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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bund der Kaufleute.

Aus Berlin kommt die Nachricht, daß die Dele¬
gierten von 124 kaufmännischen Vereinigungen ganz Deutschlands beschlossen haben,
einen Bund der Kaufleute zu begründen. Der Kaufmannsstand -- so wurde in
der Sitzung ausgeführt -- hat bisher keine Organisation gehabt, die seine Inter¬
essen in der Öffentlichkeit mit dem wünschenswerten Nachdruck hätte wahrnehmen
können. Darum ist der Kaufmannsstand bisher unterschätzt, sind seine Interessen
vernachlässigt worden. Der Bund der Kaufleute soll hierin Wandel schaffen. In
bewußter Einseitigkeit soll er die gemeinsamen Interessen des Handelsstandes wahren
und die Gesetzgebung in dieser Richtung beeinflussen. Jeder, der dem Handelsstande
angehört, ist zum Mitgliede berufen, ob er selbständiger Kaufmann oder Hand¬
lungsgehilfe, ob er Großkaufmann oder kleiner Krämer ist; alle, ohne Rücksicht auf
politische Partciangehörigkeit, ohne Rücksicht ans soziale Stellung. Auch wenn es
in der Versammlung nicht ausdrücklich ausgesprochen worden wäre, würde es jeder¬
mann sofort erkennen, daß dieser Bund mehr noch als im Namen in der Sache
dem Bunde der Landwirte gleichen soll. Einseitige Interessenvertretung, mechanische
Massenwirkung! Wir zweifeln nicht, daß der neue Bund Anklang finden wird,
wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß im nächsten Jahre nach dem Bunde der
Landwirte der Bund der Kaufleute im Zirkus Renz zu Berlin seine Heeresschau
halten wird, daß schließlich auch der beweglichere Kaufmann dnrch die Zahl dieselbe
Mnssenwirtnng erzeugen wird, wie der gewichtige Landwirt. Doch gleichviel, wie
sich der neue Bund auch künftig entwickeln wird, schon die Tatsache seiner Gründung
ist für den, der die innerpolitische Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahr¬
zehnten verfolgt hat, von Bedeutung, sie ist ein weiterer Schritt auf dem Wege
der Entwicklung, die schließlich zum Zerfall der alte" politischen Parteien und zu
deren Ersetzung durch wirtschaftliche Interessenvertretungen führen wird. Den Au-
f""g dieser Entwicklung bezeichnet die Entstehung der sozialdemokratischen Partei.
Denn abgesehen von der politischen Verbrämung des Parteiprogramms ist diese
Partei ihrem innersten Wesen nach nichts als eine Organisation zur einseitigen
Vertretung der Arbeiterinteressen, ein Bund der Arbeiter, die Arbeiterpartei, wie
sie sich selbst so oft bezeichnet. Mag immerhin der wissenschaftliche Sozialismus
die kommunistische Organisation der Volkswirtschaft als das Ideal bezeichnen und
damit nicht nur den Interessenkreis der Arbeiterklasse, sondern den des ganzen Volks
berühren, davon ist er doch überzeugt, daß eine solche alles umfassende Neuordnung
nicht mit einem Schlage, nicht in der nächsten Zeit verwirklicht werden kann, sondern
"ur ans dem Wege allmählicher, organischer Weiterentwicklung des Bestehenden, als
das Ergebnis eines vielleicht noch Jahrhunderte dauernden Umwandlungsprozesses.
Je weiter aber ein Ideal von seiner Verwirklichung entfernt ist, desto weniger ist
es geeignet. Norm und Richtschnur einer Partei zu sein, die sich praktisch in der
Gegenwart betätigen will. Und wenn ferner die sozialdemokratische Partei die
demokratische Republik als die beste Staatsform bezeichnet, so hat auch das nicht
viel mehr als eine wissenschaftliche Bedeutung! die Partei ist sich über die tiefste
Ursache ihrer werbenden Kraft viel zu klar, als daß sie ihre Kräfte in dem Kampf
um eine Staatsform vergeudete, die bedeutungslos wäre, wenn nicht zugleich der
soziale und wirtschaftliche Aufbau des Volkskörpers vou Grund aus umgewandelt
würde, von der sie aber hoffen kaun, daß sie einst als das natürliche Ergebnis der
erstrebten innern Umwandlung des Vvlkskörpers wie eine reife Frucht in den Schoß
der kommunistisch organisierten menschlichen Gesellschaft fallen wird. Soweit also
die sozialdemokratische Partei als eine in der Gegenwart und für die Gegenwart
wirkende Partei in Betracht kommt -- und bei der Beurteilung der gegenwärtigen
i"nem politischen Verhältnisse kommt sie nur als solche in Frage --, bleibt von
ihrem Parteiprogramm nichts übrig als die einseitige Wahrnehmung der Interessen


Grenzboten I 1903 79
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bund der Kaufleute.

Aus Berlin kommt die Nachricht, daß die Dele¬
gierten von 124 kaufmännischen Vereinigungen ganz Deutschlands beschlossen haben,
einen Bund der Kaufleute zu begründen. Der Kaufmannsstand — so wurde in
der Sitzung ausgeführt — hat bisher keine Organisation gehabt, die seine Inter¬
essen in der Öffentlichkeit mit dem wünschenswerten Nachdruck hätte wahrnehmen
können. Darum ist der Kaufmannsstand bisher unterschätzt, sind seine Interessen
vernachlässigt worden. Der Bund der Kaufleute soll hierin Wandel schaffen. In
bewußter Einseitigkeit soll er die gemeinsamen Interessen des Handelsstandes wahren
und die Gesetzgebung in dieser Richtung beeinflussen. Jeder, der dem Handelsstande
angehört, ist zum Mitgliede berufen, ob er selbständiger Kaufmann oder Hand¬
lungsgehilfe, ob er Großkaufmann oder kleiner Krämer ist; alle, ohne Rücksicht auf
politische Partciangehörigkeit, ohne Rücksicht ans soziale Stellung. Auch wenn es
in der Versammlung nicht ausdrücklich ausgesprochen worden wäre, würde es jeder¬
mann sofort erkennen, daß dieser Bund mehr noch als im Namen in der Sache
dem Bunde der Landwirte gleichen soll. Einseitige Interessenvertretung, mechanische
Massenwirkung! Wir zweifeln nicht, daß der neue Bund Anklang finden wird,
wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß im nächsten Jahre nach dem Bunde der
Landwirte der Bund der Kaufleute im Zirkus Renz zu Berlin seine Heeresschau
halten wird, daß schließlich auch der beweglichere Kaufmann dnrch die Zahl dieselbe
Mnssenwirtnng erzeugen wird, wie der gewichtige Landwirt. Doch gleichviel, wie
sich der neue Bund auch künftig entwickeln wird, schon die Tatsache seiner Gründung
ist für den, der die innerpolitische Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahr¬
zehnten verfolgt hat, von Bedeutung, sie ist ein weiterer Schritt auf dem Wege
der Entwicklung, die schließlich zum Zerfall der alte» politischen Parteien und zu
deren Ersetzung durch wirtschaftliche Interessenvertretungen führen wird. Den Au-
f"»g dieser Entwicklung bezeichnet die Entstehung der sozialdemokratischen Partei.
Denn abgesehen von der politischen Verbrämung des Parteiprogramms ist diese
Partei ihrem innersten Wesen nach nichts als eine Organisation zur einseitigen
Vertretung der Arbeiterinteressen, ein Bund der Arbeiter, die Arbeiterpartei, wie
sie sich selbst so oft bezeichnet. Mag immerhin der wissenschaftliche Sozialismus
die kommunistische Organisation der Volkswirtschaft als das Ideal bezeichnen und
damit nicht nur den Interessenkreis der Arbeiterklasse, sondern den des ganzen Volks
berühren, davon ist er doch überzeugt, daß eine solche alles umfassende Neuordnung
nicht mit einem Schlage, nicht in der nächsten Zeit verwirklicht werden kann, sondern
"ur ans dem Wege allmählicher, organischer Weiterentwicklung des Bestehenden, als
das Ergebnis eines vielleicht noch Jahrhunderte dauernden Umwandlungsprozesses.
Je weiter aber ein Ideal von seiner Verwirklichung entfernt ist, desto weniger ist
es geeignet. Norm und Richtschnur einer Partei zu sein, die sich praktisch in der
Gegenwart betätigen will. Und wenn ferner die sozialdemokratische Partei die
demokratische Republik als die beste Staatsform bezeichnet, so hat auch das nicht
viel mehr als eine wissenschaftliche Bedeutung! die Partei ist sich über die tiefste
Ursache ihrer werbenden Kraft viel zu klar, als daß sie ihre Kräfte in dem Kampf
um eine Staatsform vergeudete, die bedeutungslos wäre, wenn nicht zugleich der
soziale und wirtschaftliche Aufbau des Volkskörpers vou Grund aus umgewandelt
würde, von der sie aber hoffen kaun, daß sie einst als das natürliche Ergebnis der
erstrebten innern Umwandlung des Vvlkskörpers wie eine reife Frucht in den Schoß
der kommunistisch organisierten menschlichen Gesellschaft fallen wird. Soweit also
die sozialdemokratische Partei als eine in der Gegenwart und für die Gegenwart
wirkende Partei in Betracht kommt — und bei der Beurteilung der gegenwärtigen
i»nem politischen Verhältnisse kommt sie nur als solche in Frage —, bleibt von
ihrem Parteiprogramm nichts übrig als die einseitige Wahrnehmung der Interessen


Grenzboten I 1903 79
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[0625] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Bund der Kaufleute. Aus Berlin kommt die Nachricht, daß die Dele¬ gierten von 124 kaufmännischen Vereinigungen ganz Deutschlands beschlossen haben, einen Bund der Kaufleute zu begründen. Der Kaufmannsstand — so wurde in der Sitzung ausgeführt — hat bisher keine Organisation gehabt, die seine Inter¬ essen in der Öffentlichkeit mit dem wünschenswerten Nachdruck hätte wahrnehmen können. Darum ist der Kaufmannsstand bisher unterschätzt, sind seine Interessen vernachlässigt worden. Der Bund der Kaufleute soll hierin Wandel schaffen. In bewußter Einseitigkeit soll er die gemeinsamen Interessen des Handelsstandes wahren und die Gesetzgebung in dieser Richtung beeinflussen. Jeder, der dem Handelsstande angehört, ist zum Mitgliede berufen, ob er selbständiger Kaufmann oder Hand¬ lungsgehilfe, ob er Großkaufmann oder kleiner Krämer ist; alle, ohne Rücksicht auf politische Partciangehörigkeit, ohne Rücksicht ans soziale Stellung. Auch wenn es in der Versammlung nicht ausdrücklich ausgesprochen worden wäre, würde es jeder¬ mann sofort erkennen, daß dieser Bund mehr noch als im Namen in der Sache dem Bunde der Landwirte gleichen soll. Einseitige Interessenvertretung, mechanische Massenwirkung! Wir zweifeln nicht, daß der neue Bund Anklang finden wird, wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß im nächsten Jahre nach dem Bunde der Landwirte der Bund der Kaufleute im Zirkus Renz zu Berlin seine Heeresschau halten wird, daß schließlich auch der beweglichere Kaufmann dnrch die Zahl dieselbe Mnssenwirtnng erzeugen wird, wie der gewichtige Landwirt. Doch gleichviel, wie sich der neue Bund auch künftig entwickeln wird, schon die Tatsache seiner Gründung ist für den, der die innerpolitische Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahr¬ zehnten verfolgt hat, von Bedeutung, sie ist ein weiterer Schritt auf dem Wege der Entwicklung, die schließlich zum Zerfall der alte» politischen Parteien und zu deren Ersetzung durch wirtschaftliche Interessenvertretungen führen wird. Den Au- f"»g dieser Entwicklung bezeichnet die Entstehung der sozialdemokratischen Partei. Denn abgesehen von der politischen Verbrämung des Parteiprogramms ist diese Partei ihrem innersten Wesen nach nichts als eine Organisation zur einseitigen Vertretung der Arbeiterinteressen, ein Bund der Arbeiter, die Arbeiterpartei, wie sie sich selbst so oft bezeichnet. Mag immerhin der wissenschaftliche Sozialismus die kommunistische Organisation der Volkswirtschaft als das Ideal bezeichnen und damit nicht nur den Interessenkreis der Arbeiterklasse, sondern den des ganzen Volks berühren, davon ist er doch überzeugt, daß eine solche alles umfassende Neuordnung nicht mit einem Schlage, nicht in der nächsten Zeit verwirklicht werden kann, sondern "ur ans dem Wege allmählicher, organischer Weiterentwicklung des Bestehenden, als das Ergebnis eines vielleicht noch Jahrhunderte dauernden Umwandlungsprozesses. Je weiter aber ein Ideal von seiner Verwirklichung entfernt ist, desto weniger ist es geeignet. Norm und Richtschnur einer Partei zu sein, die sich praktisch in der Gegenwart betätigen will. Und wenn ferner die sozialdemokratische Partei die demokratische Republik als die beste Staatsform bezeichnet, so hat auch das nicht viel mehr als eine wissenschaftliche Bedeutung! die Partei ist sich über die tiefste Ursache ihrer werbenden Kraft viel zu klar, als daß sie ihre Kräfte in dem Kampf um eine Staatsform vergeudete, die bedeutungslos wäre, wenn nicht zugleich der soziale und wirtschaftliche Aufbau des Volkskörpers vou Grund aus umgewandelt würde, von der sie aber hoffen kaun, daß sie einst als das natürliche Ergebnis der erstrebten innern Umwandlung des Vvlkskörpers wie eine reife Frucht in den Schoß der kommunistisch organisierten menschlichen Gesellschaft fallen wird. Soweit also die sozialdemokratische Partei als eine in der Gegenwart und für die Gegenwart wirkende Partei in Betracht kommt — und bei der Beurteilung der gegenwärtigen i»nem politischen Verhältnisse kommt sie nur als solche in Frage —, bleibt von ihrem Parteiprogramm nichts übrig als die einseitige Wahrnehmung der Interessen Grenzboten I 1903 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/625>, abgerufen am 24.11.2024.