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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Verwaltung

Erledigung wieder zur Post geht. Sind nun aber andre Mitglieder der Re¬
gierung als Kodezernenten beteiligt, und deren gibt es bisweilen zwei, drei
oder gar noch mehr, so erhalten diese das Stück zuerst, und bei eiligen An¬
gelegenheiten kommt es wohl vor, daß der Dezernent das eingegangne Gesuch
so spät erhält, daß die Antwort gar nicht mehr rechtzeitig abgehn kann. Wird
statt der urschriftlichen Erledigung durch den Dezernenten ein Sekretär mit der
Bearbeitung beauftragt, hat die Kanzlei eine umfangreiche Abschrift anzufertigen,
so entsteht ein weiterer Zeitverlust von vielen Tagen. Der Dezernent muß
sich schon sehr viel Mühe geben, wenn er erreichen will, daß ein Stück um
Tage der Erledigung oder wenigstens am folgenden Tage zur Post kommt^
Dienststunden gibt es nicht für die höhern Beamten, und das ist gut, aber
die den Einzelnen gewährte Freiheit wird doch anch oft mißbraucht; manche
Beamte betrachten es als ihr angebornes Menschenrecht, zu einer Staude auf
die Regierungen zu kommen, wo der Vormittagsdienft erledigt sein müßte.
Die Grundsätze des modernen Geschäftsverkehrs bestehn eben leider nicht bei
preußischen Behörden, und dnrans ergibt sich die Langsamkeit bei der Er¬
ledigung der Dienstgeschüfte, über die so oft mit Recht geklagt wird.

Bei den Landratsämtern ist der Geschäftsgang sehr viel einfacher und
schneller, aber die Landräte werden an dem besten Teile ihrer Wirksamkeit
durch die unselige Vielschreiberei gehindert. An sie kommen alle die vielen
Anfragen aus den Ministerien, von den Oberpräsidenten und den Regie¬
rungen, sie müssen schreiben und immer wieder schreibe", um das Material zu
liefern, das die obern Instanzen für die Abfassung ihrer Berichte gebrauchen.
Die Landräte sollten alle wichtigen Angelegenheiten persönlich an Ort und
Stelle erledigen, sie können das aber nicht, wenn sie durch die Schreibarbeit
an das Bureau gefesselt sind, und schließlich werden auch vou ihnen viele zu
Schreiberseelen, die an die Amtsvorsteher und Bürgermeister verfügen und
befriedigt sind, wenn ihnen berichtet wird, daß die Verfügung ausgeführt
worden sei.

Das ist in großen Zügen das Bild, das die preußische Verwaltung bietet.
Erfreulich ist es nicht. Lebendige Anschauung und Initiative fehlen, das
Schreibwerk nimmt den größten Teil der Zeit in Anspruch, die Tätigkeit
besteht im wesentlichen in der Verfügung und im Bericht. Daß es nicht so
bleiben könne, ist denen, die sich um solche Dinge überhaupt noch kümmern,
völlig klar, über den Weg aber, der eingeschlagen werden muß, die Verwal¬
tung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen, gehn die Anschauungen weit aus¬
einander.

Freiherr vou Zedlitz ist immer dafür eingetreten, den Schwerpunkt der
Verwaltung in die Landratsämter zu verlegen, jedem Landrat einen Assessor
beizugeben und ihn so von der Bureauarbeit zu entlasten. Regierungsrat
Lotz sagt von den Regierungen sogar, daß sie sich überlebt hätten, und ruft
ihnen zu: Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehn. Er
schlüge vor, alle wesentlichen Befugnisse der Regierungspräsidenten in jeder
Provinz an einem Punkte zusammenzufassen und an die Spitze der Provinz
einen Statthalter zu stellen, dem ein Statthaltereidirektor, ein Oberregiernngs-


Zur Reform der preußischen Verwaltung

Erledigung wieder zur Post geht. Sind nun aber andre Mitglieder der Re¬
gierung als Kodezernenten beteiligt, und deren gibt es bisweilen zwei, drei
oder gar noch mehr, so erhalten diese das Stück zuerst, und bei eiligen An¬
gelegenheiten kommt es wohl vor, daß der Dezernent das eingegangne Gesuch
so spät erhält, daß die Antwort gar nicht mehr rechtzeitig abgehn kann. Wird
statt der urschriftlichen Erledigung durch den Dezernenten ein Sekretär mit der
Bearbeitung beauftragt, hat die Kanzlei eine umfangreiche Abschrift anzufertigen,
so entsteht ein weiterer Zeitverlust von vielen Tagen. Der Dezernent muß
sich schon sehr viel Mühe geben, wenn er erreichen will, daß ein Stück um
Tage der Erledigung oder wenigstens am folgenden Tage zur Post kommt^
Dienststunden gibt es nicht für die höhern Beamten, und das ist gut, aber
die den Einzelnen gewährte Freiheit wird doch anch oft mißbraucht; manche
Beamte betrachten es als ihr angebornes Menschenrecht, zu einer Staude auf
die Regierungen zu kommen, wo der Vormittagsdienft erledigt sein müßte.
Die Grundsätze des modernen Geschäftsverkehrs bestehn eben leider nicht bei
preußischen Behörden, und dnrans ergibt sich die Langsamkeit bei der Er¬
ledigung der Dienstgeschüfte, über die so oft mit Recht geklagt wird.

Bei den Landratsämtern ist der Geschäftsgang sehr viel einfacher und
schneller, aber die Landräte werden an dem besten Teile ihrer Wirksamkeit
durch die unselige Vielschreiberei gehindert. An sie kommen alle die vielen
Anfragen aus den Ministerien, von den Oberpräsidenten und den Regie¬
rungen, sie müssen schreiben und immer wieder schreibe», um das Material zu
liefern, das die obern Instanzen für die Abfassung ihrer Berichte gebrauchen.
Die Landräte sollten alle wichtigen Angelegenheiten persönlich an Ort und
Stelle erledigen, sie können das aber nicht, wenn sie durch die Schreibarbeit
an das Bureau gefesselt sind, und schließlich werden auch vou ihnen viele zu
Schreiberseelen, die an die Amtsvorsteher und Bürgermeister verfügen und
befriedigt sind, wenn ihnen berichtet wird, daß die Verfügung ausgeführt
worden sei.

Das ist in großen Zügen das Bild, das die preußische Verwaltung bietet.
Erfreulich ist es nicht. Lebendige Anschauung und Initiative fehlen, das
Schreibwerk nimmt den größten Teil der Zeit in Anspruch, die Tätigkeit
besteht im wesentlichen in der Verfügung und im Bericht. Daß es nicht so
bleiben könne, ist denen, die sich um solche Dinge überhaupt noch kümmern,
völlig klar, über den Weg aber, der eingeschlagen werden muß, die Verwal¬
tung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen, gehn die Anschauungen weit aus¬
einander.

Freiherr vou Zedlitz ist immer dafür eingetreten, den Schwerpunkt der
Verwaltung in die Landratsämter zu verlegen, jedem Landrat einen Assessor
beizugeben und ihn so von der Bureauarbeit zu entlasten. Regierungsrat
Lotz sagt von den Regierungen sogar, daß sie sich überlebt hätten, und ruft
ihnen zu: Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehn. Er
schlüge vor, alle wesentlichen Befugnisse der Regierungspräsidenten in jeder
Provinz an einem Punkte zusammenzufassen und an die Spitze der Provinz
einen Statthalter zu stellen, dem ein Statthaltereidirektor, ein Oberregiernngs-


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[0450] Zur Reform der preußischen Verwaltung Erledigung wieder zur Post geht. Sind nun aber andre Mitglieder der Re¬ gierung als Kodezernenten beteiligt, und deren gibt es bisweilen zwei, drei oder gar noch mehr, so erhalten diese das Stück zuerst, und bei eiligen An¬ gelegenheiten kommt es wohl vor, daß der Dezernent das eingegangne Gesuch so spät erhält, daß die Antwort gar nicht mehr rechtzeitig abgehn kann. Wird statt der urschriftlichen Erledigung durch den Dezernenten ein Sekretär mit der Bearbeitung beauftragt, hat die Kanzlei eine umfangreiche Abschrift anzufertigen, so entsteht ein weiterer Zeitverlust von vielen Tagen. Der Dezernent muß sich schon sehr viel Mühe geben, wenn er erreichen will, daß ein Stück um Tage der Erledigung oder wenigstens am folgenden Tage zur Post kommt^ Dienststunden gibt es nicht für die höhern Beamten, und das ist gut, aber die den Einzelnen gewährte Freiheit wird doch anch oft mißbraucht; manche Beamte betrachten es als ihr angebornes Menschenrecht, zu einer Staude auf die Regierungen zu kommen, wo der Vormittagsdienft erledigt sein müßte. Die Grundsätze des modernen Geschäftsverkehrs bestehn eben leider nicht bei preußischen Behörden, und dnrans ergibt sich die Langsamkeit bei der Er¬ ledigung der Dienstgeschüfte, über die so oft mit Recht geklagt wird. Bei den Landratsämtern ist der Geschäftsgang sehr viel einfacher und schneller, aber die Landräte werden an dem besten Teile ihrer Wirksamkeit durch die unselige Vielschreiberei gehindert. An sie kommen alle die vielen Anfragen aus den Ministerien, von den Oberpräsidenten und den Regie¬ rungen, sie müssen schreiben und immer wieder schreibe», um das Material zu liefern, das die obern Instanzen für die Abfassung ihrer Berichte gebrauchen. Die Landräte sollten alle wichtigen Angelegenheiten persönlich an Ort und Stelle erledigen, sie können das aber nicht, wenn sie durch die Schreibarbeit an das Bureau gefesselt sind, und schließlich werden auch vou ihnen viele zu Schreiberseelen, die an die Amtsvorsteher und Bürgermeister verfügen und befriedigt sind, wenn ihnen berichtet wird, daß die Verfügung ausgeführt worden sei. Das ist in großen Zügen das Bild, das die preußische Verwaltung bietet. Erfreulich ist es nicht. Lebendige Anschauung und Initiative fehlen, das Schreibwerk nimmt den größten Teil der Zeit in Anspruch, die Tätigkeit besteht im wesentlichen in der Verfügung und im Bericht. Daß es nicht so bleiben könne, ist denen, die sich um solche Dinge überhaupt noch kümmern, völlig klar, über den Weg aber, der eingeschlagen werden muß, die Verwal¬ tung den Bedürfnissen der Zeit anzupassen, gehn die Anschauungen weit aus¬ einander. Freiherr vou Zedlitz ist immer dafür eingetreten, den Schwerpunkt der Verwaltung in die Landratsämter zu verlegen, jedem Landrat einen Assessor beizugeben und ihn so von der Bureauarbeit zu entlasten. Regierungsrat Lotz sagt von den Regierungen sogar, daß sie sich überlebt hätten, und ruft ihnen zu: Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehn. Er schlüge vor, alle wesentlichen Befugnisse der Regierungspräsidenten in jeder Provinz an einem Punkte zusammenzufassen und an die Spitze der Provinz einen Statthalter zu stellen, dem ein Statthaltereidirektor, ein Oberregiernngs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/450>, abgerufen am 24.11.2024.