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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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dem Schildchen an dem Pfosten neben der Pforte empor. Wassili Burin, Künstler,
stand darauf.

Ah, rief ich, Sie sind sogar Hausbesitzer.

Häuschenbesitzer, Häuschenbesitzer, Alexander Audrejewitsch, verbesserte er lachend.
Das tut aber nichts. Es ist doch immer eine kleine Garantie für die Solidität
Ihres ganz gehorsamen Dieners, Herr Gehilfe.

Von links her schlug aus der Entfernung eine scheltende Stimme um mein
Ohr. Ich erkannte sie sofort als die des Fräuleins Schtschepin. Ich sah hin.
Neben dem Häuschen Burius stand ein ebenfalls kleines, aber zweistöckiges Ge¬
bäude, dessen unteres Stockwerk von einem Materialladen eingenommen wurde.
Hieran schloß sich ein ziemlich lauger Zaun, und dann folgte ein einstöckiges Haus,
an dessen Eingangstür zwei Damen in Herbstmänteln standen. Eine von ihnen
stand unmittelbar vor der Tür, gestikulierte mit deu Händen und redete kreischend
auf die andre ein, die in das Hans zu wollen schien, an der Redenden aber nicht
vorbei konnte. Ich war nicht imstande, sie zu erkennen, aber mein Herz sagte mir,
daß die Aufgehaltne das Fräulein Ssawinski sei.

Ah, meinte Burin, der mich Hinschnute, das Fräulein Schtschepin hat wieder
ihre Mieterin vor.

Ihre Mieterin? fragte ich mit einiger Beklemmung.

Ja, Mahada Ssawinski. Sie wohnt bei ihr.

Wohnt bei ihr? Als was? Ist Sie von ihr abhängig?

Ach nein, sie wohnt mit ihrer Mutter bei ihr zur Miete. Im Hofe ist ein
Hinterhäuschen. Das haben sie ihr abgemietet.

Was mag sie von ihr wollen? Sie scheint ihr ja den Eintritt zu ver¬
weigern.

Was sie will, Alexander Andrejewitsch! antwortete Burin lachend. Das kann
ich Ihnen zufällig ganz genau und mit einem Worte sagen, denn ich habe das
Fräulein Schtschepin gründlich studiert. Ja, wen in meiner Nachbarschaft habe ich
nicht gründlich studiert! Mein Gott, man ist ja doch nicht umsonst Künstler! Das
Fräulein will sich nur auskeifen, weiter nichts.

Sie kommen ja aber eben aus der Gerichtssitzung wie wir. Was für Anlaß
kann sie da haben?

Haha, lachte Burin wieder. Wera Schtschepin braucht keinen Anlaß. Sie
braucht nur eine günstige Gelegenheit. Ihr kommt es nur darauf an, einen Menschen
stellen zu können, daß er nicht zu entwischen vermag. Das ist ihr in diesem Falle
gelungen, denn Mahada Ssawinski muß durch die Tür, und sie versperrt ihr diese
durch ihre Person. Nun wird sie so lange reden und kreischen, bis das Mädchen
die Geduld verliert, auf den Eintritt verzichtet und die Straße hinaufgeht.

Aus der geöffneten Ladentür im Hause nebenbei trat in diesem Augenblick
der blonde Händler Abramow in seinem mehlbestanbten Ladenpelze. Er grüßte
höflich, als er uns erblickte, und sah denn rasch von uns fort nach der andern
Seite, woher sich der Schtschepin Stimme vernehmen ließ. Als er sich wieder uns
zukehrte, machte er eine drollige Bewegung mit dem Kopfe.

Die Orgel ist aufgezogen, sagte er.

Ich hätte beinah Lust, mich ins Mittel zu legen, um dem Gekreisch auf der
Straße ein Ende zu machen, meinte ich zögernd.
Burin drückte die Augen pfiffig zusammen.

Und dem armen Mädchen den Eingang zu ermöglichen, ergänzte er. Tun
Sie das, Herr Gehilfe. Es ist ja gewissermaßen Ihre Pflicht, Beleidigten und
Unterdrückten in Ihrem Stadtteile beizustehn. Sie können das auch ganz leicht
ins Werk setzen. Sie brauchen nnr neben den Damen stehn zu bleiben, so zieht
die Schtschepin im Nu die neue Gesellschaft der alten vor, wendet sich an Sie,
und -- der Zweck ist erreicht, Mahada Ssawinski schlüpft in das Haus. Nun,
Alexander Andrejewitsch, wie denken Sie sich dann von dem Drachen loszumachen?


dem Schildchen an dem Pfosten neben der Pforte empor. Wassili Burin, Künstler,
stand darauf.

Ah, rief ich, Sie sind sogar Hausbesitzer.

Häuschenbesitzer, Häuschenbesitzer, Alexander Audrejewitsch, verbesserte er lachend.
Das tut aber nichts. Es ist doch immer eine kleine Garantie für die Solidität
Ihres ganz gehorsamen Dieners, Herr Gehilfe.

Von links her schlug aus der Entfernung eine scheltende Stimme um mein
Ohr. Ich erkannte sie sofort als die des Fräuleins Schtschepin. Ich sah hin.
Neben dem Häuschen Burius stand ein ebenfalls kleines, aber zweistöckiges Ge¬
bäude, dessen unteres Stockwerk von einem Materialladen eingenommen wurde.
Hieran schloß sich ein ziemlich lauger Zaun, und dann folgte ein einstöckiges Haus,
an dessen Eingangstür zwei Damen in Herbstmänteln standen. Eine von ihnen
stand unmittelbar vor der Tür, gestikulierte mit deu Händen und redete kreischend
auf die andre ein, die in das Hans zu wollen schien, an der Redenden aber nicht
vorbei konnte. Ich war nicht imstande, sie zu erkennen, aber mein Herz sagte mir,
daß die Aufgehaltne das Fräulein Ssawinski sei.

Ah, meinte Burin, der mich Hinschnute, das Fräulein Schtschepin hat wieder
ihre Mieterin vor.

Ihre Mieterin? fragte ich mit einiger Beklemmung.

Ja, Mahada Ssawinski. Sie wohnt bei ihr.

Wohnt bei ihr? Als was? Ist Sie von ihr abhängig?

Ach nein, sie wohnt mit ihrer Mutter bei ihr zur Miete. Im Hofe ist ein
Hinterhäuschen. Das haben sie ihr abgemietet.

Was mag sie von ihr wollen? Sie scheint ihr ja den Eintritt zu ver¬
weigern.

Was sie will, Alexander Andrejewitsch! antwortete Burin lachend. Das kann
ich Ihnen zufällig ganz genau und mit einem Worte sagen, denn ich habe das
Fräulein Schtschepin gründlich studiert. Ja, wen in meiner Nachbarschaft habe ich
nicht gründlich studiert! Mein Gott, man ist ja doch nicht umsonst Künstler! Das
Fräulein will sich nur auskeifen, weiter nichts.

Sie kommen ja aber eben aus der Gerichtssitzung wie wir. Was für Anlaß
kann sie da haben?

Haha, lachte Burin wieder. Wera Schtschepin braucht keinen Anlaß. Sie
braucht nur eine günstige Gelegenheit. Ihr kommt es nur darauf an, einen Menschen
stellen zu können, daß er nicht zu entwischen vermag. Das ist ihr in diesem Falle
gelungen, denn Mahada Ssawinski muß durch die Tür, und sie versperrt ihr diese
durch ihre Person. Nun wird sie so lange reden und kreischen, bis das Mädchen
die Geduld verliert, auf den Eintritt verzichtet und die Straße hinaufgeht.

Aus der geöffneten Ladentür im Hause nebenbei trat in diesem Augenblick
der blonde Händler Abramow in seinem mehlbestanbten Ladenpelze. Er grüßte
höflich, als er uns erblickte, und sah denn rasch von uns fort nach der andern
Seite, woher sich der Schtschepin Stimme vernehmen ließ. Als er sich wieder uns
zukehrte, machte er eine drollige Bewegung mit dem Kopfe.

Die Orgel ist aufgezogen, sagte er.

Ich hätte beinah Lust, mich ins Mittel zu legen, um dem Gekreisch auf der
Straße ein Ende zu machen, meinte ich zögernd.
Burin drückte die Augen pfiffig zusammen.

Und dem armen Mädchen den Eingang zu ermöglichen, ergänzte er. Tun
Sie das, Herr Gehilfe. Es ist ja gewissermaßen Ihre Pflicht, Beleidigten und
Unterdrückten in Ihrem Stadtteile beizustehn. Sie können das auch ganz leicht
ins Werk setzen. Sie brauchen nnr neben den Damen stehn zu bleiben, so zieht
die Schtschepin im Nu die neue Gesellschaft der alten vor, wendet sich an Sie,
und — der Zweck ist erreicht, Mahada Ssawinski schlüpft in das Haus. Nun,
Alexander Andrejewitsch, wie denken Sie sich dann von dem Drachen loszumachen?


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[0174] dem Schildchen an dem Pfosten neben der Pforte empor. Wassili Burin, Künstler, stand darauf. Ah, rief ich, Sie sind sogar Hausbesitzer. Häuschenbesitzer, Häuschenbesitzer, Alexander Audrejewitsch, verbesserte er lachend. Das tut aber nichts. Es ist doch immer eine kleine Garantie für die Solidität Ihres ganz gehorsamen Dieners, Herr Gehilfe. Von links her schlug aus der Entfernung eine scheltende Stimme um mein Ohr. Ich erkannte sie sofort als die des Fräuleins Schtschepin. Ich sah hin. Neben dem Häuschen Burius stand ein ebenfalls kleines, aber zweistöckiges Ge¬ bäude, dessen unteres Stockwerk von einem Materialladen eingenommen wurde. Hieran schloß sich ein ziemlich lauger Zaun, und dann folgte ein einstöckiges Haus, an dessen Eingangstür zwei Damen in Herbstmänteln standen. Eine von ihnen stand unmittelbar vor der Tür, gestikulierte mit deu Händen und redete kreischend auf die andre ein, die in das Hans zu wollen schien, an der Redenden aber nicht vorbei konnte. Ich war nicht imstande, sie zu erkennen, aber mein Herz sagte mir, daß die Aufgehaltne das Fräulein Ssawinski sei. Ah, meinte Burin, der mich Hinschnute, das Fräulein Schtschepin hat wieder ihre Mieterin vor. Ihre Mieterin? fragte ich mit einiger Beklemmung. Ja, Mahada Ssawinski. Sie wohnt bei ihr. Wohnt bei ihr? Als was? Ist Sie von ihr abhängig? Ach nein, sie wohnt mit ihrer Mutter bei ihr zur Miete. Im Hofe ist ein Hinterhäuschen. Das haben sie ihr abgemietet. Was mag sie von ihr wollen? Sie scheint ihr ja den Eintritt zu ver¬ weigern. Was sie will, Alexander Andrejewitsch! antwortete Burin lachend. Das kann ich Ihnen zufällig ganz genau und mit einem Worte sagen, denn ich habe das Fräulein Schtschepin gründlich studiert. Ja, wen in meiner Nachbarschaft habe ich nicht gründlich studiert! Mein Gott, man ist ja doch nicht umsonst Künstler! Das Fräulein will sich nur auskeifen, weiter nichts. Sie kommen ja aber eben aus der Gerichtssitzung wie wir. Was für Anlaß kann sie da haben? Haha, lachte Burin wieder. Wera Schtschepin braucht keinen Anlaß. Sie braucht nur eine günstige Gelegenheit. Ihr kommt es nur darauf an, einen Menschen stellen zu können, daß er nicht zu entwischen vermag. Das ist ihr in diesem Falle gelungen, denn Mahada Ssawinski muß durch die Tür, und sie versperrt ihr diese durch ihre Person. Nun wird sie so lange reden und kreischen, bis das Mädchen die Geduld verliert, auf den Eintritt verzichtet und die Straße hinaufgeht. Aus der geöffneten Ladentür im Hause nebenbei trat in diesem Augenblick der blonde Händler Abramow in seinem mehlbestanbten Ladenpelze. Er grüßte höflich, als er uns erblickte, und sah denn rasch von uns fort nach der andern Seite, woher sich der Schtschepin Stimme vernehmen ließ. Als er sich wieder uns zukehrte, machte er eine drollige Bewegung mit dem Kopfe. Die Orgel ist aufgezogen, sagte er. Ich hätte beinah Lust, mich ins Mittel zu legen, um dem Gekreisch auf der Straße ein Ende zu machen, meinte ich zögernd. Burin drückte die Augen pfiffig zusammen. Und dem armen Mädchen den Eingang zu ermöglichen, ergänzte er. Tun Sie das, Herr Gehilfe. Es ist ja gewissermaßen Ihre Pflicht, Beleidigten und Unterdrückten in Ihrem Stadtteile beizustehn. Sie können das auch ganz leicht ins Werk setzen. Sie brauchen nnr neben den Damen stehn zu bleiben, so zieht die Schtschepin im Nu die neue Gesellschaft der alten vor, wendet sich an Sie, und — der Zweck ist erreicht, Mahada Ssawinski schlüpft in das Haus. Nun, Alexander Andrejewitsch, wie denken Sie sich dann von dem Drachen loszumachen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/174>, abgerufen am 24.11.2024.