Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Ein Sommerurlaul' in Pommern Wenn ich eine weitere Partie in Aussicht genommen hatte, bei der man sich, Von Zeit zu Zeit gab es auch einem Geburtstag oder mir zu Ehren für die Einen Reitstall hatte mein Onkel entweder nie gehabt, oder er hatte ihn auf¬ Ein Sommerurlaul' in Pommern Wenn ich eine weitere Partie in Aussicht genommen hatte, bei der man sich, Von Zeit zu Zeit gab es auch einem Geburtstag oder mir zu Ehren für die Einen Reitstall hatte mein Onkel entweder nie gehabt, oder er hatte ihn auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0677" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240233"/> <fw type="header" place="top"> Ein Sommerurlaul' in Pommern</fw><lb/> <p xml:id="ID_3601"> Wenn ich eine weitere Partie in Aussicht genommen hatte, bei der man sich,<lb/> wie zum Beispiel nach der Insel hinüber, des Kahns bedienen mußte, oder von der<lb/> ich nicht zur rechten Zeit zu Mittag zurück sein konnte, wurde nur jedesmal<lb/> Friedrich Wilhelm mitgegeben, mit dem ich mich ganz eingelebt hatte, und der in<lb/> mir nicht bloß einen der Mitbegründer seines künftigen häusliche» Glückes sah,<lb/> sondern anch an meinen Versuchen, platt zu sprechen, erstaunliches Gefallen fand:<lb/> ich habe übrigens nie recht dahinter kommen können, ob sein Jnbel mehr meinem<lb/> guten Willen oder meinem Ungeschick galt. Er bekam in einer großen ^agdtatthe.<lb/> die er sich über die Schulter hängte, nach wie vor weiße und braune Pakete mit.<lb/> und wenn wir es nicht so machten, wie es in der Absicht meiner Tante oder der<lb/> Wirtschafterin gelegen hatte, machte ihm offenbar der Umstand, daß man etwas<lb/> Verbotnes tat. ein besondres Vergnügen, und er versäumte nie, ans die Zuwider¬<lb/> handlung hinzuweisen, indem er mit schmunzelndem Gesicht sagte, das durste die<lb/> gnädige Frau nicht sehen, „jo nich,"</p><lb/> <p xml:id="ID_3602"> Von Zeit zu Zeit gab es auch einem Geburtstag oder mir zu Ehren für die<lb/> jungen Damen und meine kleinen Vettern Wochentage, an denen aller Unterricht<lb/> ausfiel: die wurden dann zu gemeinsamen großen Spaziergängen oder zu einer<lb/> Fahrt nach Zinnowitz verwandt; mitunter ging man auch auf eins der Vorwerke<lb/> und ließ sich da in einer großen gewölbten, überaus reinlich gehaltnen Küche Plinsen<lb/> backen, die man mit in ..weißem" Papier mitgebrachten Eingemachten verzehrte.<lb/> Ich kann mir das Zeugnis geben, daß bei allen diesen Gelegenheiten meine Ver¬<lb/> suche, platt zu sprechen, außerordentlich viel zur Erheiterung nicht bloß meiner<lb/> Verwandten, sondern auch der in der Küche, auf dem Boote und in den Ställen<lb/> anwesenden dienstbaren Geister beigetragen haben, und ich erlaubte mir, als ich<lb/> nach D......zurückgekehrt war, den dortigen ersten Komiker durch die Meldung<lb/> zu überraschen, daß ich ihn noch viel mehr beneidete als früher, seitdem ich an mir<lb/> selbst erfahren hätte, wie süß die Popularität des beliebten Spaßmachers schmecke. Ob<lb/> man die Komik absichtlich oder unabsichtlich liefert, tut, wenn man mir den Beifall<lb/> für bare Münze nimmt, nichts zur Sache. Die alte Wartefrau machte mich darauf<lb/> aufmerksam, daß sogar die kleine Alleinherrscherin Nadiegcdn die Zweite dem Bei¬<lb/> spiel der Großen folgte und in ausgelassenes Lachen auszubrechen pflegte, sobald<lb/> ich zu „rentern" anfing, und mein jüngster Vetter, der sich zur Verzweiflung<lb/> meiner Tante und des Hauslehrers das Jammern und Wehklagen so angewöhnt<lb/> hatte, daß man seinen Namen selten ohne den Zusatz: Meine nicht — Weruerche», mane<lb/> nicht! — hörte, vergaß sofort jeden Kummer, wenn er mein Plattdeutsch hörte,<lb/> und mußte, weil er es dann nach der andern Seite ebenfalls übertrieb und sich<lb/> wie ein vor Freude toll gewvrduer Brüllaffe benahm, abermals ermahnt und auf<lb/> den rechten Mittelweg zurückgeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3603"> Einen Reitstall hatte mein Onkel entweder nie gehabt, oder er hatte ihn auf¬<lb/> gegeben; ich glaube nicht, daß er mir während meines Aufenthalts in seinem Hause<lb/> je ein Pferd zum Ausreiter angeboten hat, und kann mich nicht erinnern, ihn zu<lb/> Pferd gesehen zu haben. Für den Inspektor war ein Pferd da. und wenn es<lb/> etwas Eiliges in Wolgast zu besorgen gab, mußte der erste beste Ackergnnl her¬<lb/> halten, ans dem man den als Boten abgesandten Jungen oder Knecht halb im<lb/> Galopp halb im Dreischlag querfeldein verschwinden sah. Bei dem genußreichen,<lb/> planlosen Herumlungern, wie ich es betrieb, und wobei man gemächlich ein Bad<lb/> ""hin, wen» man an eine dazu günstige Stelle des Ufers kam, fehlte einem das<lb/> Reitpferd eigentlich nicht. Weiter, als einen der Wunsch des Spazierengehens<lb/> führte, ging man doch ohnehin nicht, und ohne Pferd war man noch freier, als<lb/> wenn man immer an ein solches, einem obendrein nicht gehöriges Quadruped hätte<lb/> denken und dafür hätte sorgen müssen, daß es sich nicht losreiße und nicht in ein<lb/> beim Aiibinden unbemerkt gebliebnes Loch trete. Wenn man müde war. legte man sichins Gras, sah den leichten, weißen Wolken ein Weilchen zu, wie sie mit größerer oder<lb/> geringerer Eile im blauen Äther dahinschwebten, dachte ein wenig nach und schliefein, bis einen der Magen, der seine Zeit wohl kannte, pünktlich weckte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0677]
Ein Sommerurlaul' in Pommern
Wenn ich eine weitere Partie in Aussicht genommen hatte, bei der man sich,
wie zum Beispiel nach der Insel hinüber, des Kahns bedienen mußte, oder von der
ich nicht zur rechten Zeit zu Mittag zurück sein konnte, wurde nur jedesmal
Friedrich Wilhelm mitgegeben, mit dem ich mich ganz eingelebt hatte, und der in
mir nicht bloß einen der Mitbegründer seines künftigen häusliche» Glückes sah,
sondern anch an meinen Versuchen, platt zu sprechen, erstaunliches Gefallen fand:
ich habe übrigens nie recht dahinter kommen können, ob sein Jnbel mehr meinem
guten Willen oder meinem Ungeschick galt. Er bekam in einer großen ^agdtatthe.
die er sich über die Schulter hängte, nach wie vor weiße und braune Pakete mit.
und wenn wir es nicht so machten, wie es in der Absicht meiner Tante oder der
Wirtschafterin gelegen hatte, machte ihm offenbar der Umstand, daß man etwas
Verbotnes tat. ein besondres Vergnügen, und er versäumte nie, ans die Zuwider¬
handlung hinzuweisen, indem er mit schmunzelndem Gesicht sagte, das durste die
gnädige Frau nicht sehen, „jo nich,"
Von Zeit zu Zeit gab es auch einem Geburtstag oder mir zu Ehren für die
jungen Damen und meine kleinen Vettern Wochentage, an denen aller Unterricht
ausfiel: die wurden dann zu gemeinsamen großen Spaziergängen oder zu einer
Fahrt nach Zinnowitz verwandt; mitunter ging man auch auf eins der Vorwerke
und ließ sich da in einer großen gewölbten, überaus reinlich gehaltnen Küche Plinsen
backen, die man mit in ..weißem" Papier mitgebrachten Eingemachten verzehrte.
Ich kann mir das Zeugnis geben, daß bei allen diesen Gelegenheiten meine Ver¬
suche, platt zu sprechen, außerordentlich viel zur Erheiterung nicht bloß meiner
Verwandten, sondern auch der in der Küche, auf dem Boote und in den Ställen
anwesenden dienstbaren Geister beigetragen haben, und ich erlaubte mir, als ich
nach D......zurückgekehrt war, den dortigen ersten Komiker durch die Meldung
zu überraschen, daß ich ihn noch viel mehr beneidete als früher, seitdem ich an mir
selbst erfahren hätte, wie süß die Popularität des beliebten Spaßmachers schmecke. Ob
man die Komik absichtlich oder unabsichtlich liefert, tut, wenn man mir den Beifall
für bare Münze nimmt, nichts zur Sache. Die alte Wartefrau machte mich darauf
aufmerksam, daß sogar die kleine Alleinherrscherin Nadiegcdn die Zweite dem Bei¬
spiel der Großen folgte und in ausgelassenes Lachen auszubrechen pflegte, sobald
ich zu „rentern" anfing, und mein jüngster Vetter, der sich zur Verzweiflung
meiner Tante und des Hauslehrers das Jammern und Wehklagen so angewöhnt
hatte, daß man seinen Namen selten ohne den Zusatz: Meine nicht — Weruerche», mane
nicht! — hörte, vergaß sofort jeden Kummer, wenn er mein Plattdeutsch hörte,
und mußte, weil er es dann nach der andern Seite ebenfalls übertrieb und sich
wie ein vor Freude toll gewvrduer Brüllaffe benahm, abermals ermahnt und auf
den rechten Mittelweg zurückgeführt werden.
Einen Reitstall hatte mein Onkel entweder nie gehabt, oder er hatte ihn auf¬
gegeben; ich glaube nicht, daß er mir während meines Aufenthalts in seinem Hause
je ein Pferd zum Ausreiter angeboten hat, und kann mich nicht erinnern, ihn zu
Pferd gesehen zu haben. Für den Inspektor war ein Pferd da. und wenn es
etwas Eiliges in Wolgast zu besorgen gab, mußte der erste beste Ackergnnl her¬
halten, ans dem man den als Boten abgesandten Jungen oder Knecht halb im
Galopp halb im Dreischlag querfeldein verschwinden sah. Bei dem genußreichen,
planlosen Herumlungern, wie ich es betrieb, und wobei man gemächlich ein Bad
""hin, wen» man an eine dazu günstige Stelle des Ufers kam, fehlte einem das
Reitpferd eigentlich nicht. Weiter, als einen der Wunsch des Spazierengehens
führte, ging man doch ohnehin nicht, und ohne Pferd war man noch freier, als
wenn man immer an ein solches, einem obendrein nicht gehöriges Quadruped hätte
denken und dafür hätte sorgen müssen, daß es sich nicht losreiße und nicht in ein
beim Aiibinden unbemerkt gebliebnes Loch trete. Wenn man müde war. legte man sichins Gras, sah den leichten, weißen Wolken ein Weilchen zu, wie sie mit größerer oder
geringerer Eile im blauen Äther dahinschwebten, dachte ein wenig nach und schliefein, bis einen der Magen, der seine Zeit wohl kannte, pünktlich weckte.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |