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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die innere Lage

notwendigen Mehrheiten im Reichstage mit dem Zentrum zu bilden. Das
Richtige ist die kaiserliche Politik, die katholischen Deutschen, die nun einmal
ein Drittel unsers Volkes ausmachen, durch Pflege ihrer kirchlichen Interessen
immer enger an das Vaterland zu fesseln und mit dein Vatikan ein gutes Ver¬
hältnis zu behaupten, das doch unsre nationalen Interessen niemals preisgibt.
Diese freilich sehr schwierige Politik hat doch anch schon ihre Erfolge aufzu¬
weisen. Die jüngst in Metz und in Köln durch das Vertrauen des Kaisers ein¬
gesetzten Bischöfe sind keine Hierarchen, sondern Seelenhirten ihrer Sprengel,
und wenn der Staat mit den Bischöfen geht, so ist dies das beste Mittel, der
demagogischen Kaplcinokratie entgegenzutreten, die im Kulturkampf aufgekommen
ist. Die bevorstehende Einrichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in
Straßburg liegt in derselben Linie; sie wird ihre Lehrer in enge Beziehungen
zu den größtenteils protestantischen Professoren der andern Fnknltüten bringen,
nud ans solche Annäherung der Konfessionen kommt es an, nicht ans die Er¬
weiterung ihrer Trennung.

Was das Geistesleben Deutschlands bedroht, das ist gar nicht die kon¬
fessionelle Spaltung, wenn sie in vorsichtigem und patriotischem Sinne be¬
handelt wird, das sind ganz andre Dinge: das sind zerstörende Philosopheme,
die einen Teil der Gebildeten betören, der unheilvolle Einfluß einer aus den
skandinavischen Ländern und ans Nnßlnnd eindringenden Dichtung, die vou
wahrer Sittlichkeit nichts mehr weiß und fast uur das Häßliche, Abstoßende,
Gemeine als wirklich darstellt, während sich unsre eigne Dichtung und Kunst
immer mehr von den Idealen der klassischen entfernt, ein platter Nützlichkeits-
drcmg, der unsre alte Bildung verflacht, ein überspannter "Nationalismus,"
der den großen Knlturzusammenhang dieser Bildung zerreißen möchte und doch
gegen das Eindringen fremder, moderner Verirrungen ganz ohnmächtig ist, und
der unter allen diesen Einflüssen sinkende Idealismus gerade unsrer gebildeten
Jugend, bei der oft die frechsten Spöttereien unsrer widerwärtigsten Witzblätter
ein nur allzu williges Echo finden. Wenn Nur aber erst unsern Idealismus
verloren haben, den frohen Glauben an geistige Güter, an alles Gute, Wahre
und Schöne, dann hat unser Volk sein Bestes verloren. Das ist es, was uns
" mit Besorgnis für die Zukunft erfüllt.




Die innere Lage

n unsern auch politisch so schnelllebigen Tagen ist es für eine Wochen¬
schrift schwer, sich vor Überholungen zu hüten. Das geschriebne Wort
riskiert auf dem Wege durch die Druckerei xost echon zu kommen,
auch wem: der Reichstag Weihnachtsferien hat. Kaum war der
neue Zolltarif, trotz der vorhergegcmgueu Verschleppung zuletü
überraschend schnell, zustande gekommen, da war die Tagespresse auch schon
darauf gespannt, ob etwa noch am Silvester Handelsverträge gekündigt werden


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notwendigen Mehrheiten im Reichstage mit dem Zentrum zu bilden. Das
Richtige ist die kaiserliche Politik, die katholischen Deutschen, die nun einmal
ein Drittel unsers Volkes ausmachen, durch Pflege ihrer kirchlichen Interessen
immer enger an das Vaterland zu fesseln und mit dein Vatikan ein gutes Ver¬
hältnis zu behaupten, das doch unsre nationalen Interessen niemals preisgibt.
Diese freilich sehr schwierige Politik hat doch anch schon ihre Erfolge aufzu¬
weisen. Die jüngst in Metz und in Köln durch das Vertrauen des Kaisers ein¬
gesetzten Bischöfe sind keine Hierarchen, sondern Seelenhirten ihrer Sprengel,
und wenn der Staat mit den Bischöfen geht, so ist dies das beste Mittel, der
demagogischen Kaplcinokratie entgegenzutreten, die im Kulturkampf aufgekommen
ist. Die bevorstehende Einrichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in
Straßburg liegt in derselben Linie; sie wird ihre Lehrer in enge Beziehungen
zu den größtenteils protestantischen Professoren der andern Fnknltüten bringen,
nud ans solche Annäherung der Konfessionen kommt es an, nicht ans die Er¬
weiterung ihrer Trennung.

Was das Geistesleben Deutschlands bedroht, das ist gar nicht die kon¬
fessionelle Spaltung, wenn sie in vorsichtigem und patriotischem Sinne be¬
handelt wird, das sind ganz andre Dinge: das sind zerstörende Philosopheme,
die einen Teil der Gebildeten betören, der unheilvolle Einfluß einer aus den
skandinavischen Ländern und ans Nnßlnnd eindringenden Dichtung, die vou
wahrer Sittlichkeit nichts mehr weiß und fast uur das Häßliche, Abstoßende,
Gemeine als wirklich darstellt, während sich unsre eigne Dichtung und Kunst
immer mehr von den Idealen der klassischen entfernt, ein platter Nützlichkeits-
drcmg, der unsre alte Bildung verflacht, ein überspannter „Nationalismus,"
der den großen Knlturzusammenhang dieser Bildung zerreißen möchte und doch
gegen das Eindringen fremder, moderner Verirrungen ganz ohnmächtig ist, und
der unter allen diesen Einflüssen sinkende Idealismus gerade unsrer gebildeten
Jugend, bei der oft die frechsten Spöttereien unsrer widerwärtigsten Witzblätter
ein nur allzu williges Echo finden. Wenn Nur aber erst unsern Idealismus
verloren haben, den frohen Glauben an geistige Güter, an alles Gute, Wahre
und Schöne, dann hat unser Volk sein Bestes verloren. Das ist es, was uns
" mit Besorgnis für die Zukunft erfüllt.




Die innere Lage

n unsern auch politisch so schnelllebigen Tagen ist es für eine Wochen¬
schrift schwer, sich vor Überholungen zu hüten. Das geschriebne Wort
riskiert auf dem Wege durch die Druckerei xost echon zu kommen,
auch wem: der Reichstag Weihnachtsferien hat. Kaum war der
neue Zolltarif, trotz der vorhergegcmgueu Verschleppung zuletü
überraschend schnell, zustande gekommen, da war die Tagespresse auch schon
darauf gespannt, ob etwa noch am Silvester Handelsverträge gekündigt werden


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[0016] Die innere Lage notwendigen Mehrheiten im Reichstage mit dem Zentrum zu bilden. Das Richtige ist die kaiserliche Politik, die katholischen Deutschen, die nun einmal ein Drittel unsers Volkes ausmachen, durch Pflege ihrer kirchlichen Interessen immer enger an das Vaterland zu fesseln und mit dein Vatikan ein gutes Ver¬ hältnis zu behaupten, das doch unsre nationalen Interessen niemals preisgibt. Diese freilich sehr schwierige Politik hat doch anch schon ihre Erfolge aufzu¬ weisen. Die jüngst in Metz und in Köln durch das Vertrauen des Kaisers ein¬ gesetzten Bischöfe sind keine Hierarchen, sondern Seelenhirten ihrer Sprengel, und wenn der Staat mit den Bischöfen geht, so ist dies das beste Mittel, der demagogischen Kaplcinokratie entgegenzutreten, die im Kulturkampf aufgekommen ist. Die bevorstehende Einrichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in Straßburg liegt in derselben Linie; sie wird ihre Lehrer in enge Beziehungen zu den größtenteils protestantischen Professoren der andern Fnknltüten bringen, nud ans solche Annäherung der Konfessionen kommt es an, nicht ans die Er¬ weiterung ihrer Trennung. Was das Geistesleben Deutschlands bedroht, das ist gar nicht die kon¬ fessionelle Spaltung, wenn sie in vorsichtigem und patriotischem Sinne be¬ handelt wird, das sind ganz andre Dinge: das sind zerstörende Philosopheme, die einen Teil der Gebildeten betören, der unheilvolle Einfluß einer aus den skandinavischen Ländern und ans Nnßlnnd eindringenden Dichtung, die vou wahrer Sittlichkeit nichts mehr weiß und fast uur das Häßliche, Abstoßende, Gemeine als wirklich darstellt, während sich unsre eigne Dichtung und Kunst immer mehr von den Idealen der klassischen entfernt, ein platter Nützlichkeits- drcmg, der unsre alte Bildung verflacht, ein überspannter „Nationalismus," der den großen Knlturzusammenhang dieser Bildung zerreißen möchte und doch gegen das Eindringen fremder, moderner Verirrungen ganz ohnmächtig ist, und der unter allen diesen Einflüssen sinkende Idealismus gerade unsrer gebildeten Jugend, bei der oft die frechsten Spöttereien unsrer widerwärtigsten Witzblätter ein nur allzu williges Echo finden. Wenn Nur aber erst unsern Idealismus verloren haben, den frohen Glauben an geistige Güter, an alles Gute, Wahre und Schöne, dann hat unser Volk sein Bestes verloren. Das ist es, was uns " mit Besorgnis für die Zukunft erfüllt. Die innere Lage n unsern auch politisch so schnelllebigen Tagen ist es für eine Wochen¬ schrift schwer, sich vor Überholungen zu hüten. Das geschriebne Wort riskiert auf dem Wege durch die Druckerei xost echon zu kommen, auch wem: der Reichstag Weihnachtsferien hat. Kaum war der neue Zolltarif, trotz der vorhergegcmgueu Verschleppung zuletü überraschend schnell, zustande gekommen, da war die Tagespresse auch schon darauf gespannt, ob etwa noch am Silvester Handelsverträge gekündigt werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/16>, abgerufen am 24.11.2024.