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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

kundig seien. Sie forderten mich auf, mit den Strcißen vom Markte zu beginnen,
da sie imstande seien, im voraus anzugeben, welcher Wirt regelmäßig dort reinigen
lasse, und bei welchem eine Untersuchung vorgenommen werden müsse. Ich beschloß
jedoch, den ersten Versuch auf der Sandfelde zu machen, wo ich nuf die Unter¬
stützung des Gärtners Petrow rechnete.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Erziehung zum Weltberuf.

Der Glaube an den Weltberuf des
deutschen Volkes hat überraschend schnell Verbreitung und Anhang im Volke selbst
gefunden; wenn die öffentliche Meinung, die in Zeitungen und Wochenschriften zum
Ausdruck kommt, vielleicht noch kein vollgiltiger Beweis dafür ist, so rechtfertigt
den Schluß doch die ausgesprochne Färbung der Mnssenliteratur, die sich ja immer
dem Geschmack des großen Publikums anschmiegt. Über das Tempo und über die
Grenzen, die sich Deutschland in seinen Auslaudsbestrebuugen setzen soll, mögen die
Meinungen noch recht verschieden sein; aber daß das alte "Bleibe im Lande und
nähre dich redlich" keine Billigkeit mehr hat, sondern daß der Deutsche wohl daran
tut, sich draußen rechtzeitig seinen Platz an der Sonne zu sichern, diese Vorstellung
darf schon ein Gemeingut aller genannt werden, die an dem Wohl und an der
Zukunft des Reiches Anteil nehmen. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage,
wie der Grund aussieht, auf dem sich diese Vorstellung mit ihrem zuversichtlichen
Aussichtstnrm aufbaut. Die knappe Zeit der Entwicklung macht es zwar erklärlich,
wenn anfangs in allen Fällen, wo Deutschland im Ausland einen Schritt vorwärts
gekommen ist, zuerst entweder ein Einzelner in stiller, durchgreifender Arbeit voran¬
ging, oder umgekehrt die Reichsregierung mit einem unbemerkt vorbereiteten Ent¬
schluß der Entwicklung einen fördernden Stoß gab, während im Volke selbst sich
die Überzeugung von der Nützlichkeit und Notwendigkeit eines solchen Schrittes
immer erst hinterher Bahn brach. Aber es ist merkwürdig, daß auch heute noch
die weltpolitischen Ideen des Deutschen in der Regel da Halt macheu, wo die
Ansprüche an seinen Geldbeutel beginnen -- mag es sich dabei um Ausgaben des
Reiches oder um Anforderungen an die Unternehmungslust des Privntkapitals
handeln; und es will manchmal scheinen, als ob der fast überschwengliche Beifall,
mit der er einer weitschauenden Weltpolitik zuzustimmen vorgibt, mehr dem Gefühl
als dem Verstände, mehr der leicht befriedigten Eitelkeit als tiefbegründeter Er¬
kenntnis entspränge. Er trägt seinen Willen über die Grenzen der frühern Heimat
hinaus wie der junge Student, der sich frisch, frei und unverzagt, im Hochgefühl
der im engen Kreis erprobten Kraft eine Welt erobern will, und der doch nicht
ahnt, welche Wege er einschlagen kann, noch was für Hindernisse ihm entgegen¬
stehn -- mit einem Worte, dem jede Welterfahrung fehlt.

Von dem jungen Kaufmann, der in fremde Lande zieht, um dort sein Glück
zu finden, gilt es als selbstverständlich, daß er, so gut seine Rüstung an Kennt¬
nissen auch sein mag, doch zuerst noch beginnen muß, Land und Leute zu studieren,
um sie richtig behandeln zu können, und daß er vor allem sich selber beobachten
und studieren muß, um seiue Fähigkeiten richtig einzuschätzen und sie dem, was
das Leben von ihm fordert, anpassen zu können. Und sollte ein Volk, das den
Entschluß faßt, draußen in der großen Welt Erfolg und Zukunft zu suchen, das
nicht nötig haben? Da gehört auch eine Summe von Kenntnissen, Verständnis
für Geschichte und Entwicklung der Außenwelt, sorgfältige Beobachtung und Wert¬
schätzung der andern Völker und zuletzt auch eine gehörige Portion Selbstzucht dazu.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

kundig seien. Sie forderten mich auf, mit den Strcißen vom Markte zu beginnen,
da sie imstande seien, im voraus anzugeben, welcher Wirt regelmäßig dort reinigen
lasse, und bei welchem eine Untersuchung vorgenommen werden müsse. Ich beschloß
jedoch, den ersten Versuch auf der Sandfelde zu machen, wo ich nuf die Unter¬
stützung des Gärtners Petrow rechnete.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Erziehung zum Weltberuf.

Der Glaube an den Weltberuf des
deutschen Volkes hat überraschend schnell Verbreitung und Anhang im Volke selbst
gefunden; wenn die öffentliche Meinung, die in Zeitungen und Wochenschriften zum
Ausdruck kommt, vielleicht noch kein vollgiltiger Beweis dafür ist, so rechtfertigt
den Schluß doch die ausgesprochne Färbung der Mnssenliteratur, die sich ja immer
dem Geschmack des großen Publikums anschmiegt. Über das Tempo und über die
Grenzen, die sich Deutschland in seinen Auslaudsbestrebuugen setzen soll, mögen die
Meinungen noch recht verschieden sein; aber daß das alte „Bleibe im Lande und
nähre dich redlich" keine Billigkeit mehr hat, sondern daß der Deutsche wohl daran
tut, sich draußen rechtzeitig seinen Platz an der Sonne zu sichern, diese Vorstellung
darf schon ein Gemeingut aller genannt werden, die an dem Wohl und an der
Zukunft des Reiches Anteil nehmen. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage,
wie der Grund aussieht, auf dem sich diese Vorstellung mit ihrem zuversichtlichen
Aussichtstnrm aufbaut. Die knappe Zeit der Entwicklung macht es zwar erklärlich,
wenn anfangs in allen Fällen, wo Deutschland im Ausland einen Schritt vorwärts
gekommen ist, zuerst entweder ein Einzelner in stiller, durchgreifender Arbeit voran¬
ging, oder umgekehrt die Reichsregierung mit einem unbemerkt vorbereiteten Ent¬
schluß der Entwicklung einen fördernden Stoß gab, während im Volke selbst sich
die Überzeugung von der Nützlichkeit und Notwendigkeit eines solchen Schrittes
immer erst hinterher Bahn brach. Aber es ist merkwürdig, daß auch heute noch
die weltpolitischen Ideen des Deutschen in der Regel da Halt macheu, wo die
Ansprüche an seinen Geldbeutel beginnen — mag es sich dabei um Ausgaben des
Reiches oder um Anforderungen an die Unternehmungslust des Privntkapitals
handeln; und es will manchmal scheinen, als ob der fast überschwengliche Beifall,
mit der er einer weitschauenden Weltpolitik zuzustimmen vorgibt, mehr dem Gefühl
als dem Verstände, mehr der leicht befriedigten Eitelkeit als tiefbegründeter Er¬
kenntnis entspränge. Er trägt seinen Willen über die Grenzen der frühern Heimat
hinaus wie der junge Student, der sich frisch, frei und unverzagt, im Hochgefühl
der im engen Kreis erprobten Kraft eine Welt erobern will, und der doch nicht
ahnt, welche Wege er einschlagen kann, noch was für Hindernisse ihm entgegen¬
stehn — mit einem Worte, dem jede Welterfahrung fehlt.

Von dem jungen Kaufmann, der in fremde Lande zieht, um dort sein Glück
zu finden, gilt es als selbstverständlich, daß er, so gut seine Rüstung an Kennt¬
nissen auch sein mag, doch zuerst noch beginnen muß, Land und Leute zu studieren,
um sie richtig behandeln zu können, und daß er vor allem sich selber beobachten
und studieren muß, um seiue Fähigkeiten richtig einzuschätzen und sie dem, was
das Leben von ihm fordert, anpassen zu können. Und sollte ein Volk, das den
Entschluß faßt, draußen in der großen Welt Erfolg und Zukunft zu suchen, das
nicht nötig haben? Da gehört auch eine Summe von Kenntnissen, Verständnis
für Geschichte und Entwicklung der Außenwelt, sorgfältige Beobachtung und Wert¬
schätzung der andern Völker und zuletzt auch eine gehörige Portion Selbstzucht dazu.


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[0436] Maßgebliches und Unmaßgebliches kundig seien. Sie forderten mich auf, mit den Strcißen vom Markte zu beginnen, da sie imstande seien, im voraus anzugeben, welcher Wirt regelmäßig dort reinigen lasse, und bei welchem eine Untersuchung vorgenommen werden müsse. Ich beschloß jedoch, den ersten Versuch auf der Sandfelde zu machen, wo ich nuf die Unter¬ stützung des Gärtners Petrow rechnete. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Erziehung zum Weltberuf. Der Glaube an den Weltberuf des deutschen Volkes hat überraschend schnell Verbreitung und Anhang im Volke selbst gefunden; wenn die öffentliche Meinung, die in Zeitungen und Wochenschriften zum Ausdruck kommt, vielleicht noch kein vollgiltiger Beweis dafür ist, so rechtfertigt den Schluß doch die ausgesprochne Färbung der Mnssenliteratur, die sich ja immer dem Geschmack des großen Publikums anschmiegt. Über das Tempo und über die Grenzen, die sich Deutschland in seinen Auslaudsbestrebuugen setzen soll, mögen die Meinungen noch recht verschieden sein; aber daß das alte „Bleibe im Lande und nähre dich redlich" keine Billigkeit mehr hat, sondern daß der Deutsche wohl daran tut, sich draußen rechtzeitig seinen Platz an der Sonne zu sichern, diese Vorstellung darf schon ein Gemeingut aller genannt werden, die an dem Wohl und an der Zukunft des Reiches Anteil nehmen. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage, wie der Grund aussieht, auf dem sich diese Vorstellung mit ihrem zuversichtlichen Aussichtstnrm aufbaut. Die knappe Zeit der Entwicklung macht es zwar erklärlich, wenn anfangs in allen Fällen, wo Deutschland im Ausland einen Schritt vorwärts gekommen ist, zuerst entweder ein Einzelner in stiller, durchgreifender Arbeit voran¬ ging, oder umgekehrt die Reichsregierung mit einem unbemerkt vorbereiteten Ent¬ schluß der Entwicklung einen fördernden Stoß gab, während im Volke selbst sich die Überzeugung von der Nützlichkeit und Notwendigkeit eines solchen Schrittes immer erst hinterher Bahn brach. Aber es ist merkwürdig, daß auch heute noch die weltpolitischen Ideen des Deutschen in der Regel da Halt macheu, wo die Ansprüche an seinen Geldbeutel beginnen — mag es sich dabei um Ausgaben des Reiches oder um Anforderungen an die Unternehmungslust des Privntkapitals handeln; und es will manchmal scheinen, als ob der fast überschwengliche Beifall, mit der er einer weitschauenden Weltpolitik zuzustimmen vorgibt, mehr dem Gefühl als dem Verstände, mehr der leicht befriedigten Eitelkeit als tiefbegründeter Er¬ kenntnis entspränge. Er trägt seinen Willen über die Grenzen der frühern Heimat hinaus wie der junge Student, der sich frisch, frei und unverzagt, im Hochgefühl der im engen Kreis erprobten Kraft eine Welt erobern will, und der doch nicht ahnt, welche Wege er einschlagen kann, noch was für Hindernisse ihm entgegen¬ stehn — mit einem Worte, dem jede Welterfahrung fehlt. Von dem jungen Kaufmann, der in fremde Lande zieht, um dort sein Glück zu finden, gilt es als selbstverständlich, daß er, so gut seine Rüstung an Kennt¬ nissen auch sein mag, doch zuerst noch beginnen muß, Land und Leute zu studieren, um sie richtig behandeln zu können, und daß er vor allem sich selber beobachten und studieren muß, um seiue Fähigkeiten richtig einzuschätzen und sie dem, was das Leben von ihm fordert, anpassen zu können. Und sollte ein Volk, das den Entschluß faßt, draußen in der großen Welt Erfolg und Zukunft zu suchen, das nicht nötig haben? Da gehört auch eine Summe von Kenntnissen, Verständnis für Geschichte und Entwicklung der Außenwelt, sorgfältige Beobachtung und Wert¬ schätzung der andern Völker und zuletzt auch eine gehörige Portion Selbstzucht dazu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/436>, abgerufen am 24.11.2024.