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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Galizion

Kredit, der die Entwicklung der Industrie hindere. Nun wurde das Schlag-
wort vom mangelnden Kredit in die Öffentlichkeit geschleudert. Unsre Banken,
hieß es, sind kleinlich, und von auswärts verweigert mau uns den Kredit,
weil man uns industriell ausbeuten will. So brachte man es durch eine
übertriebne Agitation endlich dahin, daß zur Gründung von zweifelhaften
Unternehmungen Gelder gewährt wurden, die anderwärts sogar für blühende
Industrien als viel zu hoch angesehen werden. Natürlich spielte auch die
"nationale" Agitation eine große Rolle dabei; es handelte sich ja um die
neue "polnische" Industrie, die das große Volk der Polen den andern Na¬
tionen gleich machen sollte. Die tollsten Dinge kamen bei den Petroleum-
gründungeu vor. Vor etwa zehn Jahren konnte man in den Zeitungen über
die Erschließung von mächtigen Ölquellen in Galizien lesen, die angeblich eine
ungeheure Ausbeute versprachen. Es fanden sich bald ausländische Unter¬
nehmer, und neben einigen inländischen Ölgesetlschaften entstanden auch fünf
ausländische, die sich aber bald wieder verliefen, als sich herausstellte, daß man
die Erzählungen von den ungeheuern Petroleumschätzeu nur in die Welt gesetzt
hatte, um den polnischen Grundbesitzern zu ermöglichen, ihr Land zu den
höchsten Preisen an ausländische Geldleute loszuschlagen. Nun blieben noch
die inländischen Gesellschaften, die ein Kousortium dabei interessierter Leute
unter nationalen Vorwünden zu halten versuchte. Die Beamtenschaft war
zum großen Teil geneigt, dabei den Schützer und Teilhaber zu spielen, denn
die Verbindung der Sprößlinge des Stanezykeutums mit den Kapitalisten und
Bankdirektoren in den Städten hatte die frühere üppige Lebensweise nicht ver¬
mindert, es waren im Gegenteil neue Lebensbedürfnisse dadurch entstanden. Die
seitherigen Einkünfte waren nicht gewachsen, sie gingen vielmehr stetig zurück,
aber hier floß das Geld, und es schien gut, sich nicht davon fern zu halten.
Je weniger man von dem Wesen solcher Geschäfte verstand, von denen man
nur gehört hatte, daß im Ausland Millionen dabei verdient worden wären,
um so leichter ließ man sich hinein verlocken, je riskanter die Sache wurde,
desto kühner wurden die Kreditoperationeu. Es wurden Wechsel gefälscht, und es
wurde an der Börse gespielt, um das Glück zu "korrigieren." Anfangs ging ja
noch alles gut, das Geld flog hin nud her, und das Land schien in eine Periode
des wirtschaftlichen Aufschwungs eingetreten zu sein. In dieser Zeit siedelte
Graf Badeni aus dein Statthaltereipalais in Lemberg nach Wien über, um
österreichischer Ministerpräsident zu werden.

Aber der geschäftliche Zusammenbruch der galizischen Spekulationen bereitete
sich schon unter der glänzenden Decke langsam vor. Zwar kamen die polnischen
Bodenspekulanten auf den Gedanken, sich vom Grafen Buberl bei der Er¬
neuerung des Ausgleichs mit Ungarn eine Erhöhung des Rohölzolles zu ver¬
schaffen, um dadurch das ausländische Kapital wieder anzulocken. Das wäre
vielleicht auch gelungen, wenn der Ausgleich rasch zustande gekommen wäre.
Aber das ist bekanntlich nicht der Fall gewesen, und uun war der Krach der
galizischen Ölgesellschaften nicht mehr aufzuhalten. Zuerst fiel die Aktien¬
gesellschaft "Potok," dann brachte die Flucht eines Bankdirektors in Lemberg
den Stein ins Rollen. Darauf folgte der Sturz der Firma Szezepanowski,


Galizion

Kredit, der die Entwicklung der Industrie hindere. Nun wurde das Schlag-
wort vom mangelnden Kredit in die Öffentlichkeit geschleudert. Unsre Banken,
hieß es, sind kleinlich, und von auswärts verweigert mau uns den Kredit,
weil man uns industriell ausbeuten will. So brachte man es durch eine
übertriebne Agitation endlich dahin, daß zur Gründung von zweifelhaften
Unternehmungen Gelder gewährt wurden, die anderwärts sogar für blühende
Industrien als viel zu hoch angesehen werden. Natürlich spielte auch die
„nationale" Agitation eine große Rolle dabei; es handelte sich ja um die
neue „polnische" Industrie, die das große Volk der Polen den andern Na¬
tionen gleich machen sollte. Die tollsten Dinge kamen bei den Petroleum-
gründungeu vor. Vor etwa zehn Jahren konnte man in den Zeitungen über
die Erschließung von mächtigen Ölquellen in Galizien lesen, die angeblich eine
ungeheure Ausbeute versprachen. Es fanden sich bald ausländische Unter¬
nehmer, und neben einigen inländischen Ölgesetlschaften entstanden auch fünf
ausländische, die sich aber bald wieder verliefen, als sich herausstellte, daß man
die Erzählungen von den ungeheuern Petroleumschätzeu nur in die Welt gesetzt
hatte, um den polnischen Grundbesitzern zu ermöglichen, ihr Land zu den
höchsten Preisen an ausländische Geldleute loszuschlagen. Nun blieben noch
die inländischen Gesellschaften, die ein Kousortium dabei interessierter Leute
unter nationalen Vorwünden zu halten versuchte. Die Beamtenschaft war
zum großen Teil geneigt, dabei den Schützer und Teilhaber zu spielen, denn
die Verbindung der Sprößlinge des Stanezykeutums mit den Kapitalisten und
Bankdirektoren in den Städten hatte die frühere üppige Lebensweise nicht ver¬
mindert, es waren im Gegenteil neue Lebensbedürfnisse dadurch entstanden. Die
seitherigen Einkünfte waren nicht gewachsen, sie gingen vielmehr stetig zurück,
aber hier floß das Geld, und es schien gut, sich nicht davon fern zu halten.
Je weniger man von dem Wesen solcher Geschäfte verstand, von denen man
nur gehört hatte, daß im Ausland Millionen dabei verdient worden wären,
um so leichter ließ man sich hinein verlocken, je riskanter die Sache wurde,
desto kühner wurden die Kreditoperationeu. Es wurden Wechsel gefälscht, und es
wurde an der Börse gespielt, um das Glück zu „korrigieren." Anfangs ging ja
noch alles gut, das Geld flog hin nud her, und das Land schien in eine Periode
des wirtschaftlichen Aufschwungs eingetreten zu sein. In dieser Zeit siedelte
Graf Badeni aus dein Statthaltereipalais in Lemberg nach Wien über, um
österreichischer Ministerpräsident zu werden.

Aber der geschäftliche Zusammenbruch der galizischen Spekulationen bereitete
sich schon unter der glänzenden Decke langsam vor. Zwar kamen die polnischen
Bodenspekulanten auf den Gedanken, sich vom Grafen Buberl bei der Er¬
neuerung des Ausgleichs mit Ungarn eine Erhöhung des Rohölzolles zu ver¬
schaffen, um dadurch das ausländische Kapital wieder anzulocken. Das wäre
vielleicht auch gelungen, wenn der Ausgleich rasch zustande gekommen wäre.
Aber das ist bekanntlich nicht der Fall gewesen, und uun war der Krach der
galizischen Ölgesellschaften nicht mehr aufzuhalten. Zuerst fiel die Aktien¬
gesellschaft „Potok," dann brachte die Flucht eines Bankdirektors in Lemberg
den Stein ins Rollen. Darauf folgte der Sturz der Firma Szezepanowski,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/340>, abgerufen am 24.11.2024.