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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Horbstbilder von der Rödor und der pnlsnitz

in die Oberlausitz gezogen, denn er erhält 1420 den Lehrbrief fiir Pulsnitz und
Eifern von König Sigismund von Böhmen.

Das Dorf Ponickau liegt trotz seiner Waldeinsamkeit auf uraltem Knltur-
bvden. Im Jahre 1760 sind uicht U'eit von der Pfarre und um 1800 auch
im Schulgärten nahe am Kirchhofe wendische Fürsteugräbcr entdeckt worden.
Doch müssen das Christentum und das Deutschtum verhältnismäßig früh hier
eingedrungen sein. Eine alte Sage erzählt von einem schlichten Holzkirchlein,
das im jetzigen Pfarrgarten gestanden und von den aufständischen Slaven ver¬
brannt worden sei. Geschmolzues Glvckenmetall, das vor einem Menschenalter
an der bezeichneten Stelle zum Vorschein kam, scheint die Sage zu bestätigen
Es handelte sich wohl um einen Platz, der auch den Slaven heilig war. Des¬
halb suchte man später den heidnischen Zauber durch ein wundertätiges Marien¬
bild zu überwinden. Es war noch um 1750, an Kopf, Händen und Füßen
aus bemaltem Zinn, in der Kirche vorhanden, deren ältester Teil aus einem
fast fensterlosen, festungsartigen Tonnengewölbe besteht. Jetzt erinnert nur noch
der schöne, wohl auch aus der Großenhainer Kunstschule stammende Flügelaltar
mit der Jahreszahl 5001, die wohl als 1501 aufzufassen ist, an den alten
Marienkultus. Er enthält im Mittelstück in ziemlich großen, gut ausgeführten
Figuren die Krönung der Jungfrau durch Gott und Christus, darüber zwei
Flügel mit Aposteln.'

Der Tag, um dem man ans der ganzen Umgegend zum Marienbilde von
Ponickau wallfahrtete, war der Tag Maria Geburt. Nach dem Gottesdienste
fand eine Prozession zum wundertätigen Rosenbrunnen statt. Daran schloß
sich ein nicht unbedeutender Markt. Noch 1821 berichtet der Schumannsche
Chronist, er könne dem Lorenzkircher Markte an die Seite gestellt werden.
"Der Flachsmarkt beginnt allemal mit Sonnenaufgang, der Krammarkt aber
mittags 12 Uhr. Die Zahl der Flachsverkäuferinnen beläuft sich oft an zwei¬
hundert, die der Kaufleute und Krämer an vierhundert. Der Flachs kommt
meistens aus der Lausitz, die Kramware aus Ortrand, Nadcburg, Königsbrück,
Dresden, Meißen. Jeder Einwohner hat an diesem Tage Schenk- und Speise¬
recht, und auf dem Markte halten die Ortrander Fleischer eine ordentliche Gar¬
küche." Wie fremdartig und sonderbar mutet uns dieses Bild einer verschollenen
Wirtschaftsweise und eines abgestorbneu Verkehrs an -- und doch ist es uoch
nicht hundert Jahre her. Seitdem ists still gewordcu im alten Grenzwalde,
Handel und Wandel haben sich hinunter ins Elbtal verzogen - - niemand kauft
mehr Flachs auf dem Jahrmarkte, das Spinnrad ist in Staub und Moder
zerfallen, und das jüdische Warenhaus liefert sogar dein Landvolk die fertigen
Hemden aus minderwertigem Bnumwollstoff, an dem der Schweiß des modernen
Fabrikarbeiters und der Blutstropfen der großstädtischen Maschinennäherin kleben.
Aber die Bauern von Ponickau und Lüttichau haben die alte Zeit uoch im
Gedächtnis, sie wissen auch noch, daß sie am "Landgemerke" sitzen, denn von
den zu ihnen eingepfarrten Leuten von Nvhna sagen sie: "die drüben in der
Lausitz" -- sie fahren auch fort, ein fleißiges, stilles, zähes Geschlecht, um kargen
Gewinn ihren magern Sandacker zu bauen und dem König Soldaten zu liefern,
gebe Gott, noch recht lange!


Horbstbilder von der Rödor und der pnlsnitz

in die Oberlausitz gezogen, denn er erhält 1420 den Lehrbrief fiir Pulsnitz und
Eifern von König Sigismund von Böhmen.

Das Dorf Ponickau liegt trotz seiner Waldeinsamkeit auf uraltem Knltur-
bvden. Im Jahre 1760 sind uicht U'eit von der Pfarre und um 1800 auch
im Schulgärten nahe am Kirchhofe wendische Fürsteugräbcr entdeckt worden.
Doch müssen das Christentum und das Deutschtum verhältnismäßig früh hier
eingedrungen sein. Eine alte Sage erzählt von einem schlichten Holzkirchlein,
das im jetzigen Pfarrgarten gestanden und von den aufständischen Slaven ver¬
brannt worden sei. Geschmolzues Glvckenmetall, das vor einem Menschenalter
an der bezeichneten Stelle zum Vorschein kam, scheint die Sage zu bestätigen
Es handelte sich wohl um einen Platz, der auch den Slaven heilig war. Des¬
halb suchte man später den heidnischen Zauber durch ein wundertätiges Marien¬
bild zu überwinden. Es war noch um 1750, an Kopf, Händen und Füßen
aus bemaltem Zinn, in der Kirche vorhanden, deren ältester Teil aus einem
fast fensterlosen, festungsartigen Tonnengewölbe besteht. Jetzt erinnert nur noch
der schöne, wohl auch aus der Großenhainer Kunstschule stammende Flügelaltar
mit der Jahreszahl 5001, die wohl als 1501 aufzufassen ist, an den alten
Marienkultus. Er enthält im Mittelstück in ziemlich großen, gut ausgeführten
Figuren die Krönung der Jungfrau durch Gott und Christus, darüber zwei
Flügel mit Aposteln.'

Der Tag, um dem man ans der ganzen Umgegend zum Marienbilde von
Ponickau wallfahrtete, war der Tag Maria Geburt. Nach dem Gottesdienste
fand eine Prozession zum wundertätigen Rosenbrunnen statt. Daran schloß
sich ein nicht unbedeutender Markt. Noch 1821 berichtet der Schumannsche
Chronist, er könne dem Lorenzkircher Markte an die Seite gestellt werden.
„Der Flachsmarkt beginnt allemal mit Sonnenaufgang, der Krammarkt aber
mittags 12 Uhr. Die Zahl der Flachsverkäuferinnen beläuft sich oft an zwei¬
hundert, die der Kaufleute und Krämer an vierhundert. Der Flachs kommt
meistens aus der Lausitz, die Kramware aus Ortrand, Nadcburg, Königsbrück,
Dresden, Meißen. Jeder Einwohner hat an diesem Tage Schenk- und Speise¬
recht, und auf dem Markte halten die Ortrander Fleischer eine ordentliche Gar¬
küche." Wie fremdartig und sonderbar mutet uns dieses Bild einer verschollenen
Wirtschaftsweise und eines abgestorbneu Verkehrs an — und doch ist es uoch
nicht hundert Jahre her. Seitdem ists still gewordcu im alten Grenzwalde,
Handel und Wandel haben sich hinunter ins Elbtal verzogen - - niemand kauft
mehr Flachs auf dem Jahrmarkte, das Spinnrad ist in Staub und Moder
zerfallen, und das jüdische Warenhaus liefert sogar dein Landvolk die fertigen
Hemden aus minderwertigem Bnumwollstoff, an dem der Schweiß des modernen
Fabrikarbeiters und der Blutstropfen der großstädtischen Maschinennäherin kleben.
Aber die Bauern von Ponickau und Lüttichau haben die alte Zeit uoch im
Gedächtnis, sie wissen auch noch, daß sie am „Landgemerke" sitzen, denn von
den zu ihnen eingepfarrten Leuten von Nvhna sagen sie: „die drüben in der
Lausitz" — sie fahren auch fort, ein fleißiges, stilles, zähes Geschlecht, um kargen
Gewinn ihren magern Sandacker zu bauen und dem König Soldaten zu liefern,
gebe Gott, noch recht lange!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/541>, abgerufen am 24.11.2024.