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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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militärische Ausbildung zu entwickeln und die Ausführung der Mobilisierung
stark nbzukürzeu. Die eifersüchtige Feindschaft gewisser Paschas und die den
Ottomanen angebome Sorglosigkeit schufen ihm zahlreiche Schwierigkeiten,
aber er hatte das Glück, durch den Sultan Abdul Hmnid gestützt zu werden,
der lebhaftes Interesse an den militärischen Fragen nimmt.

Dank dem organisatorischen Reglement sür die Reserven, das durch Goltz
ausgearbeitet wurde, kann man heute am Hauptorte jedes Distrikts ein Ba¬
taillon Landwehr (Nedifs) binnen einer Woche sammeln, während im Jahre
1885, während des Krieges der Serben gegen die Bulgaren, acht Wochen
dazu nötig waren. Seit' dieses Reglement in Kraft getreten ist. sind die
Nedifs. die früher keine militärische Unterweisung erhielten, einer gewissen
Zahl von Übungen unterworfen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, denn die
Nedifs sind der Hauptkern der türkischen Streitkrüfte. Jeder der sechs Armce-
bezirke (Ordus), aus denen die europäische und die asiatische Türkei bestehn,
mobilisiert in Wirklichkeit zwei Korps Nedifs, ein Korps Nizams (reguläre
Armee) und ein Korps Mnstciphiz (Landsturm).

Die Nizams siud eine Elitetruppc, die. daß sie auch höhern Ansprüchen
genügt, nur im Schießen und in großen Manövern in wechselndem Terrain
geübt zu werden braucht. Die Korpschefs der Infanterie können jährlich
durch ihre Soldaten nicht mehr als je fünf Patronen verschießen lassen, und
die Artillerie feuert keinen scharfen Schuß ab aus Mangel an Schießplätzen.
Das ist besonders zu beklagen für die Küstenartillerie, wegen der wichtigen
Rolle, die die Batterien des Bosporus und der Dardanellen in einem zu¬
künftigen Kriege spielen werden.

Wenn die türkische Armee seit 1878 große Fortschritte gemacht hat, so
ist dagegen die Marine zurückgegangen. Vor diesem Zeitpunkt war sie unter
der tatkräftigen und umsichtigen Leitung Hobart Paschas Herrin des Schwarzen
Meeres und der türkisch-griechischen Gewässer des Mittelmeeres. Heikle ge¬
hört die Oberherrschaft im Schwarzen Meere Rußland. Die türkische Flotte
hat 3 Kasemattschiffe, 4 Turmschiffe. 7 Korvetten. 3 Kanonenboote. 1 Mo¬
nitor und einige dreißig Torpedoboote. Die Geschwindigkeit ihrer schnellsten
Schiffe schwankt zwischen 11 und 13 Knoten, die der Kanonenboote hat nur
? bis 8 Knoten. Die Panzerplatten haben eine unzureichende Stärke, und
der Bemannung fehlt die praktische Unterweisung, da die Panzerschiffe das
Goldne Horn seit fünfzehn Jahren nicht mehr zu Übuugszweckcu verlassen
haben. "Die türkische Flotte, so sagt der Kapitän Henzel. ist eine verrostete
Waffe, die im Fall eines plötzlichen Angriffs nicht wüßte, wie sie in Aktion
treten sollte." Im übrigen wird die Türkei, was sie auch immer tun mag.
zur See nicht mehr die Oberhand über einen Staat behaupten können, der
119 Millionen Bewohner hat, und dessen Finanzlage besser als die ihrige
ist. Sie wird darum ihre Flotte auf die Schiffe beschränken müssen, die nötig
siud, um den Handel zu schützen und bei der Verteidigung der Meerengen
mitzuwirken. Dieses zweite Ziel kaun mit Hilfe von Torpedobooten und einer
kleinen Zahl von Panzerschiffen erreicht werden, die mit Kanonen armiert sein
müssen, die stark genug sind, die Schiffsplanken und die kleinen Türme der


militärische Ausbildung zu entwickeln und die Ausführung der Mobilisierung
stark nbzukürzeu. Die eifersüchtige Feindschaft gewisser Paschas und die den
Ottomanen angebome Sorglosigkeit schufen ihm zahlreiche Schwierigkeiten,
aber er hatte das Glück, durch den Sultan Abdul Hmnid gestützt zu werden,
der lebhaftes Interesse an den militärischen Fragen nimmt.

Dank dem organisatorischen Reglement sür die Reserven, das durch Goltz
ausgearbeitet wurde, kann man heute am Hauptorte jedes Distrikts ein Ba¬
taillon Landwehr (Nedifs) binnen einer Woche sammeln, während im Jahre
1885, während des Krieges der Serben gegen die Bulgaren, acht Wochen
dazu nötig waren. Seit' dieses Reglement in Kraft getreten ist. sind die
Nedifs. die früher keine militärische Unterweisung erhielten, einer gewissen
Zahl von Übungen unterworfen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, denn die
Nedifs sind der Hauptkern der türkischen Streitkrüfte. Jeder der sechs Armce-
bezirke (Ordus), aus denen die europäische und die asiatische Türkei bestehn,
mobilisiert in Wirklichkeit zwei Korps Nedifs, ein Korps Nizams (reguläre
Armee) und ein Korps Mnstciphiz (Landsturm).

Die Nizams siud eine Elitetruppc, die. daß sie auch höhern Ansprüchen
genügt, nur im Schießen und in großen Manövern in wechselndem Terrain
geübt zu werden braucht. Die Korpschefs der Infanterie können jährlich
durch ihre Soldaten nicht mehr als je fünf Patronen verschießen lassen, und
die Artillerie feuert keinen scharfen Schuß ab aus Mangel an Schießplätzen.
Das ist besonders zu beklagen für die Küstenartillerie, wegen der wichtigen
Rolle, die die Batterien des Bosporus und der Dardanellen in einem zu¬
künftigen Kriege spielen werden.

Wenn die türkische Armee seit 1878 große Fortschritte gemacht hat, so
ist dagegen die Marine zurückgegangen. Vor diesem Zeitpunkt war sie unter
der tatkräftigen und umsichtigen Leitung Hobart Paschas Herrin des Schwarzen
Meeres und der türkisch-griechischen Gewässer des Mittelmeeres. Heikle ge¬
hört die Oberherrschaft im Schwarzen Meere Rußland. Die türkische Flotte
hat 3 Kasemattschiffe, 4 Turmschiffe. 7 Korvetten. 3 Kanonenboote. 1 Mo¬
nitor und einige dreißig Torpedoboote. Die Geschwindigkeit ihrer schnellsten
Schiffe schwankt zwischen 11 und 13 Knoten, die der Kanonenboote hat nur
? bis 8 Knoten. Die Panzerplatten haben eine unzureichende Stärke, und
der Bemannung fehlt die praktische Unterweisung, da die Panzerschiffe das
Goldne Horn seit fünfzehn Jahren nicht mehr zu Übuugszweckcu verlassen
haben. „Die türkische Flotte, so sagt der Kapitän Henzel. ist eine verrostete
Waffe, die im Fall eines plötzlichen Angriffs nicht wüßte, wie sie in Aktion
treten sollte." Im übrigen wird die Türkei, was sie auch immer tun mag.
zur See nicht mehr die Oberhand über einen Staat behaupten können, der
119 Millionen Bewohner hat, und dessen Finanzlage besser als die ihrige
ist. Sie wird darum ihre Flotte auf die Schiffe beschränken müssen, die nötig
siud, um den Handel zu schützen und bei der Verteidigung der Meerengen
mitzuwirken. Dieses zweite Ziel kaun mit Hilfe von Torpedobooten und einer
kleinen Zahl von Panzerschiffen erreicht werden, die mit Kanonen armiert sein
müssen, die stark genug sind, die Schiffsplanken und die kleinen Türme der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/319>, abgerufen am 24.11.2024.