Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Die innere Lage politische Partei leistet, und so furchtbar schwer ist der Schade, deu er dem So viel mau auch von ihrer Mauserung geredet hat und noch reden mag, die Die innere Lage politische Partei leistet, und so furchtbar schwer ist der Schade, deu er dem So viel mau auch von ihrer Mauserung geredet hat und noch reden mag, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239580"/> <fw type="header" place="top"> Die innere Lage</fw><lb/> <p xml:id="ID_49" prev="#ID_48"> politische Partei leistet, und so furchtbar schwer ist der Schade, deu er dem<lb/> berechtigten deutsche,, Liberalismus zufügt. Wenn auf irgendwen und irgendwas<lb/> das Wort des Abgeordneten von Kröcher von der politischen „Minderwertigkeit"<lb/> der Epigonen zutrifft, so trifft es auf die Liberalen zu, die das Bündnis<lb/> mit der sozialdemokratischen Partei predigein Bei manchen von ihnen mag<lb/> die Freundschaft für die Sozialdemokratie einfach parteitaktischer, freilich überaus<lb/> kurzsichtiger und irrtümlicher Erwüguug entspringen, Sie sehen, daß sie durch<lb/> eigne Wähler keine Mandate mehr erreichen können, und deshalb hoffen sie<lb/> auf das Almosen sozialdemokratischer Stimmen, sei es auch nur bei dieser und<lb/> jeuer Stichwahl. Das Wesen der Sozialdemokratie ist ihnen ganz gleichgiltig.<lb/> Aber die große Mehrzahl der Sozialdemokratenfrcnnde glaubt, wie es scheint,<lb/> wirklich an eine berechtigte politische Mission, und zwar an eine „liberale"<lb/> Mission der Partei der Singer, Liebknecht und Bebel. Sie glaubt nu den<lb/> Beruf dieser Partei, die berechtigten Interessen der Arbeiter, der Vermögens¬<lb/> losen, der gesellschaftlich unten stehenden großen Mehrheit der Mitbürger im<lb/> Reich politisch gegen die obern, die sogenannten herrschenden Klassen vertreten<lb/> zu müssen. Dieser Grnndirrtum über Wesen und Bedeutung der Sozialdemo¬<lb/> kratie ist unendlich mächtiger und gefährlicher als die taktischen Notbehelfe,<lb/> und er findet leider Boden und Nahrung weit über die Grenzen des Partei¬<lb/> liberalismus hiucius. Daß es der sozialdemokratischen Partei gelungen ist,<lb/> die politische Vertretung der Arbeiterschaft in so weitem Umfang ein sich zu<lb/> reißen, wie das jetzt der Fall ist, macht sie noch längst nicht zur berufnen und<lb/> berechtigten Vertreterin dieser weitaus größte» Mehrheit des deutschen Volkes.<lb/> Das Wesen der politischen Partei wird bestimmt durch ihr politisches Endziel,<lb/> ihre unmittelbare praktische Wirkung und die Mittel, die sie anwendet. Das<lb/> politische Endziel der Sozialdemokratie ist und bleibt der Umsturz der staat¬<lb/> lichen Ordnung im Sinne einer unklaren, utopischen Ochlokratie, ihre un¬<lb/> mittelbare Wirkung ist die Erhaltung, Erregung und maßlose Verschärfung<lb/> der Unzufriedenheit und des Hasses der Massen gegen alles, was besteht, und<lb/> ihr Hauptmittel dazu ist eine raffinierte, fast virtuose Verlogenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_50" next="#ID_51"> So viel mau auch von ihrer Mauserung geredet hat und noch reden mag, die<lb/> Sozialdemokraten als Partei bleiben ein Ding sui Ac-meri«, etwas Fremdes, ein<lb/> Todfeind dem Ganzen und den andern Parteien gegenüber. Was einzelne Social¬<lb/> demokraten in der Theorie an Mauserung zeigen, vermag an dem Wesen der<lb/> Partei gar nichts zu ändern. Die Theorie beherrscht nicht die Massen, und<lb/> die viel gepriesenen Herren Revisionisten der sozialistischen Monatshefte müssen,<lb/> wo es sich um die praktische Politik der Partei handelt, bestenfalls den Mund<lb/> halten. Und was das erst recht vielgepriesene schützenswerte „Zusammen¬<lb/> arbeiten" mit den bürgerlichen Parteien betrifft, so müßten die Sozialdemo-<lb/> kraten ja die ärgsten Narren sein, wenn sie, wo immer die Gesellschaft in<lb/> Staat und Gemeinde die Interessen der untern Schichten zu fördern sucht,<lb/> den Dank bei deu Massen nicht für ihre Partei abzufangen bemüht wären.<lb/> Dazu gehört natürlich, daß sie auch Initiative entwickeln und überall da,<lb/> wo die bürgerliche Gesellschaft soziale Pflichten versäumt oder mir halb erfüllt,<lb/> mit dem allergrößten Geräusch als die Pflichtgetreuen in den Vordergrund</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Die innere Lage
politische Partei leistet, und so furchtbar schwer ist der Schade, deu er dem
berechtigten deutsche,, Liberalismus zufügt. Wenn auf irgendwen und irgendwas
das Wort des Abgeordneten von Kröcher von der politischen „Minderwertigkeit"
der Epigonen zutrifft, so trifft es auf die Liberalen zu, die das Bündnis
mit der sozialdemokratischen Partei predigein Bei manchen von ihnen mag
die Freundschaft für die Sozialdemokratie einfach parteitaktischer, freilich überaus
kurzsichtiger und irrtümlicher Erwüguug entspringen, Sie sehen, daß sie durch
eigne Wähler keine Mandate mehr erreichen können, und deshalb hoffen sie
auf das Almosen sozialdemokratischer Stimmen, sei es auch nur bei dieser und
jeuer Stichwahl. Das Wesen der Sozialdemokratie ist ihnen ganz gleichgiltig.
Aber die große Mehrzahl der Sozialdemokratenfrcnnde glaubt, wie es scheint,
wirklich an eine berechtigte politische Mission, und zwar an eine „liberale"
Mission der Partei der Singer, Liebknecht und Bebel. Sie glaubt nu den
Beruf dieser Partei, die berechtigten Interessen der Arbeiter, der Vermögens¬
losen, der gesellschaftlich unten stehenden großen Mehrheit der Mitbürger im
Reich politisch gegen die obern, die sogenannten herrschenden Klassen vertreten
zu müssen. Dieser Grnndirrtum über Wesen und Bedeutung der Sozialdemo¬
kratie ist unendlich mächtiger und gefährlicher als die taktischen Notbehelfe,
und er findet leider Boden und Nahrung weit über die Grenzen des Partei¬
liberalismus hiucius. Daß es der sozialdemokratischen Partei gelungen ist,
die politische Vertretung der Arbeiterschaft in so weitem Umfang ein sich zu
reißen, wie das jetzt der Fall ist, macht sie noch längst nicht zur berufnen und
berechtigten Vertreterin dieser weitaus größte» Mehrheit des deutschen Volkes.
Das Wesen der politischen Partei wird bestimmt durch ihr politisches Endziel,
ihre unmittelbare praktische Wirkung und die Mittel, die sie anwendet. Das
politische Endziel der Sozialdemokratie ist und bleibt der Umsturz der staat¬
lichen Ordnung im Sinne einer unklaren, utopischen Ochlokratie, ihre un¬
mittelbare Wirkung ist die Erhaltung, Erregung und maßlose Verschärfung
der Unzufriedenheit und des Hasses der Massen gegen alles, was besteht, und
ihr Hauptmittel dazu ist eine raffinierte, fast virtuose Verlogenheit.
So viel mau auch von ihrer Mauserung geredet hat und noch reden mag, die
Sozialdemokraten als Partei bleiben ein Ding sui Ac-meri«, etwas Fremdes, ein
Todfeind dem Ganzen und den andern Parteien gegenüber. Was einzelne Social¬
demokraten in der Theorie an Mauserung zeigen, vermag an dem Wesen der
Partei gar nichts zu ändern. Die Theorie beherrscht nicht die Massen, und
die viel gepriesenen Herren Revisionisten der sozialistischen Monatshefte müssen,
wo es sich um die praktische Politik der Partei handelt, bestenfalls den Mund
halten. Und was das erst recht vielgepriesene schützenswerte „Zusammen¬
arbeiten" mit den bürgerlichen Parteien betrifft, so müßten die Sozialdemo-
kraten ja die ärgsten Narren sein, wenn sie, wo immer die Gesellschaft in
Staat und Gemeinde die Interessen der untern Schichten zu fördern sucht,
den Dank bei deu Massen nicht für ihre Partei abzufangen bemüht wären.
Dazu gehört natürlich, daß sie auch Initiative entwickeln und überall da,
wo die bürgerliche Gesellschaft soziale Pflichten versäumt oder mir halb erfüllt,
mit dem allergrößten Geräusch als die Pflichtgetreuen in den Vordergrund
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |