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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die preußisch-italienische Allianz von ^866

gleich den Italienern noch Zeit zu geben. Aber länger ging es nicht. "Wir
rechneten, daß Italien 20 bis 25 Tage brauche, um zur Donau zu gelangen,
und so lange glaubte ich Frankreich nicht Hinhalten zu können. Sein letztes
Telegramm verlangte von uns eine bestimmte Erklärung, ob wir endlich seine
Vermittlung und den Waffenstillstand annähmen, oder nicht. Der Kaiser, der
bisher so ruhig war, scheint jetzt nervös." Bismarck sagte noch, er hoffe,
daß das Bündnis zwischen Preußen und Italien auch nach dem Frieden
dauern werde, und verlas ein an den Grafen Usedom gerichtetes Telegramm, das
diesen zu der Erklüruug ermächtigte, daß, wenn während der Verhandlungen oder
nach dem Friedensschluß Verwicklungen entstehn sollten, er durchaus bereit sei,
andre Vereinbarungen zu treffen und den Ansprüchen der Italiener eine größere
Ausdehnung als im Vertrag vom 8. April zu gewähren. Eine nähere Er¬
klärung dieser Ausdehnung aber vermied er, und Govone fügt in seinen Tage¬
buchnotizen hinzu- "Es wird für Italien eintretendenfalls gut sein, nicht
Preußen entgegenzulaufen, sondern zu warten, bis es die Allianz mit uns sucht,
wenn wir Tirol und Jstrien erlangen wollen." Für jetzt blieb nichts übrig,
als sich mit Venetien zu begnügen. Mündlich hatte Bismarck allerdings bei
den Bündnisverhandlungen angedeutet, daß sich je nach dem Gange des Kriegs
Italien einen größern Siegespreis holen könne. Im Vertrage selbst war aber
bloß von Venetien die Rede, und es war nach den Leistungen Italiens im
Kriege nicht der mindeste Grund für Preußen, ihm einen größern Gewinn zu
verschaffen. Govone selbst sieht sich zu dem Geständnis genötigt (8. August):
"Italien ist in einer falschen Position. Die öffentliche Meinung verlangt
Tirol und noch mehr, aber anderseits hat Italien sich schlagen lassen zu
Wasser und zu Land, obwohl es mehr Mittel, mehr Schwung und mehr
Mut hatte. Wie kann man dann mehr verlangen, als uns der Vertrag vom
8. April zubilligt?"

Das war in Berlin geschrieben. Er war noch am 1. August mit dem
italienischen Militärbevollmächtigtcn Apel über Prag nach Berlin gereist, wohin
um 4. August auch König Wilhelm und Bismarck zurückkehrten. Wo er unter¬
wegs preußische Offiziere sprach, wurde ein Krieg mit Frankreich als wahr¬
scheinlich angesehen. "Der General Etzel sagte zu mir: Im nächsten Krieg
werden wir nur uoch gezogne Kanonen haben. -- In welchem? fragte ich. --
Nun mit Frankreich. Es wird uns die deutsche Einheit nicht friedlich be¬
gründen lassen. -- Ich antwortete, der Kaiser sei zu einsichtig, als daß er
sich dem entgegenstemmen sollte, was in deu Geschicken der Menschheit bestimmt
sei. Auch der Generalleutnant Frcmsecky hatte zu mir gesagt: Ich hoffe, wir
werden auch im Kriege gegen Frankreich Verbündete sein. In der Tat hat
Benedetti in Nikolsburg gesagt: Man muß mir Österreich Zeit lassen, sich
wieder zu erholen!"

Am 10. August hatte Govone eine Audienz beim Könige, der ihm seine
Vesvrgnisse wegen Frankreich nicht verhehlte und geradezu mitteilte, daß der
Kaiser die Abtretung deutscher Gebiete von ihm verlangt habe. Bismarck, den
er an demselben Tage sah, sprach in demselben Sinne. Auch er hielt den
Krieg mit Frankreich für sehr möglich, assÄ xossivils, lind wahrscheinlich habe


Grenzboten I 1903 18
Die preußisch-italienische Allianz von ^866

gleich den Italienern noch Zeit zu geben. Aber länger ging es nicht. „Wir
rechneten, daß Italien 20 bis 25 Tage brauche, um zur Donau zu gelangen,
und so lange glaubte ich Frankreich nicht Hinhalten zu können. Sein letztes
Telegramm verlangte von uns eine bestimmte Erklärung, ob wir endlich seine
Vermittlung und den Waffenstillstand annähmen, oder nicht. Der Kaiser, der
bisher so ruhig war, scheint jetzt nervös." Bismarck sagte noch, er hoffe,
daß das Bündnis zwischen Preußen und Italien auch nach dem Frieden
dauern werde, und verlas ein an den Grafen Usedom gerichtetes Telegramm, das
diesen zu der Erklüruug ermächtigte, daß, wenn während der Verhandlungen oder
nach dem Friedensschluß Verwicklungen entstehn sollten, er durchaus bereit sei,
andre Vereinbarungen zu treffen und den Ansprüchen der Italiener eine größere
Ausdehnung als im Vertrag vom 8. April zu gewähren. Eine nähere Er¬
klärung dieser Ausdehnung aber vermied er, und Govone fügt in seinen Tage¬
buchnotizen hinzu- „Es wird für Italien eintretendenfalls gut sein, nicht
Preußen entgegenzulaufen, sondern zu warten, bis es die Allianz mit uns sucht,
wenn wir Tirol und Jstrien erlangen wollen." Für jetzt blieb nichts übrig,
als sich mit Venetien zu begnügen. Mündlich hatte Bismarck allerdings bei
den Bündnisverhandlungen angedeutet, daß sich je nach dem Gange des Kriegs
Italien einen größern Siegespreis holen könne. Im Vertrage selbst war aber
bloß von Venetien die Rede, und es war nach den Leistungen Italiens im
Kriege nicht der mindeste Grund für Preußen, ihm einen größern Gewinn zu
verschaffen. Govone selbst sieht sich zu dem Geständnis genötigt (8. August):
„Italien ist in einer falschen Position. Die öffentliche Meinung verlangt
Tirol und noch mehr, aber anderseits hat Italien sich schlagen lassen zu
Wasser und zu Land, obwohl es mehr Mittel, mehr Schwung und mehr
Mut hatte. Wie kann man dann mehr verlangen, als uns der Vertrag vom
8. April zubilligt?"

Das war in Berlin geschrieben. Er war noch am 1. August mit dem
italienischen Militärbevollmächtigtcn Apel über Prag nach Berlin gereist, wohin
um 4. August auch König Wilhelm und Bismarck zurückkehrten. Wo er unter¬
wegs preußische Offiziere sprach, wurde ein Krieg mit Frankreich als wahr¬
scheinlich angesehen. „Der General Etzel sagte zu mir: Im nächsten Krieg
werden wir nur uoch gezogne Kanonen haben. — In welchem? fragte ich. —
Nun mit Frankreich. Es wird uns die deutsche Einheit nicht friedlich be¬
gründen lassen. — Ich antwortete, der Kaiser sei zu einsichtig, als daß er
sich dem entgegenstemmen sollte, was in deu Geschicken der Menschheit bestimmt
sei. Auch der Generalleutnant Frcmsecky hatte zu mir gesagt: Ich hoffe, wir
werden auch im Kriege gegen Frankreich Verbündete sein. In der Tat hat
Benedetti in Nikolsburg gesagt: Man muß mir Österreich Zeit lassen, sich
wieder zu erholen!"

Am 10. August hatte Govone eine Audienz beim Könige, der ihm seine
Vesvrgnisse wegen Frankreich nicht verhehlte und geradezu mitteilte, daß der
Kaiser die Abtretung deutscher Gebiete von ihm verlangt habe. Bismarck, den
er an demselben Tage sah, sprach in demselben Sinne. Auch er hielt den
Krieg mit Frankreich für sehr möglich, assÄ xossivils, lind wahrscheinlich habe


Grenzboten I 1903 18
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/141>, abgerufen am 24.11.2024.