Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.immer unheilbarer der parlamentarischen Zerklüftung verfiel. Die Versuche Die Deutschen in Österreich haben nie Glück mit ihren Führern gehabt. immer unheilbarer der parlamentarischen Zerklüftung verfiel. Die Versuche Die Deutschen in Österreich haben nie Glück mit ihren Führern gehabt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0594" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239382"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2752" prev="#ID_2751"> immer unheilbarer der parlamentarischen Zerklüftung verfiel. Die Versuche<lb/> einzelner deutscher Parteigruppen, bei deren Führern allerdings auch selbst¬<lb/> süchtige Beweggründe erkennbar wurden, sich in wichtigen Staatsfragen der<lb/> Regierung zu nähern, gaben dem Radikalismus willkommnen Anlaß zu den<lb/> wütendsten Angriffen und schufen die Grundlage für den heutigen Zustand,<lb/> worin die parlamentarische Vertretung des Deutschtums in eine ganze Reihe<lb/> von ohnmächtigen Parteigruppen gespalten erscheint, die sich gegenseitig be¬<lb/> fehden und einander die Mandate abzujagen suchen. Daß die auf Taaffe fol¬<lb/> genden Ministerien bis zum Ministerium Thun dieser Sachlage noch weiter»<lb/> Vorschub geleistet haben, sei nur nebenbei bemerkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2753" next="#ID_2754"> Die Deutschen in Österreich haben nie Glück mit ihren Führern gehabt.<lb/> Auch die Häupter der sogenannten Verfassnngspartei, die die große Mehrzahl<lb/> der deutschen Abgeordneten in eine große Partei zusammengefaßt hatten, folgten<lb/> der französischen Doktrin und standen nicht auf eignem österreichischem Boden.<lb/> Aber es war doch wenigstens eine Einheit vorhanden. Heute gilt gerade das<lb/> Gegenteil, und die Deutschösterreicher dürfen mit vollem Rechte den Spottvers<lb/> auf sich anwenden: „An Häuptern schief uns wahrlich nicht, uns fehlt es nur<lb/> an Köpfen." Wir sehen da lauter überzeugte und ehrliche Männer, aber leider<lb/> keinen unter ihnen, dessen Autorität über die engste Gefolgschaft hinaufreicht,<lb/> dem sie alle trauen, und der für sie alle einsteht. Es fehlt ihnen an jedem<lb/> Führer, dessen .Kopf die Aktion ihrer Gruppen einheitlich zu leiten, dessen Wort<lb/> die Stellung der Gruppen zu verbürgen vermag. Daß es in den sla¬<lb/> wischen Parteien nicht viel anders steht, macht nicht viel zu Gunsten der<lb/> Deutschen aus. Die großen Gedanken fehlen auf allen Seiten, aber die Deutschen<lb/> brauchen sie am notwendigsten, denn mit der Beteuerung ihrer historischen Rechte<lb/> und der Erinnerung an die Leistungen ihrer Vorfahren allein kommen sie nicht<lb/> aus. Wollten sie daraus die einzig berechtigten und politisch praktischen Schlüsse<lb/> ziehn, so könnten diese nur dahin lauten, daß ihre Aufgabe in dein aus<lb/> deutscher Grundlage mit der Krone gemeinsam geschaffnen Österreich nicht sein<lb/> kann, sich aus sogenannten prinzipiellen Gründen und politischen Meinungen<lb/> mit jeder Regierung in mindestens unfruchtbare, wenn nicht dem Deutschtum<lb/> direkt nachteilige Streitereien einzulassen, sondern zu jeder Unterstützung bei<lb/> allen ,,Staatsnotwendigkeiten," für deren Kosten sie doch so oder so aufkommen<lb/> müssen, bereit zu sein. Jeder Geschäftsmann handelt so, und die einfachste<lb/> Lebensklugheit müßte es lehren. Wir wollen das aber noch an einem Bei¬<lb/> spiele besonders ausführen. Die deutsche Verfnssungspartei hatte 1879 gegen<lb/> die Armee agitiert, und wir nehmen an, daß die Herren in ihrer doktrinären<lb/> Befangenheit wirklich überzeugt waren, die österreichisch-ungarische Monarchie<lb/> könne die Kosten nicht ertragen. Nun, das war ein Irrtum, denn seither sind<lb/> die Kosten für eine viel größere Armee ausgebracht wordeu, und Österreich ist nicht<lb/> zu Grunde gegangen. Aber was war die Folge? Die Tschechen bewilligten,<lb/> was die Dentschliberalen verweigerten, die Deutschen mußten gemäß ihrer<lb/> Steuerkraft den Löwenanteil bezahlen, wurden aber politisch an die Wand ge¬<lb/> drückt, und zwar zeitweise so arg, daß sie ,,quietschten," um mich eines Bis-<lb/> mnrckischen Ausdrucks zu bedienen. Hatten sie das nötig? Jetzt wollen wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0594]
immer unheilbarer der parlamentarischen Zerklüftung verfiel. Die Versuche
einzelner deutscher Parteigruppen, bei deren Führern allerdings auch selbst¬
süchtige Beweggründe erkennbar wurden, sich in wichtigen Staatsfragen der
Regierung zu nähern, gaben dem Radikalismus willkommnen Anlaß zu den
wütendsten Angriffen und schufen die Grundlage für den heutigen Zustand,
worin die parlamentarische Vertretung des Deutschtums in eine ganze Reihe
von ohnmächtigen Parteigruppen gespalten erscheint, die sich gegenseitig be¬
fehden und einander die Mandate abzujagen suchen. Daß die auf Taaffe fol¬
genden Ministerien bis zum Ministerium Thun dieser Sachlage noch weiter»
Vorschub geleistet haben, sei nur nebenbei bemerkt.
Die Deutschen in Österreich haben nie Glück mit ihren Führern gehabt.
Auch die Häupter der sogenannten Verfassnngspartei, die die große Mehrzahl
der deutschen Abgeordneten in eine große Partei zusammengefaßt hatten, folgten
der französischen Doktrin und standen nicht auf eignem österreichischem Boden.
Aber es war doch wenigstens eine Einheit vorhanden. Heute gilt gerade das
Gegenteil, und die Deutschösterreicher dürfen mit vollem Rechte den Spottvers
auf sich anwenden: „An Häuptern schief uns wahrlich nicht, uns fehlt es nur
an Köpfen." Wir sehen da lauter überzeugte und ehrliche Männer, aber leider
keinen unter ihnen, dessen Autorität über die engste Gefolgschaft hinaufreicht,
dem sie alle trauen, und der für sie alle einsteht. Es fehlt ihnen an jedem
Führer, dessen .Kopf die Aktion ihrer Gruppen einheitlich zu leiten, dessen Wort
die Stellung der Gruppen zu verbürgen vermag. Daß es in den sla¬
wischen Parteien nicht viel anders steht, macht nicht viel zu Gunsten der
Deutschen aus. Die großen Gedanken fehlen auf allen Seiten, aber die Deutschen
brauchen sie am notwendigsten, denn mit der Beteuerung ihrer historischen Rechte
und der Erinnerung an die Leistungen ihrer Vorfahren allein kommen sie nicht
aus. Wollten sie daraus die einzig berechtigten und politisch praktischen Schlüsse
ziehn, so könnten diese nur dahin lauten, daß ihre Aufgabe in dein aus
deutscher Grundlage mit der Krone gemeinsam geschaffnen Österreich nicht sein
kann, sich aus sogenannten prinzipiellen Gründen und politischen Meinungen
mit jeder Regierung in mindestens unfruchtbare, wenn nicht dem Deutschtum
direkt nachteilige Streitereien einzulassen, sondern zu jeder Unterstützung bei
allen ,,Staatsnotwendigkeiten," für deren Kosten sie doch so oder so aufkommen
müssen, bereit zu sein. Jeder Geschäftsmann handelt so, und die einfachste
Lebensklugheit müßte es lehren. Wir wollen das aber noch an einem Bei¬
spiele besonders ausführen. Die deutsche Verfnssungspartei hatte 1879 gegen
die Armee agitiert, und wir nehmen an, daß die Herren in ihrer doktrinären
Befangenheit wirklich überzeugt waren, die österreichisch-ungarische Monarchie
könne die Kosten nicht ertragen. Nun, das war ein Irrtum, denn seither sind
die Kosten für eine viel größere Armee ausgebracht wordeu, und Österreich ist nicht
zu Grunde gegangen. Aber was war die Folge? Die Tschechen bewilligten,
was die Dentschliberalen verweigerten, die Deutschen mußten gemäß ihrer
Steuerkraft den Löwenanteil bezahlen, wurden aber politisch an die Wand ge¬
drückt, und zwar zeitweise so arg, daß sie ,,quietschten," um mich eines Bis-
mnrckischen Ausdrucks zu bedienen. Hatten sie das nötig? Jetzt wollen wir
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