Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Die innere Lage liegen wollen, liegt auf der Hand. Aber wir halten ihren Sieg, wenn sie sich Ganz anders steht es mit den Extremen links. Sie gehn mit verschärften Es ist in den Grenzboten vor kurzem die tief beklagenswerte journalistische Die innere Lage liegen wollen, liegt auf der Hand. Aber wir halten ihren Sieg, wenn sie sich Ganz anders steht es mit den Extremen links. Sie gehn mit verschärften Es ist in den Grenzboten vor kurzem die tief beklagenswerte journalistische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239579"/> <fw type="header" place="top"> Die innere Lage</fw><lb/> <p xml:id="ID_46" prev="#ID_45"> liegen wollen, liegt auf der Hand. Aber wir halten ihren Sieg, wenn sie sich<lb/> ordentlich rühren, für leicht und sicher. Es ist erst kürzlich in den Grenzboten<lb/> darauf hingewiesen worden, daß unsre Landwirte gern Frieden haben, und<lb/> am liebsten mit der Regierung, und daß anderseits gerade sie ihren Abge-<lb/> ordneten el» so hohes Maß von persönlichem Vertrauen entgegenbringen, daß<lb/> der Einfluß der bündlcrischen Agitatoren, so gut sie ihre schwächsten Seiten<lb/> zu packen wissen werden, dagegen verhältnismäßig wenig bedeutet. Solange<lb/> die Herren Abgeordneten der Mehrheit selbst Bündlcr waren, oder doch der<lb/> bündlerischen Propaganda die Stimmenwerbung überließe«, wie sollten dn die<lb/> Wühler zu einer selbständigen Kritik der extremen Agitation gelangen? Diese<lb/> Lage ist jetzt von Grund aus verschoben. Die Extremen haben sich zum neuen<lb/> Kampf gerüstet und viel Zuversicht an deu Tag gelegt, soweit das ans Papier<lb/> mit Druckerschwärze möglich ist. Ob sie im Herzen so viel Zuversicht haben,<lb/> ist eine andre Sache. Wir sind fest überzeugt, daß die Mehrzahl der unent¬<lb/> wegter Herren nichts sehnlicher vom neuen Jahre wünscht, als daß es ihnen<lb/> einel. Weg zeigen möchte, auf dem sie mit Anstand aus der Affaire heraus¬<lb/> kommen können, in die sie sich verrannt haben. Der Bund der Landwirte<lb/> das steht trotz aller entgegengesetzten lärmenden Behauptungen jedenfalls<lb/> fest — geht ans dem Kampf um den Zolltarif infolge der „Verständigung"<lb/> bis zur Krisis geschwächt hervor. Er ist, wenn die Verständiguugsleute sich<lb/> treu bleiben — und sie werden es wahrscheinlich müssen —, keine Macht mehr<lb/> und deshalb keine Gefahr mehr.</p><lb/> <p xml:id="ID_47"> Ganz anders steht es mit den Extremen links. Sie gehn mit verschärften<lb/> Rüstzeug in die bevorstehende Wahlkampagne, und wenn auch vorläufig das<lb/> Mehr an Mandaten, das sie vielleicht erobern, für das Reich mehr eine Schande<lb/> als eine wirkliche Gefahr bedeuten wird, das Mehr an Verbitterung und um<lb/> Blindgläubigkeit, das sie dabei in der Masse der deutschen Arbeiterschaft, in<lb/> der ganzen breiten Schicht der von der Hand in den Mund lebenden, ver.<lb/> mögenslosen und von Vcrmögenserwerb so gut wie ausgeschlossenen Bevölke¬<lb/> rung erzeugen werden, das ist in der Tat eine furchtbare Gefahr, gegen die vor<lb/> allen: die gebildeten Deutschen, reich und arm, gar nicht zeitig und nachdrücklich<lb/> genug zu wohl überlegten, energischem Kampf ausgerufen werden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_48" next="#ID_49"> Es ist in den Grenzboten vor kurzem die tief beklagenswerte journalistische<lb/> Leistung verdientermaßen abgetan worden, zu. der sich der alte Theodor<lb/> Mommsen hat verleiten lassen. Wir brauchen deshalb hier nicht mehr auf<lb/> sie einzugehn. Aber leider hat Mommsen in seinem Artikel nur einem<lb/> Gedanken Ausdruck gegeben, der seit einiger Zeit in immer weitern Kreisen<lb/> der liberalen Politiker, der liberalen Presse, des liberalen gebildeten Bürger¬<lb/> tums, und mau muß hinzufügen, auch der liberalen Beamten, soweit eS noch<lb/> solche gibt, Eingang zu finden anfängt oder doch gläubig nachgesprochen wird,<lb/> dem Gedanken, daß das Bündnis mit der Svzinldcmokratic im Interesse und<lb/> im Sinne des Liberalismus geboten sei. So ungeheuerlich die Begriffsver¬<lb/> wirrung ist, die diesem Gedanken zu Grunde liegt, so verhängnisvoll ist der<lb/> Vorspnnndienst, deu er dem gemeingefährlichen, der bestehenden Rechts- und<lb/> Gesellschaftsordnung ins Gesicht schlagenden Wesen der Sozialdemokratie als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Die innere Lage
liegen wollen, liegt auf der Hand. Aber wir halten ihren Sieg, wenn sie sich
ordentlich rühren, für leicht und sicher. Es ist erst kürzlich in den Grenzboten
darauf hingewiesen worden, daß unsre Landwirte gern Frieden haben, und
am liebsten mit der Regierung, und daß anderseits gerade sie ihren Abge-
ordneten el» so hohes Maß von persönlichem Vertrauen entgegenbringen, daß
der Einfluß der bündlcrischen Agitatoren, so gut sie ihre schwächsten Seiten
zu packen wissen werden, dagegen verhältnismäßig wenig bedeutet. Solange
die Herren Abgeordneten der Mehrheit selbst Bündlcr waren, oder doch der
bündlerischen Propaganda die Stimmenwerbung überließe«, wie sollten dn die
Wühler zu einer selbständigen Kritik der extremen Agitation gelangen? Diese
Lage ist jetzt von Grund aus verschoben. Die Extremen haben sich zum neuen
Kampf gerüstet und viel Zuversicht an deu Tag gelegt, soweit das ans Papier
mit Druckerschwärze möglich ist. Ob sie im Herzen so viel Zuversicht haben,
ist eine andre Sache. Wir sind fest überzeugt, daß die Mehrzahl der unent¬
wegter Herren nichts sehnlicher vom neuen Jahre wünscht, als daß es ihnen
einel. Weg zeigen möchte, auf dem sie mit Anstand aus der Affaire heraus¬
kommen können, in die sie sich verrannt haben. Der Bund der Landwirte
das steht trotz aller entgegengesetzten lärmenden Behauptungen jedenfalls
fest — geht ans dem Kampf um den Zolltarif infolge der „Verständigung"
bis zur Krisis geschwächt hervor. Er ist, wenn die Verständiguugsleute sich
treu bleiben — und sie werden es wahrscheinlich müssen —, keine Macht mehr
und deshalb keine Gefahr mehr.
Ganz anders steht es mit den Extremen links. Sie gehn mit verschärften
Rüstzeug in die bevorstehende Wahlkampagne, und wenn auch vorläufig das
Mehr an Mandaten, das sie vielleicht erobern, für das Reich mehr eine Schande
als eine wirkliche Gefahr bedeuten wird, das Mehr an Verbitterung und um
Blindgläubigkeit, das sie dabei in der Masse der deutschen Arbeiterschaft, in
der ganzen breiten Schicht der von der Hand in den Mund lebenden, ver.
mögenslosen und von Vcrmögenserwerb so gut wie ausgeschlossenen Bevölke¬
rung erzeugen werden, das ist in der Tat eine furchtbare Gefahr, gegen die vor
allen: die gebildeten Deutschen, reich und arm, gar nicht zeitig und nachdrücklich
genug zu wohl überlegten, energischem Kampf ausgerufen werden können.
Es ist in den Grenzboten vor kurzem die tief beklagenswerte journalistische
Leistung verdientermaßen abgetan worden, zu. der sich der alte Theodor
Mommsen hat verleiten lassen. Wir brauchen deshalb hier nicht mehr auf
sie einzugehn. Aber leider hat Mommsen in seinem Artikel nur einem
Gedanken Ausdruck gegeben, der seit einiger Zeit in immer weitern Kreisen
der liberalen Politiker, der liberalen Presse, des liberalen gebildeten Bürger¬
tums, und mau muß hinzufügen, auch der liberalen Beamten, soweit eS noch
solche gibt, Eingang zu finden anfängt oder doch gläubig nachgesprochen wird,
dem Gedanken, daß das Bündnis mit der Svzinldcmokratic im Interesse und
im Sinne des Liberalismus geboten sei. So ungeheuerlich die Begriffsver¬
wirrung ist, die diesem Gedanken zu Grunde liegt, so verhängnisvoll ist der
Vorspnnndienst, deu er dem gemeingefährlichen, der bestehenden Rechts- und
Gesellschaftsordnung ins Gesicht schlagenden Wesen der Sozialdemokratie als
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