsten darum, ob er jemand stieß oder trat. Der Preis der Rücksichtslosigkeit gebührte hierbei zweifellos dem weiblichen Geschlecht, dem sogenannten zarten, das dem Polizeibeamten meist die Überzeugung beizubringen pflegt, daß die Begriffe von Zartheit sehr dehnbar sind. Es fielen vereinzelte Schneeflocken, weshalb die meisten der dahiudrängenden Damen aufgespannte Regen¬ schirme in den Händen trugen. Sie achteten nicht darauf, ob sie den Schirm gegen den Wind hielten oder abgewandt, ob sie ihre Mützchen, Kragen und Boas gegen die übrigens ziemlich unschädlichen Schneeflöckchen schützten oder nicht — sie hatten die Schirme aufgespannt, und das war ihnen genug. Sie nahmen sich nicht die Mühe, den Schirm so hoch zu heben, daß die Stabspitzen den neben ihnen gehenden nicht die Mützen von den Köpfen rissen oder die Augen in Gefahr brachten. Wozu! Sie waren das zarte Geschlecht und verlangten, daß mau ihnen rücksichtsvoll Raum gebe. Im Gedränge ist solches Ramngeben aber nicht immer möglich, und wo es vorkam, daß eine Dame mit ihrem Schirm jemand so ernstlich traf, daß sie selbst einen unangenehmen Ruck in der Hand spürte, blickte sie böse seitwärts und beklagte sich bei dem sie begleitenden Herrn über die Unart und Roheit des Geschädigten. War der begleitende Herr noch sehr jung oder über das Maß hin¬ gerissen von der Liebenswürdigkeit der Klagenden, so warf er wohl auch einen entrüsteten Blick auf den, der es gewagt hatte, den Zorn der Schönen dadurch hervorzurufen, daß er sich zu hart stoßen ließ, und spendete ihr dann Trost durch die Bemerkung, daß das Volk leider immer rücksichtsloser werde. Ich hatte Jemeljan Afanasjewitsch zum Feuer folgen wollen. Es brannte ja in unserm Stadtteile, und ich konnte mich möglicherweise dort nützlich machen. Das beispiellose Gedränge erweckte aber einen andern Gedanken in mir. Die hölzerne Brücke war verhältnismäßig schmal und sehr alt. An jedem Ende stand ein Polizei- Posten, der darauf zu sehen hatte, daß die Fahrenden nur im Schritt passierten. Der Aufseher hatte davon gesprochen, daß über kurz oder lang der Einsturz der Brücke zu erwarten sei, und daß der Brandmeister mehr als einmal geäußert habe, ihm graue es jedesmal, wenn er ans seinem schweren Spritzenwagen über sie hin¬ jage. Der Brandmeister ließ darum den Zug nicht in geschlossener Ordnung aus dem Depot aufbrechen, wenn es jenseits des Flusses brannte, sondern jede folgende Spritze durfte sich erst etwa eine Minute nach der vorhergehenden in Bewegung setzen. Jetzt aber stampften Hunderte von Menschen zugleich über die Bretter, und dazwischen und mitten darin trabten und galoppierten die Pferde der Fuhrwerke, ohne daß jemand sich um die Schnelligkeit ihrer Fahrt gekümmert hätte. Ob hier ein großes Unglück hereinbrechen konnte, das zu beurteilen war ich nicht imstande; aber ich beschloß es abzuwenden, falls es drohte. Ich brach mir Bahn durch den mich umflutenden Menschenstrom. Ich kann es nicht leugnen, ich ließ mich dabei wenig dadurch beirren, daß einige Glieder des zarten Geschlechts vielleicht eine sehr schlechte Meinung von meiner weltmännischen Erziehung mit¬ nahmen. Ich erreichte den Schutzmann, der das andre Ende der Brücke zu hüten hatte. Er stand teilnahmlos neben dem ersten Pfosten des Geländers und schien froh zu sein, daß er an diesem Platze gegen den Andrang des Publikums ziemlich geschützt war. Warum läßt der da drüben so viele Menschen auf die Brücke und die Kutscher im Galopp fahren? fragte ich, und ich mußte mich neben den Schutzmann retten,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/679>, abgerufen am 27.07.2024.