Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Selbstbilder von der Roter und der Pulsnitz Kirche erlaubte sie sich auf Kosten der Gemeinde so große Eigenmächtigkeiten, Wie manche Faust mag sich damals gegen die Schlösser der Gutsherren Von Kmehlen gelangte ich im Lnnfe des Nachmittags nach Ortrand, einem Selbstbilder von der Roter und der Pulsnitz Kirche erlaubte sie sich auf Kosten der Gemeinde so große Eigenmächtigkeiten, Wie manche Faust mag sich damals gegen die Schlösser der Gutsherren Von Kmehlen gelangte ich im Lnnfe des Nachmittags nach Ortrand, einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0539" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240095"/> <fw type="header" place="top"> Selbstbilder von der Roter und der Pulsnitz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2813" prev="#ID_2812"> Kirche erlaubte sie sich auf Kosten der Gemeinde so große Eigenmächtigkeiten,<lb/> daß ihre Erben später sechshundert Taler herauszahleu mußten. Deshalb wurde<lb/> ihr über der Orgel angebrachtes Symbol, eine goldne Sonne, die bis ins neun¬<lb/> zehnte Jahrhundert hinein die Bauern an ihre einstige Quülerin erinnerte, nicht<lb/> eben mit freundlichen Augen angeschaut. Die Schmiedin in Merzdorf hatte zwar<lb/> 1733 versprochen, von der üblichen Kost der Froner und Fronerinnen nichts<lb/> abzubrechen, also täglich zu gewähren: „Biermährde mit Graupen, Mehlbrei<lb/> mit Speck und Zwiebeln, zwei Bümmchen Brot und einen Käse," auch jedem<lb/> Knecht „zwey rauche Kalb Felle, denen Mägden aber acht Groschen Schuh<lb/> Geld über das hergebrachte Lohn" zu geben, auch sollten „alle geleisteten Unterthan¬<lb/> dienste Sonntag Abend an die Kerbhölzer angeschnitten und ihnen eben dieser<lb/> Zeit ihr Lohn gereichet werden," aber in Wahrheit hörten die Klagen des Ge¬<lb/> sindes und der Gutsnutertcmen uicht auf, bis schließlich durch einen kurfürstlichen<lb/> Kommissar die 58 Streitpunkte gütlich beigelegt wurden. Von den Bauern<lb/> war z. B. verlangt worden, sie sollten auch außerhalb der ordentlichen Fron-<lb/> tage Brennholz für die Herrschaft fahren und sie sollten auch um Markttagen<lb/> Dienst tu». Es mußte ausdrücklich festgesetzt werden, daß die Botenläufer nicht<lb/> über zwölf Pfund zu tragen hätten, daß Frauen und Kinder in Abwesenheit<lb/> der Männer mit Erb- und Lohntagen verschont würden. Die Herrschaft ver¬<lb/> langte, daß die Froner bei Getreidefuhren anch die Säcke lieferten, daß sie sich<lb/> und die Pferde selbst beköstigten, in der ersten Nacht das Stallgeld zahlten,<lb/> Wege und Dämme beschotterten. Alles Schlachtvieh, Butter und andre Lebens¬<lb/> mittel mußten, ehe sie auf den Markt gebracht wurden, erst der Herrschaft zum<lb/> Kauf angeboten werden; wurde aber das Gut verkauft, so mußte jeder Hüfner<lb/> drei Taler Lehnsgeld zahlen, die kleinern Besitzer im Verhältnis. Dabei besaß<lb/> die Herrschaft in Fraueuhain beide Schenken und zwang die Bauern, das Bier<lb/> bei ihr, die Kanne zu vier Pfennigen, zu laufen, und der Gerichtsverwalter war<lb/> bemüht, die Gemeiuderugen, ein altes Gericht der Dorfgenossen unter Vorsitz<lb/> ihres Richters, zu verbieten, damit zu Gunsten der herrschaftlichen Kasse „alles<lb/> Prozeßmäßig traktieret" werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2814"> Wie manche Faust mag sich damals gegen die Schlösser der Gutsherren<lb/> geballt haben, und das zu einer Zeit, wo man sich nicht nur in Frankreich,<lb/> sondern auch an den deutschen Höfen den Landmann mit Vorliebe als den von<lb/> sanften Empfindungen bewegten „Schäfer" vorstellte. Man versteht unter diesen<lb/> Umständen die tiefe Erregung, die der Ausbruch der französischen Revolution,<lb/> insbesondre die in der berühmtem Nachtsitzuug vom 3./4. August 1739 bewirkte<lb/> Aufhebung aller Fronten und Feudallasten auch bei den sächsischen Bauern<lb/> hervorrufen mußte. Die bekannten Unruhen des Sommers 1790, besonders<lb/> in der Meißner und der Lommcchscher Gegend, wo das Selbstbewußtsein am<lb/> größten war, sind ein deutliches Symptom davon. Welche Wohltat war also<lb/> das 1832 im Sinn und Geiste des Neichsfreiherrn vom Stein von der sächsischen<lb/> Regierung und dem neuen Landtage vereinbarte Ablösungsgesetz, das allerdings<lb/> zu seiner Durchführung Jahrzehnte in Anspruch nahm.</p><lb/> <p xml:id="ID_2815" next="#ID_2816"> Von Kmehlen gelangte ich im Lnnfe des Nachmittags nach Ortrand, einem<lb/> kleinen freundlichen Städtchen von mir 1600 Einwohnern, die abgesehen von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0539]
Selbstbilder von der Roter und der Pulsnitz
Kirche erlaubte sie sich auf Kosten der Gemeinde so große Eigenmächtigkeiten,
daß ihre Erben später sechshundert Taler herauszahleu mußten. Deshalb wurde
ihr über der Orgel angebrachtes Symbol, eine goldne Sonne, die bis ins neun¬
zehnte Jahrhundert hinein die Bauern an ihre einstige Quülerin erinnerte, nicht
eben mit freundlichen Augen angeschaut. Die Schmiedin in Merzdorf hatte zwar
1733 versprochen, von der üblichen Kost der Froner und Fronerinnen nichts
abzubrechen, also täglich zu gewähren: „Biermährde mit Graupen, Mehlbrei
mit Speck und Zwiebeln, zwei Bümmchen Brot und einen Käse," auch jedem
Knecht „zwey rauche Kalb Felle, denen Mägden aber acht Groschen Schuh
Geld über das hergebrachte Lohn" zu geben, auch sollten „alle geleisteten Unterthan¬
dienste Sonntag Abend an die Kerbhölzer angeschnitten und ihnen eben dieser
Zeit ihr Lohn gereichet werden," aber in Wahrheit hörten die Klagen des Ge¬
sindes und der Gutsnutertcmen uicht auf, bis schließlich durch einen kurfürstlichen
Kommissar die 58 Streitpunkte gütlich beigelegt wurden. Von den Bauern
war z. B. verlangt worden, sie sollten auch außerhalb der ordentlichen Fron-
tage Brennholz für die Herrschaft fahren und sie sollten auch um Markttagen
Dienst tu». Es mußte ausdrücklich festgesetzt werden, daß die Botenläufer nicht
über zwölf Pfund zu tragen hätten, daß Frauen und Kinder in Abwesenheit
der Männer mit Erb- und Lohntagen verschont würden. Die Herrschaft ver¬
langte, daß die Froner bei Getreidefuhren anch die Säcke lieferten, daß sie sich
und die Pferde selbst beköstigten, in der ersten Nacht das Stallgeld zahlten,
Wege und Dämme beschotterten. Alles Schlachtvieh, Butter und andre Lebens¬
mittel mußten, ehe sie auf den Markt gebracht wurden, erst der Herrschaft zum
Kauf angeboten werden; wurde aber das Gut verkauft, so mußte jeder Hüfner
drei Taler Lehnsgeld zahlen, die kleinern Besitzer im Verhältnis. Dabei besaß
die Herrschaft in Fraueuhain beide Schenken und zwang die Bauern, das Bier
bei ihr, die Kanne zu vier Pfennigen, zu laufen, und der Gerichtsverwalter war
bemüht, die Gemeiuderugen, ein altes Gericht der Dorfgenossen unter Vorsitz
ihres Richters, zu verbieten, damit zu Gunsten der herrschaftlichen Kasse „alles
Prozeßmäßig traktieret" werde.
Wie manche Faust mag sich damals gegen die Schlösser der Gutsherren
geballt haben, und das zu einer Zeit, wo man sich nicht nur in Frankreich,
sondern auch an den deutschen Höfen den Landmann mit Vorliebe als den von
sanften Empfindungen bewegten „Schäfer" vorstellte. Man versteht unter diesen
Umständen die tiefe Erregung, die der Ausbruch der französischen Revolution,
insbesondre die in der berühmtem Nachtsitzuug vom 3./4. August 1739 bewirkte
Aufhebung aller Fronten und Feudallasten auch bei den sächsischen Bauern
hervorrufen mußte. Die bekannten Unruhen des Sommers 1790, besonders
in der Meißner und der Lommcchscher Gegend, wo das Selbstbewußtsein am
größten war, sind ein deutliches Symptom davon. Welche Wohltat war also
das 1832 im Sinn und Geiste des Neichsfreiherrn vom Stein von der sächsischen
Regierung und dem neuen Landtage vereinbarte Ablösungsgesetz, das allerdings
zu seiner Durchführung Jahrzehnte in Anspruch nahm.
Von Kmehlen gelangte ich im Lnnfe des Nachmittags nach Ortrand, einem
kleinen freundlichen Städtchen von mir 1600 Einwohnern, die abgesehen von
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