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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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kommenden Entschädigungssumme für die während der Unruhen in China erlittenen
Verluste zu schreiten, befehlen Wir Ihnen usw/' Also: dasselbe Deutschland, das
vor zwei Jahren genötigt war, in Amerika 80 Millionen Mark aufzunehmen, Wird
heute aufgefordert, Rußland zur Deckung der Kriegskosten in China etwa 40V Mil¬
lionen Mark vorzustrecken, und diese Transaktion vollzieht sich unter der Ägide
einer ersten Emissionsfirma. Nach Z 36 des Börsengesetzes hat die Zulassungsstelle
die Aufgabe und die Pflicht, "Emissionen nicht zuzulassen, durch welche erhebliche
allgemeine Interessen geschädigt werden, oder welche offenbar zu einer Übervor¬
teilung des Publikums führen." Nun, man kann zweifeln, ob nicht allgemeine
Interessen geschädigt werden, wenn deutsches Kapital einem solchen Zwecke dienst¬
bar gemacht wird. Man wende nicht ein, daß an russischen Papieren noch nichts ver¬
loren worden sei; das ist erstens nicht zutreffend, denn Rußland hat im Jahre 1885
durch Einführung einer Kapitalrentensteuer in Vertragsbrüchiger Weise die Zinsen
zahlreicher Schuldtitcl herabgesetzt und erst fünfzehn Jahre später durch Ukas
vom 4. Dezember 1900 diese Maßnahme unter gewissen Bedingungen lediglich für
die vierprozentige Staatsrente wieder beseitigt -- ein Vorgang, dessen Mitteilung im
Prospekt laut § 6 Ziffer 4 der Bekanntmachung von 11. Dezember 1896 be¬
treffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel gesetzlich vorgeschrieben,
in Wirklichkeit aber unterblieben ist. Jedoch das nur nebenbei; die prinzipielle
Bedeutung der Transaktion liegt in dein Umstände, daß den deutschen Kapitalisten
zugemutet wird, für einen solchen Zweck die Mittel aufzubringen. Mau kann es
der russischen Diplomatie von ihrem Standpunkt ans nicht verdenken, wenn sie die
Situation nach Kräften für ihre Zwecke auszunutzen sucht, wenn sie jede Annäherung
zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern und gleichwohl beide Länder für ihre
politischen Zwecke auszupressen sucht. Als befremdend aber muß es bezeichnet werden,
daß sich die Berliner Großfinanz für diesen Zweck von dem russischen Finanz¬
minister gebrauche" läßt. Die französischen Kapitalisten aber mögen sich die Kom¬
mentare ansehen, mit denen das Resultat der Subskription in Deutschland von der ma߬
gebenden russischen Presse, vor allem von dem "Journal de Se. Petersbourg" und von
dem finanzoffiziösen "Westnik Fiuaussow" begleitet worden ist, die den äußern Erfolg
der hundertfachen Überzeichnung -- über die wirkliche Bedeutung einer derartigen
Subskriptionsmache glauben wir Kennern der Sache gegenüber kein Wort weiter
verlieren zu sollen -- dazu benutzt haben, den Franzosen von neuem zu Gemüte
zu führen, daß Nußland in finanzieller Beziehung durchaus uicht auf Frankreich
angewiesen sei, und daß, so schrieb das "Journal de Se. Petersbourg," "unsre
Freundschaft mit Frankreich ausgezeichnete Beziehungen zu andern europäischen
Mächten zuläßt." Also: Rußland kann unbeschadet seiner Freundschaft mit Frank¬
reich mit andern Mächten "ausgezeichnete Beziehungen" unterhalten; Frankreich
aber -- das erregt "peinliches Befremden" in Petersburg -- sott nicht bald mit
Petersburg bald mit Berlin "liebäugeln." Liebäugeln darf Frankreich mit Deutsch¬
land nur zu einem einzigen Zweck: zur gemeinsamen Linderung der russischen
Finanzkalamitäten, zur gemeinsamen Befriedigung der ewig unbefriedigten Gelb¬
lich ürfnisse Rußlands!

Nun, die Franzosen mögen sehen, wie sie mit Rußland fertig werden; in
Deutschland thäte man gut, in dieser Beziehung ein wenig in die Fußstapfen Eng¬
lands zu treten, das trotz aller Vorstellungen des russischen Finanzministers kein
Verlangen trägt, die "ausgezeichneten Beziehungen Rußlands" ausschließlich in An¬
sehung der Emissionspolitik, und ohne Rücksicht auf das Allgemeininteressc des Landes,
kennen zu lernen. Aber was wissen unsre Finanzfirmen von solchen Rücksichten!
Vor einigen Monaten hat die "Kreuzzeitung" bei der Erörterung des Vörsengesetzes
mit einer gewissen Resignation erklärt, sie sei es müde, fortgesetzt den Mentor des
Publikums zu spielen; wenn dieses so viel Gefallen an dem bekannten: Nunciu"



') Inzwischen sind weitere LK0 Millionen Rubel vierprozentige russische SlaatSrente an
der Berliner Börse aufgelegt worden.

kommenden Entschädigungssumme für die während der Unruhen in China erlittenen
Verluste zu schreiten, befehlen Wir Ihnen usw/' Also: dasselbe Deutschland, das
vor zwei Jahren genötigt war, in Amerika 80 Millionen Mark aufzunehmen, Wird
heute aufgefordert, Rußland zur Deckung der Kriegskosten in China etwa 40V Mil¬
lionen Mark vorzustrecken, und diese Transaktion vollzieht sich unter der Ägide
einer ersten Emissionsfirma. Nach Z 36 des Börsengesetzes hat die Zulassungsstelle
die Aufgabe und die Pflicht, „Emissionen nicht zuzulassen, durch welche erhebliche
allgemeine Interessen geschädigt werden, oder welche offenbar zu einer Übervor¬
teilung des Publikums führen." Nun, man kann zweifeln, ob nicht allgemeine
Interessen geschädigt werden, wenn deutsches Kapital einem solchen Zwecke dienst¬
bar gemacht wird. Man wende nicht ein, daß an russischen Papieren noch nichts ver¬
loren worden sei; das ist erstens nicht zutreffend, denn Rußland hat im Jahre 1885
durch Einführung einer Kapitalrentensteuer in Vertragsbrüchiger Weise die Zinsen
zahlreicher Schuldtitcl herabgesetzt und erst fünfzehn Jahre später durch Ukas
vom 4. Dezember 1900 diese Maßnahme unter gewissen Bedingungen lediglich für
die vierprozentige Staatsrente wieder beseitigt — ein Vorgang, dessen Mitteilung im
Prospekt laut § 6 Ziffer 4 der Bekanntmachung von 11. Dezember 1896 be¬
treffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel gesetzlich vorgeschrieben,
in Wirklichkeit aber unterblieben ist. Jedoch das nur nebenbei; die prinzipielle
Bedeutung der Transaktion liegt in dein Umstände, daß den deutschen Kapitalisten
zugemutet wird, für einen solchen Zweck die Mittel aufzubringen. Mau kann es
der russischen Diplomatie von ihrem Standpunkt ans nicht verdenken, wenn sie die
Situation nach Kräften für ihre Zwecke auszunutzen sucht, wenn sie jede Annäherung
zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern und gleichwohl beide Länder für ihre
politischen Zwecke auszupressen sucht. Als befremdend aber muß es bezeichnet werden,
daß sich die Berliner Großfinanz für diesen Zweck von dem russischen Finanz¬
minister gebrauche» läßt. Die französischen Kapitalisten aber mögen sich die Kom¬
mentare ansehen, mit denen das Resultat der Subskription in Deutschland von der ma߬
gebenden russischen Presse, vor allem von dem „Journal de Se. Petersbourg" und von
dem finanzoffiziösen „Westnik Fiuaussow" begleitet worden ist, die den äußern Erfolg
der hundertfachen Überzeichnung — über die wirkliche Bedeutung einer derartigen
Subskriptionsmache glauben wir Kennern der Sache gegenüber kein Wort weiter
verlieren zu sollen — dazu benutzt haben, den Franzosen von neuem zu Gemüte
zu führen, daß Nußland in finanzieller Beziehung durchaus uicht auf Frankreich
angewiesen sei, und daß, so schrieb das „Journal de Se. Petersbourg," „unsre
Freundschaft mit Frankreich ausgezeichnete Beziehungen zu andern europäischen
Mächten zuläßt." Also: Rußland kann unbeschadet seiner Freundschaft mit Frank¬
reich mit andern Mächten „ausgezeichnete Beziehungen" unterhalten; Frankreich
aber — das erregt „peinliches Befremden" in Petersburg — sott nicht bald mit
Petersburg bald mit Berlin „liebäugeln." Liebäugeln darf Frankreich mit Deutsch¬
land nur zu einem einzigen Zweck: zur gemeinsamen Linderung der russischen
Finanzkalamitäten, zur gemeinsamen Befriedigung der ewig unbefriedigten Gelb¬
lich ürfnisse Rußlands!

Nun, die Franzosen mögen sehen, wie sie mit Rußland fertig werden; in
Deutschland thäte man gut, in dieser Beziehung ein wenig in die Fußstapfen Eng¬
lands zu treten, das trotz aller Vorstellungen des russischen Finanzministers kein
Verlangen trägt, die „ausgezeichneten Beziehungen Rußlands" ausschließlich in An¬
sehung der Emissionspolitik, und ohne Rücksicht auf das Allgemeininteressc des Landes,
kennen zu lernen. Aber was wissen unsre Finanzfirmen von solchen Rücksichten!
Vor einigen Monaten hat die „Kreuzzeitung" bei der Erörterung des Vörsengesetzes
mit einer gewissen Resignation erklärt, sie sei es müde, fortgesetzt den Mentor des
Publikums zu spielen; wenn dieses so viel Gefallen an dem bekannten: Nunciu»



') Inzwischen sind weitere LK0 Millionen Rubel vierprozentige russische SlaatSrente an
der Berliner Börse aufgelegt worden.
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[0226] kommenden Entschädigungssumme für die während der Unruhen in China erlittenen Verluste zu schreiten, befehlen Wir Ihnen usw/' Also: dasselbe Deutschland, das vor zwei Jahren genötigt war, in Amerika 80 Millionen Mark aufzunehmen, Wird heute aufgefordert, Rußland zur Deckung der Kriegskosten in China etwa 40V Mil¬ lionen Mark vorzustrecken, und diese Transaktion vollzieht sich unter der Ägide einer ersten Emissionsfirma. Nach Z 36 des Börsengesetzes hat die Zulassungsstelle die Aufgabe und die Pflicht, „Emissionen nicht zuzulassen, durch welche erhebliche allgemeine Interessen geschädigt werden, oder welche offenbar zu einer Übervor¬ teilung des Publikums führen." Nun, man kann zweifeln, ob nicht allgemeine Interessen geschädigt werden, wenn deutsches Kapital einem solchen Zwecke dienst¬ bar gemacht wird. Man wende nicht ein, daß an russischen Papieren noch nichts ver¬ loren worden sei; das ist erstens nicht zutreffend, denn Rußland hat im Jahre 1885 durch Einführung einer Kapitalrentensteuer in Vertragsbrüchiger Weise die Zinsen zahlreicher Schuldtitcl herabgesetzt und erst fünfzehn Jahre später durch Ukas vom 4. Dezember 1900 diese Maßnahme unter gewissen Bedingungen lediglich für die vierprozentige Staatsrente wieder beseitigt — ein Vorgang, dessen Mitteilung im Prospekt laut § 6 Ziffer 4 der Bekanntmachung von 11. Dezember 1896 be¬ treffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel gesetzlich vorgeschrieben, in Wirklichkeit aber unterblieben ist. Jedoch das nur nebenbei; die prinzipielle Bedeutung der Transaktion liegt in dein Umstände, daß den deutschen Kapitalisten zugemutet wird, für einen solchen Zweck die Mittel aufzubringen. Mau kann es der russischen Diplomatie von ihrem Standpunkt ans nicht verdenken, wenn sie die Situation nach Kräften für ihre Zwecke auszunutzen sucht, wenn sie jede Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern und gleichwohl beide Länder für ihre politischen Zwecke auszupressen sucht. Als befremdend aber muß es bezeichnet werden, daß sich die Berliner Großfinanz für diesen Zweck von dem russischen Finanz¬ minister gebrauche» läßt. Die französischen Kapitalisten aber mögen sich die Kom¬ mentare ansehen, mit denen das Resultat der Subskription in Deutschland von der ma߬ gebenden russischen Presse, vor allem von dem „Journal de Se. Petersbourg" und von dem finanzoffiziösen „Westnik Fiuaussow" begleitet worden ist, die den äußern Erfolg der hundertfachen Überzeichnung — über die wirkliche Bedeutung einer derartigen Subskriptionsmache glauben wir Kennern der Sache gegenüber kein Wort weiter verlieren zu sollen — dazu benutzt haben, den Franzosen von neuem zu Gemüte zu führen, daß Nußland in finanzieller Beziehung durchaus uicht auf Frankreich angewiesen sei, und daß, so schrieb das „Journal de Se. Petersbourg," „unsre Freundschaft mit Frankreich ausgezeichnete Beziehungen zu andern europäischen Mächten zuläßt." Also: Rußland kann unbeschadet seiner Freundschaft mit Frank¬ reich mit andern Mächten „ausgezeichnete Beziehungen" unterhalten; Frankreich aber — das erregt „peinliches Befremden" in Petersburg — sott nicht bald mit Petersburg bald mit Berlin „liebäugeln." Liebäugeln darf Frankreich mit Deutsch¬ land nur zu einem einzigen Zweck: zur gemeinsamen Linderung der russischen Finanzkalamitäten, zur gemeinsamen Befriedigung der ewig unbefriedigten Gelb¬ lich ürfnisse Rußlands! Nun, die Franzosen mögen sehen, wie sie mit Rußland fertig werden; in Deutschland thäte man gut, in dieser Beziehung ein wenig in die Fußstapfen Eng¬ lands zu treten, das trotz aller Vorstellungen des russischen Finanzministers kein Verlangen trägt, die „ausgezeichneten Beziehungen Rußlands" ausschließlich in An¬ sehung der Emissionspolitik, und ohne Rücksicht auf das Allgemeininteressc des Landes, kennen zu lernen. Aber was wissen unsre Finanzfirmen von solchen Rücksichten! Vor einigen Monaten hat die „Kreuzzeitung" bei der Erörterung des Vörsengesetzes mit einer gewissen Resignation erklärt, sie sei es müde, fortgesetzt den Mentor des Publikums zu spielen; wenn dieses so viel Gefallen an dem bekannten: Nunciu» ') Inzwischen sind weitere LK0 Millionen Rubel vierprozentige russische SlaatSrente an der Berliner Börse aufgelegt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/226>, abgerufen am 01.09.2024.