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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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wickeln sich viel langsamer als die der Haustaube, und Altum erreichte seinen
Zweck erst dadurch, daß er die genannten Eier zwei Haustauben nachein¬
ander zum Bebrüten unterlegte.

Der indische Hornvogel (Luesros) brütet in hohlen Bäumen; das Weibchen
mausert sich während der Brutperivde, und da es in diesem Zustande wehrlos
ist, manert es das Männchen, um es zu schützen, ein. Aus Erde, verfaultem
Holz und seinem Speichel bereitet das Männchen einen Mörtel, mit dem es
das Loch im Baumstamme zumauert; es läßt nur eine kleine Öffnung, aus
der das Weibchen seinen Schnabel vorstecken kann.

Ebenso wie das Bebrüten der Eier dauert auch das Füttern der Jungen
im Neste nur so lange, wie der instinktive Trieb dazu anhält, bei jeder Vogel-
art eine gewisse Anzahl von Tagen; nimmt man junge Vögel aus dem Nest
und setzt sie in einen Bauer, so kommen die Alten heran und füttern die
Jungen durch die Stäbe hindurch, aber nur so lauge, als die Fütterung im
Freien dauern würde; befreit man jetzt nicht die Jungen, so lassen die Alten
sie verhungern. Der Fregattvogel atzt seine Jungen in der Weise, daß er
verschlungne Ncchruug vor dem auf der Erde stehenden Neste auswürgt; er
thut das auch dann, wenn das Nest keine ausgeschlüpften Jungen, sondern
faule Eier enthält.

Der Gesang der männlichen Vögel ist im Freien an die Fortpflanzungs-
zeit gebunden, er ist ein Lockruf für das Weibchen und dient zugleich dazu,
die von den einzelnen Vogelscharen bewohnten Bezirke gegeneinander abzu¬
grenzen; den Gesang der Nachtigall hören wir nur im April, Mai und Juni,
der Vogel kann nicht singen, wenn er will. Die Fortpflanzungszeit nicht nur
der Vögel, sondern des gesamten Tierreichs ist im Gegensatz zu der des
Menschen an ganz bestimmte Jahreszeiten gebunden. Verläßt der junge
Vogel sein Nest, so kann er sofort fliegen und braucht es nicht erst zu lernen,
wie das Kind das Gehen langsam und mühsam erlernen muß.

Sind in einem Jahre bestimmte Samen und Beeren besonders reichlich
gewachsen, so finden sich unfehlbar die Vogelarten massenhaft ein, die von ihnen
leben; der Kuckuck frißt mit Vorliebe behaarte Raupen, und wo ein Eicheu-
bestand von den haarigen Raupen gewisser Nachtschmetterlinge bedroht wird,
stellt er sich zu deren Vertilgung in Mengen ein, während er sonst mir
einzeln lebt; nur der Instinkt kann die Vögel in Mengen in solche Gegenden
führen.

Die meisten Vögel verlassen uns im Herbst und kommen im Frühling
wieder. Sie ziehn nach dem Süden, weil sie bei uns im Winter verhungern
würden; sie ziehn zu einer Zeit, wo das Wetter noch milde, und Nahrung
in Fülle vorhanden ist, ohne Kenntnis der Temperaturverhültnisse, des Jahres¬
wechsels, der geographischen Verhältnisse. Man hat gemeint, die jungen
Vögel würden hierin von den alten mitgenommen, und so werde der Wander¬
trieb von Generation zu Generation verbreitet. Das ist aber nicht richtig;
die jungen Vögel, die im laufenden Sommer ausgebrütet sind, eröffnen den Zug.
Der große Oruithologe Gätke auf Helgoland hat beobachtet, daß die meisten
Vogelarten in der Weise ziehn, daß die Jungen den Zug eröffnen und ihren


wickeln sich viel langsamer als die der Haustaube, und Altum erreichte seinen
Zweck erst dadurch, daß er die genannten Eier zwei Haustauben nachein¬
ander zum Bebrüten unterlegte.

Der indische Hornvogel (Luesros) brütet in hohlen Bäumen; das Weibchen
mausert sich während der Brutperivde, und da es in diesem Zustande wehrlos
ist, manert es das Männchen, um es zu schützen, ein. Aus Erde, verfaultem
Holz und seinem Speichel bereitet das Männchen einen Mörtel, mit dem es
das Loch im Baumstamme zumauert; es läßt nur eine kleine Öffnung, aus
der das Weibchen seinen Schnabel vorstecken kann.

Ebenso wie das Bebrüten der Eier dauert auch das Füttern der Jungen
im Neste nur so lange, wie der instinktive Trieb dazu anhält, bei jeder Vogel-
art eine gewisse Anzahl von Tagen; nimmt man junge Vögel aus dem Nest
und setzt sie in einen Bauer, so kommen die Alten heran und füttern die
Jungen durch die Stäbe hindurch, aber nur so lauge, als die Fütterung im
Freien dauern würde; befreit man jetzt nicht die Jungen, so lassen die Alten
sie verhungern. Der Fregattvogel atzt seine Jungen in der Weise, daß er
verschlungne Ncchruug vor dem auf der Erde stehenden Neste auswürgt; er
thut das auch dann, wenn das Nest keine ausgeschlüpften Jungen, sondern
faule Eier enthält.

Der Gesang der männlichen Vögel ist im Freien an die Fortpflanzungs-
zeit gebunden, er ist ein Lockruf für das Weibchen und dient zugleich dazu,
die von den einzelnen Vogelscharen bewohnten Bezirke gegeneinander abzu¬
grenzen; den Gesang der Nachtigall hören wir nur im April, Mai und Juni,
der Vogel kann nicht singen, wenn er will. Die Fortpflanzungszeit nicht nur
der Vögel, sondern des gesamten Tierreichs ist im Gegensatz zu der des
Menschen an ganz bestimmte Jahreszeiten gebunden. Verläßt der junge
Vogel sein Nest, so kann er sofort fliegen und braucht es nicht erst zu lernen,
wie das Kind das Gehen langsam und mühsam erlernen muß.

Sind in einem Jahre bestimmte Samen und Beeren besonders reichlich
gewachsen, so finden sich unfehlbar die Vogelarten massenhaft ein, die von ihnen
leben; der Kuckuck frißt mit Vorliebe behaarte Raupen, und wo ein Eicheu-
bestand von den haarigen Raupen gewisser Nachtschmetterlinge bedroht wird,
stellt er sich zu deren Vertilgung in Mengen ein, während er sonst mir
einzeln lebt; nur der Instinkt kann die Vögel in Mengen in solche Gegenden
führen.

Die meisten Vögel verlassen uns im Herbst und kommen im Frühling
wieder. Sie ziehn nach dem Süden, weil sie bei uns im Winter verhungern
würden; sie ziehn zu einer Zeit, wo das Wetter noch milde, und Nahrung
in Fülle vorhanden ist, ohne Kenntnis der Temperaturverhültnisse, des Jahres¬
wechsels, der geographischen Verhältnisse. Man hat gemeint, die jungen
Vögel würden hierin von den alten mitgenommen, und so werde der Wander¬
trieb von Generation zu Generation verbreitet. Das ist aber nicht richtig;
die jungen Vögel, die im laufenden Sommer ausgebrütet sind, eröffnen den Zug.
Der große Oruithologe Gätke auf Helgoland hat beobachtet, daß die meisten
Vogelarten in der Weise ziehn, daß die Jungen den Zug eröffnen und ihren


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[0725] wickeln sich viel langsamer als die der Haustaube, und Altum erreichte seinen Zweck erst dadurch, daß er die genannten Eier zwei Haustauben nachein¬ ander zum Bebrüten unterlegte. Der indische Hornvogel (Luesros) brütet in hohlen Bäumen; das Weibchen mausert sich während der Brutperivde, und da es in diesem Zustande wehrlos ist, manert es das Männchen, um es zu schützen, ein. Aus Erde, verfaultem Holz und seinem Speichel bereitet das Männchen einen Mörtel, mit dem es das Loch im Baumstamme zumauert; es läßt nur eine kleine Öffnung, aus der das Weibchen seinen Schnabel vorstecken kann. Ebenso wie das Bebrüten der Eier dauert auch das Füttern der Jungen im Neste nur so lange, wie der instinktive Trieb dazu anhält, bei jeder Vogel- art eine gewisse Anzahl von Tagen; nimmt man junge Vögel aus dem Nest und setzt sie in einen Bauer, so kommen die Alten heran und füttern die Jungen durch die Stäbe hindurch, aber nur so lauge, als die Fütterung im Freien dauern würde; befreit man jetzt nicht die Jungen, so lassen die Alten sie verhungern. Der Fregattvogel atzt seine Jungen in der Weise, daß er verschlungne Ncchruug vor dem auf der Erde stehenden Neste auswürgt; er thut das auch dann, wenn das Nest keine ausgeschlüpften Jungen, sondern faule Eier enthält. Der Gesang der männlichen Vögel ist im Freien an die Fortpflanzungs- zeit gebunden, er ist ein Lockruf für das Weibchen und dient zugleich dazu, die von den einzelnen Vogelscharen bewohnten Bezirke gegeneinander abzu¬ grenzen; den Gesang der Nachtigall hören wir nur im April, Mai und Juni, der Vogel kann nicht singen, wenn er will. Die Fortpflanzungszeit nicht nur der Vögel, sondern des gesamten Tierreichs ist im Gegensatz zu der des Menschen an ganz bestimmte Jahreszeiten gebunden. Verläßt der junge Vogel sein Nest, so kann er sofort fliegen und braucht es nicht erst zu lernen, wie das Kind das Gehen langsam und mühsam erlernen muß. Sind in einem Jahre bestimmte Samen und Beeren besonders reichlich gewachsen, so finden sich unfehlbar die Vogelarten massenhaft ein, die von ihnen leben; der Kuckuck frißt mit Vorliebe behaarte Raupen, und wo ein Eicheu- bestand von den haarigen Raupen gewisser Nachtschmetterlinge bedroht wird, stellt er sich zu deren Vertilgung in Mengen ein, während er sonst mir einzeln lebt; nur der Instinkt kann die Vögel in Mengen in solche Gegenden führen. Die meisten Vögel verlassen uns im Herbst und kommen im Frühling wieder. Sie ziehn nach dem Süden, weil sie bei uns im Winter verhungern würden; sie ziehn zu einer Zeit, wo das Wetter noch milde, und Nahrung in Fülle vorhanden ist, ohne Kenntnis der Temperaturverhültnisse, des Jahres¬ wechsels, der geographischen Verhältnisse. Man hat gemeint, die jungen Vögel würden hierin von den alten mitgenommen, und so werde der Wander¬ trieb von Generation zu Generation verbreitet. Das ist aber nicht richtig; die jungen Vögel, die im laufenden Sommer ausgebrütet sind, eröffnen den Zug. Der große Oruithologe Gätke auf Helgoland hat beobachtet, daß die meisten Vogelarten in der Weise ziehn, daß die Jungen den Zug eröffnen und ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/725>, abgerufen am 26.06.2024.