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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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lMenentum und Christentum

Einfall scheiterte. Nachdem der Pulses in Rom völlig zu Boden gefallen war,
wurde Garibaldi am 3. November bei Mendana von französischen und päpst¬
lichen Streitkrüfteu angegriffen, total geschlagen und nach der Rückkehr über
die Greuze gefangen genommen erst in das Fort Varignano und dann nach
Cnprera gebracht und wohl bewacht.

Damit endete der Versuch der Patrioten, Rom zu erobern. Fast drei
Jahre gingen ins Land: im Juli 187H brach der deutsch-französische Krieg
aus, und Napoleon III. zog die französischen Truppen aus Civitci vecchia zurück.
Am 20. September 1870 rückten hierauf italienische Soldaten, ohne Wider¬
stand zu finden, in Rom ein. Am 1. Juli 1871 wurde die ewige Stadt der
Sitz der Negierung und die Hauptstadt des Königreichs -- es war Rorua, wwn-
geworden!

Daß die Thatsache, den Schlußstein in das Gebäude nationaler Einheit zu
setzen, nur dadurch möglich geworden war, daß Preußen den hartnäckigsten Gegner
der Einverleibung Roms, den Kaiser Napoleon, völlig besiegte, hat Garibaldi,
den phantastischen Republikaner, freilich nicht gehindert, in direktem Gegensatz
zu den feurigen Versprechungen des Jahres 1867, mit seinen Freischaren Frank¬
reich zu Hilfe zu eilen, ohne, wie bekannt, dabei kriegerische Lorbeeren zu
Pflücken.

Zur Beurteilung seiner Pläne im Jahre 1867 und seines Charakters
trügt die von Bernhardi mitgeteilte Episode, die wir hier behandelt haben,
wesentlich bei.


Ernst Seraphim


Hellenentun: und (Lhristentum
7. Lucian

ärmer, die wie Dio von Prusa durch philosophische Deutung den
Glauben der Väter dem Volke zu erhalten und für die Sittlichkeit
zu verwerten suchten, erscheinen uns ehrwürdig. Aber so achtungs¬
wert ihre Anstrengungen sein mochten, diese waren an eine Ver¬
lorne Sache verschwendet. Einer auf Mythologie gegründeten
Religion ist die Grundlage in dem Augenblick entzogen, wo die Gebildeten des
Volkes ihre Naivität einbüßen und zu kritisieren anfangen. Aus der Dichtung
ins Begriffliche übersetzt ergiebt jeder Mythus, wie jedes Märchen und jede
Fabel, reinen Unsinn, und reiner Unsinn kann niemals die Grundlage für die
Religion eines denkenden Kulturvolks abgeben. Weil nach dem Erwachen des
wissenschaftlichen Denkens der Unsinn klar zu Tage liegt, ist es kein Verdienst,
ihn zu erkennen und zu verspotten, und hätte Lucian von Smnosata, außer
einigen andern Verdiensten, nicht das litterarische Verdienst, seinem Spott auf
die armen, hcruntergekommnen Griechengötter eine geistreiche und unterhaltende
Form gegeben zu haben, so wäre er gar nicht der Erwähnung wert. Not-


Grcnzboten It 1S02 L8
lMenentum und Christentum

Einfall scheiterte. Nachdem der Pulses in Rom völlig zu Boden gefallen war,
wurde Garibaldi am 3. November bei Mendana von französischen und päpst¬
lichen Streitkrüfteu angegriffen, total geschlagen und nach der Rückkehr über
die Greuze gefangen genommen erst in das Fort Varignano und dann nach
Cnprera gebracht und wohl bewacht.

Damit endete der Versuch der Patrioten, Rom zu erobern. Fast drei
Jahre gingen ins Land: im Juli 187H brach der deutsch-französische Krieg
aus, und Napoleon III. zog die französischen Truppen aus Civitci vecchia zurück.
Am 20. September 1870 rückten hierauf italienische Soldaten, ohne Wider¬
stand zu finden, in Rom ein. Am 1. Juli 1871 wurde die ewige Stadt der
Sitz der Negierung und die Hauptstadt des Königreichs — es war Rorua, wwn-
geworden!

Daß die Thatsache, den Schlußstein in das Gebäude nationaler Einheit zu
setzen, nur dadurch möglich geworden war, daß Preußen den hartnäckigsten Gegner
der Einverleibung Roms, den Kaiser Napoleon, völlig besiegte, hat Garibaldi,
den phantastischen Republikaner, freilich nicht gehindert, in direktem Gegensatz
zu den feurigen Versprechungen des Jahres 1867, mit seinen Freischaren Frank¬
reich zu Hilfe zu eilen, ohne, wie bekannt, dabei kriegerische Lorbeeren zu
Pflücken.

Zur Beurteilung seiner Pläne im Jahre 1867 und seines Charakters
trügt die von Bernhardi mitgeteilte Episode, die wir hier behandelt haben,
wesentlich bei.


Ernst Seraphim


Hellenentun: und (Lhristentum
7. Lucian

ärmer, die wie Dio von Prusa durch philosophische Deutung den
Glauben der Väter dem Volke zu erhalten und für die Sittlichkeit
zu verwerten suchten, erscheinen uns ehrwürdig. Aber so achtungs¬
wert ihre Anstrengungen sein mochten, diese waren an eine Ver¬
lorne Sache verschwendet. Einer auf Mythologie gegründeten
Religion ist die Grundlage in dem Augenblick entzogen, wo die Gebildeten des
Volkes ihre Naivität einbüßen und zu kritisieren anfangen. Aus der Dichtung
ins Begriffliche übersetzt ergiebt jeder Mythus, wie jedes Märchen und jede
Fabel, reinen Unsinn, und reiner Unsinn kann niemals die Grundlage für die
Religion eines denkenden Kulturvolks abgeben. Weil nach dem Erwachen des
wissenschaftlichen Denkens der Unsinn klar zu Tage liegt, ist es kein Verdienst,
ihn zu erkennen und zu verspotten, und hätte Lucian von Smnosata, außer
einigen andern Verdiensten, nicht das litterarische Verdienst, seinem Spott auf
die armen, hcruntergekommnen Griechengötter eine geistreiche und unterhaltende
Form gegeben zu haben, so wäre er gar nicht der Erwähnung wert. Not-


Grcnzboten It 1S02 L8
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[0707] lMenentum und Christentum Einfall scheiterte. Nachdem der Pulses in Rom völlig zu Boden gefallen war, wurde Garibaldi am 3. November bei Mendana von französischen und päpst¬ lichen Streitkrüfteu angegriffen, total geschlagen und nach der Rückkehr über die Greuze gefangen genommen erst in das Fort Varignano und dann nach Cnprera gebracht und wohl bewacht. Damit endete der Versuch der Patrioten, Rom zu erobern. Fast drei Jahre gingen ins Land: im Juli 187H brach der deutsch-französische Krieg aus, und Napoleon III. zog die französischen Truppen aus Civitci vecchia zurück. Am 20. September 1870 rückten hierauf italienische Soldaten, ohne Wider¬ stand zu finden, in Rom ein. Am 1. Juli 1871 wurde die ewige Stadt der Sitz der Negierung und die Hauptstadt des Königreichs — es war Rorua, wwn- geworden! Daß die Thatsache, den Schlußstein in das Gebäude nationaler Einheit zu setzen, nur dadurch möglich geworden war, daß Preußen den hartnäckigsten Gegner der Einverleibung Roms, den Kaiser Napoleon, völlig besiegte, hat Garibaldi, den phantastischen Republikaner, freilich nicht gehindert, in direktem Gegensatz zu den feurigen Versprechungen des Jahres 1867, mit seinen Freischaren Frank¬ reich zu Hilfe zu eilen, ohne, wie bekannt, dabei kriegerische Lorbeeren zu Pflücken. Zur Beurteilung seiner Pläne im Jahre 1867 und seines Charakters trügt die von Bernhardi mitgeteilte Episode, die wir hier behandelt haben, wesentlich bei. Ernst Seraphim Hellenentun: und (Lhristentum 7. Lucian ärmer, die wie Dio von Prusa durch philosophische Deutung den Glauben der Väter dem Volke zu erhalten und für die Sittlichkeit zu verwerten suchten, erscheinen uns ehrwürdig. Aber so achtungs¬ wert ihre Anstrengungen sein mochten, diese waren an eine Ver¬ lorne Sache verschwendet. Einer auf Mythologie gegründeten Religion ist die Grundlage in dem Augenblick entzogen, wo die Gebildeten des Volkes ihre Naivität einbüßen und zu kritisieren anfangen. Aus der Dichtung ins Begriffliche übersetzt ergiebt jeder Mythus, wie jedes Märchen und jede Fabel, reinen Unsinn, und reiner Unsinn kann niemals die Grundlage für die Religion eines denkenden Kulturvolks abgeben. Weil nach dem Erwachen des wissenschaftlichen Denkens der Unsinn klar zu Tage liegt, ist es kein Verdienst, ihn zu erkennen und zu verspotten, und hätte Lucian von Smnosata, außer einigen andern Verdiensten, nicht das litterarische Verdienst, seinem Spott auf die armen, hcruntergekommnen Griechengötter eine geistreiche und unterhaltende Form gegeben zu haben, so wäre er gar nicht der Erwähnung wert. Not- Grcnzboten It 1S02 L8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/707>, abgerufen am 26.06.2024.