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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Zur Mittelmearfrage

mehr friedlich und ohne Nachteil für sich selber zu einigen. Jede Schwächung
der englischen Seeherrschaft in irgend einem Meere bedeutet doch ganz folge¬
richtig eine Stärkung für jede andre Seemacht; sogar die Vereinigten Staaten
von Amerika müssen es als Vorteil empfinden, sobald sich für die Engländer
die Schwierigkeit mehrt, ihre alte Vormachtstellung im Mittelmeer zu halten.
Also wenn dieses wirklich "ein lateinischer See" werden würde, so hätte das
für alle Seemächte mit Ausnahme vou England nur Vorteile; aber so weit
ists ja noch gar nicht, ein Bündnis zwischen Frankreich und Spanien ist nur
ein kleiner Schritt auf dem Wege zur Erfüllung dieses für ganz Festeuropa
wünschenswerten Zustandes.

Für England ist die Seeherrschaft im Mittelmeer tausendfach wichtiger,
als der Besitz der Goldgruben im Transvaal; wer um diese unfruchtbaren
Metallklumpen drei Jahre lang eiuen sehr teuern Krieg zu führen willens
war, der wird auch seine schöne Mittelmeerstellung nicht freiwillig und still¬
schweigend aufgeben, denn wenn er es thäte, würde er nicht mir stark im An¬
sehen verlieren, sondern seine mächtigen Handelsinteressen in der Levante und
dazu noch den bequemen Seeweg nach Indien für die eigne Schiffahrt aufs
Spiel setzen. Es ist also anzunehmen, daß England alle Kraft dafür einsetzen
wird, sich nicht aus dem Mittelmeer verdrängen zu lassen. Die Folge eines
französisch-spanischen Bündnisses wird also für die europäischen Großmächte
eine Verschiebung des politischen Brennpunkts nach Süden zu sein; das aber
wird weder uns noch unsern Bundesgenossen schaden können.

Wenn zwei Staaten ein Bündnis schließen, so thun sie das aus berechtigtem
Eigennutz und nicht, um dritten damit zu nützen. So ists auch hier: Frank¬
reich wie Spanien haben gleich große Vorteile von einem politischen Zusammen¬
schluß zu erwarten. Spanien bedarf dringend des Schutzes für seine Kolouial-
reste und für die Balearen, denn es ist selbst so gut wie ohne Flotte und
deshalb vom guten Willen oder von der Willkür der Seemächte abhängig.
Frankreich muß seine seestrategische Stellung noch stärken, um der englischen
Mittelmeerflotte die Seeherrschaft streitig macheu zu können; Port Maison auf
Minorca, Cartagena und Ceuta sind dafür wie geschaffen. Cadiz und Ferrol
aber würden die Verbindung des französischen Nordgeschwaders mit den Mittel-
meerstreitkräften sichern und zugleich recht lästige Hindernisse für den englischen
Seeverkehr zwischen Großbritannien und Gibraltar sein. Frankreich ist reich
genug, den Spaniern mit seinem Gelde eine neue Flotte bauen zu helfen,
und die französischen Kanonen wären imstande, vom Lande aus Gibraltar den
Spaniern wiederzugewinnen. Wer aber wissen will, wie schwer die stolzen
Spanier noch heute das Bewußtsein drückt, daß der herrliche Felsen seit zwei
Jahrhunderten in englischem Besitz ist, der frage in Algesiras nach; da wird
ihm Auskunft darüber werden. Noch im Jahre 1894 gab die spanische Re¬
gierung dem Statthalter von Algesiras zugleich den Titel eines Statthalters
^ "zur Zeit freilich noch in englischem Besitze befindlichen Gibraltars"; das
laßt trotz der spanischen Vorliebe für lange Titel wohl tief genug blicken.
Wenn es eines Tages mitten im Frieden der englischen Mittelmeerflotte be¬
liebte, sich in Port Mahon festzusetzen, wäre keine andre Macht imstande,


Zur Mittelmearfrage

mehr friedlich und ohne Nachteil für sich selber zu einigen. Jede Schwächung
der englischen Seeherrschaft in irgend einem Meere bedeutet doch ganz folge¬
richtig eine Stärkung für jede andre Seemacht; sogar die Vereinigten Staaten
von Amerika müssen es als Vorteil empfinden, sobald sich für die Engländer
die Schwierigkeit mehrt, ihre alte Vormachtstellung im Mittelmeer zu halten.
Also wenn dieses wirklich „ein lateinischer See" werden würde, so hätte das
für alle Seemächte mit Ausnahme vou England nur Vorteile; aber so weit
ists ja noch gar nicht, ein Bündnis zwischen Frankreich und Spanien ist nur
ein kleiner Schritt auf dem Wege zur Erfüllung dieses für ganz Festeuropa
wünschenswerten Zustandes.

Für England ist die Seeherrschaft im Mittelmeer tausendfach wichtiger,
als der Besitz der Goldgruben im Transvaal; wer um diese unfruchtbaren
Metallklumpen drei Jahre lang eiuen sehr teuern Krieg zu führen willens
war, der wird auch seine schöne Mittelmeerstellung nicht freiwillig und still¬
schweigend aufgeben, denn wenn er es thäte, würde er nicht mir stark im An¬
sehen verlieren, sondern seine mächtigen Handelsinteressen in der Levante und
dazu noch den bequemen Seeweg nach Indien für die eigne Schiffahrt aufs
Spiel setzen. Es ist also anzunehmen, daß England alle Kraft dafür einsetzen
wird, sich nicht aus dem Mittelmeer verdrängen zu lassen. Die Folge eines
französisch-spanischen Bündnisses wird also für die europäischen Großmächte
eine Verschiebung des politischen Brennpunkts nach Süden zu sein; das aber
wird weder uns noch unsern Bundesgenossen schaden können.

Wenn zwei Staaten ein Bündnis schließen, so thun sie das aus berechtigtem
Eigennutz und nicht, um dritten damit zu nützen. So ists auch hier: Frank¬
reich wie Spanien haben gleich große Vorteile von einem politischen Zusammen¬
schluß zu erwarten. Spanien bedarf dringend des Schutzes für seine Kolouial-
reste und für die Balearen, denn es ist selbst so gut wie ohne Flotte und
deshalb vom guten Willen oder von der Willkür der Seemächte abhängig.
Frankreich muß seine seestrategische Stellung noch stärken, um der englischen
Mittelmeerflotte die Seeherrschaft streitig macheu zu können; Port Maison auf
Minorca, Cartagena und Ceuta sind dafür wie geschaffen. Cadiz und Ferrol
aber würden die Verbindung des französischen Nordgeschwaders mit den Mittel-
meerstreitkräften sichern und zugleich recht lästige Hindernisse für den englischen
Seeverkehr zwischen Großbritannien und Gibraltar sein. Frankreich ist reich
genug, den Spaniern mit seinem Gelde eine neue Flotte bauen zu helfen,
und die französischen Kanonen wären imstande, vom Lande aus Gibraltar den
Spaniern wiederzugewinnen. Wer aber wissen will, wie schwer die stolzen
Spanier noch heute das Bewußtsein drückt, daß der herrliche Felsen seit zwei
Jahrhunderten in englischem Besitz ist, der frage in Algesiras nach; da wird
ihm Auskunft darüber werden. Noch im Jahre 1894 gab die spanische Re¬
gierung dem Statthalter von Algesiras zugleich den Titel eines Statthalters
^ „zur Zeit freilich noch in englischem Besitze befindlichen Gibraltars"; das
laßt trotz der spanischen Vorliebe für lange Titel wohl tief genug blicken.
Wenn es eines Tages mitten im Frieden der englischen Mittelmeerflotte be¬
liebte, sich in Port Mahon festzusetzen, wäre keine andre Macht imstande,


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[0311] Zur Mittelmearfrage mehr friedlich und ohne Nachteil für sich selber zu einigen. Jede Schwächung der englischen Seeherrschaft in irgend einem Meere bedeutet doch ganz folge¬ richtig eine Stärkung für jede andre Seemacht; sogar die Vereinigten Staaten von Amerika müssen es als Vorteil empfinden, sobald sich für die Engländer die Schwierigkeit mehrt, ihre alte Vormachtstellung im Mittelmeer zu halten. Also wenn dieses wirklich „ein lateinischer See" werden würde, so hätte das für alle Seemächte mit Ausnahme vou England nur Vorteile; aber so weit ists ja noch gar nicht, ein Bündnis zwischen Frankreich und Spanien ist nur ein kleiner Schritt auf dem Wege zur Erfüllung dieses für ganz Festeuropa wünschenswerten Zustandes. Für England ist die Seeherrschaft im Mittelmeer tausendfach wichtiger, als der Besitz der Goldgruben im Transvaal; wer um diese unfruchtbaren Metallklumpen drei Jahre lang eiuen sehr teuern Krieg zu führen willens war, der wird auch seine schöne Mittelmeerstellung nicht freiwillig und still¬ schweigend aufgeben, denn wenn er es thäte, würde er nicht mir stark im An¬ sehen verlieren, sondern seine mächtigen Handelsinteressen in der Levante und dazu noch den bequemen Seeweg nach Indien für die eigne Schiffahrt aufs Spiel setzen. Es ist also anzunehmen, daß England alle Kraft dafür einsetzen wird, sich nicht aus dem Mittelmeer verdrängen zu lassen. Die Folge eines französisch-spanischen Bündnisses wird also für die europäischen Großmächte eine Verschiebung des politischen Brennpunkts nach Süden zu sein; das aber wird weder uns noch unsern Bundesgenossen schaden können. Wenn zwei Staaten ein Bündnis schließen, so thun sie das aus berechtigtem Eigennutz und nicht, um dritten damit zu nützen. So ists auch hier: Frank¬ reich wie Spanien haben gleich große Vorteile von einem politischen Zusammen¬ schluß zu erwarten. Spanien bedarf dringend des Schutzes für seine Kolouial- reste und für die Balearen, denn es ist selbst so gut wie ohne Flotte und deshalb vom guten Willen oder von der Willkür der Seemächte abhängig. Frankreich muß seine seestrategische Stellung noch stärken, um der englischen Mittelmeerflotte die Seeherrschaft streitig macheu zu können; Port Maison auf Minorca, Cartagena und Ceuta sind dafür wie geschaffen. Cadiz und Ferrol aber würden die Verbindung des französischen Nordgeschwaders mit den Mittel- meerstreitkräften sichern und zugleich recht lästige Hindernisse für den englischen Seeverkehr zwischen Großbritannien und Gibraltar sein. Frankreich ist reich genug, den Spaniern mit seinem Gelde eine neue Flotte bauen zu helfen, und die französischen Kanonen wären imstande, vom Lande aus Gibraltar den Spaniern wiederzugewinnen. Wer aber wissen will, wie schwer die stolzen Spanier noch heute das Bewußtsein drückt, daß der herrliche Felsen seit zwei Jahrhunderten in englischem Besitz ist, der frage in Algesiras nach; da wird ihm Auskunft darüber werden. Noch im Jahre 1894 gab die spanische Re¬ gierung dem Statthalter von Algesiras zugleich den Titel eines Statthalters ^ „zur Zeit freilich noch in englischem Besitze befindlichen Gibraltars"; das laßt trotz der spanischen Vorliebe für lange Titel wohl tief genug blicken. Wenn es eines Tages mitten im Frieden der englischen Mittelmeerflotte be¬ liebte, sich in Port Mahon festzusetzen, wäre keine andre Macht imstande,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/311>, abgerufen am 01.09.2024.