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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter der griechischen Aufklärung

423

Unter diesen Umstünden ist es natürlich, daß der Dichter den Spartanern,
den Gegnern Athens, keineswegs gewogen ist; wo sich nur die Gelegenheit
bietet, giebt er seinen Haß gegen das ränkesüchtige, treulose und barbarische
Sparta zu erkennen, auch finden sich hier und da deutliche Anspielungen auf
politische Unternehmungen, die dem Feinde irgendwie schaden können, so z. B.
W den Hiketiden auf das vou Alkibiades befürwortete Bündnis zwischen Athen
und Argos.

Das letzte Kapitel des Buches ist den sozialen Anschauungen des Euri-
pides gewidmet. Der durch die Geburt ererbte Adel gilt dem Dichter wenig
oder nichts; der Adel ist ihm nur dann etwas wert, wenn er mit sittlicher
Tüchtigkeit gepaart ist, und umgekehrt verleiht eine edle Gesinnung auch einem
Dringen Manne, wie dem Landmann in der Elektra, gleichsam den Adel.
Fragment 345 lautet:


Vom Adel hab ich dies zu sagen, kurz und gut:
Der wackre Mann ist mir der einzig adliche,
Der ungerechte, mag sein Vater besser noch
Gewesen sein als Zeus, erscheint unedel mir.

Sehr scharf verurteilt der Tragiker an verschiednen Stellen das maßlose
Streben nach Reichtum; der Reichtum ist ihm nicht nur ein vergängliches Gut,
orbem er kann geradezu verderblich wirken, insofern er seinen Besitzer zur
^berhebuug verleitet. Auch mit der Dummheit ist der Reichtum oft verbunden;
^ Archelaos sagte der Dichter:


Reich bist du? Reichtum: Dummheit ist und Feigheit dies.

Nur ein mit richtiger Einsicht verbundner Besitz kann glücklich machen,
e"n sie l^re den Reichtum zu guten Zwecken, namentlich zur Wohlthätigkeit
verwenden. Andrerseits ist freilich auch große Armut nicht als Vorzug au¬
ssehen, denn auch sie dient dazu, das Böse der menschlichen Natur zu
reizen.


Auf Trug und dunkle Mittel kommt der arme Mann,
Der aus unwürdger Armut sich aufhelfen will. (Fr. 288.)

Reichtum und Armut lassen sich freilich nicht aus der Welt schaffen, aber
Dichter erscheint als das beste Los die Mitte zwischen beiden Extremen;
^uem vorwiegend auf dem Ackerbau begründeten Mittelstand redet er wieder¬
holt das Wort.

Die Sklaverei erkennt Euripides als eine in den bestehenden Nechtsver-
tinssen begründete Einrichtung an, moralisch aber hält er sie für ungerecht
ud der Menschenwürde widersprechend. Deal ein Sklave kann ebenso gut
^"e edle Gesinnung haben wie ein Freier:


Ich nun weiß nicht, warum auf edle Abstammung
Man schauen soll; wer mannhaft und gerecht nur ist,
Den nenn ich edel trotz des leeren Vorurteils,
Ist er gleich Sklave: mehr gilt der Charakter mir. (Fr. 496.)

Da die Sklaverei nun einmal besteht, so sollen die Herren ihre Sklaven
enigstens gut behandeln, dann wird das gegenseitige Verhältnis erträglich
Im Meleager sagte der Dichter:


Der Dichter der griechischen Aufklärung

423

Unter diesen Umstünden ist es natürlich, daß der Dichter den Spartanern,
den Gegnern Athens, keineswegs gewogen ist; wo sich nur die Gelegenheit
bietet, giebt er seinen Haß gegen das ränkesüchtige, treulose und barbarische
Sparta zu erkennen, auch finden sich hier und da deutliche Anspielungen auf
politische Unternehmungen, die dem Feinde irgendwie schaden können, so z. B.
W den Hiketiden auf das vou Alkibiades befürwortete Bündnis zwischen Athen
und Argos.

Das letzte Kapitel des Buches ist den sozialen Anschauungen des Euri-
pides gewidmet. Der durch die Geburt ererbte Adel gilt dem Dichter wenig
oder nichts; der Adel ist ihm nur dann etwas wert, wenn er mit sittlicher
Tüchtigkeit gepaart ist, und umgekehrt verleiht eine edle Gesinnung auch einem
Dringen Manne, wie dem Landmann in der Elektra, gleichsam den Adel.
Fragment 345 lautet:


Vom Adel hab ich dies zu sagen, kurz und gut:
Der wackre Mann ist mir der einzig adliche,
Der ungerechte, mag sein Vater besser noch
Gewesen sein als Zeus, erscheint unedel mir.

Sehr scharf verurteilt der Tragiker an verschiednen Stellen das maßlose
Streben nach Reichtum; der Reichtum ist ihm nicht nur ein vergängliches Gut,
orbem er kann geradezu verderblich wirken, insofern er seinen Besitzer zur
^berhebuug verleitet. Auch mit der Dummheit ist der Reichtum oft verbunden;
^ Archelaos sagte der Dichter:


Reich bist du? Reichtum: Dummheit ist und Feigheit dies.

Nur ein mit richtiger Einsicht verbundner Besitz kann glücklich machen,
e»n sie l^re den Reichtum zu guten Zwecken, namentlich zur Wohlthätigkeit
verwenden. Andrerseits ist freilich auch große Armut nicht als Vorzug au¬
ssehen, denn auch sie dient dazu, das Böse der menschlichen Natur zu
reizen.


Auf Trug und dunkle Mittel kommt der arme Mann,
Der aus unwürdger Armut sich aufhelfen will. (Fr. 288.)

Reichtum und Armut lassen sich freilich nicht aus der Welt schaffen, aber
Dichter erscheint als das beste Los die Mitte zwischen beiden Extremen;
^uem vorwiegend auf dem Ackerbau begründeten Mittelstand redet er wieder¬
holt das Wort.

Die Sklaverei erkennt Euripides als eine in den bestehenden Nechtsver-
tinssen begründete Einrichtung an, moralisch aber hält er sie für ungerecht
ud der Menschenwürde widersprechend. Deal ein Sklave kann ebenso gut
^"e edle Gesinnung haben wie ein Freier:


Ich nun weiß nicht, warum auf edle Abstammung
Man schauen soll; wer mannhaft und gerecht nur ist,
Den nenn ich edel trotz des leeren Vorurteils,
Ist er gleich Sklave: mehr gilt der Charakter mir. (Fr. 496.)

Da die Sklaverei nun einmal besteht, so sollen die Herren ihre Sklaven
enigstens gut behandeln, dann wird das gegenseitige Verhältnis erträglich
Im Meleager sagte der Dichter:


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[0433] Der Dichter der griechischen Aufklärung 423 Unter diesen Umstünden ist es natürlich, daß der Dichter den Spartanern, den Gegnern Athens, keineswegs gewogen ist; wo sich nur die Gelegenheit bietet, giebt er seinen Haß gegen das ränkesüchtige, treulose und barbarische Sparta zu erkennen, auch finden sich hier und da deutliche Anspielungen auf politische Unternehmungen, die dem Feinde irgendwie schaden können, so z. B. W den Hiketiden auf das vou Alkibiades befürwortete Bündnis zwischen Athen und Argos. Das letzte Kapitel des Buches ist den sozialen Anschauungen des Euri- pides gewidmet. Der durch die Geburt ererbte Adel gilt dem Dichter wenig oder nichts; der Adel ist ihm nur dann etwas wert, wenn er mit sittlicher Tüchtigkeit gepaart ist, und umgekehrt verleiht eine edle Gesinnung auch einem Dringen Manne, wie dem Landmann in der Elektra, gleichsam den Adel. Fragment 345 lautet: Vom Adel hab ich dies zu sagen, kurz und gut: Der wackre Mann ist mir der einzig adliche, Der ungerechte, mag sein Vater besser noch Gewesen sein als Zeus, erscheint unedel mir. Sehr scharf verurteilt der Tragiker an verschiednen Stellen das maßlose Streben nach Reichtum; der Reichtum ist ihm nicht nur ein vergängliches Gut, orbem er kann geradezu verderblich wirken, insofern er seinen Besitzer zur ^berhebuug verleitet. Auch mit der Dummheit ist der Reichtum oft verbunden; ^ Archelaos sagte der Dichter: Reich bist du? Reichtum: Dummheit ist und Feigheit dies. Nur ein mit richtiger Einsicht verbundner Besitz kann glücklich machen, e»n sie l^re den Reichtum zu guten Zwecken, namentlich zur Wohlthätigkeit verwenden. Andrerseits ist freilich auch große Armut nicht als Vorzug au¬ ssehen, denn auch sie dient dazu, das Böse der menschlichen Natur zu reizen. Auf Trug und dunkle Mittel kommt der arme Mann, Der aus unwürdger Armut sich aufhelfen will. (Fr. 288.) Reichtum und Armut lassen sich freilich nicht aus der Welt schaffen, aber Dichter erscheint als das beste Los die Mitte zwischen beiden Extremen; ^uem vorwiegend auf dem Ackerbau begründeten Mittelstand redet er wieder¬ holt das Wort. Die Sklaverei erkennt Euripides als eine in den bestehenden Nechtsver- tinssen begründete Einrichtung an, moralisch aber hält er sie für ungerecht ud der Menschenwürde widersprechend. Deal ein Sklave kann ebenso gut ^"e edle Gesinnung haben wie ein Freier: Ich nun weiß nicht, warum auf edle Abstammung Man schauen soll; wer mannhaft und gerecht nur ist, Den nenn ich edel trotz des leeren Vorurteils, Ist er gleich Sklave: mehr gilt der Charakter mir. (Fr. 496.) Da die Sklaverei nun einmal besteht, so sollen die Herren ihre Sklaven enigstens gut behandeln, dann wird das gegenseitige Verhältnis erträglich Im Meleager sagte der Dichter:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/433>, abgerufen am 01.09.2024.