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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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parlamentarischen Charakter der Verfassung auch von den Ministerien geteilt
worden zu sein: dafür spricht wenigstens der Eifer der spätern Ministerien,
sich für ihr Programm eine vorherige Mehrheit zu sichern, bis diese Schacher¬
politik unter Badcni schließlich die dadurch politisch tot gemachte deutsche
Minderheit zur Obstruktion trieb. Seit dieser Zeit hat der vorausgehende
Majoritätshandel aufgehört, und thatsächlich hat das Ministerium Körber
gerade infolgedessen für seine Vorlagen größere Mehrheiten erzielt als je ein
Kabinett vorher. Wie man auch daraus wieder ersieht, ist eben bisher nicht
nach der Verfassung, weil überhaupt uicht, regiert worden; die Ursache dafür
liegt hauptsächlich bei der Krone und ihren verantwortlichen Ratgebern. Infolge
davon hat sich so eine Art allgemeiner Meinung gebildet: die Verfassung sei
schlecht, weil sie den Völkern den Frieden nicht gebracht und namentlich zur
Unterdrückung der Deutsche" beigetragen habe. Diese Begründung ist falsch,
obgleich die Thatsachen richtig sind. Die österreichische Verfassung ist wohl
ziemlich phrasenreich abgefaßt, aber sonst so gut oder so schlecht wie alle
andern Verfassungen. Vor allem trägt sie, wie alle deutschen Verfassungen,
einen rein konstitutionellen Charakter und weist namentlich der Krone eine
Reihe fest bestimmter Rechte zu, die aber nur wenig zur Geltung gebracht
worden sind. Einen wirklichen Verfassuugskampf, der über solche Dinge Klarheit
gebracht hätte, hat es niemals gegeben, dagegen hat das anspruchsvolle Ver¬
halten der einzelnen Nationen und die unberechtigte Kritik der Radikalen ein
Tohuwabohu geschaffen, das als Auffassung des verfassuugsmüßigeu Zustandes
gilt. Alls diesem Gebiet werden zukünftige Regierungen Ordnung und Klarheit
schaffen müssen, und dann wird sich herausstellen, daß es mit der jetzigen
Verfassung auch ganz gut gehn wird. Man muß nur endlich einmal regieren
wollen.

In einem Staate, der immer zwischen der zentralistischen und der födera¬
listischen Richtung hin und her pendelt, wie es in Osterreich seither gewesen ist,
gewinnt die Person des Monarchen noch eine ganz andre Bedeutung als bei¬
spielsweise in England. Kaiser Franz Joseph hat von jeher nach bestem Wissen
und Gewissen die Wohlfahrt der seiner Leitung anvertrauten Völkerschaften zur
Richtschnur seiner Politik gewühlt, mau darf also der weitern Entwicklung des
österreichischen Staatswesens mit größerer Beruhigung entgegensehen, nachdem
die Schwankungen nach der föderalistischen Staatsform hinüber aufgegeben Zu
sein scheinen, und man am zentralistischen Prinzip festzuhalten entschlossen ist.
Jeder föderalistische Versuch der österreichischen Regierung muß schließlich zu
Unzukömmlichkeiten und Schwierigkeiten führen. Nachdem man auch in ma߬
gebenden Kreisen an gewissen Vorgängen in der Armee hat erkennen lernen,
wohin dergleichen führt, scheint man endgiltig davon zurückgekommen zu sein-
Dazu war es allerdings die höchste Zeit, denn jeder neue Rückschlag nach der
föderalistischen Seite hin würde dann der notwendigerweise nachfolgenden Rück¬
kehr zum Zentralismus zu den natürlichen und den durch die bisherigen
Schwankungen erzeugten Schwierigkeiten nur noch neue schaffen, weil immer
wieder neue Rechtsansprüche geweckt werden. So wäre es für den Staat, aber
anch für die Tschechen hundertmal besser gewesen, Graf Hohenwart hätte das


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parlamentarischen Charakter der Verfassung auch von den Ministerien geteilt
worden zu sein: dafür spricht wenigstens der Eifer der spätern Ministerien,
sich für ihr Programm eine vorherige Mehrheit zu sichern, bis diese Schacher¬
politik unter Badcni schließlich die dadurch politisch tot gemachte deutsche
Minderheit zur Obstruktion trieb. Seit dieser Zeit hat der vorausgehende
Majoritätshandel aufgehört, und thatsächlich hat das Ministerium Körber
gerade infolgedessen für seine Vorlagen größere Mehrheiten erzielt als je ein
Kabinett vorher. Wie man auch daraus wieder ersieht, ist eben bisher nicht
nach der Verfassung, weil überhaupt uicht, regiert worden; die Ursache dafür
liegt hauptsächlich bei der Krone und ihren verantwortlichen Ratgebern. Infolge
davon hat sich so eine Art allgemeiner Meinung gebildet: die Verfassung sei
schlecht, weil sie den Völkern den Frieden nicht gebracht und namentlich zur
Unterdrückung der Deutsche» beigetragen habe. Diese Begründung ist falsch,
obgleich die Thatsachen richtig sind. Die österreichische Verfassung ist wohl
ziemlich phrasenreich abgefaßt, aber sonst so gut oder so schlecht wie alle
andern Verfassungen. Vor allem trägt sie, wie alle deutschen Verfassungen,
einen rein konstitutionellen Charakter und weist namentlich der Krone eine
Reihe fest bestimmter Rechte zu, die aber nur wenig zur Geltung gebracht
worden sind. Einen wirklichen Verfassuugskampf, der über solche Dinge Klarheit
gebracht hätte, hat es niemals gegeben, dagegen hat das anspruchsvolle Ver¬
halten der einzelnen Nationen und die unberechtigte Kritik der Radikalen ein
Tohuwabohu geschaffen, das als Auffassung des verfassuugsmüßigeu Zustandes
gilt. Alls diesem Gebiet werden zukünftige Regierungen Ordnung und Klarheit
schaffen müssen, und dann wird sich herausstellen, daß es mit der jetzigen
Verfassung auch ganz gut gehn wird. Man muß nur endlich einmal regieren
wollen.

In einem Staate, der immer zwischen der zentralistischen und der födera¬
listischen Richtung hin und her pendelt, wie es in Osterreich seither gewesen ist,
gewinnt die Person des Monarchen noch eine ganz andre Bedeutung als bei¬
spielsweise in England. Kaiser Franz Joseph hat von jeher nach bestem Wissen
und Gewissen die Wohlfahrt der seiner Leitung anvertrauten Völkerschaften zur
Richtschnur seiner Politik gewühlt, mau darf also der weitern Entwicklung des
österreichischen Staatswesens mit größerer Beruhigung entgegensehen, nachdem
die Schwankungen nach der föderalistischen Staatsform hinüber aufgegeben Zu
sein scheinen, und man am zentralistischen Prinzip festzuhalten entschlossen ist.
Jeder föderalistische Versuch der österreichischen Regierung muß schließlich zu
Unzukömmlichkeiten und Schwierigkeiten führen. Nachdem man auch in ma߬
gebenden Kreisen an gewissen Vorgängen in der Armee hat erkennen lernen,
wohin dergleichen führt, scheint man endgiltig davon zurückgekommen zu sein-
Dazu war es allerdings die höchste Zeit, denn jeder neue Rückschlag nach der
föderalistischen Seite hin würde dann der notwendigerweise nachfolgenden Rück¬
kehr zum Zentralismus zu den natürlichen und den durch die bisherigen
Schwankungen erzeugten Schwierigkeiten nur noch neue schaffen, weil immer
wieder neue Rechtsansprüche geweckt werden. So wäre es für den Staat, aber
anch für die Tschechen hundertmal besser gewesen, Graf Hohenwart hätte das


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[0248] Ästerreich parlamentarischen Charakter der Verfassung auch von den Ministerien geteilt worden zu sein: dafür spricht wenigstens der Eifer der spätern Ministerien, sich für ihr Programm eine vorherige Mehrheit zu sichern, bis diese Schacher¬ politik unter Badcni schließlich die dadurch politisch tot gemachte deutsche Minderheit zur Obstruktion trieb. Seit dieser Zeit hat der vorausgehende Majoritätshandel aufgehört, und thatsächlich hat das Ministerium Körber gerade infolgedessen für seine Vorlagen größere Mehrheiten erzielt als je ein Kabinett vorher. Wie man auch daraus wieder ersieht, ist eben bisher nicht nach der Verfassung, weil überhaupt uicht, regiert worden; die Ursache dafür liegt hauptsächlich bei der Krone und ihren verantwortlichen Ratgebern. Infolge davon hat sich so eine Art allgemeiner Meinung gebildet: die Verfassung sei schlecht, weil sie den Völkern den Frieden nicht gebracht und namentlich zur Unterdrückung der Deutsche» beigetragen habe. Diese Begründung ist falsch, obgleich die Thatsachen richtig sind. Die österreichische Verfassung ist wohl ziemlich phrasenreich abgefaßt, aber sonst so gut oder so schlecht wie alle andern Verfassungen. Vor allem trägt sie, wie alle deutschen Verfassungen, einen rein konstitutionellen Charakter und weist namentlich der Krone eine Reihe fest bestimmter Rechte zu, die aber nur wenig zur Geltung gebracht worden sind. Einen wirklichen Verfassuugskampf, der über solche Dinge Klarheit gebracht hätte, hat es niemals gegeben, dagegen hat das anspruchsvolle Ver¬ halten der einzelnen Nationen und die unberechtigte Kritik der Radikalen ein Tohuwabohu geschaffen, das als Auffassung des verfassuugsmüßigeu Zustandes gilt. Alls diesem Gebiet werden zukünftige Regierungen Ordnung und Klarheit schaffen müssen, und dann wird sich herausstellen, daß es mit der jetzigen Verfassung auch ganz gut gehn wird. Man muß nur endlich einmal regieren wollen. In einem Staate, der immer zwischen der zentralistischen und der födera¬ listischen Richtung hin und her pendelt, wie es in Osterreich seither gewesen ist, gewinnt die Person des Monarchen noch eine ganz andre Bedeutung als bei¬ spielsweise in England. Kaiser Franz Joseph hat von jeher nach bestem Wissen und Gewissen die Wohlfahrt der seiner Leitung anvertrauten Völkerschaften zur Richtschnur seiner Politik gewühlt, mau darf also der weitern Entwicklung des österreichischen Staatswesens mit größerer Beruhigung entgegensehen, nachdem die Schwankungen nach der föderalistischen Staatsform hinüber aufgegeben Zu sein scheinen, und man am zentralistischen Prinzip festzuhalten entschlossen ist. Jeder föderalistische Versuch der österreichischen Regierung muß schließlich zu Unzukömmlichkeiten und Schwierigkeiten führen. Nachdem man auch in ma߬ gebenden Kreisen an gewissen Vorgängen in der Armee hat erkennen lernen, wohin dergleichen führt, scheint man endgiltig davon zurückgekommen zu sein- Dazu war es allerdings die höchste Zeit, denn jeder neue Rückschlag nach der föderalistischen Seite hin würde dann der notwendigerweise nachfolgenden Rück¬ kehr zum Zentralismus zu den natürlichen und den durch die bisherigen Schwankungen erzeugten Schwierigkeiten nur noch neue schaffen, weil immer wieder neue Rechtsansprüche geweckt werden. So wäre es für den Staat, aber anch für die Tschechen hundertmal besser gewesen, Graf Hohenwart hätte das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/248>, abgerufen am 01.09.2024.