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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Verwaltung

mit unnützer Schreiberei hingebracht. Zunächst müssen die vielen Berichte an
die Minister erledigt werden, und dann wirkt das Schreiben ansteckend. Auch
hier werden überflüssige Berichte eingefordert, auch hier fehlt es nicht an De¬
zernenten, die das Bedürfnis fühlen, möglichst viele Sachen an sich zu ziehn.
Das Spczialisteutum blüht auch bei den Regierungen, und die Entscheidungen
werden gnr zu oft nur auf Grund der vorliegenden Berichte und der Akten
getroffen. Weiter kommt bei den Regierungen der merkwürdige Übelstand in
Betracht, daß bei ihnen nicht etwa zu wenig, sondern viel zu viel höhere Be¬
amte beschäftigt find. Es muß das einmal klar und scharf ausgesprochen
werden. Im Jahre 1885 gab es 180 Negierungsaffessoren, nach dem Ver-
waltnngskalender von 1903 gibt es deren 580. Davon arbeiten 136 an Land¬
ratsämtern und 444 bei den Regierungen, den Oberprüsidieu und an einigen
wenigen andern Stellen. Da anch die Zahl der etatsmäßigen Stellen bei den
Regierungen seit 1895 um etwa hundert vermehrt worden ist, so ergibt sich
daraus eine sehr große Zunahme der bei den Regierungen beschäftigten Be¬
amten. Daß die Geschäfte in entsprechendem Umfange gewachsen seien, ist
ausgeschlossen, und es folgt daraus, daß bei den Regierungen sehr viel mehr
Beamte beschäftigt sind, als dem Bedürfnis entspricht. Daß das tatsächlich so
ist, davon kann sich jeder Unbefangne jeden Tag überzeugen. Die Mehrzahl
der Dezernenten bei den Regierungen ist nicht voll beschäftigt, und es kommt
oft vor, daß Beamte darum bitten, ihnen mehr Arbeit zu geben, daß aber
dem Wunsche nicht entsprochen werden kann, weil diese Arbeit eben nicht vor¬
handen ist. Zu diesem Zustande hat es nur deshalb kommen können, weil
sich um die Angelegenheiten der Verwaltung auch die nicht kümmern, die dazu
berufen sind. In der letzten Zeit des Ministers von Puttkmuer und besonders
unter dem Minister Herrfurth war der Andrang zur Verwaltung sehr groß,
weil man bis dahin sehr schnell zur etatsmäßigen Anstellung gelangte, die Re¬
gierungspräsidenten durften so viele Referendare in den Verwaltungsdienst über¬
nehmen, als ihnen beliebte, und so wuchs die Zahl der Assessoren in wenig
Jahren von 1885 bis 1892 sehr schnell von 180 auf 455, und bis 1895
ans 562. Als es zu spät war, beschränkte man die Zahl der Referendare, aber
auch jetzt werden noch zu viel angenommen, und das Ergebnis ist eben, daß
bei den Regierungen viel mehr Beamte sind, als nötig ist. Die notwendige
Folge davon ist, daß die jüngern Beamten sehr schlecht besoldet werden, daß
sie spät in eine etatsinäßige Stelle aufrücken (zur Zeit im elften Jahre nach
dem Examen), und daß sie in den besten Jahren des Lebens keine ausreichende
Beschäftigung haben. Die Gründlichkeit der Arbeit nimmt aber bekanntlich nicht
zu, wenn das Arbeitspensum klein ist, wohl aber wird die Neigung zu un¬
nützer Vielschreibern gefordert.

Dazu kommt endlich ein Geschäftsgang, der geradezu ungeheuerlich ist.
Massow hat nachgerechnet, daß jedes Stück von Tage des Eingangs bis zu
der Stunde, wo es wieder zur Post getragen wird, durch dreißig Hände geht.
Für die Erledigung der einfachsten Sache sind unter diesen Umständen mehrere
Tage nötig, denn vor dem dritten Tage nach der Präsentation kommt ein
Stuck selten zum Dezernenten, und ebensoviel Zeit ist nötig, bis es nach der


Zur Reform der preußischen Verwaltung

mit unnützer Schreiberei hingebracht. Zunächst müssen die vielen Berichte an
die Minister erledigt werden, und dann wirkt das Schreiben ansteckend. Auch
hier werden überflüssige Berichte eingefordert, auch hier fehlt es nicht an De¬
zernenten, die das Bedürfnis fühlen, möglichst viele Sachen an sich zu ziehn.
Das Spczialisteutum blüht auch bei den Regierungen, und die Entscheidungen
werden gnr zu oft nur auf Grund der vorliegenden Berichte und der Akten
getroffen. Weiter kommt bei den Regierungen der merkwürdige Übelstand in
Betracht, daß bei ihnen nicht etwa zu wenig, sondern viel zu viel höhere Be¬
amte beschäftigt find. Es muß das einmal klar und scharf ausgesprochen
werden. Im Jahre 1885 gab es 180 Negierungsaffessoren, nach dem Ver-
waltnngskalender von 1903 gibt es deren 580. Davon arbeiten 136 an Land¬
ratsämtern und 444 bei den Regierungen, den Oberprüsidieu und an einigen
wenigen andern Stellen. Da anch die Zahl der etatsmäßigen Stellen bei den
Regierungen seit 1895 um etwa hundert vermehrt worden ist, so ergibt sich
daraus eine sehr große Zunahme der bei den Regierungen beschäftigten Be¬
amten. Daß die Geschäfte in entsprechendem Umfange gewachsen seien, ist
ausgeschlossen, und es folgt daraus, daß bei den Regierungen sehr viel mehr
Beamte beschäftigt sind, als dem Bedürfnis entspricht. Daß das tatsächlich so
ist, davon kann sich jeder Unbefangne jeden Tag überzeugen. Die Mehrzahl
der Dezernenten bei den Regierungen ist nicht voll beschäftigt, und es kommt
oft vor, daß Beamte darum bitten, ihnen mehr Arbeit zu geben, daß aber
dem Wunsche nicht entsprochen werden kann, weil diese Arbeit eben nicht vor¬
handen ist. Zu diesem Zustande hat es nur deshalb kommen können, weil
sich um die Angelegenheiten der Verwaltung auch die nicht kümmern, die dazu
berufen sind. In der letzten Zeit des Ministers von Puttkmuer und besonders
unter dem Minister Herrfurth war der Andrang zur Verwaltung sehr groß,
weil man bis dahin sehr schnell zur etatsmäßigen Anstellung gelangte, die Re¬
gierungspräsidenten durften so viele Referendare in den Verwaltungsdienst über¬
nehmen, als ihnen beliebte, und so wuchs die Zahl der Assessoren in wenig
Jahren von 1885 bis 1892 sehr schnell von 180 auf 455, und bis 1895
ans 562. Als es zu spät war, beschränkte man die Zahl der Referendare, aber
auch jetzt werden noch zu viel angenommen, und das Ergebnis ist eben, daß
bei den Regierungen viel mehr Beamte sind, als nötig ist. Die notwendige
Folge davon ist, daß die jüngern Beamten sehr schlecht besoldet werden, daß
sie spät in eine etatsinäßige Stelle aufrücken (zur Zeit im elften Jahre nach
dem Examen), und daß sie in den besten Jahren des Lebens keine ausreichende
Beschäftigung haben. Die Gründlichkeit der Arbeit nimmt aber bekanntlich nicht
zu, wenn das Arbeitspensum klein ist, wohl aber wird die Neigung zu un¬
nützer Vielschreibern gefordert.

Dazu kommt endlich ein Geschäftsgang, der geradezu ungeheuerlich ist.
Massow hat nachgerechnet, daß jedes Stück von Tage des Eingangs bis zu
der Stunde, wo es wieder zur Post getragen wird, durch dreißig Hände geht.
Für die Erledigung der einfachsten Sache sind unter diesen Umständen mehrere
Tage nötig, denn vor dem dritten Tage nach der Präsentation kommt ein
Stuck selten zum Dezernenten, und ebensoviel Zeit ist nötig, bis es nach der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/449>, abgerufen am 24.11.2024.