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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Heimkehr

Mit Jauchzen und (Gelärm setzte sich der Zug in Bewegung. Weithin klingende
Jauchzer drangen zu dem Wandersmann hinauf, der rüstig fürbaß geschritten war
und jetzt die Wegsteiguug schon überwunden hatte. Hoch oben am Bergabsturz
ueben dem Wege, den er einhielt, klar gegen den lichten Himmel gestellt, standen
drei junge Birkenstämmchen mit wenigen rotgoldigen Blättern, die unruhig, vom
Sonnenschein durchleuchtet, wie winzige Fähnchen von Rauschgold winkten.

Jahr war zur Seite getreten und wartete, um den Hochzeitseinzug vorüber zu
lassen. Hufschlag drang zu ihm herauf, helltönend das Lachen von Männer- und
Frauenstimmen. Dazwischen wieder der Juchzer! der Juchzer! Wie ein Weckruf
zog er daher aus jenen Tagen, die vor den letztverflossenen fünfzig Jahren lagen.

Jahr kniff die alten Augen zwinkernd zu, und stockend, als probiere er nur,
löste auch ihm sich ein Juchzer in der Kehle. Ganz sacht stieg er herauf, ein
gestammeltes, kaum hörbares Juuhh-Hu-Hu-Huhhh, das in der wunderbaren weichen
Herbstluft verklang, ohne eines Menschen Ohr erreicht zu haben.

Und dann rollte der Zug an ihm vorüber, während er seinen Hut vom
Kopfe nahm. Der buntumwundne Brcmtwagen mit Kranz- und Bänderschmuck,
darin das aufrechtsitzende Brautpaar und die neckende junge Frau mit der Wickel¬
puppe; vorn der stattliche Führer mit dem tanzenden Bänderschmuck an Hut und
Peitsche und dem wehenden Seidentuche, danach der Wagen mit den jauchzenden
und lärmenden Gästen und zuletzt die Fuhre mit Spinnrad und Kinderwagen und
den aufgeschichtete" Bettstückeu mit ihren prallsitzcnden, zweifarbigen Überzügen --
alles vom wärmsten Sonnenschein umflossen und umstrahlt und verschönt. Und
zur Seite der rötliche Bergsturz mit seineu Birkeustämmchen, die ihre Fähnlein von
Rauschgold schwenkten, und unten im Thal zwischen grünen Wiesen der rauschende,
Wie von silbernen Schuppen bedeckte Wasserlauf der Saale, mit seinem Scmmbesatz
von grauen Weidenbüschen, und drüben der lang hinlaufende Vergzug, und zwischen
deu einzelnen fichtengekröuten Gipfeln hindurch tugend, als seien sie mit feinem
grauen Schleier verhängt, die Häupter ferner Höhenzüge.

Der alte Jahr stand und starrte hinterdrein und blickte umher. Wehrlos und
schwach wie ein ganz altes Männchen machte ihn die Wiedersehensfreude, und doch
auch so stark, als sänken fünfzig Jahre von ihm ab, und er sei wieder der junge
Bursch mit den straffen Beinen, dem gehobnen Nacken und der breiten Brust, die
sich heranswölbte.

Er holte sein Pfeiflein hervor und stopfte es. Dann that er ein paar Züge,
mußte den Pfeifenkopf aber festhalten, weil seine Lippen zitterten. Ans seinen
Augen rannen Thränen über die faltigen Wangen, in seiner Kehle gluckste es, als
wolle sich ein Bach erschließen. Und dann rückte er die Tasche zurecht, schwang
den Stock und marschierte weiter und brummte aus dem einen Mundwinkel etwas
wie eine Melodie, während ihm im andern die Pfeife hing. Er hätte mit der
Bahn bis Goschen fahren können, war aber ein paar Stationen vorher ausgestiegen;
denn er wollte zu Fuß, wie der Schwiegersohn geraten hatte, seinen Einzug halten.

Wenn bei der Biegung des Wegs ein neuer Bergzug auftauchte, faßte der alte
Jahr an den Hutrand und grüßte hinüber, und ihm fiel allerlei ein, was ihn in
frühern Tagen hier die Straße herauf geführt hatte.

Hinter ihm, vor ihm versperrten ferne duftige Bergzüge die Landschaft, die
sich unversehens doch wieder aufthat. Der Weg senkte sich zu Thal und mündete
in eine Ortschaft ein.

Als der alte Jahr vor einem der netten lichten Häuser mitten im Dorf die
hochzeitliche Ehrenpforte aufgepflanzt sah, verging ihm die Wanderlust, und er be¬
schloß Rasttag zu machen, gleich dem Hochzeitseinzug, der hier sein Ziel gefunden
hatte; denn hier wehten über den Kranz der Krnnzbindcrmädchen die brandroten
Atlasbänder des Bräutigams hernieder, und zur Seite standen noch die geschmückte
Brautkutsche und die beiden andern Wagen, die die Gäste und das Wirtschafts¬
zeug hergebracht hatte. Dem Hochzeitshans gegenüber aber lag ein Gasthaus,


Heimkehr

Mit Jauchzen und (Gelärm setzte sich der Zug in Bewegung. Weithin klingende
Jauchzer drangen zu dem Wandersmann hinauf, der rüstig fürbaß geschritten war
und jetzt die Wegsteiguug schon überwunden hatte. Hoch oben am Bergabsturz
ueben dem Wege, den er einhielt, klar gegen den lichten Himmel gestellt, standen
drei junge Birkenstämmchen mit wenigen rotgoldigen Blättern, die unruhig, vom
Sonnenschein durchleuchtet, wie winzige Fähnchen von Rauschgold winkten.

Jahr war zur Seite getreten und wartete, um den Hochzeitseinzug vorüber zu
lassen. Hufschlag drang zu ihm herauf, helltönend das Lachen von Männer- und
Frauenstimmen. Dazwischen wieder der Juchzer! der Juchzer! Wie ein Weckruf
zog er daher aus jenen Tagen, die vor den letztverflossenen fünfzig Jahren lagen.

Jahr kniff die alten Augen zwinkernd zu, und stockend, als probiere er nur,
löste auch ihm sich ein Juchzer in der Kehle. Ganz sacht stieg er herauf, ein
gestammeltes, kaum hörbares Juuhh-Hu-Hu-Huhhh, das in der wunderbaren weichen
Herbstluft verklang, ohne eines Menschen Ohr erreicht zu haben.

Und dann rollte der Zug an ihm vorüber, während er seinen Hut vom
Kopfe nahm. Der buntumwundne Brcmtwagen mit Kranz- und Bänderschmuck,
darin das aufrechtsitzende Brautpaar und die neckende junge Frau mit der Wickel¬
puppe; vorn der stattliche Führer mit dem tanzenden Bänderschmuck an Hut und
Peitsche und dem wehenden Seidentuche, danach der Wagen mit den jauchzenden
und lärmenden Gästen und zuletzt die Fuhre mit Spinnrad und Kinderwagen und
den aufgeschichtete» Bettstückeu mit ihren prallsitzcnden, zweifarbigen Überzügen —
alles vom wärmsten Sonnenschein umflossen und umstrahlt und verschönt. Und
zur Seite der rötliche Bergsturz mit seineu Birkeustämmchen, die ihre Fähnlein von
Rauschgold schwenkten, und unten im Thal zwischen grünen Wiesen der rauschende,
Wie von silbernen Schuppen bedeckte Wasserlauf der Saale, mit seinem Scmmbesatz
von grauen Weidenbüschen, und drüben der lang hinlaufende Vergzug, und zwischen
deu einzelnen fichtengekröuten Gipfeln hindurch tugend, als seien sie mit feinem
grauen Schleier verhängt, die Häupter ferner Höhenzüge.

Der alte Jahr stand und starrte hinterdrein und blickte umher. Wehrlos und
schwach wie ein ganz altes Männchen machte ihn die Wiedersehensfreude, und doch
auch so stark, als sänken fünfzig Jahre von ihm ab, und er sei wieder der junge
Bursch mit den straffen Beinen, dem gehobnen Nacken und der breiten Brust, die
sich heranswölbte.

Er holte sein Pfeiflein hervor und stopfte es. Dann that er ein paar Züge,
mußte den Pfeifenkopf aber festhalten, weil seine Lippen zitterten. Ans seinen
Augen rannen Thränen über die faltigen Wangen, in seiner Kehle gluckste es, als
wolle sich ein Bach erschließen. Und dann rückte er die Tasche zurecht, schwang
den Stock und marschierte weiter und brummte aus dem einen Mundwinkel etwas
wie eine Melodie, während ihm im andern die Pfeife hing. Er hätte mit der
Bahn bis Goschen fahren können, war aber ein paar Stationen vorher ausgestiegen;
denn er wollte zu Fuß, wie der Schwiegersohn geraten hatte, seinen Einzug halten.

Wenn bei der Biegung des Wegs ein neuer Bergzug auftauchte, faßte der alte
Jahr an den Hutrand und grüßte hinüber, und ihm fiel allerlei ein, was ihn in
frühern Tagen hier die Straße herauf geführt hatte.

Hinter ihm, vor ihm versperrten ferne duftige Bergzüge die Landschaft, die
sich unversehens doch wieder aufthat. Der Weg senkte sich zu Thal und mündete
in eine Ortschaft ein.

Als der alte Jahr vor einem der netten lichten Häuser mitten im Dorf die
hochzeitliche Ehrenpforte aufgepflanzt sah, verging ihm die Wanderlust, und er be¬
schloß Rasttag zu machen, gleich dem Hochzeitseinzug, der hier sein Ziel gefunden
hatte; denn hier wehten über den Kranz der Krnnzbindcrmädchen die brandroten
Atlasbänder des Bräutigams hernieder, und zur Seite standen noch die geschmückte
Brautkutsche und die beiden andern Wagen, die die Gäste und das Wirtschafts¬
zeug hergebracht hatte. Dem Hochzeitshans gegenüber aber lag ein Gasthaus,


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[0056] Heimkehr Mit Jauchzen und (Gelärm setzte sich der Zug in Bewegung. Weithin klingende Jauchzer drangen zu dem Wandersmann hinauf, der rüstig fürbaß geschritten war und jetzt die Wegsteiguug schon überwunden hatte. Hoch oben am Bergabsturz ueben dem Wege, den er einhielt, klar gegen den lichten Himmel gestellt, standen drei junge Birkenstämmchen mit wenigen rotgoldigen Blättern, die unruhig, vom Sonnenschein durchleuchtet, wie winzige Fähnchen von Rauschgold winkten. Jahr war zur Seite getreten und wartete, um den Hochzeitseinzug vorüber zu lassen. Hufschlag drang zu ihm herauf, helltönend das Lachen von Männer- und Frauenstimmen. Dazwischen wieder der Juchzer! der Juchzer! Wie ein Weckruf zog er daher aus jenen Tagen, die vor den letztverflossenen fünfzig Jahren lagen. Jahr kniff die alten Augen zwinkernd zu, und stockend, als probiere er nur, löste auch ihm sich ein Juchzer in der Kehle. Ganz sacht stieg er herauf, ein gestammeltes, kaum hörbares Juuhh-Hu-Hu-Huhhh, das in der wunderbaren weichen Herbstluft verklang, ohne eines Menschen Ohr erreicht zu haben. Und dann rollte der Zug an ihm vorüber, während er seinen Hut vom Kopfe nahm. Der buntumwundne Brcmtwagen mit Kranz- und Bänderschmuck, darin das aufrechtsitzende Brautpaar und die neckende junge Frau mit der Wickel¬ puppe; vorn der stattliche Führer mit dem tanzenden Bänderschmuck an Hut und Peitsche und dem wehenden Seidentuche, danach der Wagen mit den jauchzenden und lärmenden Gästen und zuletzt die Fuhre mit Spinnrad und Kinderwagen und den aufgeschichtete» Bettstückeu mit ihren prallsitzcnden, zweifarbigen Überzügen — alles vom wärmsten Sonnenschein umflossen und umstrahlt und verschönt. Und zur Seite der rötliche Bergsturz mit seineu Birkeustämmchen, die ihre Fähnlein von Rauschgold schwenkten, und unten im Thal zwischen grünen Wiesen der rauschende, Wie von silbernen Schuppen bedeckte Wasserlauf der Saale, mit seinem Scmmbesatz von grauen Weidenbüschen, und drüben der lang hinlaufende Vergzug, und zwischen deu einzelnen fichtengekröuten Gipfeln hindurch tugend, als seien sie mit feinem grauen Schleier verhängt, die Häupter ferner Höhenzüge. Der alte Jahr stand und starrte hinterdrein und blickte umher. Wehrlos und schwach wie ein ganz altes Männchen machte ihn die Wiedersehensfreude, und doch auch so stark, als sänken fünfzig Jahre von ihm ab, und er sei wieder der junge Bursch mit den straffen Beinen, dem gehobnen Nacken und der breiten Brust, die sich heranswölbte. Er holte sein Pfeiflein hervor und stopfte es. Dann that er ein paar Züge, mußte den Pfeifenkopf aber festhalten, weil seine Lippen zitterten. Ans seinen Augen rannen Thränen über die faltigen Wangen, in seiner Kehle gluckste es, als wolle sich ein Bach erschließen. Und dann rückte er die Tasche zurecht, schwang den Stock und marschierte weiter und brummte aus dem einen Mundwinkel etwas wie eine Melodie, während ihm im andern die Pfeife hing. Er hätte mit der Bahn bis Goschen fahren können, war aber ein paar Stationen vorher ausgestiegen; denn er wollte zu Fuß, wie der Schwiegersohn geraten hatte, seinen Einzug halten. Wenn bei der Biegung des Wegs ein neuer Bergzug auftauchte, faßte der alte Jahr an den Hutrand und grüßte hinüber, und ihm fiel allerlei ein, was ihn in frühern Tagen hier die Straße herauf geführt hatte. Hinter ihm, vor ihm versperrten ferne duftige Bergzüge die Landschaft, die sich unversehens doch wieder aufthat. Der Weg senkte sich zu Thal und mündete in eine Ortschaft ein. Als der alte Jahr vor einem der netten lichten Häuser mitten im Dorf die hochzeitliche Ehrenpforte aufgepflanzt sah, verging ihm die Wanderlust, und er be¬ schloß Rasttag zu machen, gleich dem Hochzeitseinzug, der hier sein Ziel gefunden hatte; denn hier wehten über den Kranz der Krnnzbindcrmädchen die brandroten Atlasbänder des Bräutigams hernieder, und zur Seite standen noch die geschmückte Brautkutsche und die beiden andern Wagen, die die Gäste und das Wirtschafts¬ zeug hergebracht hatte. Dem Hochzeitshans gegenüber aber lag ein Gasthaus,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/56>, abgerufen am 01.09.2024.