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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Aufl'ildmig der höhern verwaltmigslicamten in Preußen und andres

höhern Verwaltungsbeamten noch nicht beendet. Man hat deshalb auch vor¬
geschlagen, den jungem Assessoren Fortbildungskurse zugänglich zu machen;
auch hat mau in diesem Winter schon einen solchen Kursus in Berlin eröffnet.
Man könnte auch daran denken, an Universitäten oder technischen Hochschulen
in industriereichen Gegenden (z. B, in Bonn oder Aachen) Kurse einzurichten,
in denen Assessoren durch Unterricht und Ausflüge ein Einblick in die tech¬
nischen und die wirtschaftlichen Verhältnisse gewisser Hanptindustriezweige und
in die Wirkung der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, auf diesen
Teil der Volkswirtschaft unsers Landes vermittelt würde. Auch dürfte sicher¬
lich nichts dagegen einzuwenden sein, daß junge Assessoren in Banken oder in
andern kaufmännischen Geschäften oder bei Handels- oder Laudwirtschcifts-
tammern arbeiteten. Jedenfalls würde ein Assessor hier mehr lernen als ein
Referendar. Aber alles dies ist durchaus nicht unerläßlich. Junge Leute,
die die von mir vorgeschlagne Ausbildung genossen haben, werden sich in allen
Fragen des praktischen Lebens, die an sie herantreten, mit Leichtigkeit zurecht-
finden und anderseits immer das Streben haben, anch ihr theoretisches Wissen
weiter zu vermehren. Es genügt dazu, daß ihnen bei ihrer Behörde die
nötigen literarischen Hilfsmittel zur Verfügung stehn.

Für unerläßlich halte ich es dagegen, daß die jungen Regierungsassessoren
viel im Lande umhergeworfen werden, damit sie Land und Leute in möglichst
vielen Teilen des Staates kennen lernen. Es ist dies eins der wichtigsten
Bildungsmittel für einen jungen Verwaltungsbeamten, und man sollte annehmen,
daß von ihm reichlich Gebrauch gemacht würde, zumal da es auch politisch
wichtig ist, daß der Westländer Ostelbien, der Ostlünder den Westen kennen
lernt. In Wirklichkeit hat man sich dieses Bildungsmittel fast ganz entgehn
lassen. Mit wenig Ausnahmen sind die jungen Herren immer wieder in ihre
Heimat oder in deren Nähe gekommen, namentlich wem: sie "Beziehungen"
hatten. Es gibt manchen ältern Regierungsrat, der seit seiner Ernennung
zum Assessor nur einer Behörde angehört.


4

Ich fasse meine Vorschläge zusammen: Es soll also der Anwärter für
die höhern Verwaltungsstellen unmittelbar nach der Schule ein Jahr praktische
Landwirtschaft treiben, dann sechs Semester die Rechte und die Staatswissen¬
schaften studieren, dann achtzehn Monate bei einem Amtsgericht und bei der
Zivilkammer eines Landgerichts praktisch arbeiten und endlich ganz in der jetzt
vorgeschriebnen Weise zwei Jahre bei verschiednen Verwaltungsbehörden be¬
schäftigt werden. An Prüfungen soll er vier ablegen: eine Zwischenprüfung
und eine Abschlußprüfung anf der Hochschule, eine Zwischenprüfung nach Be¬
endigung der juristischen Praxis und eine Abschlußprüfung am Ende des gesamten
Vorbereitungsdienstes. Die Leitung und die Beaufsichtigung dieser ganzen
Ausbildung vom ersten Augenblick an soll der Verwaltung selbst zustchn.

Diese Vorschläge werden, darüber bin ich mir durchaus klar, lebhaften
Widerspruch hervorrufen. Ich hoffe nun einen Teil der Bedenken, die man
erheben wird, von vornherein zu entkräften, wenn ich darauf hinweise, daß


Die Aufl'ildmig der höhern verwaltmigslicamten in Preußen und andres

höhern Verwaltungsbeamten noch nicht beendet. Man hat deshalb auch vor¬
geschlagen, den jungem Assessoren Fortbildungskurse zugänglich zu machen;
auch hat mau in diesem Winter schon einen solchen Kursus in Berlin eröffnet.
Man könnte auch daran denken, an Universitäten oder technischen Hochschulen
in industriereichen Gegenden (z. B, in Bonn oder Aachen) Kurse einzurichten,
in denen Assessoren durch Unterricht und Ausflüge ein Einblick in die tech¬
nischen und die wirtschaftlichen Verhältnisse gewisser Hanptindustriezweige und
in die Wirkung der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, auf diesen
Teil der Volkswirtschaft unsers Landes vermittelt würde. Auch dürfte sicher¬
lich nichts dagegen einzuwenden sein, daß junge Assessoren in Banken oder in
andern kaufmännischen Geschäften oder bei Handels- oder Laudwirtschcifts-
tammern arbeiteten. Jedenfalls würde ein Assessor hier mehr lernen als ein
Referendar. Aber alles dies ist durchaus nicht unerläßlich. Junge Leute,
die die von mir vorgeschlagne Ausbildung genossen haben, werden sich in allen
Fragen des praktischen Lebens, die an sie herantreten, mit Leichtigkeit zurecht-
finden und anderseits immer das Streben haben, anch ihr theoretisches Wissen
weiter zu vermehren. Es genügt dazu, daß ihnen bei ihrer Behörde die
nötigen literarischen Hilfsmittel zur Verfügung stehn.

Für unerläßlich halte ich es dagegen, daß die jungen Regierungsassessoren
viel im Lande umhergeworfen werden, damit sie Land und Leute in möglichst
vielen Teilen des Staates kennen lernen. Es ist dies eins der wichtigsten
Bildungsmittel für einen jungen Verwaltungsbeamten, und man sollte annehmen,
daß von ihm reichlich Gebrauch gemacht würde, zumal da es auch politisch
wichtig ist, daß der Westländer Ostelbien, der Ostlünder den Westen kennen
lernt. In Wirklichkeit hat man sich dieses Bildungsmittel fast ganz entgehn
lassen. Mit wenig Ausnahmen sind die jungen Herren immer wieder in ihre
Heimat oder in deren Nähe gekommen, namentlich wem: sie „Beziehungen"
hatten. Es gibt manchen ältern Regierungsrat, der seit seiner Ernennung
zum Assessor nur einer Behörde angehört.


4

Ich fasse meine Vorschläge zusammen: Es soll also der Anwärter für
die höhern Verwaltungsstellen unmittelbar nach der Schule ein Jahr praktische
Landwirtschaft treiben, dann sechs Semester die Rechte und die Staatswissen¬
schaften studieren, dann achtzehn Monate bei einem Amtsgericht und bei der
Zivilkammer eines Landgerichts praktisch arbeiten und endlich ganz in der jetzt
vorgeschriebnen Weise zwei Jahre bei verschiednen Verwaltungsbehörden be¬
schäftigt werden. An Prüfungen soll er vier ablegen: eine Zwischenprüfung
und eine Abschlußprüfung anf der Hochschule, eine Zwischenprüfung nach Be¬
endigung der juristischen Praxis und eine Abschlußprüfung am Ende des gesamten
Vorbereitungsdienstes. Die Leitung und die Beaufsichtigung dieser ganzen
Ausbildung vom ersten Augenblick an soll der Verwaltung selbst zustchn.

Diese Vorschläge werden, darüber bin ich mir durchaus klar, lebhaften
Widerspruch hervorrufen. Ich hoffe nun einen Teil der Bedenken, die man
erheben wird, von vornherein zu entkräften, wenn ich darauf hinweise, daß


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[0274] Die Aufl'ildmig der höhern verwaltmigslicamten in Preußen und andres höhern Verwaltungsbeamten noch nicht beendet. Man hat deshalb auch vor¬ geschlagen, den jungem Assessoren Fortbildungskurse zugänglich zu machen; auch hat mau in diesem Winter schon einen solchen Kursus in Berlin eröffnet. Man könnte auch daran denken, an Universitäten oder technischen Hochschulen in industriereichen Gegenden (z. B, in Bonn oder Aachen) Kurse einzurichten, in denen Assessoren durch Unterricht und Ausflüge ein Einblick in die tech¬ nischen und die wirtschaftlichen Verhältnisse gewisser Hanptindustriezweige und in die Wirkung der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, auf diesen Teil der Volkswirtschaft unsers Landes vermittelt würde. Auch dürfte sicher¬ lich nichts dagegen einzuwenden sein, daß junge Assessoren in Banken oder in andern kaufmännischen Geschäften oder bei Handels- oder Laudwirtschcifts- tammern arbeiteten. Jedenfalls würde ein Assessor hier mehr lernen als ein Referendar. Aber alles dies ist durchaus nicht unerläßlich. Junge Leute, die die von mir vorgeschlagne Ausbildung genossen haben, werden sich in allen Fragen des praktischen Lebens, die an sie herantreten, mit Leichtigkeit zurecht- finden und anderseits immer das Streben haben, anch ihr theoretisches Wissen weiter zu vermehren. Es genügt dazu, daß ihnen bei ihrer Behörde die nötigen literarischen Hilfsmittel zur Verfügung stehn. Für unerläßlich halte ich es dagegen, daß die jungen Regierungsassessoren viel im Lande umhergeworfen werden, damit sie Land und Leute in möglichst vielen Teilen des Staates kennen lernen. Es ist dies eins der wichtigsten Bildungsmittel für einen jungen Verwaltungsbeamten, und man sollte annehmen, daß von ihm reichlich Gebrauch gemacht würde, zumal da es auch politisch wichtig ist, daß der Westländer Ostelbien, der Ostlünder den Westen kennen lernt. In Wirklichkeit hat man sich dieses Bildungsmittel fast ganz entgehn lassen. Mit wenig Ausnahmen sind die jungen Herren immer wieder in ihre Heimat oder in deren Nähe gekommen, namentlich wem: sie „Beziehungen" hatten. Es gibt manchen ältern Regierungsrat, der seit seiner Ernennung zum Assessor nur einer Behörde angehört. 4 Ich fasse meine Vorschläge zusammen: Es soll also der Anwärter für die höhern Verwaltungsstellen unmittelbar nach der Schule ein Jahr praktische Landwirtschaft treiben, dann sechs Semester die Rechte und die Staatswissen¬ schaften studieren, dann achtzehn Monate bei einem Amtsgericht und bei der Zivilkammer eines Landgerichts praktisch arbeiten und endlich ganz in der jetzt vorgeschriebnen Weise zwei Jahre bei verschiednen Verwaltungsbehörden be¬ schäftigt werden. An Prüfungen soll er vier ablegen: eine Zwischenprüfung und eine Abschlußprüfung anf der Hochschule, eine Zwischenprüfung nach Be¬ endigung der juristischen Praxis und eine Abschlußprüfung am Ende des gesamten Vorbereitungsdienstes. Die Leitung und die Beaufsichtigung dieser ganzen Ausbildung vom ersten Augenblick an soll der Verwaltung selbst zustchn. Diese Vorschläge werden, darüber bin ich mir durchaus klar, lebhaften Widerspruch hervorrufen. Ich hoffe nun einen Teil der Bedenken, die man erheben wird, von vornherein zu entkräften, wenn ich darauf hinweise, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/274>, abgerufen am 27.11.2024.