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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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nur lästig nach oben und inkorrekt mich unten; können sie davon nicht lassen,
so müssen sie eben mit dem Ruhm, Märtyrer ihres "Rigorismus" zu werden,
zufrieden sein und sich von Amt und Brot jagen lassen.

Bei dieser Sachlage müssen wir vorläufig, wie ich schon gesagt habe, für
die "Duldung" sehr dankbar sein, aber die Hilfe, die not tut. ist sie nicht,
und sie dafür auszugeben, wäre ein schwerer Fehler. Will der Protestan¬
tismus seiue Existenz, ja seine Existenzberechtigung behaupten, so muß die
Wahrhaftigkeit, und zwar auch die wissenschaftlich theologische Wahrhaftigkeit
als vornehmstes Recht und vornehmste Pflicht des Katheders anerkannt werden,
aber ebenso sehr, ja noch mehr als Recht und Pflicht der Kanzel. Das Wort
Nietzsches: "Was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein." darf im Pro¬
testantismus niemals und nirgends zur Geltung kommen.




Galizien
(Schluß)

le Zeit der Statthalterschaft des Grafen Badeni bedeutete aber
auch in einer andern Beziehung einen scheinbaren Höhepunkt für
Galizien. Es gibt nur wenig Güter in diesem Lande, die nicht
zu zwei Dritteln, ja bis zu drei Vierteln ihres Wertes mit Hypo¬
theken belastet wären. Von einer intensiven Wirtschaft ist keine
Rede, infolge dessen ist es kein Wunder, daß die Zinsen der Hypothekar-
schulden nur schwer zu erschwingen sind. Darum braucht die polnische
Schlachta immer wieder Geld. Zweimal hat sie im Laufe der letzten Jahr¬
zehnte eine ausgiebige Geldhilfe vom Staat erhalten; zuerst die sogenannte
Jndemnisation von mehr als 110 Millionen Gulden für die Abschaffung des
frühern Untertänigkeitsverhältnisses der Bauern, und dann den Betrag für die
Einlösung der Propination (Brau- und Brenugerechtigkeit) von 66 Millionen
Gulden, eine im Vergleich zu den Ablösuugsbeträgeu in andern Kronländern
ganz außerordentlich hohe Summe. Aber auch sie hat nicht lange vorgehalten,
und man suchte neue Geldquellen zu erschließen. Seit Jahren war schon auf
allen Seite" der Ruf nach Schaffung einer galizischen Industrie als dem einzigen
Schutz gegen die fortschreitende Verarmung des Landes erschollen. Freilich
ist es selbstverständlich, daß die Begründung einer Industrie in einem Lande,
das uicht in der Lage ist, sich selbständig gegen auswärtige Konkurrenz durch
Zölle und Eiseubahntarife zu schlitzen, große Vorsicht verlangt und nur langsam
vor sich gehn kann. Erfahrne Leute rieten darum auch zu einer bedächtigen
und auf den Eigenheiten des Landes fußender Tätigkeit, zur Hebung der
Landwirtschaft und zur Gründung solcher Industrien, für die die Bedingungen
im Laude selbst vorhanden sind. Das wollte man aber nicht einsehen, und
alle, die gern bald reich werden wollten, heißblutige "Volkswirte" vom Schlage
des Herrn Szezepauowski behaupteten, es sei nnr der Mangel an ausreichendem


nur lästig nach oben und inkorrekt mich unten; können sie davon nicht lassen,
so müssen sie eben mit dem Ruhm, Märtyrer ihres „Rigorismus" zu werden,
zufrieden sein und sich von Amt und Brot jagen lassen.

Bei dieser Sachlage müssen wir vorläufig, wie ich schon gesagt habe, für
die „Duldung" sehr dankbar sein, aber die Hilfe, die not tut. ist sie nicht,
und sie dafür auszugeben, wäre ein schwerer Fehler. Will der Protestan¬
tismus seiue Existenz, ja seine Existenzberechtigung behaupten, so muß die
Wahrhaftigkeit, und zwar auch die wissenschaftlich theologische Wahrhaftigkeit
als vornehmstes Recht und vornehmste Pflicht des Katheders anerkannt werden,
aber ebenso sehr, ja noch mehr als Recht und Pflicht der Kanzel. Das Wort
Nietzsches: „Was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein." darf im Pro¬
testantismus niemals und nirgends zur Geltung kommen.




Galizien
(Schluß)

le Zeit der Statthalterschaft des Grafen Badeni bedeutete aber
auch in einer andern Beziehung einen scheinbaren Höhepunkt für
Galizien. Es gibt nur wenig Güter in diesem Lande, die nicht
zu zwei Dritteln, ja bis zu drei Vierteln ihres Wertes mit Hypo¬
theken belastet wären. Von einer intensiven Wirtschaft ist keine
Rede, infolge dessen ist es kein Wunder, daß die Zinsen der Hypothekar-
schulden nur schwer zu erschwingen sind. Darum braucht die polnische
Schlachta immer wieder Geld. Zweimal hat sie im Laufe der letzten Jahr¬
zehnte eine ausgiebige Geldhilfe vom Staat erhalten; zuerst die sogenannte
Jndemnisation von mehr als 110 Millionen Gulden für die Abschaffung des
frühern Untertänigkeitsverhältnisses der Bauern, und dann den Betrag für die
Einlösung der Propination (Brau- und Brenugerechtigkeit) von 66 Millionen
Gulden, eine im Vergleich zu den Ablösuugsbeträgeu in andern Kronländern
ganz außerordentlich hohe Summe. Aber auch sie hat nicht lange vorgehalten,
und man suchte neue Geldquellen zu erschließen. Seit Jahren war schon auf
allen Seite» der Ruf nach Schaffung einer galizischen Industrie als dem einzigen
Schutz gegen die fortschreitende Verarmung des Landes erschollen. Freilich
ist es selbstverständlich, daß die Begründung einer Industrie in einem Lande,
das uicht in der Lage ist, sich selbständig gegen auswärtige Konkurrenz durch
Zölle und Eiseubahntarife zu schlitzen, große Vorsicht verlangt und nur langsam
vor sich gehn kann. Erfahrne Leute rieten darum auch zu einer bedächtigen
und auf den Eigenheiten des Landes fußender Tätigkeit, zur Hebung der
Landwirtschaft und zur Gründung solcher Industrien, für die die Bedingungen
im Laude selbst vorhanden sind. Das wollte man aber nicht einsehen, und
alle, die gern bald reich werden wollten, heißblutige „Volkswirte" vom Schlage
des Herrn Szezepauowski behaupteten, es sei nnr der Mangel an ausreichendem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/339>, abgerufen am 24.11.2024.