Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.mal in einer wirklich dringenden Angelegenheit, und konnte nicht dabei sein, wie seine Kurz vor dem Ende schlug Alice die Augen voll auf und rief mit einem So starb sie und lag auf ihrem Totenbette in stolzer Schönheit wie eine Als das Begräbnis vorüber war, gingen miteinander die Dorfstraße hinab Sehen Sie, sagte Rothkamin, ich habe es gleich gesagt -- fragen Sie Herrn Drillhose antwortete nicht, aber es sah nicht so aus, als widerspräche er Es ist doch merkwürdig, fuhr Rothkamm nach einer Pause fort, der Doktor Jahr und Tag find vergangen. Das Kaliwerk Heinrichshall ist wieder in Die Kuxinhaber der Gegeud waren getröstet und dachten nicht mehr daran, Die Zemeutfabril war durch die großen Lieferungen vou Zement an das Werk mal in einer wirklich dringenden Angelegenheit, und konnte nicht dabei sein, wie seine Kurz vor dem Ende schlug Alice die Augen voll auf und rief mit einem So starb sie und lag auf ihrem Totenbette in stolzer Schönheit wie eine Als das Begräbnis vorüber war, gingen miteinander die Dorfstraße hinab Sehen Sie, sagte Rothkamin, ich habe es gleich gesagt — fragen Sie Herrn Drillhose antwortete nicht, aber es sah nicht so aus, als widerspräche er Es ist doch merkwürdig, fuhr Rothkamm nach einer Pause fort, der Doktor Jahr und Tag find vergangen. Das Kaliwerk Heinrichshall ist wieder in Die Kuxinhaber der Gegeud waren getröstet und dachten nicht mehr daran, Die Zemeutfabril war durch die großen Lieferungen vou Zement an das Werk <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0744" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/238030"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_3766" prev="#ID_3765"> mal in einer wirklich dringenden Angelegenheit, und konnte nicht dabei sein, wie seine<lb/> Frau starb.</p><lb/> <p xml:id="ID_3767"> Kurz vor dem Ende schlug Alice die Augen voll auf und rief mit einem<lb/> Lächeln stolzer Befriedigung: Frei! frei!</p><lb/> <p xml:id="ID_3768"> So starb sie und lag auf ihrem Totenbette in stolzer Schönheit wie eine<lb/> Königin.</p><lb/> <p xml:id="ID_3769"> Als das Begräbnis vorüber war, gingen miteinander die Dorfstraße hinab<lb/> Nothkamm, der eine große Palme getragen hatte, und Drillhose, der mit dem Reste<lb/> seiner Kapelle den Choral geblasen hatte und seine Trompete unter dein Arme trug.</p><lb/> <p xml:id="ID_3770"> Sehen Sie, sagte Rothkamin, ich habe es gleich gesagt — fragen Sie Herrn<lb/> Wandrer —, das gnädige Fräulein Alice war zu gut für den Doktor. Eine gute<lb/> Frau muß man in acht nehmen, sonst geht sie kaput.</p><lb/> <p xml:id="ID_3771"> Drillhose antwortete nicht, aber es sah nicht so aus, als widerspräche er<lb/> innerlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_3772"> Es ist doch merkwürdig, fuhr Rothkamm nach einer Pause fort, der Doktor<lb/> hat immer Glück gehabt. Hier die schöne Praxis und das schöne Einkommen, und<lb/> dann so eine Frau, freundlich und liebevoll, und mir hat sie das Leben gerettet,<lb/> und so noble Verwandtschaft. Er hat es aber nicht wahrgenommen. Wissen Sie,<lb/> Herr Drillhvse, er hätte vielleicht besser gethan, das komplette Frauenzimmer mit<lb/> dem Federhute zu heiraten. — Wissen Sie, wie mir das mit dem Doktor vorkommt?<lb/> Das kommt mir vor, wie wen» ein Fisch ein Vogel werden will und aus seinem<lb/> Wasser raus in die freie Luft springt. Jawohl, da hat er keine Flügel zum Fliegen,<lb/> und wenn das Glück gut ist, so Platzt ihm die Fischblase.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_3773"> Jahr und Tag find vergangen. Das Kaliwerk Heinrichshall ist wieder in<lb/> vollem Gange. Der Nettungsplan Drillhoses hat vollen Erfolg gehabt. Seine<lb/> Annahme, daß sich die hauptsächlichste Zerstörung ans dem Grunde des Schachtes<lb/> zugetragen habe, und daß die Explosion gar nicht auf Sohle zwei geschehn, daß<lb/> aber des Teufels Spundloch durch die Erschütterung auch aufgebrochen sei, hat sich<lb/> bestätigt. Nachdem mit viel Mühe das Holzwerk, das mau zu Spundwänden hinein¬<lb/> gebaut hatte, beseitigt worden war, gelang es dnrch Belon, der in Säcken hinabge¬<lb/> lassen und regelmäßig gelagert wurde, und dann durch Schüttuugeu, wobei die<lb/> Schneemasse in eisernen Kästen hinabgelassen wurde, deren Boden sich unten öffnete,<lb/> den ganzen Raum vou Sohle drei bis Sohle zwei auszufüllen und den Eingang<lb/> in Sohle zwei zuzubauen. Nun machte es keine Schwierigkeiten mehr, das ober¬<lb/> halb stehende Wasser auszupumpen, und das Werk war gerettet. Der Betrieb<lb/> konnte von neuem eröffnet werden, und die Arbeiter und viele unsrer alten Be¬<lb/> kannten, darunter Rummel mit seiner guten aber schwer zu ertragenden Frau und<lb/> Doktor Olbrich mit den kurzen Höschen kehrten zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_3774"> Die Kuxinhaber der Gegeud waren getröstet und dachten nicht mehr daran,<lb/> Jauche zu pumpen. Nur Happich war der Hineingefallne, der, in der Meinung, recht<lb/> klug zu sein, seine Papiere verkauft hatte, als sie am tiefsten standen. — Das geschieht<lb/> dem alten Gauner schon recht, sagte Larisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_3775"> Die Zemeutfabril war durch die großen Lieferungen vou Zement an das Werk<lb/> mit einem Schlage in die Hohe gekommen. Sie hatte ihren Ort gewechselt, war,<lb/> da es neben den Steinbrüchen an Raum zur Erweiterung gefehlt hatte, oben ab¬<lb/> gebrochen und unten im Assethal neu erbaut worden, gerade da, wo einst die<lb/> Tote-Asse-und so weiter-Gesellschaft gewaltet hatte. Sie bestand nicht mehr aus<lb/> Bretterbuden, sondern soliden Bauwerken, hatte hohe Schornsteine und Öfen bester<lb/> Konstruktion. Die Drahtseilbahn beförderte Steine und Kohlen herab, und Prähme<lb/> schafften die gefüllten Fässer nach Altum auf die Bahn. Drillhvse waltete in der<lb/> Fabrik als Betriebsleiter mit Umsicht und Sachkenntnis. Aber er hatte schon keine<lb/> rechte Lust mehr zu dem Geschäfte. Sein Musikantenblut ließ ihm keine Ruhe.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0744]
mal in einer wirklich dringenden Angelegenheit, und konnte nicht dabei sein, wie seine
Frau starb.
Kurz vor dem Ende schlug Alice die Augen voll auf und rief mit einem
Lächeln stolzer Befriedigung: Frei! frei!
So starb sie und lag auf ihrem Totenbette in stolzer Schönheit wie eine
Königin.
Als das Begräbnis vorüber war, gingen miteinander die Dorfstraße hinab
Nothkamm, der eine große Palme getragen hatte, und Drillhose, der mit dem Reste
seiner Kapelle den Choral geblasen hatte und seine Trompete unter dein Arme trug.
Sehen Sie, sagte Rothkamin, ich habe es gleich gesagt — fragen Sie Herrn
Wandrer —, das gnädige Fräulein Alice war zu gut für den Doktor. Eine gute
Frau muß man in acht nehmen, sonst geht sie kaput.
Drillhose antwortete nicht, aber es sah nicht so aus, als widerspräche er
innerlich.
Es ist doch merkwürdig, fuhr Rothkamm nach einer Pause fort, der Doktor
hat immer Glück gehabt. Hier die schöne Praxis und das schöne Einkommen, und
dann so eine Frau, freundlich und liebevoll, und mir hat sie das Leben gerettet,
und so noble Verwandtschaft. Er hat es aber nicht wahrgenommen. Wissen Sie,
Herr Drillhvse, er hätte vielleicht besser gethan, das komplette Frauenzimmer mit
dem Federhute zu heiraten. — Wissen Sie, wie mir das mit dem Doktor vorkommt?
Das kommt mir vor, wie wen» ein Fisch ein Vogel werden will und aus seinem
Wasser raus in die freie Luft springt. Jawohl, da hat er keine Flügel zum Fliegen,
und wenn das Glück gut ist, so Platzt ihm die Fischblase.
Jahr und Tag find vergangen. Das Kaliwerk Heinrichshall ist wieder in
vollem Gange. Der Nettungsplan Drillhoses hat vollen Erfolg gehabt. Seine
Annahme, daß sich die hauptsächlichste Zerstörung ans dem Grunde des Schachtes
zugetragen habe, und daß die Explosion gar nicht auf Sohle zwei geschehn, daß
aber des Teufels Spundloch durch die Erschütterung auch aufgebrochen sei, hat sich
bestätigt. Nachdem mit viel Mühe das Holzwerk, das mau zu Spundwänden hinein¬
gebaut hatte, beseitigt worden war, gelang es dnrch Belon, der in Säcken hinabge¬
lassen und regelmäßig gelagert wurde, und dann durch Schüttuugeu, wobei die
Schneemasse in eisernen Kästen hinabgelassen wurde, deren Boden sich unten öffnete,
den ganzen Raum vou Sohle drei bis Sohle zwei auszufüllen und den Eingang
in Sohle zwei zuzubauen. Nun machte es keine Schwierigkeiten mehr, das ober¬
halb stehende Wasser auszupumpen, und das Werk war gerettet. Der Betrieb
konnte von neuem eröffnet werden, und die Arbeiter und viele unsrer alten Be¬
kannten, darunter Rummel mit seiner guten aber schwer zu ertragenden Frau und
Doktor Olbrich mit den kurzen Höschen kehrten zurück.
Die Kuxinhaber der Gegeud waren getröstet und dachten nicht mehr daran,
Jauche zu pumpen. Nur Happich war der Hineingefallne, der, in der Meinung, recht
klug zu sein, seine Papiere verkauft hatte, als sie am tiefsten standen. — Das geschieht
dem alten Gauner schon recht, sagte Larisch.
Die Zemeutfabril war durch die großen Lieferungen vou Zement an das Werk
mit einem Schlage in die Hohe gekommen. Sie hatte ihren Ort gewechselt, war,
da es neben den Steinbrüchen an Raum zur Erweiterung gefehlt hatte, oben ab¬
gebrochen und unten im Assethal neu erbaut worden, gerade da, wo einst die
Tote-Asse-und so weiter-Gesellschaft gewaltet hatte. Sie bestand nicht mehr aus
Bretterbuden, sondern soliden Bauwerken, hatte hohe Schornsteine und Öfen bester
Konstruktion. Die Drahtseilbahn beförderte Steine und Kohlen herab, und Prähme
schafften die gefüllten Fässer nach Altum auf die Bahn. Drillhvse waltete in der
Fabrik als Betriebsleiter mit Umsicht und Sachkenntnis. Aber er hatte schon keine
rechte Lust mehr zu dem Geschäfte. Sein Musikantenblut ließ ihm keine Ruhe.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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