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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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von einer Weltreise

Wie schön für Sklaven, wenn sie haben brave Herrn,
Und für die Herrn, nimm ihre Sklaven wohlgesinnt.^)

Zuletzt weist Resele noch darauf hin, daß sich bei Euripides trotz seiner
ausgesprochnen Vaterlands- und Heimathliebe doch schon hier und da Anklänge
an ein Weltbürgertum finden, und daß der Dichter, der die Worte sprach:


Die Erde, die uns nährt, ist überall Vaterland,

oder:


Der edle Mann, ob fern er wohnt im fremden Land,
Ob ich ihn nie mit Augen sah, ist doch mein Freund,

gleichsam "die Brücke bilde vom nationale"? Hcllenentnm zum weltbürgerlichen
Hellenismus."

So wird das Buch Nestles den innern Eigentümlichkeiten der euripideischen
Tragödie in jeder Hinsicht gerecht, und es ist wohl geeignet, über den Dichter
der Aufklärung selbst aufklärend zu wirke". Unsre Inhaltsangabe will nicht
nur die Leser der Grenzboten auf das auch stilistisch vortreffliche Werk auf¬
merksam machen, sondern zugleich auch zur Lektüre des Dichters selbst anregen,
der ja durch die Übersetzungen von Bruch und Donner, für einzelne Stücke
(den Herakles, die Schutzfleheudcn und den Hippolytos) auch durch die geist¬
volle Übertragung von Wilamvwitz jedem zugänglich ist.


U. Busche


Don einer Weltreise
5. Über den politischen und den wirtschaftlichen Wert der Tropenkolonien

ropenkolonien erscheinen aus manchen Gründen für das Mutterland
von zweifelhaftem Wert. Die allzu freie, leichte Herrschaft über
die farbigen Völker demoralisiert zuweilen die Leute, die behaupten,
als Träger der Kultur hinauszugehn. Sie täuscht auch über die
eigne Kraft. So haben sich die Engländer durch ihre zahllosen
Tropensiege und ihre Erfolge in der Unterjochung farbiger Völker in allen
Erdteilen über ihre militärische Kraft täuschen lassen. Eine Machtverstärknng
geben Tropenkvlonien dem Mutterlande beinahe nie. So wie ein reicher
Mann nicht reich ist, weil er Edelsteine und andre Kostbarkeiten hat -- denn
diese sind unfruchtbarer Reichtum --, sondern Edelsteine hat, weil er reich
ist, so ist ein europäischer Staat nicht darum mächtig, weil er Tropen¬
kolonien hat. sondern wenn er mächtig und unangreifbar in Europa ist,
so kaun er es sich erlauben, auch Trvpeutolonien zu haben, ja sie fallen
ihm dann beinahe von selbst zu, nicht als Zuwachs zu seiner Macht, sondern
als deren Genuß und Frucht. Reich kann ein Volk allerdings werden durch



*) Daß diese Ansichten über die Sklaverei nicht bloß dem Euripides eigentümlich sind,
sondern auch von andern antiken Dichtern geteilt werden, wissen die Leser der Grenzboten aus
dem zweiten der Drei Spaziergänge in das klassische Altertum von C. Jentsch.
von einer Weltreise

Wie schön für Sklaven, wenn sie haben brave Herrn,
Und für die Herrn, nimm ihre Sklaven wohlgesinnt.^)

Zuletzt weist Resele noch darauf hin, daß sich bei Euripides trotz seiner
ausgesprochnen Vaterlands- und Heimathliebe doch schon hier und da Anklänge
an ein Weltbürgertum finden, und daß der Dichter, der die Worte sprach:


Die Erde, die uns nährt, ist überall Vaterland,

oder:


Der edle Mann, ob fern er wohnt im fremden Land,
Ob ich ihn nie mit Augen sah, ist doch mein Freund,

gleichsam „die Brücke bilde vom nationale«? Hcllenentnm zum weltbürgerlichen
Hellenismus."

So wird das Buch Nestles den innern Eigentümlichkeiten der euripideischen
Tragödie in jeder Hinsicht gerecht, und es ist wohl geeignet, über den Dichter
der Aufklärung selbst aufklärend zu wirke». Unsre Inhaltsangabe will nicht
nur die Leser der Grenzboten auf das auch stilistisch vortreffliche Werk auf¬
merksam machen, sondern zugleich auch zur Lektüre des Dichters selbst anregen,
der ja durch die Übersetzungen von Bruch und Donner, für einzelne Stücke
(den Herakles, die Schutzfleheudcn und den Hippolytos) auch durch die geist¬
volle Übertragung von Wilamvwitz jedem zugänglich ist.


U. Busche


Don einer Weltreise
5. Über den politischen und den wirtschaftlichen Wert der Tropenkolonien

ropenkolonien erscheinen aus manchen Gründen für das Mutterland
von zweifelhaftem Wert. Die allzu freie, leichte Herrschaft über
die farbigen Völker demoralisiert zuweilen die Leute, die behaupten,
als Träger der Kultur hinauszugehn. Sie täuscht auch über die
eigne Kraft. So haben sich die Engländer durch ihre zahllosen
Tropensiege und ihre Erfolge in der Unterjochung farbiger Völker in allen
Erdteilen über ihre militärische Kraft täuschen lassen. Eine Machtverstärknng
geben Tropenkvlonien dem Mutterlande beinahe nie. So wie ein reicher
Mann nicht reich ist, weil er Edelsteine und andre Kostbarkeiten hat — denn
diese sind unfruchtbarer Reichtum —, sondern Edelsteine hat, weil er reich
ist, so ist ein europäischer Staat nicht darum mächtig, weil er Tropen¬
kolonien hat. sondern wenn er mächtig und unangreifbar in Europa ist,
so kaun er es sich erlauben, auch Trvpeutolonien zu haben, ja sie fallen
ihm dann beinahe von selbst zu, nicht als Zuwachs zu seiner Macht, sondern
als deren Genuß und Frucht. Reich kann ein Volk allerdings werden durch



*) Daß diese Ansichten über die Sklaverei nicht bloß dem Euripides eigentümlich sind,
sondern auch von andern antiken Dichtern geteilt werden, wissen die Leser der Grenzboten aus
dem zweiten der Drei Spaziergänge in das klassische Altertum von C. Jentsch.
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[0434] von einer Weltreise Wie schön für Sklaven, wenn sie haben brave Herrn, Und für die Herrn, nimm ihre Sklaven wohlgesinnt.^) Zuletzt weist Resele noch darauf hin, daß sich bei Euripides trotz seiner ausgesprochnen Vaterlands- und Heimathliebe doch schon hier und da Anklänge an ein Weltbürgertum finden, und daß der Dichter, der die Worte sprach: Die Erde, die uns nährt, ist überall Vaterland, oder: Der edle Mann, ob fern er wohnt im fremden Land, Ob ich ihn nie mit Augen sah, ist doch mein Freund, gleichsam „die Brücke bilde vom nationale«? Hcllenentnm zum weltbürgerlichen Hellenismus." So wird das Buch Nestles den innern Eigentümlichkeiten der euripideischen Tragödie in jeder Hinsicht gerecht, und es ist wohl geeignet, über den Dichter der Aufklärung selbst aufklärend zu wirke». Unsre Inhaltsangabe will nicht nur die Leser der Grenzboten auf das auch stilistisch vortreffliche Werk auf¬ merksam machen, sondern zugleich auch zur Lektüre des Dichters selbst anregen, der ja durch die Übersetzungen von Bruch und Donner, für einzelne Stücke (den Herakles, die Schutzfleheudcn und den Hippolytos) auch durch die geist¬ volle Übertragung von Wilamvwitz jedem zugänglich ist. U. Busche Don einer Weltreise 5. Über den politischen und den wirtschaftlichen Wert der Tropenkolonien ropenkolonien erscheinen aus manchen Gründen für das Mutterland von zweifelhaftem Wert. Die allzu freie, leichte Herrschaft über die farbigen Völker demoralisiert zuweilen die Leute, die behaupten, als Träger der Kultur hinauszugehn. Sie täuscht auch über die eigne Kraft. So haben sich die Engländer durch ihre zahllosen Tropensiege und ihre Erfolge in der Unterjochung farbiger Völker in allen Erdteilen über ihre militärische Kraft täuschen lassen. Eine Machtverstärknng geben Tropenkvlonien dem Mutterlande beinahe nie. So wie ein reicher Mann nicht reich ist, weil er Edelsteine und andre Kostbarkeiten hat — denn diese sind unfruchtbarer Reichtum —, sondern Edelsteine hat, weil er reich ist, so ist ein europäischer Staat nicht darum mächtig, weil er Tropen¬ kolonien hat. sondern wenn er mächtig und unangreifbar in Europa ist, so kaun er es sich erlauben, auch Trvpeutolonien zu haben, ja sie fallen ihm dann beinahe von selbst zu, nicht als Zuwachs zu seiner Macht, sondern als deren Genuß und Frucht. Reich kann ein Volk allerdings werden durch *) Daß diese Ansichten über die Sklaverei nicht bloß dem Euripides eigentümlich sind, sondern auch von andern antiken Dichtern geteilt werden, wissen die Leser der Grenzboten aus dem zweiten der Drei Spaziergänge in das klassische Altertum von C. Jentsch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/434>, abgerufen am 01.09.2024.