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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

Vaterlands mit seinen von Burgen gekrönten, von Laubwäldern bekränzten,
frei aus der Ebne aufsteigenden Felskegelbergen in prächtiger Landschaft voll
ungemeiner Fruchtbarkeit und reicher Flora. Der Gedanke, aus dem Hohentwiel
eine neue Festung nach den modernen Bedürfnissen zu machen, ist zwar von
Zeit zu Zeit wieder aufgetaucht, aber da auch über den strategischen Wert
die Anschauungen verschieden sind, wurde seither davou abgesehen. Am 31. Ok¬
tober 1817 zogen zur dreihundertjnhrigen Feier der Reformation die Be¬
wohner am Berge mit ihrem evangelischen Pfarrer um der Spitze um frühen
Morgen bei Fackelschein auf die Höhe des Berges und begrüßten. dankbar
des dreihundert Jahre zuvor aufgegaugnen Lichtes gedenkend, die aufgehende
Sonne mit feierlichem Gebet.




Feuer!
Erinnerung aus dem russischen polizeileben
Alexander Andreas von (Fortsetzung)

as Publikum begann sich zu entfernen. Meine Augen hingen an
demi Fräulein Ssawinski, und als das junge Mädchen hinter dem
Fräulein Schtschepin das Zimmer verließ, wollte ich folgen, um ihr
auf der Straße wenigstens nachzuschauen. Aber Burin nahm mich
sogleich in Beschlag. Er sprach ans mich ein, während wir unsre
Mäntel anlegten, und wollte nichts davon hören, daß ich ein andres
Mal zu ihm kommen würde.

Das andre mal, Herr Gehilfe des Stadtteilaufsehers, sagte er lachend, ver¬
steht sich ganz von selbst. Jetzt ist es aber nicht das andre mal, sondern diesmal.
Diesmal habe ich mir Ihretwegen einen Verweis des Richters zugezogen und wäre
um ein Haar gestraft worden. Ich bitte das in Betracht zu ziehn, Herr Stcidtteil-
nufseher.

Ich muß aber zu Jemeljau Afancisjewitsch in das Stadtteilhaus, versuchte ich
einzuwenden.

Dahin kommen Sie immer noch, und zwar viel häufiger, als Ihnen mit der
Zeit lieb sein wird. Erst zu Mittag essen, Herr Gehilfe des Polizeimeisters.

Er sagte das alles so gutmütig drollig, daß ich ihm nicht zürnen konnte, und
doch stieß die Familiarität mich etwas ab.

Ich will auf einige Minuten mit zu Ihnen kommen, Burin, sagte ich, aber
ich bemerke Ihnen im voraus, daß ich ein langweiliger Gesellschafter bin und vor
"klein kein Verehrer von Scherz und neckischen Geplauder.

Er sah mich scharf an. Dann verneigte er sich und lächelte.

Das soll heißen: Burin, sei nicht unverschämt und mache keine dummen Witze,
erwiderte er treuherzig. Eh, Herr Polizeimeister, lassen Sie den Burin getrost
plappern, wie er will. Seien Sie überzeugt, unverschämt wird er nie. Er ist
nur eine lustige Haut und jetzt seelenvergnügt, daß er einen alten .Kameraden ge¬
funden hat. Bei Gott, Alexander Andrejewitsch, Sie können sich nicht vorstellen,
wie froh ich bin!

Dabei fiel er mir wieder um den Hals und küßte mich.

Wir betraten die Straße und schritten schräg hinüber zu einem kleinen, aber
höchst saubern Häuschen, das "ur drei Fenster in der Front hatte. Ich sah zu


Grenzboten I 1908 22
Feuer!

Vaterlands mit seinen von Burgen gekrönten, von Laubwäldern bekränzten,
frei aus der Ebne aufsteigenden Felskegelbergen in prächtiger Landschaft voll
ungemeiner Fruchtbarkeit und reicher Flora. Der Gedanke, aus dem Hohentwiel
eine neue Festung nach den modernen Bedürfnissen zu machen, ist zwar von
Zeit zu Zeit wieder aufgetaucht, aber da auch über den strategischen Wert
die Anschauungen verschieden sind, wurde seither davou abgesehen. Am 31. Ok¬
tober 1817 zogen zur dreihundertjnhrigen Feier der Reformation die Be¬
wohner am Berge mit ihrem evangelischen Pfarrer um der Spitze um frühen
Morgen bei Fackelschein auf die Höhe des Berges und begrüßten. dankbar
des dreihundert Jahre zuvor aufgegaugnen Lichtes gedenkend, die aufgehende
Sonne mit feierlichem Gebet.




Feuer!
Erinnerung aus dem russischen polizeileben
Alexander Andreas von (Fortsetzung)

as Publikum begann sich zu entfernen. Meine Augen hingen an
demi Fräulein Ssawinski, und als das junge Mädchen hinter dem
Fräulein Schtschepin das Zimmer verließ, wollte ich folgen, um ihr
auf der Straße wenigstens nachzuschauen. Aber Burin nahm mich
sogleich in Beschlag. Er sprach ans mich ein, während wir unsre
Mäntel anlegten, und wollte nichts davon hören, daß ich ein andres
Mal zu ihm kommen würde.

Das andre mal, Herr Gehilfe des Stadtteilaufsehers, sagte er lachend, ver¬
steht sich ganz von selbst. Jetzt ist es aber nicht das andre mal, sondern diesmal.
Diesmal habe ich mir Ihretwegen einen Verweis des Richters zugezogen und wäre
um ein Haar gestraft worden. Ich bitte das in Betracht zu ziehn, Herr Stcidtteil-
nufseher.

Ich muß aber zu Jemeljau Afancisjewitsch in das Stadtteilhaus, versuchte ich
einzuwenden.

Dahin kommen Sie immer noch, und zwar viel häufiger, als Ihnen mit der
Zeit lieb sein wird. Erst zu Mittag essen, Herr Gehilfe des Polizeimeisters.

Er sagte das alles so gutmütig drollig, daß ich ihm nicht zürnen konnte, und
doch stieß die Familiarität mich etwas ab.

Ich will auf einige Minuten mit zu Ihnen kommen, Burin, sagte ich, aber
ich bemerke Ihnen im voraus, daß ich ein langweiliger Gesellschafter bin und vor
"klein kein Verehrer von Scherz und neckischen Geplauder.

Er sah mich scharf an. Dann verneigte er sich und lächelte.

Das soll heißen: Burin, sei nicht unverschämt und mache keine dummen Witze,
erwiderte er treuherzig. Eh, Herr Polizeimeister, lassen Sie den Burin getrost
plappern, wie er will. Seien Sie überzeugt, unverschämt wird er nie. Er ist
nur eine lustige Haut und jetzt seelenvergnügt, daß er einen alten .Kameraden ge¬
funden hat. Bei Gott, Alexander Andrejewitsch, Sie können sich nicht vorstellen,
wie froh ich bin!

Dabei fiel er mir wieder um den Hals und küßte mich.

Wir betraten die Straße und schritten schräg hinüber zu einem kleinen, aber
höchst saubern Häuschen, das «ur drei Fenster in der Front hatte. Ich sah zu


Grenzboten I 1908 22
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[0173] Feuer! Vaterlands mit seinen von Burgen gekrönten, von Laubwäldern bekränzten, frei aus der Ebne aufsteigenden Felskegelbergen in prächtiger Landschaft voll ungemeiner Fruchtbarkeit und reicher Flora. Der Gedanke, aus dem Hohentwiel eine neue Festung nach den modernen Bedürfnissen zu machen, ist zwar von Zeit zu Zeit wieder aufgetaucht, aber da auch über den strategischen Wert die Anschauungen verschieden sind, wurde seither davou abgesehen. Am 31. Ok¬ tober 1817 zogen zur dreihundertjnhrigen Feier der Reformation die Be¬ wohner am Berge mit ihrem evangelischen Pfarrer um der Spitze um frühen Morgen bei Fackelschein auf die Höhe des Berges und begrüßten. dankbar des dreihundert Jahre zuvor aufgegaugnen Lichtes gedenkend, die aufgehende Sonne mit feierlichem Gebet. Feuer! Erinnerung aus dem russischen polizeileben Alexander Andreas von (Fortsetzung) as Publikum begann sich zu entfernen. Meine Augen hingen an demi Fräulein Ssawinski, und als das junge Mädchen hinter dem Fräulein Schtschepin das Zimmer verließ, wollte ich folgen, um ihr auf der Straße wenigstens nachzuschauen. Aber Burin nahm mich sogleich in Beschlag. Er sprach ans mich ein, während wir unsre Mäntel anlegten, und wollte nichts davon hören, daß ich ein andres Mal zu ihm kommen würde. Das andre mal, Herr Gehilfe des Stadtteilaufsehers, sagte er lachend, ver¬ steht sich ganz von selbst. Jetzt ist es aber nicht das andre mal, sondern diesmal. Diesmal habe ich mir Ihretwegen einen Verweis des Richters zugezogen und wäre um ein Haar gestraft worden. Ich bitte das in Betracht zu ziehn, Herr Stcidtteil- nufseher. Ich muß aber zu Jemeljau Afancisjewitsch in das Stadtteilhaus, versuchte ich einzuwenden. Dahin kommen Sie immer noch, und zwar viel häufiger, als Ihnen mit der Zeit lieb sein wird. Erst zu Mittag essen, Herr Gehilfe des Polizeimeisters. Er sagte das alles so gutmütig drollig, daß ich ihm nicht zürnen konnte, und doch stieß die Familiarität mich etwas ab. Ich will auf einige Minuten mit zu Ihnen kommen, Burin, sagte ich, aber ich bemerke Ihnen im voraus, daß ich ein langweiliger Gesellschafter bin und vor "klein kein Verehrer von Scherz und neckischen Geplauder. Er sah mich scharf an. Dann verneigte er sich und lächelte. Das soll heißen: Burin, sei nicht unverschämt und mache keine dummen Witze, erwiderte er treuherzig. Eh, Herr Polizeimeister, lassen Sie den Burin getrost plappern, wie er will. Seien Sie überzeugt, unverschämt wird er nie. Er ist nur eine lustige Haut und jetzt seelenvergnügt, daß er einen alten .Kameraden ge¬ funden hat. Bei Gott, Alexander Andrejewitsch, Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich bin! Dabei fiel er mir wieder um den Hals und küßte mich. Wir betraten die Straße und schritten schräg hinüber zu einem kleinen, aber höchst saubern Häuschen, das «ur drei Fenster in der Front hatte. Ich sah zu Grenzboten I 1908 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/173>, abgerufen am 24.11.2024.