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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Der eigentliche Sitz der Forksdvrfer Gespenster war jedoch das der Wohnung
meines Onkels gegenüberliegende Haus, das bis vor einiger Zeit sein Bruder und
dessen Familie, die "Drübenschen," innegehabt hatten. Seitdem diese nach Berlin
verzogen waren, konnten die Gespenster in dem leer stehenden, unmöblierten Ge¬
bäude uach Belieben schalten und walten. Der Respekt vor ihnen gehört wie die Tag
und Nacht auf dem Gut und in dessen Umgebung herrschende Totenstille und die völlige
Einsamkeit, in der man lebte, zu dem Bilde, wie es bald anmutig, bald geradezu
feierlich in meiner Erinnerung steht. Von den Dorfleuten, die in niedrigen und
wie halb vom Sand verschlungnen "Kater" hausten, aber sich, einige alte Krüppel
ausgenommen, blühender Gesundheit zu erfreuen schienen, bekam man in der Woche
fast ebensowenig zu sehen, wie von dem Hofgesinde, das lange, ehe man aufstand,
draußen auf den Feldern war, und sobald es Feierabend gab, wahrscheinlich
Schlafens halber vom Hofe verschwand. Der mit Astrologie und Strümpfestricken
beschäftigte Schäfer, dem ich auf meinen einsamen Wanderungen bisweilen be¬
gegnete, und mit dem dann trotz der vorhandnen mystischen Kluft ein "Satz" ge¬
macht wurde, konnte mit seinem Hund und seiner Herde die großen, zum Teil
brach liegenden Strecken nur sehr unvollständig beleben, die für den Ackerbau
günstigen Striche dagegen lagen nach andern Seiten zu als die, deren land¬
schaftliche Schönheiten man aufsuchte, und unter denen sich die Anlagen des
parkartig im Stand gehaltnen Bnchbergs durch schattige Wege, schöne Beduine und
herrliche Aussichtspunkte auszeichneten. Nur Sonntags bekam man in der Kirche
und auf dem Wege hin und zurück -- sie war eine halbe Stunde Wegs vom
Forksdorfer Wohnhause entfernt -- die ganze Gemeinde zu scheu; wenn das Wetter
gut war, ging man zu Fuß, wenn es schlecht war, fuhr ein Teil in der "Glas¬
kutsche," und die andern blieben entweder zuHanse oder sahen zu, wie sie >sich mit
Ehren und ohne gar zu tief einzusinken ans der Affaire zogen. Die nach der Kirche
führende Straße verdankte zwar der Kunst ihre Entstehung und war chausseeartig,
aber was man da, wo man Steinbrüche in Hülle und Fülle zur Hand hat, unter
chcmssiert versteht, ist doch etwas andres. In der ersten Zeit war der dritte Sohn
meines Oheims mein treuer und überaus liebenswürdiger Begleiter gewesen; als
er nach Anklam zurückgekehrt war, und mein Onkel gewahr wurde, daß ich mich
allein gar nicht langweilte, sondern von meinen Streifzügen immer begeistert und
die Tasche voll herrlicher Erlebnisse zurückkam, tat er das klügste, was er tun
konnte, er überließ mich meinem Schicksal, und wenn ich zum Mittagessen und zum
Abendbrot pünktlich wieder da war, erregte meine meist mehrstündige Abwesenheit
weder bei ihm noch bei den übrigen Mitgliedern der Familie irgendwelches Be¬
fremden. Meine Taute, der ich, wenn ich mit ihr znsnmmensaß, nicht genug von
D......und seinen Bewohnern erzählen konnte, und die mich dann für meine
Bereitwilligkeit hierzu dadurch belohnte, daß sie mir nicht mehr recht moderne,
etwas sentimentale, aber aus ihrem Munde reizend klingende Lieder vorsang, hatte
tagsüber, wie sich das in einer so großen Wirtschaft trotz der ihr gehaltnen Hilfs¬
kräfte wohl denken läßt, wenig Zeit zum Plaudern und Spazierengehn übrig; die
beiden jungen Damen wurden von der Gouvernante, meine beiden kleinen Vettern
von dem Hauslehrer in Anspruch genommen, und der gütige, mir sehr gewogne
Oheim war entweder draußen auf den Feldern oder in seinem Schreibzimmer, zu
dem nur, wer in Geschäften kam, Zugang hatte, und wo ich ihm erst in der aller¬
letzten Zeit, als ich ganz zum Hanse zu gehören glaubte, ab und zu abends bei
einer Flasche Bordeaux Gesellschaft leiste" durfte. Der dritte im Bunde war dann
immer Fritz Reuter, leider nicht in Fleisch und Blut, sondern, wie er so manchem
ein lieber Gesellschafter gewesen ist, in Buchform. Ihm, meinem Oheim und
Friedrich Wilhelm, dem glücklichen Bräutigam, verdankte ich neben einiger Kenntnis
des Plattdeutschen das Verstäuduis für Land und Leute, das mir deu Aufenthalt
in Fvrksdorf so ungeraden gemacht und mich den Leute" dort -- immer mit Aus¬
nahme des Försters und des Schäfers und unter Berücksichtigung des bedauerlichen
Zwischenfalls im Pfarrhaus -- so nahe gebracht hat.


L!n Sommerurlcmb in Pommern

Der eigentliche Sitz der Forksdvrfer Gespenster war jedoch das der Wohnung
meines Onkels gegenüberliegende Haus, das bis vor einiger Zeit sein Bruder und
dessen Familie, die „Drübenschen," innegehabt hatten. Seitdem diese nach Berlin
verzogen waren, konnten die Gespenster in dem leer stehenden, unmöblierten Ge¬
bäude uach Belieben schalten und walten. Der Respekt vor ihnen gehört wie die Tag
und Nacht auf dem Gut und in dessen Umgebung herrschende Totenstille und die völlige
Einsamkeit, in der man lebte, zu dem Bilde, wie es bald anmutig, bald geradezu
feierlich in meiner Erinnerung steht. Von den Dorfleuten, die in niedrigen und
wie halb vom Sand verschlungnen „Kater" hausten, aber sich, einige alte Krüppel
ausgenommen, blühender Gesundheit zu erfreuen schienen, bekam man in der Woche
fast ebensowenig zu sehen, wie von dem Hofgesinde, das lange, ehe man aufstand,
draußen auf den Feldern war, und sobald es Feierabend gab, wahrscheinlich
Schlafens halber vom Hofe verschwand. Der mit Astrologie und Strümpfestricken
beschäftigte Schäfer, dem ich auf meinen einsamen Wanderungen bisweilen be¬
gegnete, und mit dem dann trotz der vorhandnen mystischen Kluft ein „Satz" ge¬
macht wurde, konnte mit seinem Hund und seiner Herde die großen, zum Teil
brach liegenden Strecken nur sehr unvollständig beleben, die für den Ackerbau
günstigen Striche dagegen lagen nach andern Seiten zu als die, deren land¬
schaftliche Schönheiten man aufsuchte, und unter denen sich die Anlagen des
parkartig im Stand gehaltnen Bnchbergs durch schattige Wege, schöne Beduine und
herrliche Aussichtspunkte auszeichneten. Nur Sonntags bekam man in der Kirche
und auf dem Wege hin und zurück — sie war eine halbe Stunde Wegs vom
Forksdorfer Wohnhause entfernt — die ganze Gemeinde zu scheu; wenn das Wetter
gut war, ging man zu Fuß, wenn es schlecht war, fuhr ein Teil in der „Glas¬
kutsche," und die andern blieben entweder zuHanse oder sahen zu, wie sie >sich mit
Ehren und ohne gar zu tief einzusinken ans der Affaire zogen. Die nach der Kirche
führende Straße verdankte zwar der Kunst ihre Entstehung und war chausseeartig,
aber was man da, wo man Steinbrüche in Hülle und Fülle zur Hand hat, unter
chcmssiert versteht, ist doch etwas andres. In der ersten Zeit war der dritte Sohn
meines Oheims mein treuer und überaus liebenswürdiger Begleiter gewesen; als
er nach Anklam zurückgekehrt war, und mein Onkel gewahr wurde, daß ich mich
allein gar nicht langweilte, sondern von meinen Streifzügen immer begeistert und
die Tasche voll herrlicher Erlebnisse zurückkam, tat er das klügste, was er tun
konnte, er überließ mich meinem Schicksal, und wenn ich zum Mittagessen und zum
Abendbrot pünktlich wieder da war, erregte meine meist mehrstündige Abwesenheit
weder bei ihm noch bei den übrigen Mitgliedern der Familie irgendwelches Be¬
fremden. Meine Taute, der ich, wenn ich mit ihr znsnmmensaß, nicht genug von
D......und seinen Bewohnern erzählen konnte, und die mich dann für meine
Bereitwilligkeit hierzu dadurch belohnte, daß sie mir nicht mehr recht moderne,
etwas sentimentale, aber aus ihrem Munde reizend klingende Lieder vorsang, hatte
tagsüber, wie sich das in einer so großen Wirtschaft trotz der ihr gehaltnen Hilfs¬
kräfte wohl denken läßt, wenig Zeit zum Plaudern und Spazierengehn übrig; die
beiden jungen Damen wurden von der Gouvernante, meine beiden kleinen Vettern
von dem Hauslehrer in Anspruch genommen, und der gütige, mir sehr gewogne
Oheim war entweder draußen auf den Feldern oder in seinem Schreibzimmer, zu
dem nur, wer in Geschäften kam, Zugang hatte, und wo ich ihm erst in der aller¬
letzten Zeit, als ich ganz zum Hanse zu gehören glaubte, ab und zu abends bei
einer Flasche Bordeaux Gesellschaft leiste» durfte. Der dritte im Bunde war dann
immer Fritz Reuter, leider nicht in Fleisch und Blut, sondern, wie er so manchem
ein lieber Gesellschafter gewesen ist, in Buchform. Ihm, meinem Oheim und
Friedrich Wilhelm, dem glücklichen Bräutigam, verdankte ich neben einiger Kenntnis
des Plattdeutschen das Verstäuduis für Land und Leute, das mir deu Aufenthalt
in Fvrksdorf so ungeraden gemacht und mich den Leute« dort — immer mit Aus¬
nahme des Försters und des Schäfers und unter Berücksichtigung des bedauerlichen
Zwischenfalls im Pfarrhaus — so nahe gebracht hat.


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[0676] L!n Sommerurlcmb in Pommern Der eigentliche Sitz der Forksdvrfer Gespenster war jedoch das der Wohnung meines Onkels gegenüberliegende Haus, das bis vor einiger Zeit sein Bruder und dessen Familie, die „Drübenschen," innegehabt hatten. Seitdem diese nach Berlin verzogen waren, konnten die Gespenster in dem leer stehenden, unmöblierten Ge¬ bäude uach Belieben schalten und walten. Der Respekt vor ihnen gehört wie die Tag und Nacht auf dem Gut und in dessen Umgebung herrschende Totenstille und die völlige Einsamkeit, in der man lebte, zu dem Bilde, wie es bald anmutig, bald geradezu feierlich in meiner Erinnerung steht. Von den Dorfleuten, die in niedrigen und wie halb vom Sand verschlungnen „Kater" hausten, aber sich, einige alte Krüppel ausgenommen, blühender Gesundheit zu erfreuen schienen, bekam man in der Woche fast ebensowenig zu sehen, wie von dem Hofgesinde, das lange, ehe man aufstand, draußen auf den Feldern war, und sobald es Feierabend gab, wahrscheinlich Schlafens halber vom Hofe verschwand. Der mit Astrologie und Strümpfestricken beschäftigte Schäfer, dem ich auf meinen einsamen Wanderungen bisweilen be¬ gegnete, und mit dem dann trotz der vorhandnen mystischen Kluft ein „Satz" ge¬ macht wurde, konnte mit seinem Hund und seiner Herde die großen, zum Teil brach liegenden Strecken nur sehr unvollständig beleben, die für den Ackerbau günstigen Striche dagegen lagen nach andern Seiten zu als die, deren land¬ schaftliche Schönheiten man aufsuchte, und unter denen sich die Anlagen des parkartig im Stand gehaltnen Bnchbergs durch schattige Wege, schöne Beduine und herrliche Aussichtspunkte auszeichneten. Nur Sonntags bekam man in der Kirche und auf dem Wege hin und zurück — sie war eine halbe Stunde Wegs vom Forksdorfer Wohnhause entfernt — die ganze Gemeinde zu scheu; wenn das Wetter gut war, ging man zu Fuß, wenn es schlecht war, fuhr ein Teil in der „Glas¬ kutsche," und die andern blieben entweder zuHanse oder sahen zu, wie sie >sich mit Ehren und ohne gar zu tief einzusinken ans der Affaire zogen. Die nach der Kirche führende Straße verdankte zwar der Kunst ihre Entstehung und war chausseeartig, aber was man da, wo man Steinbrüche in Hülle und Fülle zur Hand hat, unter chcmssiert versteht, ist doch etwas andres. In der ersten Zeit war der dritte Sohn meines Oheims mein treuer und überaus liebenswürdiger Begleiter gewesen; als er nach Anklam zurückgekehrt war, und mein Onkel gewahr wurde, daß ich mich allein gar nicht langweilte, sondern von meinen Streifzügen immer begeistert und die Tasche voll herrlicher Erlebnisse zurückkam, tat er das klügste, was er tun konnte, er überließ mich meinem Schicksal, und wenn ich zum Mittagessen und zum Abendbrot pünktlich wieder da war, erregte meine meist mehrstündige Abwesenheit weder bei ihm noch bei den übrigen Mitgliedern der Familie irgendwelches Be¬ fremden. Meine Taute, der ich, wenn ich mit ihr znsnmmensaß, nicht genug von D......und seinen Bewohnern erzählen konnte, und die mich dann für meine Bereitwilligkeit hierzu dadurch belohnte, daß sie mir nicht mehr recht moderne, etwas sentimentale, aber aus ihrem Munde reizend klingende Lieder vorsang, hatte tagsüber, wie sich das in einer so großen Wirtschaft trotz der ihr gehaltnen Hilfs¬ kräfte wohl denken läßt, wenig Zeit zum Plaudern und Spazierengehn übrig; die beiden jungen Damen wurden von der Gouvernante, meine beiden kleinen Vettern von dem Hauslehrer in Anspruch genommen, und der gütige, mir sehr gewogne Oheim war entweder draußen auf den Feldern oder in seinem Schreibzimmer, zu dem nur, wer in Geschäften kam, Zugang hatte, und wo ich ihm erst in der aller¬ letzten Zeit, als ich ganz zum Hanse zu gehören glaubte, ab und zu abends bei einer Flasche Bordeaux Gesellschaft leiste» durfte. Der dritte im Bunde war dann immer Fritz Reuter, leider nicht in Fleisch und Blut, sondern, wie er so manchem ein lieber Gesellschafter gewesen ist, in Buchform. Ihm, meinem Oheim und Friedrich Wilhelm, dem glücklichen Bräutigam, verdankte ich neben einiger Kenntnis des Plattdeutschen das Verstäuduis für Land und Leute, das mir deu Aufenthalt in Fvrksdorf so ungeraden gemacht und mich den Leute« dort — immer mit Aus¬ nahme des Försters und des Schäfers und unter Berücksichtigung des bedauerlichen Zwischenfalls im Pfarrhaus — so nahe gebracht hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/676>, abgerufen am 24.11.2024.