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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Ernst Liirtins

Von den engen Verhältnissen eines deutschen Gelehrten überzeuge, aber auch
durch Kunstanschauung sich über die Enge der Räume erhoben fühle. Diese
Elternliebe im eignen Herzen vor der Geburt -- gebe "eine Ahnung von
einer andern, von der göttlichen Liebe, die auch mit ihren Gedanken nicht ge¬
wartet hat, bis der Mensch geschaffen war." Vom nächsten Tage ist ein kurzer
Brief an den Prinzen datiert, dem die freudige Nachricht zuerst mitgeteilt wird:
"ich bitte Sie nun dem Kinde ein Plätzchen in Ihrem Herzen einzuräumen."
Von dem darauf folgenden, dem 8. Juli, die Antwort des Prinzen: "Aus der
Tiefe meines Herzens eile ich Ihnen zu dem frohen Ereignis in Ihrer lieben
Familie meine allerbesten Glückwünsche darzubringen usw." Fünf Wochen später
schreibt Curtius: "Geliebter Prinz. Sie haben meine Freude geteilt, teilen
Sie auch meinen Schmerz! Meine geliebte Frau ist in dieser Nacht verschieden,
ganz plötzlich und unerwartet. Ich stehe wieder allein im Leben da. Bitte
schreiben Sie es Ihren Eltern, ich kann nicht. Sonntag früh drei Uhr." Die
Antwort des Prinzen trägt dasselbe Datum: "Soeben erhielt ich Ihre traurigen
Zeilen, mein teurer Freund, und beeile mich, Ihnen meine tiefste Betrübnis
über diesen schweren Schlag auszusprechen. Viel Worte kann ich nicht machen,
das wissen Sie, aber das kann ich Ihnen sagen, daß mich diese Nachricht so
tief erschüttert hat, als wäre mir jemand der Meinigen entrissen usw." Der
lange Brief endet mit der Versicherung der treusten Fürsorge "von Ihrem tief¬
betrübten treuen Freunde Friedrich Wilhelm." Gleich daneben steht ein sehr
schöner Trostbrief von Alexander von Humboldt vom 12. August. Darauf
folgt ein Brief vom 31. von Curtius: "Mein teurer Prinz. Sie haben mich
durch Ihre freundliche Zusage sehr erfreut. Ihrem Wunsche gemäß habe ich
die Taufhandlung auf den Nachmittag, und zwar sechs Uhr, angesetzt. Ich danke
Ihnen schon jetzt, daß Sie im Andenken an meine selige Frau und in treuer
Anhänglichkeit an Ihren Lehrer mein Kind auf Ihren Armen der Kirche Christi
darbringen wollen. Gott erhalte Sie gut und rein, mein teurer Prinz." Zu¬
gleich schreibt er an eine bei Hofe angestellte Dame, er habe sich von den durch
Augustens Liebe geheiligten Räumen nicht trennen können und sein Tagewerk,
das auch ihr so lieb gewesen, rüstig wieder mit dem Druck des zweiten Bandes
seines Peloponnes begonnen. "Bon da gehn meine Gedanken immer in mein
eheliches Leben zurück, und ich denke und fühle alles Erlebte durch bis zu
den letzten Worten, die sie zu mir sprach: Ernst, ich sehe dich nicht mehr."
inzwischen war die Taufe des Sohnes (des Herausgebers dieses Buches) vor¬
genommen worden, wir erfahren darüber nichts, können uns aber alles viel
besser nach dem letzten dieser Briefe denken: "10. September. Mein teurer
Prinz. Mein Herz treibt mich, Ihnen noch einmal meinen Dank auszusprechen
sür die Freude" die Sie mir und den Meinigen am Tauftage gemacht haben.
Die ganze wehmütige Feier hat mir eine sehr wohltätige, tröstliche Erinnerung
zurückgelassen, und daß Sie so gern in einem einfach bürgerlichen Kreise ver¬
kehren, daß Sie sich unbefangen unter uns bewegen, ohne jemand zu beengen,
das freut mich so sehr. Gott erhalte Ihnen diesen einfachen, natürlichen
Sinn!"

Als Curtius am 11. Juli 1896 starb, waren mehr als vier Jahre dahin-


Ernst Liirtins

Von den engen Verhältnissen eines deutschen Gelehrten überzeuge, aber auch
durch Kunstanschauung sich über die Enge der Räume erhoben fühle. Diese
Elternliebe im eignen Herzen vor der Geburt — gebe „eine Ahnung von
einer andern, von der göttlichen Liebe, die auch mit ihren Gedanken nicht ge¬
wartet hat, bis der Mensch geschaffen war." Vom nächsten Tage ist ein kurzer
Brief an den Prinzen datiert, dem die freudige Nachricht zuerst mitgeteilt wird:
»ich bitte Sie nun dem Kinde ein Plätzchen in Ihrem Herzen einzuräumen."
Von dem darauf folgenden, dem 8. Juli, die Antwort des Prinzen: „Aus der
Tiefe meines Herzens eile ich Ihnen zu dem frohen Ereignis in Ihrer lieben
Familie meine allerbesten Glückwünsche darzubringen usw." Fünf Wochen später
schreibt Curtius: „Geliebter Prinz. Sie haben meine Freude geteilt, teilen
Sie auch meinen Schmerz! Meine geliebte Frau ist in dieser Nacht verschieden,
ganz plötzlich und unerwartet. Ich stehe wieder allein im Leben da. Bitte
schreiben Sie es Ihren Eltern, ich kann nicht. Sonntag früh drei Uhr." Die
Antwort des Prinzen trägt dasselbe Datum: „Soeben erhielt ich Ihre traurigen
Zeilen, mein teurer Freund, und beeile mich, Ihnen meine tiefste Betrübnis
über diesen schweren Schlag auszusprechen. Viel Worte kann ich nicht machen,
das wissen Sie, aber das kann ich Ihnen sagen, daß mich diese Nachricht so
tief erschüttert hat, als wäre mir jemand der Meinigen entrissen usw." Der
lange Brief endet mit der Versicherung der treusten Fürsorge „von Ihrem tief¬
betrübten treuen Freunde Friedrich Wilhelm." Gleich daneben steht ein sehr
schöner Trostbrief von Alexander von Humboldt vom 12. August. Darauf
folgt ein Brief vom 31. von Curtius: „Mein teurer Prinz. Sie haben mich
durch Ihre freundliche Zusage sehr erfreut. Ihrem Wunsche gemäß habe ich
die Taufhandlung auf den Nachmittag, und zwar sechs Uhr, angesetzt. Ich danke
Ihnen schon jetzt, daß Sie im Andenken an meine selige Frau und in treuer
Anhänglichkeit an Ihren Lehrer mein Kind auf Ihren Armen der Kirche Christi
darbringen wollen. Gott erhalte Sie gut und rein, mein teurer Prinz." Zu¬
gleich schreibt er an eine bei Hofe angestellte Dame, er habe sich von den durch
Augustens Liebe geheiligten Räumen nicht trennen können und sein Tagewerk,
das auch ihr so lieb gewesen, rüstig wieder mit dem Druck des zweiten Bandes
seines Peloponnes begonnen. „Bon da gehn meine Gedanken immer in mein
eheliches Leben zurück, und ich denke und fühle alles Erlebte durch bis zu
den letzten Worten, die sie zu mir sprach: Ernst, ich sehe dich nicht mehr."
inzwischen war die Taufe des Sohnes (des Herausgebers dieses Buches) vor¬
genommen worden, wir erfahren darüber nichts, können uns aber alles viel
besser nach dem letzten dieser Briefe denken: „10. September. Mein teurer
Prinz. Mein Herz treibt mich, Ihnen noch einmal meinen Dank auszusprechen
sür die Freude" die Sie mir und den Meinigen am Tauftage gemacht haben.
Die ganze wehmütige Feier hat mir eine sehr wohltätige, tröstliche Erinnerung
zurückgelassen, und daß Sie so gern in einem einfach bürgerlichen Kreise ver¬
kehren, daß Sie sich unbefangen unter uns bewegen, ohne jemand zu beengen,
das freut mich so sehr. Gott erhalte Ihnen diesen einfachen, natürlichen
Sinn!"

Als Curtius am 11. Juli 1896 starb, waren mehr als vier Jahre dahin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/667>, abgerufen am 27.11.2024.