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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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geistige Natur selbst als eines gewesenen Leibeignen, und die Form seines Land¬
besitzes, der nicht Privatbesitz, sondern -- in 34 Gouvernements -- Gemeinde¬
besitz ist. Dieser Gemeindebesitz erleichtert, von seiner volkswirtschaftlichen Be¬
deutung abgesehen, dem Staat die Eintreibung der Steuern (Grundsteuer und
Ablösnngsgelder), für die die Gemeinde in ihrer Gesamtheit haftbar ist. Die
Negierung hält sich also nur an den Gemeiudeültesten und entsendet ihre
Steuerbeamten unmittelbar nach Eingang der Ernte; sie ermöglicht zwar da¬
durch der Gemeinde einerseits meist die sofortige Zahlung überhaupt (soweit
genug Getreide geerntet ist), veranlaßt aber andrerseits den Bauern, mehr
~~ dazu unter Preisdruck -- zu verkaufen, als er mit Rücksicht auf seinen
Verbrauch lind die künftige Aussaat eigentlich dürfte. Es kommt dann oft
zu der wunderlichen Erscheinung, daß die Regierung im Frühjahr für die
Notstandsgebiete Getreide zu weit höherm Preise kaufen muß, als es der
Bauer seinerzeit verkauft hat, um es diesem, wenn er infolge Hungers zu¬
sammengebrochen ist, durch Schenkung wieder zukommen zu lassen. Der Bauer
empfindet aber wegen seiner aus dem Landbesitz hervorgehenden Haftbarkeit
für die Steuer diesen mehr als eine drückende Pflicht, als als ein Recht; das
Recht um Besitz kommt einer gesund naiven Nuffafsung eben erst zum Bewußt¬
en, wenn im Bewirtschaftungskonto das Haben höher ist als das Soll. Oft
genug sucht sich der russische Bauer dieser Laudpflicht durch die Flucht zu ent¬
lehn, indem er seinen drückenden Besitz gern preisgiebt.

Da außerdem der Acker in deu meisten Gemeinden des Schwarzcrdc-
gebiets nach einer kürzern oder längern Reihe von Jahren neu ungeteilt wird,
hult es der Bauer für zwecklos. Meliorationen vorzunehmen, die doch nicht
ihm, sondern seinem Nachfolger im Besitz zu gute kommeu würden. Still¬
stand in der technischen Bearbeitung, vermehrter Anbau (zur Steueraufbringung)
und Raubbau ohne Düngung ist die Folge. Damit ist ein allgemeiner Rück¬
gang der Laudwirtschnft eingetreten, der sich in den periodisch seit Anfang der
achtziger Jahre wiederkehrenden Mißernten, in stetiger Verringerung der Boden¬
erträgnisse, des Biehstandes und des Volkswohlstandes kundgiebt. Der Durch-
schnittsertrng für den Hektar stellte sich für die Jahre 1887 bis 1899 nur
"uf zehn Zentner, während er in Deutschland 22 Zentner, in Frankreich 23
und in Nordamerika 25 Zentner betrug.

Der Viehbestand stellte sich 1899 ans 100 Hektar:

in Deutschland Nußland
Pferde ... 28 27
Rindvieh, . . 162
Schafe ... ?8
Schweine . . 102 ^'

Der Rückgang des Viehbestands in Nußland ergiebt sich aus folgender

waren vorhanden: auf 1V00 Einwohner kommen:
1888 1889 IW8 18W
Millionen Stück Stück
Pferde . . . 20,9 18,4 223 177
Rindvieh . , . 27,9 27,7 297 2b7
Schafe ... 48,2 41,4 -'15 ^99
Schweine . . 10.8 10,7 115. 10.!

geistige Natur selbst als eines gewesenen Leibeignen, und die Form seines Land¬
besitzes, der nicht Privatbesitz, sondern — in 34 Gouvernements — Gemeinde¬
besitz ist. Dieser Gemeindebesitz erleichtert, von seiner volkswirtschaftlichen Be¬
deutung abgesehen, dem Staat die Eintreibung der Steuern (Grundsteuer und
Ablösnngsgelder), für die die Gemeinde in ihrer Gesamtheit haftbar ist. Die
Negierung hält sich also nur an den Gemeiudeültesten und entsendet ihre
Steuerbeamten unmittelbar nach Eingang der Ernte; sie ermöglicht zwar da¬
durch der Gemeinde einerseits meist die sofortige Zahlung überhaupt (soweit
genug Getreide geerntet ist), veranlaßt aber andrerseits den Bauern, mehr
~~ dazu unter Preisdruck — zu verkaufen, als er mit Rücksicht auf seinen
Verbrauch lind die künftige Aussaat eigentlich dürfte. Es kommt dann oft
zu der wunderlichen Erscheinung, daß die Regierung im Frühjahr für die
Notstandsgebiete Getreide zu weit höherm Preise kaufen muß, als es der
Bauer seinerzeit verkauft hat, um es diesem, wenn er infolge Hungers zu¬
sammengebrochen ist, durch Schenkung wieder zukommen zu lassen. Der Bauer
empfindet aber wegen seiner aus dem Landbesitz hervorgehenden Haftbarkeit
für die Steuer diesen mehr als eine drückende Pflicht, als als ein Recht; das
Recht um Besitz kommt einer gesund naiven Nuffafsung eben erst zum Bewußt¬
en, wenn im Bewirtschaftungskonto das Haben höher ist als das Soll. Oft
genug sucht sich der russische Bauer dieser Laudpflicht durch die Flucht zu ent¬
lehn, indem er seinen drückenden Besitz gern preisgiebt.

Da außerdem der Acker in deu meisten Gemeinden des Schwarzcrdc-
gebiets nach einer kürzern oder längern Reihe von Jahren neu ungeteilt wird,
hult es der Bauer für zwecklos. Meliorationen vorzunehmen, die doch nicht
ihm, sondern seinem Nachfolger im Besitz zu gute kommeu würden. Still¬
stand in der technischen Bearbeitung, vermehrter Anbau (zur Steueraufbringung)
und Raubbau ohne Düngung ist die Folge. Damit ist ein allgemeiner Rück¬
gang der Laudwirtschnft eingetreten, der sich in den periodisch seit Anfang der
achtziger Jahre wiederkehrenden Mißernten, in stetiger Verringerung der Boden¬
erträgnisse, des Biehstandes und des Volkswohlstandes kundgiebt. Der Durch-
schnittsertrng für den Hektar stellte sich für die Jahre 1887 bis 1899 nur
"uf zehn Zentner, während er in Deutschland 22 Zentner, in Frankreich 23
und in Nordamerika 25 Zentner betrug.

Der Viehbestand stellte sich 1899 ans 100 Hektar:

in Deutschland Nußland
Pferde ... 28 27
Rindvieh, . . 162
Schafe ... ?8
Schweine . . 102 ^'

Der Rückgang des Viehbestands in Nußland ergiebt sich aus folgender

waren vorhanden: auf 1V00 Einwohner kommen:
1888 1889 IW8 18W
Millionen Stück Stück
Pferde . . . 20,9 18,4 223 177
Rindvieh . , . 27,9 27,7 297 2b7
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[0073] geistige Natur selbst als eines gewesenen Leibeignen, und die Form seines Land¬ besitzes, der nicht Privatbesitz, sondern — in 34 Gouvernements — Gemeinde¬ besitz ist. Dieser Gemeindebesitz erleichtert, von seiner volkswirtschaftlichen Be¬ deutung abgesehen, dem Staat die Eintreibung der Steuern (Grundsteuer und Ablösnngsgelder), für die die Gemeinde in ihrer Gesamtheit haftbar ist. Die Negierung hält sich also nur an den Gemeiudeültesten und entsendet ihre Steuerbeamten unmittelbar nach Eingang der Ernte; sie ermöglicht zwar da¬ durch der Gemeinde einerseits meist die sofortige Zahlung überhaupt (soweit genug Getreide geerntet ist), veranlaßt aber andrerseits den Bauern, mehr ~~ dazu unter Preisdruck — zu verkaufen, als er mit Rücksicht auf seinen Verbrauch lind die künftige Aussaat eigentlich dürfte. Es kommt dann oft zu der wunderlichen Erscheinung, daß die Regierung im Frühjahr für die Notstandsgebiete Getreide zu weit höherm Preise kaufen muß, als es der Bauer seinerzeit verkauft hat, um es diesem, wenn er infolge Hungers zu¬ sammengebrochen ist, durch Schenkung wieder zukommen zu lassen. Der Bauer empfindet aber wegen seiner aus dem Landbesitz hervorgehenden Haftbarkeit für die Steuer diesen mehr als eine drückende Pflicht, als als ein Recht; das Recht um Besitz kommt einer gesund naiven Nuffafsung eben erst zum Bewußt¬ en, wenn im Bewirtschaftungskonto das Haben höher ist als das Soll. Oft genug sucht sich der russische Bauer dieser Laudpflicht durch die Flucht zu ent¬ lehn, indem er seinen drückenden Besitz gern preisgiebt. Da außerdem der Acker in deu meisten Gemeinden des Schwarzcrdc- gebiets nach einer kürzern oder längern Reihe von Jahren neu ungeteilt wird, hult es der Bauer für zwecklos. Meliorationen vorzunehmen, die doch nicht ihm, sondern seinem Nachfolger im Besitz zu gute kommeu würden. Still¬ stand in der technischen Bearbeitung, vermehrter Anbau (zur Steueraufbringung) und Raubbau ohne Düngung ist die Folge. Damit ist ein allgemeiner Rück¬ gang der Laudwirtschnft eingetreten, der sich in den periodisch seit Anfang der achtziger Jahre wiederkehrenden Mißernten, in stetiger Verringerung der Boden¬ erträgnisse, des Biehstandes und des Volkswohlstandes kundgiebt. Der Durch- schnittsertrng für den Hektar stellte sich für die Jahre 1887 bis 1899 nur "uf zehn Zentner, während er in Deutschland 22 Zentner, in Frankreich 23 und in Nordamerika 25 Zentner betrug. Der Viehbestand stellte sich 1899 ans 100 Hektar: in Deutschland Nußland Pferde ... 28 27 Rindvieh, . . 162 Schafe ... ?8 Schweine . . 102 ^' Der Rückgang des Viehbestands in Nußland ergiebt sich aus folgender waren vorhanden: auf 1V00 Einwohner kommen: 1888 1889 IW8 18W Millionen Stück Stück Pferde . . . 20,9 18,4 223 177 Rindvieh . , . 27,9 27,7 297 2b7 Schafe ... 48,2 41,4 -'15 ^99 Schweine . . 10.8 10,7 115. 10.!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/73>, abgerufen am 01.09.2024.