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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feiler!

Begleitung gar nicht auf der Straße zeigen, von jungen Mädchen schon nicht
zu reden,

Ist die Unsitte hier in der Stadt wirklich so eingerissen? fragte ich.

Ah, Sie sind kein Hiesiger! sagte sie. Ja, leider.

Sie erging sich in Klagen und erzählte von verschiednen Zudringlichkeiten,
denen sie mit der Tochter oder vielmehr der Tochter wegen in der letzten Zeit aus¬
gesetzt gewesen wäre.

Ich sprach meine Entrüstung aus und betonte meinen Entschluß, diesem Un¬
wesen nach Möglichkeit zu steuern. Ich suchte auch die Tochter -- es mußte die
Ssawinski sein -- in die Unterhaltung zu ziehn. Allein sie wanderte neben uns
her und öffnete den Mund nicht. Es schien mir einmal, als ob sie vor sich hin kicherte.

Wir waren bei dem Hause der Schtschepin angekommen.

Hier wohnen wir, sagte die Mutter und grüßte.

Mama, ließ sich plötzlich, als ich an die Mütze griff, die Tochter vernehmen,
obgleich ich den Herrn selbst nicht kenne, muß ich ihn dir doch vorstellen. Der
Herr hat mich heute schon zweimal von einer Unannehmlichkeit befreit: am Vor¬
mittag von unsrer Wirtin und jetzt von dem Zudringlichen. Es ist der Polizei-
°Wer von dem ich dir erzählt habe.

Ä ' ^ °rsreut! rief die Iran und streckte mir die Hand entgegen. Ich
oanre 5puer. ^es bin die Witwe Ssawinski, und dies ist meine Tochter Mahada.
^le

druckte mir die Hand, und ich hob die Mütze, während ich mich ganz
ven angenehmen Gefühl hingab, das mich bet den Worten des Mädchens ergriff,
^le Stimme klang hell und weich und hatte doch einen Anflug von neckischer
Keckheit, der das Ohr angenehm berührte.

Ich nannte meinen Namen und Stand und lüftete nochmals die Mütze, indem
ich mich der Tochter zuwandte und nicht wußte, ob ich es wagen dürfte, ihr auch
die Hand zu reichen.

Herr Gehilfe, sagte die Mutter treuherzig, entschuldigen Sie meine Geradheit.
Ich bin ja eine Soldatenfrau. Der Tee steht bei uus auf dem Tische. Wir wollten
uns gerade setzen, als wir den Feuerschein sahen. Trinken Sie bei dem schlechten
Wetter vielleicht ein Glas Tee mit uns? Ohne Umstände, wenn Sie es nicht ver¬
schmähn, bei zwei armen, alleinstehenden Weibern einzutreten.

Ich wollte mich eben bedanken, als Mahada schon die Haustür öffnete und
gedämpft zurückrief:

Aber nur rasch und leise über den Vorplatz und Kos, daß uns die Wirtin
nicht hört!

Die Mutter trat ein, und ich folgte. Mahada war schon verschwunden. Ich
schloß die Tür, schritt vorsichtig über die Dielen des Vorplatzes und der Frau
nach um das Haus. Kaum waren wir in einem kleinen Hintergebäude angelangt,
als die Tür zu einem erleuchteten Zimmer von innen geöffnet wurde, und Mahada
uns entgegenlächelte. Sie hatte es in den wenigen Augenblicken schon zustande
gebracht, sich der Mütze, des Paletots und der Galoschen zu entledigen.

Ich entschuldigte mich wegen meiner großen Nnchtdienststiefel, doch die Mutter
meinte, während sie sich aus ihrer warmen Kleidung schälte, das seien ganz un¬
nütze Worte, denn sie sei wie die Tochter Militärperson, also um die großen Dienst¬
stiefel gewöhnt.

Ich hängte den Revolver und den Säbel nebst meinem Paletot an den neben
der Tür angebrachten Kleiderrechen, und als ich weiter in das Zimmer vortrat,
wo auf dem Tische vor dem lederbezognen Sofa der Tee serviert war, verneigte
>us Mahada zeremoniell vor mir und "nahm sich die Freiheit," sich mir als Marja
^'wanowna Ssawinski, Tochter des Hauptmanns Ssawinski, vorzustellen.

Es war offenbar halb Scherz halb Ernst, und ich verbeugte mich ebenso
wrmell und nannte mich nach dem Taufnamen, dem Vater und der Familie. Wie
ich aber dabei ihre zarte schmale Hand zwischen meinen Fingern fühlte, wurde mir


Feiler!

Begleitung gar nicht auf der Straße zeigen, von jungen Mädchen schon nicht
zu reden,

Ist die Unsitte hier in der Stadt wirklich so eingerissen? fragte ich.

Ah, Sie sind kein Hiesiger! sagte sie. Ja, leider.

Sie erging sich in Klagen und erzählte von verschiednen Zudringlichkeiten,
denen sie mit der Tochter oder vielmehr der Tochter wegen in der letzten Zeit aus¬
gesetzt gewesen wäre.

Ich sprach meine Entrüstung aus und betonte meinen Entschluß, diesem Un¬
wesen nach Möglichkeit zu steuern. Ich suchte auch die Tochter — es mußte die
Ssawinski sein — in die Unterhaltung zu ziehn. Allein sie wanderte neben uns
her und öffnete den Mund nicht. Es schien mir einmal, als ob sie vor sich hin kicherte.

Wir waren bei dem Hause der Schtschepin angekommen.

Hier wohnen wir, sagte die Mutter und grüßte.

Mama, ließ sich plötzlich, als ich an die Mütze griff, die Tochter vernehmen,
obgleich ich den Herrn selbst nicht kenne, muß ich ihn dir doch vorstellen. Der
Herr hat mich heute schon zweimal von einer Unannehmlichkeit befreit: am Vor¬
mittag von unsrer Wirtin und jetzt von dem Zudringlichen. Es ist der Polizei-
°Wer von dem ich dir erzählt habe.

Ä ' ^ °rsreut! rief die Iran und streckte mir die Hand entgegen. Ich
oanre 5puer. ^es bin die Witwe Ssawinski, und dies ist meine Tochter Mahada.
^le

druckte mir die Hand, und ich hob die Mütze, während ich mich ganz
ven angenehmen Gefühl hingab, das mich bet den Worten des Mädchens ergriff,
^le Stimme klang hell und weich und hatte doch einen Anflug von neckischer
Keckheit, der das Ohr angenehm berührte.

Ich nannte meinen Namen und Stand und lüftete nochmals die Mütze, indem
ich mich der Tochter zuwandte und nicht wußte, ob ich es wagen dürfte, ihr auch
die Hand zu reichen.

Herr Gehilfe, sagte die Mutter treuherzig, entschuldigen Sie meine Geradheit.
Ich bin ja eine Soldatenfrau. Der Tee steht bei uus auf dem Tische. Wir wollten
uns gerade setzen, als wir den Feuerschein sahen. Trinken Sie bei dem schlechten
Wetter vielleicht ein Glas Tee mit uns? Ohne Umstände, wenn Sie es nicht ver¬
schmähn, bei zwei armen, alleinstehenden Weibern einzutreten.

Ich wollte mich eben bedanken, als Mahada schon die Haustür öffnete und
gedämpft zurückrief:

Aber nur rasch und leise über den Vorplatz und Kos, daß uns die Wirtin
nicht hört!

Die Mutter trat ein, und ich folgte. Mahada war schon verschwunden. Ich
schloß die Tür, schritt vorsichtig über die Dielen des Vorplatzes und der Frau
nach um das Haus. Kaum waren wir in einem kleinen Hintergebäude angelangt,
als die Tür zu einem erleuchteten Zimmer von innen geöffnet wurde, und Mahada
uns entgegenlächelte. Sie hatte es in den wenigen Augenblicken schon zustande
gebracht, sich der Mütze, des Paletots und der Galoschen zu entledigen.

Ich entschuldigte mich wegen meiner großen Nnchtdienststiefel, doch die Mutter
meinte, während sie sich aus ihrer warmen Kleidung schälte, das seien ganz un¬
nütze Worte, denn sie sei wie die Tochter Militärperson, also um die großen Dienst¬
stiefel gewöhnt.

Ich hängte den Revolver und den Säbel nebst meinem Paletot an den neben
der Tür angebrachten Kleiderrechen, und als ich weiter in das Zimmer vortrat,
wo auf dem Tische vor dem lederbezognen Sofa der Tee serviert war, verneigte
>us Mahada zeremoniell vor mir und „nahm sich die Freiheit," sich mir als Marja
^'wanowna Ssawinski, Tochter des Hauptmanns Ssawinski, vorzustellen.

Es war offenbar halb Scherz halb Ernst, und ich verbeugte mich ebenso
wrmell und nannte mich nach dem Taufnamen, dem Vater und der Familie. Wie
ich aber dabei ihre zarte schmale Hand zwischen meinen Fingern fühlte, wurde mir


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[0241] Feiler! Begleitung gar nicht auf der Straße zeigen, von jungen Mädchen schon nicht zu reden, Ist die Unsitte hier in der Stadt wirklich so eingerissen? fragte ich. Ah, Sie sind kein Hiesiger! sagte sie. Ja, leider. Sie erging sich in Klagen und erzählte von verschiednen Zudringlichkeiten, denen sie mit der Tochter oder vielmehr der Tochter wegen in der letzten Zeit aus¬ gesetzt gewesen wäre. Ich sprach meine Entrüstung aus und betonte meinen Entschluß, diesem Un¬ wesen nach Möglichkeit zu steuern. Ich suchte auch die Tochter — es mußte die Ssawinski sein — in die Unterhaltung zu ziehn. Allein sie wanderte neben uns her und öffnete den Mund nicht. Es schien mir einmal, als ob sie vor sich hin kicherte. Wir waren bei dem Hause der Schtschepin angekommen. Hier wohnen wir, sagte die Mutter und grüßte. Mama, ließ sich plötzlich, als ich an die Mütze griff, die Tochter vernehmen, obgleich ich den Herrn selbst nicht kenne, muß ich ihn dir doch vorstellen. Der Herr hat mich heute schon zweimal von einer Unannehmlichkeit befreit: am Vor¬ mittag von unsrer Wirtin und jetzt von dem Zudringlichen. Es ist der Polizei- °Wer von dem ich dir erzählt habe. Ä ' ^ °rsreut! rief die Iran und streckte mir die Hand entgegen. Ich oanre 5puer. ^es bin die Witwe Ssawinski, und dies ist meine Tochter Mahada. ^le druckte mir die Hand, und ich hob die Mütze, während ich mich ganz ven angenehmen Gefühl hingab, das mich bet den Worten des Mädchens ergriff, ^le Stimme klang hell und weich und hatte doch einen Anflug von neckischer Keckheit, der das Ohr angenehm berührte. Ich nannte meinen Namen und Stand und lüftete nochmals die Mütze, indem ich mich der Tochter zuwandte und nicht wußte, ob ich es wagen dürfte, ihr auch die Hand zu reichen. Herr Gehilfe, sagte die Mutter treuherzig, entschuldigen Sie meine Geradheit. Ich bin ja eine Soldatenfrau. Der Tee steht bei uus auf dem Tische. Wir wollten uns gerade setzen, als wir den Feuerschein sahen. Trinken Sie bei dem schlechten Wetter vielleicht ein Glas Tee mit uns? Ohne Umstände, wenn Sie es nicht ver¬ schmähn, bei zwei armen, alleinstehenden Weibern einzutreten. Ich wollte mich eben bedanken, als Mahada schon die Haustür öffnete und gedämpft zurückrief: Aber nur rasch und leise über den Vorplatz und Kos, daß uns die Wirtin nicht hört! Die Mutter trat ein, und ich folgte. Mahada war schon verschwunden. Ich schloß die Tür, schritt vorsichtig über die Dielen des Vorplatzes und der Frau nach um das Haus. Kaum waren wir in einem kleinen Hintergebäude angelangt, als die Tür zu einem erleuchteten Zimmer von innen geöffnet wurde, und Mahada uns entgegenlächelte. Sie hatte es in den wenigen Augenblicken schon zustande gebracht, sich der Mütze, des Paletots und der Galoschen zu entledigen. Ich entschuldigte mich wegen meiner großen Nnchtdienststiefel, doch die Mutter meinte, während sie sich aus ihrer warmen Kleidung schälte, das seien ganz un¬ nütze Worte, denn sie sei wie die Tochter Militärperson, also um die großen Dienst¬ stiefel gewöhnt. Ich hängte den Revolver und den Säbel nebst meinem Paletot an den neben der Tür angebrachten Kleiderrechen, und als ich weiter in das Zimmer vortrat, wo auf dem Tische vor dem lederbezognen Sofa der Tee serviert war, verneigte >us Mahada zeremoniell vor mir und „nahm sich die Freiheit," sich mir als Marja ^'wanowna Ssawinski, Tochter des Hauptmanns Ssawinski, vorzustellen. Es war offenbar halb Scherz halb Ernst, und ich verbeugte mich ebenso wrmell und nannte mich nach dem Taufnamen, dem Vater und der Familie. Wie ich aber dabei ihre zarte schmale Hand zwischen meinen Fingern fühlte, wurde mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/241>, abgerufen am 27.11.2024.